Eine Art Katene

zu

Christine Lienemann-Perrin, Metamorphosen des Weltchristentums. Ökumenische Theologie in globaler Perspektive, (Kohlhammer) Stuttgart 2023

 

 

  • Beim Titelbegriff „Metamorphosen“ fängt es an. Er lässt mich denken an Ulrich Beck, die Metamorphose der Welt, Berlin (Suhrkamp) 2016 – Ulrich Beck widmet seiner terminologischen Entscheidung einleitend einige lesenswerte Überlegungen zum ‚gegenwärtigen Zeitalter‘ (wie provisorisch auch immer die ausgefallen sein mögen angesichts der todeshalber abgebrochenen Vorgeschichte des Buchs); bekanntlich hat seine Ehefrau, zusammenmit anderen, das Hinterlassene suhrkamp-reif redigiert.

Dies und die gelegentlichen Fußnotenbemerkungen zur Mitwirkung von Wolfgang Lienemann an Christine Lienemann-Perrins (im Folgenden: CLP) Buch ruft die Assoziation des dito koproduzierenden Forscherehepaars auf den Plan.

  • Dann das Inhaltsverzeichnis. Jemandem, der wie ich (im Folgenden auch: FS) in den letzten Jahren die Publikationen von Christian Grethlein penibel verfolgt hat, fallen die in den Überschriften von 11.1, 11.2, 11.3, 11.4 exponierten Kategorien auf. Grethlein, der 2012 in seinem „Lehrbuch“ Praktische Theologie, Boston/Berlin (de Gruyter) in Weiterführung von Ernst Lange „Kommunikation des Evangeliums“ (im Folgenden KdE) als Grundbegriff der Praktischen Theologie empfohlen hat (wie sich inzwischen zeigt: recht erfolgreich), schreibt ebd. 190f der KdE die Merkmale „transcultural, contextual, counter-cultural, cross-cultural“ zu – unter Bezugnahme auf ein Dokument aus der „dritten internationalen Konsultation der Studiengruppe ‚Gottesdienst und Kultur‘“ des Lutherischen Weltbunds 1996 in Nairobi. Ob das mit CLP’s Bezugnahme (274) auf eine sog. Studienarbeit des ÖRK in den 1990ern (die mit der Differenz Evangelium/Kultur im adversativen Sinne und gegenüber „Kultur“ defensiver Intention umgegangen sei) zusammenhängt, gar zusammenfällt?
  • Die Kapitelüberschrift 2.2.6 lässt, klar, an die vom noch jungen Bloch zitabel gemachte Formel denken! 2023 habe ich mich neuerlich intensiver mit Reinhart Koselleck beschäftigt, gedenkjahreshalber, und bemerkt, wie wichtig diese Denkfigur für sein eigenes Theoriekonzept (wenn denn von so was die Rede sein darf!?) ist. Vgl. jüngstens v.a. Stefan-Ludwig Hoffmann, Der Riss in der Zeit – Kosellecks ungeschriebene Historik, Berlin (Suhrkamp) 2023.
  • In Kap. 2.2 soll das Explorationsfeld des Buches insgesamt erhellt werden – dafür stehen die Sichtweisen bzw. ‚Beleuchtungen‘ – stellvertretend – durch Luhmann und Beyer. Die textliche Konfrontation von „Grade der Abstraktion immer höher gelegt“ und „dichter an den historisch-kontextuellen Erscheinungen“ (69) hat mir Verschiedenes zu denken gegeben.
  • Angefangen damit, dass dieses Zugleich mich das ‚Bienenwaben‘-Cover von Franka Plößner hat intensiver betrachten lassen, das ebendas – Abstraktion und Phänomenenvielfalt (guckt man genau hin) – mit seinem elementaren grafischen Code visualisiert!
  • Aber dann auch (man entdeckt’s erst im Zuge der weiteren Lektüre!): dieses Zugleich ist CLPs Wahrnehmungsprinzip – es drückt sich, grosso modo, aus in der ‚Brechung‘ der Großen Linien der „Metamorphose“ [ich erlaube mir hier den Beck‘schen Singular J] durch die prosopografischen Exempel und, en détail, z.b. besonders krass in der Nachzeichnung der Selbstwidersprüchlichkeit Uchimuras mit seiner „mukyokai“-Intention (301). Und es [sc. dieses Zugleich; FS] ist dabei als Kompositionsprinzip asymmetrisch arrangiert, mit letztendlich einem Überhang der ‚Liebe zu den Phänomenen‘.
  • Nachdenklich stimmt, schon 90f auf versteckten Eurozentrismus hingewiesen zu werden, der im wissenschaftlichen, auch wissenschafts-organisatorischen, Projekt der Ersetzung von „Missiologie“ durch „Interkulturelle Theologie“ stecke. Dabei war mir das Modell „Interkulturelle Theologie“ doch seit Walter Hollenwegers drei Bänden (München  [Chr.Kaiser] 1979, 1982, 1988) sehr angelegen…
  • 92f werden Johnsons -/+-Bestimmungen der Rede von „World Christianity“ referiert – welche Denk-Spielräume zum Verständnis dieses anglophonen „Begriffs“ bleiben dann eigentlich noch?
  • 94-97: Hier wird ein „Definitionsversuch im deutschen Sprachraum“ (93) unternommen, der zwischen „Weltchristentum“ und „Weltchristenheit“ unterscheidet. Diese klare und scharfe Distinktion scheint mir begrifflich ratsam und ist in seinen Einzel-Bestimmungen auch plausibel. Indes scheint CLPs Buch selber Schwierigkeiten zu haben, diese Distinktion durchzuhalten: warum im Buchtitel „-tum“? während in der Überschrift des strategischen Kapitels 11 „-heit“ verwendet wird! Und in 11.0 werden beide Varianten praktisch äquivalent eingesetzt, so 267 in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Sätzen. Vielleicht hätten die eher defensiven Bemerkungen 275 zu „Abgrenzung“ und „fließenden Übergängen“ schon besser in Kap. 3.2.2 ihren Platz nehmen sollen…
  • Die Darstellung der Weltmissionskonferenz 1910, am Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ (Hobsbawm) – ein für kirchenhistorisch mangelhaft ausgestattete Leser wie mich hochinteressantes Lehrbeispiel für die seinerzeitige Dominanz von Eurozentrismus!
  • Gewundert hat mich die impressionistische Skizze eines individualbiografisch harmlos-einvernehmlichen Religionspluralismus in Japan (139 Anm 23). Hatte ich doch bislang ein Japan-Bild, das diesbezüglich durch aggressive Abwehr jeglicher Immigration von „Christ*innen“ imprägniert ist. Genährt v.a. durch die Lektüre von Shusako Endos „Schweigen“ (auf die mich vor Jahrzehnten die prominente Zitation durch Hollenweger [ders., Geist und Materie. Interkulturelle Theologie III, München 1988, 267-269] gebracht hat), viel später noch verstärkt durch den Scorsese-Film „Silence“. Insoweit wieder ‚zurechtsortiert‘ haben mich die Bemerkungen übers Verbot des Christentums 168, auch 297 Anm 73 zu den „Verborgenen Christen“. Und immerhin kommentiert 298 schließlich Endos Roman!
  • Kapitel 5 bietet eine reichhaltige historische Phänomenologie zur „Konversions“-Thematik. Aber ist nicht die erst (und nur) von sachlichem Interesse unter Umständen der Ko-Präsenz von Religionsgemeinschaften mit – wechselseitig (?) – exklusivistischem Selbstverständnis, das gesteuert wird durch einen jeweils universellen „Wahrheits“-Anspruch?? Mag sein: „Konversion“ in erster Linie als mögliches individuelles Problem mit intrapersonaler Polemik aufzufassen, zeugt vielleicht bloß von „europäischer“ Imprägnierung. Immerhin kann ich geltend machen, dass der Exklusivismus, den Assmann in sein vielberedetes Monotheismus>„Wahrheit“>Aggression-Konzept gepackt hat, Europäern spätestens seit der Reformation ‚in der DNA‘ steckt. (Aber das ist vielleicht eine ‚andere Baustelle‘.)
  • Nebenbei, zur Erinnerung erwähnt: Der Manfred Josuttis der 1990er hat, nach seiner „Bekehrung“ zur Neuen Phänomenologie Hermann Schmitz‘, bekanntlich „Konversion“ als religionshaltigeren Grundbegriff einer eigenständigen Praktischen Theologie empfohlen (Motto „so lebe nicht mehr ich, sondern Christus in mir“), anstelle des von einem Selbstermächtigungs-Telos angezogenen/-getriebenen Begriffs „Identität“…
  • 147 ist die Rede von „freischwebende[r] Religiosität etcetc“. Ist damit das Mistbeet von Troeltsch’s – in den „Soziallehren“ – dritten „Typus“ der „christlichen Kirchen und Gruppen“ (wie’s im Titel heißt) gemeint, das der verlegenheitshalber als „Mystik“ etikettierte (und am vergleichsweise ‚dünnsten‘ ausgearbeitet hat, weil’s ihm persönlich zu ‚dicht auf der Pelle‘ war)?
  • An den Einzelportraits der Kapp. 7 und 8 beeindruckt mich v.a. das pure Faktum resp. Skriptum: wieviel Recherche-Arbeit mögen wohl die gemacht haben…?!
  • Kap. 9.1 ist mit seinen sozialstatistischen Feststellungen für in oecumenicis eher-ahnungslose Leser wie mich geradezu atemberaubend! Ein Eindruck wie die Erstbegegnung mit einem „Kippbild“: Je nach Voreinstellung der „Gestaltwahrnehmung“ sehe ich die „junge Frau (wegblickend)“ oder die „alte Frau (seitlich)“, einen „Hasen“ oder eine „Ente“ – im selben grafischen Datenbestand… Wie ist das zu deuten?!?
  • Mit emphatischer Zustimmung begrüße ich die Entscheidung der Autorin CLP, in einem Satz wie „‚Theologie‘ entsteht in Liedern, Gebeten und Predigten sowie im Zeugnisgeben während der Gottesdienste“ (220) das Wort „Theologie“ in „…“ zu setzen! (Es ist eine ‚Entscheidung‘ im Kontext des Redens über und aus Religion – konventionalistisch zu begreifen wie das halt ist.)
  • Selbstverständlich gibt es mancherlei Modalitäten dieses ‚Redens‘, und ich habe auch Verständnis für das Interesse aus weniger literaten Kulturen als der alteuropäischen, die sublimen, in spätneuzeitliche Wissensgesellschaften gleichsam eingewachsenen, Primatsansprüche sog. wissenschaftlicher Theologie durch ‚Demokratisierung‘ des Sprachgebrauchs zu brechen. 
  • Aber es dient der Verständigungsklarheit, sich die Konstellation der Modalitäten des Redens über und aus Religion zu vergegenwärtigen: in religiösem Sinne sind die „gottesdienstlichen“ Modalitäten die fundamentalen, ‚primären‘ (Edmund Schlink bevorzugte in seiner „Ökumenischen Dogmatik“ das label „doxologisch“), communicatio recta; und die mit Elitismus-Zuschreibungen versehene „wissenschaftliche Theologie“, communicatio obliqua, ist demgegenüber nachrangig, logisch nachträglich sowieso – eben Re-flexion. 
  • Dabei habe ich die Erörterung des 222f besprochenen Busan Dokuments mitvollzogen. Auch das Wiederaufgreifen der schönen Metapher von Russell&Co „Gärten unserer Mütter“ (232) registriert, die „Anschlussfähigkeit“ [um den technikaffinen Operator systemtheoretischer Soziologie einzuspielen] für diverse poetische Ausformungen der „Kommunikation des Evangeliums“ (Grethlein) verspricht. Und 237ff die Rekonstruktion von Bevans, der allerlei ‚gute Worte gibt‘ für eine Elargation des „Theologie“-Begriffs, sogar um den Preis der Mitnutzung der praxeologischen Prozess-Terminologie „doing theology“.
  • Das kann man alles so ausdrücken, wenn man will – schließlich spielt sich alles im Spielraum möglicher Konventionen ab. Aber man sollte es nicht wollen. Genauso wenig wie kreative Resonanzen von Kindergottesdienstkindern zu biblischen Geschichten kurzum zu „Kindertheologie“ zu ‚erheben‘. 
  • Denn es bleibt für den Sprachgebrauch des Wortes „Theologie“ ratsam, damit nur Praktiken zu bezeichnen, die – „ökumenisch“ horribile dictu – sich in der alteuropäischen Tradition des Akademischen entwickelt haben. Oder wie CLP schreibt „Es ist nichts gewonnen, wenn man alle Praktiken des Glaubens unter dem Begriff und der Sache der ‚Theologie‘ subsumiert. Wenn alles Theologie ist, ist nichts mehr Theologie“ (261).
  • 255 wirft, in einem Tödt-Zitat, die Frage nach der „gemeinsamen Grundsituation“ auf. Eine Antwort darauf hat bekanntlich Bultmann, der die Schriften des NT historisch-kritisch als Ausdrücke – avant la lettre – „kontextueller Theologien“ hat auffassen müssen, mit seiner Existentialen Interpretation vorgeschlagen. (Dass es im Laufe der Zeit zu alternativen Antworten kommen würde – z.B. der „materialistischen“, der feministisch-antipatriarchalen, der ökologisch-geschöpflichkeits-konzentrierten Lese-Art der Bibel – ist damit nicht ausgeschlossen, sondern geradezu vorhersehbar gewesen.)
  • 258 findet sich die Passage „Gesprächsfaden von sich aus abbrechen“. Klar versteht wohl jeder, was gemeint ist. Aber im Ausdruck ist eben die Metapher verrutscht: einen „…faden“ kann man nicht „abbrechen“, sondern höchstens „abschneiden“ oder „-reißen [lassen]“.
  • 288ff: Die Ermahnung zur straffen Unterscheidung zwischen aller „kenosis“-Deutung der Inkulturation des Evangeliums, gar Müllers Inkarnations-Analogisierung (290f) scheint von Barths christologischer „singulare-tantum“-Norm zu zehren – wie auch die finale Forderung (362), das „Evangelium“ und dessen Bezeugungen in diversen Kontexten qualitativ auseinanderzuhalten.
  • 303ff: Mich jedenfalls erinnert das „individuelle Gesetz“, das sich an Toyohiko Kagawas Biografie zeigt, an die ‚Logik‘, die die späteren „Arbeiterpriester“ in ihrem Dienst vollziehen: „Kommunikation des Evangeliums“ (mit Grethlein gesprochen: im Modus des „Helfens zum Leben“) im Kontext der ‚Welt der Erwerbsarbeit‘ (die für die „Vielen“, um es mit Mt 26,28 und Mk 14,24 auszudrücken, den Horizont ihres „Lebens“ bildet) in Gestalt von Gewerkschafterei und deren Ende!
  • Und noch eine Assoziation: Kap. 11.2.4.2 in seiner barmherzigen Betrachtung der Ambivalenzen in Uchimuras und Kagawas Verhalten klingt nach dem sound von Tödts Abschiedsvorlesung „Komplizen, Opfer und Gegner…“
  • 333-337: Die Rede von „Transkulturalität“ lässt, jedenfalls im Vergleich den zuvor erörterten „Reflexionsfeldern“, manches an historisch-phänomenologischer Konkretheit vermissen, sondern bietet stattdessen eine Nachzeichnung von Bimwenyi-Kweshis literarisierte Meditation der Tabor-Perikope Mt 17. Aber kein Wunder! 
  • Bildet doch diese Bibeltext-Konzentration, buch-kompositorisch bedacht, einen eleganten Übergang zur explizit leitmotivischen Verwendung von Eph 3,18f in Kap 11,5. Und, darüber hinaus: Muss doch die Rede von „Transkulturalität“ verstanden werden als Ausblick auf den äußersten ‚Wachstumsring‘ des Groß-Prozesses der „Metamorphosen“, auf den zu ‚-blicken‘ dem „Weltchristentum“ resp. der ‚Weltchristenheit‘ gegenwärtig die dafür erforderliche Distanz fehlt.
  • Kap. 11.5 (349ff) bietet „Nachgedanken“. Sie wirken zunächst – der Leser FS erlaubt sich metaphorische Rede -, als besinne sich die Autorin CLP nach 350 Seiten langer professoraler Anwendung des Potentials intellektueller hightech-Medizin mitteleuropäischer Provenienz auf die Bewährtheit von ‚Omas Hausmittelchen‘, die Lebensweisheit des Weglassens von Kompliziertem um des Schlichten willen: auf das Wachstum von Nähe unter voneinander Distanten im Mühen um „Mündlichkeit“, ums Sich-miteinander-Erinnern (352), per exemple das gemeinsame Bibellesen (353f) als Katalysator des Geschenks der metanoia (Moment der summa evangelii lt. Mk 1,15!) zum Gelingen der „Metamorphosen“ im „Ephesian Moment“ (350).
  • Aber dann muss doch noch mal zu einer professionalisierten Schleife ausgeholt werden. Den Letzten Worten im Buch soll positionelle Klarheit der Theologin CLP in Sachen der ‚Überschwemmung‘ ihrer Wissenschaft durch den sog. cultural turn nicht fehlen, und die Klarheit soll mit der kriteriell gemeinten Frage beginnen, „ob die Verwendung des Wortes ‚Kultur‘[…]die Weite des biblischen Zeugnisses erhellt oder eher zudeckt“ (358). Ungeachtet vorsichtiger Repräsentativitätsvorbehalte (359 Anm 256) wählt CLP Andreas Reckwitz zum Exempel des cultural turn. Obwohl ihr sichtlich ‚die ganze Richtung nicht passt‘, charakterisiert sie dessen Auffassung fair und aussagekräftig (359f): der „Kulturbegriff“, nach Reckwitz‘ eigener Zuschreibung mit den Merkmalen ‚bedeutungsorientiert‘ und ‚sozialkonstruktivistisch‘ ausgestattet, beanspruche, „in ihrer spezifischen Form einer symbolischen Organisation der Wirklichkeit[…]den handlungskonstitutiven Hintergrund aller sozialen Verhaltensweisen“ (360) zu umfassen. – Ergänzend (wohl auch, um sich von Antikritik an Voreingenommenheit gegen den cultural turn zu entlasten) weist CLP auf die Kritik von Doris Bachmann-Medick an der Fesselung Reckwitz‘ durch den „engen Rahmen europäischer Theoriekonzepte“ und deren „Prämissen“ [welche?? FS], erwähnt die „internationalen […] Cultural Studies“ (die lobenswert seien, „wenn sie aus der Feder von Autorinnen und Autoren aus dem globalen Süden stammen“) (360f), oder die Forderung von Heike Walz nach einer „politisch-ethische Wende“ der interkulturellen Theologie (361).
  • Doch es bleibt dabei: CLP hält (fürs Begreifen der „Metamorphosen des Weltchristentums“!) den „missionswissenschaftlichen“ Zugang für angemessener, weil er geleitet sei durch die Frage „nach Menschen[….], die sich durch die weltweite Gemeinschaft im Glauben an Christus miteinander verbunden wissen“, und nicht – wie Reckwitz - „‚Kultur‘ als Containerwort“ einsetze, als „Ausdruck für alles menschliche Wahrnehmen der Welt und das Sein in der Welt[…]überfrachtet und entleert“ (361; Hervorhebungen durch FS). Wenn Theologie „Kultur“ den „Deutungsprimat“ übertrage, nehme sie „Abschied von der primär konstruktiv-theologischen Reflexionsperspektive hin zu einer primär religionswissenschaftlich-kritischen Beobachterperspektive“ (362f). Und dann wird CLP erst recht prinzipiell: Die (Reckwitz’sche) „Kontingenzperspektive“ lasse ein „Zusammendenken von Akzidenz und Substanz“ nicht mehr zu und verlange „den Abschied von zentralen Themen der Theologie“ – aufgezählt werden „Evangelium“ bis „Ewigkeit“. Während es aber doch darauf ankomme, das „Verhältnis zwischen dem Evangelium und den verschiedenen Lebensbereichen als eins zwischen unverfügbarer Vorordnung und darauf bezogener Nachordnung“ zu denken (alle Zitate 363).
  • Nicht all diesen finalen Konklusionen kann der Leser FS folgen – ein paar Resonanzen:
    • Zum Vorwurf an Reckwitz und die von ihm mehr oder weniger – es kommt nicht auf Details an – repräsentierten „cultural-turn“-Infizierten, sie würden den Begriff „Kultur“ als „Ausdruck für alles menschliche Wahrnehmen der Welt und das Sein in der Welt“ (s.o.) ‚ausleiern‘ und für theoretische Distinktionen unbrauchbar machen: Das mag man/frau so bewerten. Ich verstehe Reckwitz (dessen Changieren zwischen Deskriptivem und Normativem ich schon im „Singularitäten“-Buch theoretisch unbefriedigend fand) so, als dass er mit seiner Diktion nur bezeichne, wie in der anhaltenden Spätmoderne Alles, was überhaupt DA ist auf unserem Planeten, mehr oder weniger von der Spezies Mensch hervorgebracht bis affiziert ist. Noch nicht mal die Eisberge der Antarktis sind davon auszunehmen.
  • Das gilt auch für die Rede von „unverfügbarer Vorordnung und darauf bezogener Nachordnung“ (s.o.): Diese Formulierung lässt mich an das Kantische Gefüge von „Ding an sich“ und „Welt der Erscheinungen“ (auf deren kategoriale Sortierung er sich konzentriert) denken. Und auch „Theologie als Wissenschaft“ operiert, mal die Wirklichkeits-Kompetenz dieses ‚Gefüges‘ unterstellt, in der „Welt der Erscheinungen“ – nix mit privilegierten Zugängen zu irgendeiner davon exemten „Wahrheit.
  • Wie bitte überhaupt ließe sich die Unterscheidung von „unverfügbarer Vorordnung und darauf bezogener Nachordnung“ (s.o.) „theologisch“ unter den – in Europa herrschenden – Bedingungen historischer Kritik rechtfertigen? 
  • Immerhin ist in CLPs Buch 356 zu lesen „es ist nicht möglich, dahinter zu einer Ur- oder Originalsprache des Evangeliums zurückzukehren“. Na eben. Ich finde: gar nicht. Und braucht es auch nicht. „Theologie“, im weiter oben entfalteten Sinne communicatio obliqua, kann jenes Konfessorische getrost den anderen Ausdrücken religionsbezüglicher Kommunikation (vgl. 220: „Lieder, Gebete, Predigten sowie […] Zeugnisgeben“) überlassen – und zumuten. (Kann sein, dass „Theologen“ wie Dietrich Ritschl, die unsereinem das „story“-Konzept auf die Agenda des „Gott“-Begreifens geschrieben haben, an dieser Stelle meiner ‚Resonanzen‘ sprachfähiger wären – aber diesbezüglich habe ich noch reichlich Lese-Nachholbedarf… L).
  • Dass es 364f noch ein wissenschaftspolitisches Plädoyer gibt, das den Selbstverständnis-switch  der deutschen Fakultäten in Richtung „Interkulturelle Theologie“ problematisiert, wundert nicht. Es bleibt hier unkommentiert.

 

© Frithard Scholz

23.12.2023 / 07.04.2024