Anlässlich der Gründung der CVJM-Fachhochschule Kassel veranstaltete die Trägerschaft CVJM-Gesamtverband eine Art wissenschaftlichen Sponsorenlaufs. Der Bücherhamster, als von Amts wegen langjähriger Vorsitzender der Prüfungskommission des CVJM-Kollegs angefragt, hat sich nicht lumpen lassen:

 

Erfolg! Erfolg? - Ein paar Denkanstöße zur Sache[1]

 

Die Sache mit dem „Erfolg”: Fragen wir das internet-Orakel Google ab nach ‘Erfolg, Erfolgsorientierung, Erfolgskontrolle‘, finden wir Seiten wie diese: Nachwuchsentwicklungsprogramm zur Förderung von potenziellen Führungskräften und Experten / Call Center Convention (Erfolgsstrategien für Profit Center) / „Nulltoleranz” das kriminaltaktische Konzept des NYPD unter den Aspekten Organisation, Führung und Kontrolle ... . In der Welt der Ökonomie macht sich die Rede vom „Erfolg” breit, mittlerweile aber auch in non-profit-Organisationen. Die veranstalten „Leitbildprozesse”, denen Umsetzungsprogramme folgen, die Zielerreichungskontrolle fordern... - und all das geschieht im Zusammenhang von Abschmelzen der Mitgliedschaften, Rückgang der Finanzzuflüsse, Brüchigwerden der Identifikation - bei den Kirchen, aber keineswegs nur den Kirchen!

 

Mit dem Erfolg ist das so eine Sache. Das kann man erleben, das kann man nachlesen. Erfolg haben ist der „Traum des Theologen”. Unter diesem Titel hat der Göttinger Praktische Theologe Manfred Josuttis 1988 ein Buch veröffentlicht. Ich zitiere aus dem Eingangsteil die Wiedergabe eines Traumes (und das ist kein zu literarischen Zwecken ausgedachter, sondern der eines wirklichen Pfarrers – im Buch anonym, aber er hat sich mir mal geoutet): „Ich predige auf der Kanzel der Martinskirche. Die Kirche ist brechend voll. Ich höre mich sagen: In Südafrika geschieht unsägliches Leid. Botha ist ein Schwein, er hat viele Menschen auf dem Gewissen. Er darf nicht länger regieren. Die Menge tobt und applaudiert, die Kirchenmauern werden transparent und sind weg. In der ganzen Umgebung bis hin zu den Bergen jubeln die Leute. Endlich mal ganz klar die Wahrheit gesagt! Unter der Kanzel steht die Kirchenleitung. Ihnen ist es zu unruhig, ich soll herabgezerrt werden, sie kommen hoch. Ich trete auf den Boden der Kanzel, sie wirkt wie ein Trampolin, ich schwebe hoch, niemand kann nach, ich lache sie aus. Ich lande auf dem Dachfirst der Kirche, frei, unbeschwert.”[2] - Kommentar des Verfassers: „Im Traum hat der Pfarrer Erfolg. Die Menschen hören auf ihn, sie jubeln ihm zu, seine Gemeinde wächst ins Weite hinein. Er steht im Mittelpunkt, wird geliebt und bewundert, und die Kollegen der Kirchenleitung, die eigentlich über ihm stehen, können deswegen nur neidisch hinaufsehen.“

Erfolg haben ist der „Traum des Theologen”, aber das soll er auch bleiben, unausgesprochen: wenn einer im Kollegenkreis seine letzte Predigt selber toll findet, wird’s schnell genierlich in der Runde. Die ’Gebildeten unter den Verächtern’ des Erfolgs werden an Kierkegaard denken können und dessen Protest gegen den Glanz der Kirche seiner Zeit. Aber auch ohne diese Erinnerung nistet in den emotionalen Untergründen doch eine Ahnung vom innerlich Unverhältnismäßigen allen Hochgefühls, „Professor darin zu sein, dass Christus gekreuzigt wurde” (Kierkegaard). Erfolg haben scheint sich nicht zu gehören für Protestanten, die pflichtbewusst das Wort von den „unnützen Knechten” (Lk 17,10) repetieren, ein Wort Jesu an seine ersten Jünger: „So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren”. Und nicht etwa ein Übriges, das besonderen Dank verdiente.

 

Mit dem Erfolg ist das so eine Sache. Es kommt darauf an,

  •      dass ich weiß, was ich will,
  •      dass ich kenne, wie’s geht,
  •      dass ich kann, was zum Ziele führt,
  •      dass ich tue, was ich kann,
  •      dass ich treffe, wann’s dran ist,
  •      dass nichts dazwischen kommt.

Dann wird es aufgehen, am Ende.

 

Erfolg ist also eine voraussetzungsvolle Sache. Er setzt voraus, dass ich etwas beherrsche: die Auswahl meiner Möglichkeiten, die Methoden zielgeleiteten Handelns, die inneren Widerstände gegen die Anstrengung zu wirklichem Tun, die äußeren Störungen meines Tuns durch andere und anderes. Erfolg: eine Kategorie der Herrschaft, kompatibel präzise nur mit Aktionen des ’technischen’ Typus, in denen ein prinzipiell allwissender Akteur über Material, Werkzeuge und die Rahmenbedingungen des ’Lebens’-Experiments verfügt.

Es zeigt sich schon: So gut ich es auch kann - ich bin nicht allwissend, und garantieren kann ich meinem Tun Erfolg auch nicht. Der καιρος muß da sein. Theologen verstehen‘s: vertikaler Zeitbegriff - senkrecht von oben - Moment der Fülle. („Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau…“ - in diese Formel bringt der Apostel Paulus das Beispiel eines καιρος, was wir alle Jahre wieder in der Heiligabend-Kirche gelesen hören „Es begab sich aber zu der Zeit…“) In Alltags-Prosa gesagt: Glück gehört dazu. Aber was ist dieses „Glück”, was dazu gehört, damit am Ende aufgeht, worum ich mich mühe?

Sagen wir es so: „Glück” erfahre ich, wenn die Ziele meines Handelns zusammenstimmen mit dem Sinn, der wahren Bestimmung meines Lebens. Das erste kann ich planen, machen, anpeilen – aber das zweite nur entdecken, mir entdecken lassen.

 

Wir spüren: Tun ist nicht gleich Tun. Wir könnten uns belehren lassen von einer ganzen einschlägigen Bibliothek: Aristoteles etwa, Max Scheler, Jürgen Habermas. Belehren über den Unterschied von ποιησις und πραξις, von strategischem und kommunikativem Handeln. Lassen wir uns ein auf die Bibel, zum Beispiel – vier Bilder (etwas Bibelkenntnis schadet jetzt nicht, es geht aber auch so):

 

Der Erfolg und seine Folgen, oder: „...aber Gott gedachte es gut zu machen” (Gen 50,20).

Ja, so hatte es gehen sollen mit Jakob. Mamas Trick zum Wohle ihres Lieblings hatte ’geklappt’, der Segen des halbblinden Vaters war ergattert: Himmel und Erde wurden bestellt, den Reichtum des künftigen Großlandwirts zu fördern, Herrschaftsprivilegien zur Sicherung der Bedingungen sozialer Reproduktion versprochen, und das alles unter dem Schutz der göttlichen Macht (Gen 27,28f). Aber kaum geschehen, beginnen sich die Folgen als höchst gemischt zu erweisen. Wo die Tür zum Königsweg durchs Leben aufgebrochen schien, tun gerade mal noch Fluchtwege sich auf. Fluchtwege nach Haran, wo ihn dann Liebe auf den ersten Blick einen unerwartet hohen Preis kostet - und wieder zurück in die Gefilde des betrogenen Bruders, mit Morddrohungen in Erinnerung, angesichts derer Versöhnungsabsichten an seidenem Faden hängen. Und dann, ein halbes Leben später, immer noch untröstlich über den vermeintlichen Tod des Lieblingssohnes Josef: Demarche nach Ägypten, eine Bittprozession, die Jakob wie seine schuldverdrängenden Söhne an den Tiefpunkt ihres Lebens bringt. Jakobs Weg, wie ein „Jakobsweg“: Bis an die Enden der Welt muss er pilgern, bis an die Grenzen des Erträglichen Verwerfungen im planvollem Lebensgang erdulden, um ganz am Ende den Erfolg genießen zu können, den er hatte erzwingen wollen statt ihn sich zufallen zu lassen.

Absichtsvoll vom Erzähler dazwischen gestreut Erlebnisse, in denen dem immer wieder Demontierten Vergewisserung des Segens zuteil wird: die Engelsleiter als heißer Draht zum Herrn der ganzen Geschichte, in der er seine Rolle spielt (Gen 28,10ff); der Unerkennbare am Jabboks-Ufer, der sich zur Begabung Jakobs mit neuer Identität überwinden, ihn aber körperliche Spuren davontragen lässt (Gen 32,32). Situationen aber zwischen Tag und Traum sind das, die Selbstzweifeln aussetzen und sie begründen, die unbeweisbares Vertrauen in die Konsequenz göttlicher Bestimmung hervorlocken wollen. Die Meinung des biblischen Erzählers ist: Der über Abraham gesprochene Segen geht nach Gottes erklärtem Willen über auf den Zwilling der Enkel-Generation (der dazu von Natur nicht prädestiniert war). Aber das geht nur um den Preis, dass Lebensplanungstechniken zur autonomen Sicherung des Erfolges, in dem sich die Kraft des Segens erleben ließe, in lebensgeschichtlichen Krisen zersplittern. Das Josef in den Mund gelegte Wort „Ihr gedachtet es böse[...]zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen” (Gen 50,20) ist die Konklusion der Geschichte – und zwar der Geschichte nicht bloß Josefs mit seinen Brüdern, sondern unser aller Geschichte.

 

Der Erfolg und das Opfer, oder: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mt 27,46)

Jesus am Kreuz - hatte der eigentlich ein ’Erfolgserlebnis’? Dagegen spricht vieles.

Aber zunächst: In seinem öffentlichen Wirken war er getragen, ja getrieben vom Bewusstsein einer „besonderen Gottesnähe”, in dem er sich zu ebenso autoritativer wie unkonventioneller Thora-Auslegung befugt sah, zu intimer Kommunikation mit dem „Vater im Himmel”, zum end-gültigen Zuspruch von Sündenvergebung und zu Demonstrationen der Machtlosigkeit des Bösen[3]. Mit seiner Predigt im Sinne des „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen” (Mk 1,15) hatte er Resonanz gefunden, ignoranten oder interessengebundenen Widerspruch, aber auch viel Zustimmung. Was hätte die leitenden Systembewahrer sonst veranlaßt zu ihrem - schließlich so folgenreichen - kritischen Augenmerk auf ihn? Nur (ich zitiere aus dem Standardwerk von Gerd Theissen / Annette Merz, Der historische Jesus, 1996): „Als Jesus in Galiläa das Reich Gottes verkündigte und nach Jerusalem hinaufzog, erhoffte er das baldige Hereinbrechen des Gottesreiches. Aber er wurde hingerichtet. Es kam nicht das Gottesreich. Es ereignete sich nicht das endgültige Eingreifen Gottes, um Israel und die Welt zum Heil zu führen”[4].

Zu begrabende Hoffnungen, Scheitern eines ’Lebensentwurfs’ - so könnte man sagen, müsste es vielleicht auch. Dieser Ausgang würde die Selbst-Auffassung Jesu, ihn nur einmal für sich genommen zwischen ’Bethlehem’ und ’Golgatha’, als Irrtum qualifizieren, als grandiose Selbsttäuschung, sein Wirken als Misserfolg. Aber für die Bewertung eines events als „Erfolg” ist maßgeblich der zeitliche und sachliche Bezugsrahmen, in dem es verstanden wird. Denn „die Sache Jesu geht weiter” (so hat vor 50 Jahren Willi Marxsen gewagt formuliert, zum Ärgernis für die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, was die biblischen Zeugen an Glaubensgewissheit verstecken in der Vorstellung von ‚Auferstehung’) – „die Sache Jesus geht weiter“, auch nachdem er tot und begraben war, und nicht nur seine „Sache”. Spätere haben nachdenkenswert geglaubt: Gott hatte die Hand im Spiel. Die Kreuzigung dieses Nazareners – im Bilde des Schachspiels ein ’Bauernopfer’. Aber was sagt (um bei diesem Bild zu bleiben) - was sagt der ’Bauer’? Matthäus, der ihn als Lehrer der besseren Gerechtigkeit vorstellt, lässt ihn tragisch untergehen, mit horrorfilmreifen Katastrophen im Gefolge: Mt 27,46 („Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf.”) Der Johannes-Evangelist, der Jesus von Anfang an als Gesandten stilisiert, liebt die Paradoxe (doppelsinnig spricht er durchweg von „Erhöhung“, wenn er die Hinrichtung am Kreuz meinet, in der die Erniedrigung des Mensch gewordenen Gottes ihren Tiefpunkt erreicht) – für Johannes endet der Gekreuzigte paradoxerweise mit stillem Triumph „Es ist vollbracht” (Joh 19,30). Wir ahnen: das galt uns, den Nachgebornen, zeitlos, wie es klingt.

Etwa doch: Erfolg im Misserfolg? Wir werden sehen.

 

Der Erfolg und der Anschein, oder: „der helle Schein in unsere Herzen - in irdenen Gefäßen” (2 Kor 4,6-10)

Eine Wendung aus einem Brief des Apostels Paulus in einem Brief an die Gemeinde in Korinth - ich zitiere den Zusammenhang: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. / Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. / Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. / Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. / Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.”

Da steckt was drin. Eine höchst welthaltige’ Verheißung des Daseins Gottes in den Irrungen und Wirrungen des allzu Menschlichen; sie dreht sich um den יהוה כבוד - ein Ausdruck der hebräischen Bibel, den schon der Apostel sich ins Griechische übersetzen musste. Und unsere gängige deutsche Bibel (Luther 84) macht draus „Herrlichkeit Gottes“ – ein guter Versuch, aber einseitig: im Ausdruck  כבוד verschmelzen Wahrnehmungen und Empfindungen von ‚Glanz, Klarheit, Schwere, Anmut’ zu einem einzigartigen Amalgam, das zur Sprache bringen soll, wie Gott der Welt ein Licht über ihre eigene Bestimmung aufgehen lässt. Klingt immer noch sehr abstrakt – drum versuche ich’s in zwei Stufen weiter ins gelebte Leben einzubetten (das ja gemeint ist!).

Gott hat (uns) Menschen ausgeguckt zu Transparenten dessen, was niemand sehen kann, ohne als Mensch zugrunde zu gehen, eben der יהוה כבוד. Und das, weil Er, der Unnahbare, uns menschlich nahegekommen ist in dem Menschen schlechthin, in Jesus. Seinetwegen sind wir, indem wir wir sind, immer mehr als wir sind. Sind über uns hinaus. Ein Erscheinungsbild Gottes des Schöpfers und Neuschöpfers. Wir, jede/jeder von uns im Zenit des Erfolgs – mehr kann keiner sein wollen. Wie sollen wir uns damit vorkommen mit dieser Erfolgs-Biographie, unsortiert wie wir sind?

Paulus, der das so sieht, weiß aus eigenem Erleben: das „ganz gewöhnliche Chaos” geht weiter. Aber wie es auch geht - es wird die „Herrlichkeit Gottes” erkennen lassen, die in seiner exemplarischen Menschlichkeit zu sehen ist.

Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, und wieder...; Realschule, Elektriker, Fachoberschule, Software-Experte, arbeitslos, Hartz IV... - und alles mit allem; so laufen Biografiemuster ja auch. „Wer schreibt meine Lebensgeschichte?” fragte vor Jahren der Titel eines Aufsatzbandes[5], den Paulus vielleicht gelesen hätte. Er hätte nicht lange gezögert mit seiner Antwort: „Gott” - und der „schreibt auch auf krummen Zeilen gerade”. Um mit seinem Werk zu Rande zu kommen, braucht der nicht die Typen mit Ideal-Karriere. Nichts gegen die - aber gerade die andern, die unfreiwillig vom Leben gebeutelt sind, sie sind geeignet, sie sind „deutlichere Zeichen” von Gottes Solidarität mit denen, die dem „Schema dieses Äons” (Röm 12,2) nicht entsprechen, den Rezepturen des Erfolgs. Schließlich kommt es auf etwas anderes an.

 

Der Erfolg und der ’spine’, oder: „...und hätte die Liebe nicht” (1 Kor 13)

Ich fange hier mal mit der Herausforderung der Kirche und aller Christenmenschen zu einer missionarischen Haltung an. Dafür muss man ja im Horizont des CVJM nicht groß werben, das gehört ja zum Profil der Fachhochschule wie des Kollegs. Seit der EKD-Synode von Leipzig 1999 ist dieses Selbstverständnis auch im Sprachgebrauch der evangelischen Landeskirchen wieder angekommen, und das sog. Impulspapier des Rates der EKD, „Kirche der Freiheit“, hat 2006 da noch einmal ‚eins draufgesetzt’. „Wachsen gegen den Trend“ lautet die viel zitierte Selbstaufforderung.

Kein Wunder, dass entsprechende Handlungsmodelle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. „Neu anfangen” und Evangelisches München-Programm, GoSpecial in Niederhöchstadt und Hoyaer Modell (für den Konfirmandenunterricht) sind schon länger unterwegs, noch vieles mehr wird auf den „best-practice“-Börsen auf Kirchentage, Zukunftswerkstätten und im internet zur Nachahmung herumgereicht – alles Musterbeispiele der missionarischen Phantasie und der Entfaltung partizipatorischer Gemeindepraxis. Hochachtung darf sich breit machen davor, und ein wenig neidvolle Neugier von KollegInnen: alles respektable Initiativen im Dienste der ’real existierenden’ Kirche und im Sinne des energischen Wollens, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen” (1 Tim 2,4). Aber alles in allem taube Nüsse, hohles Gerackere, hektisches Herumeiern, wenn sie nicht ihrem ’spine’ aufsitzen.

Aber was ist das? Der Apostel Paulus drückt es so aus:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.

Und wenn ich a prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und b hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.

Das ist der ’spine’; das ist die Achse, um die sich alles dreht, die „Liebe”, Wesensmerkmal Gottes, des ’Beziehungstäters’. Darum ist Gottes Handeln kein instrumentales, das um eines Etwas willen geschähe. Gott handelt kommunikativ, selbstzwecklich. „Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei…“ heißt es in der Schöpfungserzählung der Bibel. Das hätte Gott Schöpfer des Himmels und der Erde nicht sagen und tun müssen. Hat er aber, er war so frei’. Dem Tun seiner Liebe verdanken wir unser Dasein, weil er sich selber nicht ohne Menschenkinder wollte von allem Anfang an. Ein dunkler Sachverhalt, verstellt durch die naturwüchsigen Sorgen um Selbsterhaltung. Wir kommen ihm auf die Spur im Maße unserer Wendung zur Selbstlosigkeit, ja unseres Wachstums in Selbstlosigkeit. Aber wir spüren auch: das hat seine Grenzen. Da ist der Blinde Fleck. Wir nutzen diesen Ausdruck gern als Redensart im übertragenen Sinne, verkürzen aber dabei oft seinen anatomischen Sinn: „Blinden Fleck“ nennt man den Bereich, wo der Sehnerv austritt; dort ist unser Auge unempfindlich für das Licht. Heißt ja: nur dank meines Blinden Fleckes kann ich überhaupt etwas sehen; er ist Grundlage meine Sehvermögens und zugleich, ja deswegen auch dessen Defizit. Er lässt uns erkennen – aber eben darum nicht ganz. Wir selbst sind der Blinde Fleck, wie wir so verfasst sind. Das kann schon dem Kind dämmern, dem Mutter oder Vater „Der Mond ist aufgegangen“ vor dem Einschlafen vorsingt – mit dieser Pflege familiärer Frömmigkeit leisten Eltern in, mit und unter der religiösen Frühsozialisation auch einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die Aufklärung. Denn in seinem Abendlied hat Matthias Claudius auch die Strophe gedichtet „Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel. Wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel”[6]. Was hilft da anderes als glauben „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht erschienen, was wir sein werden... aber wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist” (1 Joh 3,2), Liebe, die bleibt, alles in allem, er in uns und wir in ihm.

 

Nun sind wir die biblischen Quellen der Belehrung über die Sache mit dem Erfolg abgeschritten, an die ich Sie führen wollte.

Was ergibt sich aus all dem?

 

Erfolg ist nicht das Wichtigste. Erfolg ist noch nicht einmal Maßstab des Richtigen. Schließlich lässt sich auch Giftgas punktgenau herstellen und einsetzen.

Damit ist nichts gegen das Streben nach Erfolg gesagt. Sein Handwerk kann und muss einer lernen, egal in welchem akademischen Metier, also auch in unserem. Was unsereins zu tun hat, will gekonnt sein - oder wie es heute gerne genannt wird: professionell. So ist es schon vor einer Generation zum Beispiel den PredigerInnen ins Stammbuch geschrieben worden. Ich erinnere an Ernst Lange, 1927-1974: Ein Freund hat ihn später verglichen mit einer Kerze, die an beiden Ende zugleich brennt. Nur 47 Jahre alt geworden, hat er für Leben und Gestalt der evangelischen Kirchen in Deutschland Anregungen gegeben, die sich längst noch nicht erschöpft haben – als Pfarrer der legendären „Ladenkirche“ am Brunsbütteler Damm in Berlin-Spandau mit ihrem neuartigen Modell einer Kirchengemeinde, als Vordenker evangelischer Erwachsenenbildung, als spiritus rector der Mitgliedschaftsuntersuchungen, die die EKD seit 1972 im Zehnjahresabstand vornimmt – am langzeitwirksamsten vielleicht als Erneuerer einer lebenswelttüchtigen Predigtkultur.

In seinem Programmaufsatz „Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit“ von 1967 lesen wir: wir sind verantwortlich für die „Klärung der Situation”, insoweit die „Relevanz der Christusverheißung im Hic et Nunc des Hörers” von denen „verstanden” werden muss, denen die Predigt gilt, so dass „Einverständnis oder Ablehnung möglich wird”; wir haben „die den Glauben bedrängende Wirklichkeit” so „zur Sprache [zu bringen]..., dass in dieser Wirklichkeit [...] die Chance der Freiheit und die Gefahr der Unfreiheit sich von einander unterscheiden und so der Weg des Glaubens in Liebe und Hoffnung sichtbar wird”. Soweit Originalton Lange. Für Ungeübte heute vielleicht ein bisschen viel Theologenjargon der mittsechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ich will‘s mal so übersetzen: Dass Predigthörer uns Predigern das alte Evangelium, die Gute Nachricht von der bedingungslosen Zuneigung Gottes zu Menschen abnehmen und für sich annehmen, dass sie unter diesem Eindruck die Freiheit zu lebensverändernden Entscheidungen gewinnen: das kann unsereins nicht bewerkstelligen und braucht es auch nicht zu wollen. Aber dass Menschen durch die Wiederholung des Evangeliums – egal ob in der Form einer Predigt sonntags um zehn oder sonstwie – dass Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts verstehen, dass ihrem einen und einzigen wirklichen Leben genau diese lebensverändernden Entscheidungen fehlen und gut täten: das zu vermitteln ist Sache von Christenmenschen schon. In dieser Bemühung kann unsereins erfolgreich sein und soll es auch - aber noch nicht einmal das ist auskalkulierbar, wie die Predigttheorien erklären, die Umberto Ecos Ansatz vom „offenen Kunstwerk” folgen, und erst recht, ob jener Weg „des Glaubens und Liebe und Hoffnung [...] gegangen wird, ist der Predigt entzogen” (so noch einmal Lange)[7]. Das könnte man kopfschüttelnd für eine kleinmütige Selbsteinschüchterung halten angesichts des Auftrags zur gewinnenden Bezeugung des Evangeliums, wie Jesus ihn den Seinen hinterlassen hat, Matthäi am Letzten. Aber die biblische Erzählung vom sog. Reichen Jüngling zeigt, dass der Herr Jesus genau diese Erfahrung auch gemacht hat: Auf die Frage des jungen Mannes nach dem Weg ins „ewige Leben“ verweist Jesus den Fragesteller zunächst aufs Halten der Zehn Gebote – aber das habe er doch schon getan seit je, entgegnet der – daraufhin Jesus, der dem Frager ins Herz schaut und dessen Unfreiheit im Haben der vielen Dinge erkennt „verkaufe alles, was du hast und gib’s den Armen und komm und folge mir nach“. Wir kennen den Ausgang: der junge Mann „ging traurig davon, denn er hatte viele Güter“.

Soll man das nun einen Misserfolg nennen bei einem Gespräch, das auf die Gewinnung eines Menschen für die Nachfolge Jesu zielt? Oder drückt sich in diesem Ausgang der Szene der Erfolg aus, den die Predigt des Evangeliums als ‚Ruf in die Entscheidung’ in diesem Fall gerade hatte?

Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, hat vor einigen Jahren in einem Aufsatz mit dem fragenden Titel „Ist Erfolg’ eine sachgemäße Kategorie kirchenleitenden Handelns?“ die metaphorische Rede von „Resonanz“ als „regulative Idee“ für ein Handeln empfohlen, das „menschliches Planen[…]und Wirken des Heiligen Geistes einander zuordnet“[8]. ‚Resonanz’, eine akustische Metapher für die „Erkenntnis“ der  , die nach den Worten des Apostels Paulus andere Menschen an „uns“, den zerbrechlichen „irdenen Gefäßen“ sollen gewinnen können.

 

Also: Mit dem Erfolg ist das so eine Sache.

Natürlich: „Erfolg” erleben können und sich nicht ständig selber mies zu machen, wo andere uns gut finden, ist eine Bedingung der Berufszufriedenheit. Und dies nicht nur im quasi technischen Sinne eines professionellen Selbstmanagements. Bringen uns doch Tiefenpsychologen bei, wie stark die Herausbildung eines realitätstüchtigen Selbst-Gefühls angewiesen ist auf die Wahrnehmung der Folgen eigenen Handelns auch auf der „Erfolgs”-Skala (incl. deren unterem Ende, dem Miss-Erfolg). Und was wäre für einen Menschen, der in einem Kommunikationsberuf tätig ist wie der Pfarrberuf es ist (aber auch andere!!) - was wäre für Menschen in diesem Lebenskontext wichtiger als solch ein Selbstgefühl, das Leben ’aus der eigenen Mitte’ ermöglicht! Vor 30 Jahren schon hat Eilert Herms einmal so formuliert: „Die entfaltete, theoretisch ausgearbeitete persönliche Identität des Theologen ist das einzige Steuerinstrument seiner kompetenten beruflichen Praxis”[9] – ein Satz, der sich bis heute im Grundverständnis theologischer Ausbildung auswirkt.

Der hier, vielleicht ein wenig zu selbstverständlich, verwendete Begriff der „Identität” atmet noch Geist der 60er/70er Jahre (Jürgen Habermas hat da die Formel von „gelingendem Leben” ausgestreut, die von vielen freudig rezipiert wurde, auch von mir). Nur: der Versuch, Leben und Beruf nach dem Paradigma des „gelingenden Lebens” zu konjugieren, könnte einen täuschen über den weiteren Horizont derjenigen „Realität”, die Christenmenschen ein Leben in „eschatologischer Existenz” zumutet und zutraut. „Eschatologische Existenz“ – eine leicht esoterisch anmutende Theologenformel, zugegeben. Gemeint ist damit, dass Christenmenschen ‚Bürger zweier Welten’ sind – genauer müsste es heißen: mit beiden Beinen mitten im Leben (wenn’s gut geht), sind sie bestimmt von der Überzeugung, dass in der einen Welt unseres Lebens sich zwei Dimensionen dieser einen Welt gegenseitig durchdringen: der Welt, wie wir sie kennen mit ihren Begrenztheiten und Leiden – und von der wir glauben, dass an ihr vollendet wird, wozu sie und wir bestimmt sind.

‚Berufszufriedenheit’ (von der ich sprach) wird sich dann nicht mehr gut gründen können auf ein Selbst-Gefühl, das sich am harmonistischen Ideal eines Lebens aus der eigenen Mitte’ orientiert. Das Leben von Christenmenschen ist stattdessen als ‚ex-zentrisch’ angelegt zu verstehen. Der Apostel Paulus drückt es einmal gewagt so aus: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“. Ein Spitzensatz der sog. Kreuzestheologie, wie sie Luther bei Paulus entdeckt hat. Sätze wie dieser legen einen begrifflichen Paradigmenwechsel nahe – legen nahe, sich bei einer evangelischen Deutung des Lebens nicht mehr am Denkmodell „Identität“ zu orientieren, sondern am Modell „Konversion“; Manfred Josuttis hat das in seinen jüngeren Publikationen vorgeschlagen. Peter Sloterdijks vielbesprochenen Wälzer mit dem Rilke-inspirierten Titel „Du musst dein Leben ändern“ über gehe ich mal als ironischen Kommentar.)

Sie ahnen: hier müsste ich noch ‚ein Fass aufmachen’. Das kann ich hier nicht mehr tun – außer einzuräumen, dass eine kreuzestheologische Denke von „Konversion“ her tiefenpsychologischer Kritik einigermaßen schutzlos ausgesetzt ist. Das lässt einen lebenslangen Diskurs um die Wahrheit gewärtigen.

Freilich: welche Wahrheit in diesem Prozess von auch wechselseitiger Kritik zutage gefördert wird, wird wohl offen bleiben müssen, bis einer den „Beweis des Geistes und der Kraft“ führt. Der große Lessing meinte darauf nicht mehr hoffen zu dürfen, in seiner gleichnamigen Abhandlung, die eine Wendung von Paulus aufgreift. Lessing unterschied darin zwischen lediglich „zufälligen Geschichtswahrheiten“, als die er die biblischen Zeugnisse ehrenvoll beerdigte, und „notwendigen Vernunftswahrheiten“, um die er sich anderweitig mühen wollte. Verschlossen blieb ihm indes ein Begriff von „Wahrheit“, die sich in einer lebensverändernden Erfahrung ausweist, wie ihn das Johannes-Evangelium Jesus in den Mund legt: „[Ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32). Bis uns diese Erfahrung ergreift, wird die Erkenntnis der „Wahrheit“, die „frei macht“, freilich substituiert werden müssen durch das Lebenswagnis des Glaubens.

Denn was wirklich „Erfolg” ist, ob es schöner Schein gewesen sein wird, was ich zeitlebens tue, oder ob es Anteil hat an dem, was bleibt: das stellt sich überhaupt erst am Ende heraus. Ganz am Ende.

Da wird offenkundig, auf welcher Mühe ’Segen drauf ruht’. Und um noch einmal Matthias Claudius zu Zeugen aufzurufen, mit seinem Erntedanklied: „es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott”.

 

© Frithard Scholz

27.04.2010

 

[1] Lediglich um Belege ergänzt.

[2] Manfred Josuttis, Der Traum des Theologen, München 1988, 11

[3] Vgl. zuletzt Gerd Theißen / Annette Merz, Der historische Jesus, Göttingen 1996, 486ff

[4] A.a.O. 487.

[5] Walter Sparn, Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Gütersloh 1990

[6] Evangelisches Gesangbuch 482, 4

[7] Die Zitate stammen aus: Ernst Lange, Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit, in: ders., Predigen als Beruf: Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt (hrsg. u. mit einem Nachwort von Rüdiger Schloz), 2. Auflage München 1987, 27ff.

[8] Martin Hein, Ist Erfolg eine sachgemäße Kategorie kirchenleitenden Handelns, in: Hermann Deuser u.a. (Hg.), Theologie und Kirchenleitung. FS für Peter Steinacker zum 60. Geburtstag, Marburg 2003, 141-150.

[9] Eilert Herms, Was heißt „theologische Kompetenz“? (1978) in: ders,. Theorie für die Praxis, München 1982, 48