"...Schaden an seiner Seele"?

Liebe Mit-Synodale!

 

Kirchliche Jahreslosungen haben Hochkonjunktur in Neujahrspredigten, halten ihren Kurswert noch so einigermaßen in den Januar-Nummern der Gemeindebriefe (wie man ja in der kleinen Ausstellung im Foyer unten studieren kann) - und dann verlieren sie sich gemeinhin im Laufe des Jahres zu Ramschware. Kennen Sie die diesjährige noch? Ich möchte sie, kurz vor Ende des Kirchenjahres und eingebettet in Tersteegen, noch einmal hervorholen - ich lese sie [in ihrem biblischen Zusammenhang, und] in der prägnanteren Fassung, die wir im MtEv finden:

[Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren;  wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.] Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Ein paar Gedanken dazu:

1.    Nun ist schon seit Tagen vom Geld die Rede gewesen - typisch für eine Herbstsynode. Diesmal vielleicht noch ein wenig verschärft durch das Bewußtsein, daß es um eine Weichenstellung geht. Die wichtigsten Entscheidungen sind schon gefallen, bei anderen geht es heute noch um was. Ihre Bewährung haben sie alle noch vor sich. Möge das ausgehen zum Besten unserer Kirche, die ja nicht für sich selbst da ist, um sich selbst zu erhalten und ihre Einrichtungen - für die andern ist sie da, für die Menschen, Adie in die Irre gehen wie Schafe, die keinen Hirten haben@ (um es mit einer biblischen Wendung zu sagen, oder in heutiger Spra­che:), die Orientierung suchen in einer Welt mit höchst verschiedenen Wegweisern, die >Wege zum Leben= zeigen, von denen man aber nicht von vornherein weiß, ob es wirklich dem Leben dient Ihnen zu folgen. Was heißt es dann "die ganze Welt gewinnen", und was "Schaden neh­men an seiner Seele"?

[Und ist überhaupt das unsere Alternative heute?]

2.    Es bringt uns ein Stück weiter im Verständnis, wenn wir ein wenig in den Zusammenhang schauen, der heißt: Da sprach Jesus zu seinen Jün­gern: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren;  wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Und dann eben: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Worum geht es also?

-      Um das, was dem Menschen nützt. Oder noch schlichter: was gut ist für ihn, im Leben und im Sterben.

 

-      Und die Antwort dieses Stückes Evangelium lautet einfach: 'Jesus nachfolgen'. Die eindringliche Frage Jesu an seine Jünger - anderswo im MtEv werden sie schlicht die ihm nachfolgten genannt - die ein­dringliche Frage Jesu, die uns als Jahreslosung 1997 begleitet hat, ist nicht mehr und nicht weniger als eine zugespitzte Erläuterung, was das denn ist, letztlich: nachfolgen.

-      Die Angesprochenen tun es schon (nachfolgen, meine ich), wissen aber vielleicht nicht in jeder Hinsicht, worauf sie sich da eingelassen haben. In den Worten Jesu ist eine gewisse Einseitigkeit, ja Radikalität  nicht zu verkennen. Aber so ist das eben bei Mt. Die Bergpredigt ist wohl doch so gemeint - eine Vermutung, die sich mit Hanns Dieter Hüsch teilen läßt: Niemand kann zwei Herren dienen - so äußert sich Jesus in der Debatte um Gott oder Mammon (wir kennen das). Nie­mand kann... Entweder/Oder.

-      Jesus nachfolgen schließt den Versuch zur Selbsterhaltung aus, hören wir hier aus der Aufforderung, das eigene Kreuz auf sich zu nehmen. Der Versuch, das zu unterlaufen, wird als Pleite enden.

-      Aber auch der vermeintlich schlaue Trick, sich (gleichsam prophylak­tisch) zu Lebzeiten ins Unglück zu stürzen, um in der Ewigkeit groß rauszukommen, hat keine Verheißung. Auf Selbsterhaltung willentlich verzichten - "sein Leben verlieren", sagt Jesus hier - ist kein Beschluß­gegenstand. Das ist ein pures Faktum. Wer Jesus nachfolgt im Ernst, dem wird das zustoßen, sein eigenes Leben zu verlieren; dem aber und nur dem gilt die Verheißung, daß er=s finden wird, das Leben, das er teilen wird mit Jesus, dem Gott es schenkt - durchs Kreuz hindurch. Ein Leben, dem auch der Tod nichts mehr anhaben kann.

3.    Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Der sprachlichen Form nach ist es ja eine rhetorische Frage, will sagen: eine Frage, die bei den Angespro­chenen ihre Antwort gleich mitproduziert. Oder was wollen wir auf diese Frage Was hülfe es dem Menschen, wenn er... anderes entgegnen als - achselzuckend -'Ja klar, nichts natürlich. Also, naja - - aber wenn man es so sieht, natürlich eigentlich strenggenommen nichts.'

>Also, naja - eigentlich...<: Sie merken, in die stilistisch regelrechte Beant­wortung dieser rhetorischen Frage schleicht sich, mal ohne Selbsttäu­schung betrachtet, Zögern und Skepsis ein, die eigene Antwort wirklich für bare Münze zu nehmen, ein Unbehagen daran, auf eine derartige Alternative festgenagelt zu werden. Die rhetorische Frage ist eben leichter rhetorisch beantwortet als (sagen wir mal) lebensmäßig.

 

Auf die rhetorische Frage Was hülfe es dem Menschen, wenn er... liegt ja unter unsereins eine Antwort bereit, zumindest rhetorisch, ein bißchen resigniert, ein bißchen altersweise, in der gängigen Redensart 'Das letzte Hemd hat keine Taschen'. Der gesprächsweise Umgang mit dieser Le­bensweisheit hat freilich seine Eigentümlichkeit. Leichter ist sie anderen Leuten entgegengehalten, meist mit mehr als nur ein bißchen mahnendem Zeigefinger, manchmal auch mit einer Beimischung von Neid - entgegen­gehalten anderen Leuten, die wir - zu recht oder unrecht - auf Deubel­kommraus Besitz zusammenraffen sehen. Denen ein mäßigendes Wort unterzujubeln, daß sie all das nicht mit ins Grab nehmen können, ist eben leichter als daß wir uns selber, ich mich selber, Sie sich selber daran erinnern, daß es mit den Dingen unseres Lebens, um die wir uns zuzeiten mehr als schön ist sorgen, daß es mit den Dingen unseres Lebens auch so ist.

Das liegt daran, daß wir, auch wenn wir Jesu Jüngerinnen und Jünger sein, ihm nachfolgen wollen - daß wir unser Leben in der Welt zu führen haben, (die zu gewinnen eine nicht geringe Verlockung darstellt). Ignorie­ren müssen wir diesen Umstand nicht, aber wir können uns Freunde machen...mit dem ungerechten Mammon. Zugleich aber sind wir daran erinnert, daß wir nicht aufs Horten aus sein sollen - von der Pflege des Besitzstands ist gar nicht die Rede.

4.    Wir merken: Die Sache wird sehr persönlich, ist jedenfalls individuell gemeint. Es geht um Innerlichkeit mit Folgen für das weltmäßige Verhal­ten. "viel sammeln, halten, handeln macht unsern Gang nur schwer. Wer will der trag sich tot.. wir brauchen's nur zur Not' - so haben wir gerade gesungen. Und wenn Ihnen bei dem schweren Gang der AHans im Glück@ eingefallen ist, der den belastenden Goldklumpen - Tausch um Tausch - loswird, bis er daheim, frei von dem schweren Schleifstein, bei seiner Mutter landet - so liegen Sie nicht ganz falsch. Eine Norm des Richtigen läßt sich dem Märchen wohl nicht entnehmen, wohl aber eine Vision - es kommt also doch auf die Alternative zwischen Gott und Mammon heraus. ...und nähme doch Schaden an seiner Seele...: "Seele" - wenn in der Bibel  von "Seele" die Rede ist, dann ist nie vergessen, wie der Mensch eine lebendige Seele wurde: ein "Hauch von Gott" [wie es vor Jahren einmal das Motto des Hersfelder Kreiskirchentags formulierte]. Nicht aus sich selbst lebt der Mensch, sondern aus der Beziehung zu Gott, einer gleich­sam hautnahen Beziehung. Sie steht auf dem Spiel, das wir um den Gewinn der Welt spielen.

 

Die Alternative, von der die Rede war und ist, sie ist nicht prinzipiell. Sie ist aber von faktischer Schärfe. Der Radikalismus Jesu ist nicht so ah­nungslos - er ist genauso weltkundig wie die Ablehnung des Heiligen Franz von Assisi, dem vom Papst Ordenseigentümer angeboten wurden: sie zu schützen - erzählt die Anekdote - würde er Mittel einsetzen müs­sen, die die Kleinen Brüder Jesu (wie er die Seinen nannte) ablenken würden von dem Auftrag, dem sie dienen wollten.

5.    Ich breche hier ab. Die Jahreslosung ist eine wichtige und im Interesse einer bleibenden Identität des Christlichen überaus wirksame Orientie­rung für die Entscheidung über Prioritäten, die nicht nur heute ansteht. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?

Amen.