...im Evangelischen Studienseminar Hofgeismar

 

 

 

Impulsreferat vor der Konferenz der Gottesdienst-Institute und -Arbeitsstellen der EKD

Hofgeismar 11./12. Mai 2011

 

  •     Ein Sakralraum wie ein Schuhkarton - sagen jedenfalls manche, die ihn erstmals erleben - mit einer gewissen edlen Anmutung, aber  eben: Schuhkarton. Ohne schmückendes (oder auch: störend lebendiges?) Beiwerk. An durchsichtiger Geometrie kaum noch zu überbieten, Fußboden, Decke, Wände, Fenster; schon dass die Sitzplätze Rückenlehnen haben, und das mit femininem Schwung, musste dem Architekten mühevoll abgerungen werden. Ein begehbares Kunstwerk. - Andere bleiben in der Tür stehen und halten die Luft an: atemberaubend die asketische Formensprache, mittelachsig ausgerichtet, der zweite Blick entdeckt das einzig demonstrative Symbol, wie die Lüftungsschlitze der Frontwand es zeigen - das Kreuz als Negativform. Gestaltend nur das Licht - halb-natürlich von draußen, ausbalanciert durch in den Boden zurückgenommene hightech-Strahler gegenüber, dimmbar künstlich von der Decke. Ein fordernder Raum, der seinen BesucherInnen Haltung abverlangt und Fassung mitteilt.
  •     Sie befinden sich im bislang kleinsten Bauwerk von Meinhard von Gerkan. Ein Raum, 55 Quadratmeter. Üblicherweise befasst er sich mit seinem Büro Gerkan, Marg und Partner mit anderen Dimensionen. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist er in den letzten 10-15 Jahren als Architekt des Christuspavillons bei der EXPO Hannover 2000, der Kapelle im Berliner Olympiastadion (dem er auch ein Dach verpasst hat) oder des Berliner Hauptbahnhofs; weniger auf die Bauwerke geachtet haben die TV-Zuschauer der Fußball-WM 2010 in Südafrika (aber ohne die drei von ihm entworfenen neuen Stadien hätte die so nicht stattfinden können); seit Anfang des Jahrhunderts ist er verstärkt im ‘China-Geschäft’: u.a. die Erweiterung des Chinesischen Nationalmuseums in Peking (192.000 m2), das in den letzten Wochen wegen der „Aufklärungs”-Ausstellung die Feuilletons rauschen ließ, stammt von ihm, und mit Fertigstellungsdatum 2020 versehen ist der Aufbau von Lingang New City, einer Trabantenstadt von Shanghai für künftig 800.000 Menschen. Um nur einiges wenige zu nennen; fertige und geplante Bauten auf den drei anderen Kontinenten überspringe ich. Ein Weltarchitekt mit Hang zur Größe. Und dann Hofgeismar, 55 Quadratmeter.
  •     Im Jahr 2002 verlieh der Fachbereich Evangelische Theologie Marburg an Meinhard von Gerkan die Ehrendoktorwürde, wegen seiner Verdienste um die „Eröffnung eines Raumes für Religion im säkularen Kontext” (so in der Verleihungsurkunde, die auf den EXPO-Pavillon Bezug nimmt). Es ergab sich beim Festakt ein smalltalk mit dem Kirchenbaudirektor - und der Bischof packte dann den frischgebackenen Ehren-Ingenieur-Theologen offenbar wirksam beim heimlichen Wunsch manches Architekten, einmal eine Kirche zu bauen. Seit über 20 Jahren sei eine Umgestaltung der Kapelle im Predigerseminar Hofgeismar im Gespräch. Eine folgenreiche Handskizze entstand - Typ: Kaffeehaus-Serviette. Dieser Entwurf war und blieb eine One-Dollar-Geste - kosten sollte später die Realisierung. Und sie kostete.
  •     Als die Synode im Herbst 2003 zu beschließen hatte über den millionenschweren Sonderhaushalt ‘Generalsanierung des Predigerseminargebäudes’, steckte darin auch ein kleiner Betrag an Planungskosten für die Neugestaltung der Kapelle. Und der erregte in der ansonsten auf Sparen getrimmten Diskussion Bedenken, einfach ganz grundsätzlich - mit der Folge eines Sperrvermerks. Das war der Auftakt für einen Langen Marsch zu Sponsoren und Spendern, und der war erfolgreich. Es wurde zwar über dem anspruchsvollen Plan immer teurer, Elektrik, sogar Grundlagenforschung und mancherlei, was man nicht sehen kann. Am Ende waren 350.000 Euro verbaut, für 55 m2. Aber kein Cent Kirchensteuern.
  •     Ich will Sie nicht mit Details der verwickelten und zähen Bau-Geschichte behelligen, die ein 6-jähriges Ringen zwischen Bauherrschaft, Architekt und ausführenden Firmen war um Kostenrahmen, optische Ästhetik und liturgische Bespielbarkeit - also das Übliche, vielleicht ein wenig verschärft. Aber auf zwei nicht ins Auge fallende Punkte will ich doch vorweg hinweisen.
    •    Fußboden und Wände sind aus sog. Betoplan-Tafeln gefertigt. Schön, wenn das schlüssig wirken sollte als sei es so gemeint - denn das ist ‘zweite Wahl’. Das ursprüngliche Konzept sah Corten-Stahl vor, edelrostig und teuer. Dieses design hätte das Erscheinungsbild „Brennkammer des Heiligen Geistes” in diesem Haus für angehende PfarrerInnen vollends unzweifelhaft gemacht. Und das erforderliche Material war auch schon von einem Sponsor kostenlos avisiert. Aber dann ging es doch nicht so. Der Untergrund, der Untergrund... Das Predigerseminar, ein Fachwerkgebäude ohne Keller wie alle hier am Gesundbrunnenpark, schwimmt gewissermaßen auf einem Sumpf. Ein Stahlkasten dieser Größe als Bestandteil des Baukörpers aber hätte die Statik des Ganzen unkontrollierbar gefährdet. Außer man hätte die ohnehin erforderliche Betonbodenplatte untendrunter noch auf zahlreiche Stützen viele Meter tief gegründet (und da fing das Geld an eine Rolle zu spielen, und der Zeitplan der Generalsanierung).
    •    Es gibt keine Orgel. Aber nur: noch nicht. Der Plan dazu war von Anfang an da. Aber es fehlte zuerst am Geld - und als wir uns dann doch an einen Bauauftrag trauten, redeten zu viele Bestimmer mit - der Landeskirchenmusikdirektor wollte für die Pfarrerbildungsstätte beispielgebende Musik, der Orgelbauer hatte ein auch technisch innovatives Instrument im Sinn, das Predigerseminar sorgte sich ums Mitsingen und um Platz für die Menschen im Raum. Kommunikationsstörungen, die erst zu bereinigen waren, als schon ein Rohbau in der Werkstatt stand - das kostete nochmal Geld und Zeit. Aber nun ist das auf dem einvernehmlichen Weg: Wir sind gespannt. [Nachtrag 2020: Inzwischen hat sich der Dialog der zu Beteiligenden auf eine eher Kleine Lösung eingemendelt - https://kirchenmusik-ekkw.de/predigerseminar-hofgeismar-rotenburger-orgelbau.html ]
  •     Soviel vorweg zum Unanschaubaren hier. Aber was ist zu sehen, was wahrzunehmen?
    •    Ein Raum nach den Maßgaben von Minimal Art:
      •     Ein mystischer Einschlag ist ihm nicht abzusprechen. Und wer sich an Zen-Buddhismus erinnert fühlt, liegt angesichts  der Japan-Aufenthalte des ‘Meisters’ auch nicht verkehrt. Ein Zug zur Verinnerlichung geht von ihm aus. Ein Raum nicht zuletzt auch für einen Einzelnen.
      •     Bewusst sind keine ‘edlen’ Materialien verarbeitet (Verschalungsplatten, Recyclingglas).
      •     Seine Kraft steckt in den quaderförmig ausgespannten Eck-Daten - eine Kraft, die mit Leichtigkeit auch Umarrangements seines wenigen Inventars zulässt: längsachsige Ausrichtung der Plätze, um 90 Grad gewendet mit Blick ins diffuse Licht der Fensterwand, elliptisch um den in der Mitte ragenden Altartisch, gar keine Dinge mehr, nur Menschen  prozessionsartig sich bewegend, oder...oder...
    •    Der Raum setzt auf das NICHT-Anschauliche, die Abwesenheit jeder ablenkenden Dekoration:
      •     als seine einzige ‘Dekoration’ gleichsam vorgesehen sind die Liturgie feiernden Menschen;
      •     ‘symbolische’ Kommunikation in ihm geschieht ausschließlich im ‘Unsichtbaren’, dem „Wort” dem Heiligen (gelesen, gesprochen, gesungen, u.U. geschmeckt )
    •    Ein Raum von doppelter Ansprüchlichkeit:
      •     eigentümlich akzidenzienlos, ermöglicht und verlangt sein Sosein hohe Konzentration der LiturgInnen und Mitfeiernden auf ‘das Wesentliche’, dem geradezu platonisch eine formative Kraft angesonnen ist - Bildung durch das unsinnliche Gewahren von Transzendenz: wer an der Türschwelle steht, kann sich gedrängt fühlen, „seine Schuhe auszuziehen”
      •     zugleich präsentiert er sich angewiesen auf ständige aktive Pflege dieser Valenz, anfällig wie er ist für Nachlässigkeit, Unordnung etc - nur diesseits derlei ‘Verunreinigung’ eignet ihm seine ‘Bildungskraft’
    •    Ein Raum, ein Kunstwerk: unbeliebig und doch offen begehbar, bespielbar, besprechbar. Ihr Ding.

 

Und die am 20. Februar 2009 durch Bischof Prof.Dr. Hein - im Beisein von Meinhard von Gerkan - zum regelmäßigen Gottesdienst eröffnete Kapelle lebt weiter.

Jährlich von Ostern bis Pfingsten leuchtet die auf Raumprogramm abgestimmte "Osterkerze":

 

Die von Meinhard von Gerkan entworfene Kapelle hat eine eigene ‚Botschaft’:

  • formell und materiell ein Beispiel von minimal art, das viel Spielraum gibt zur Imagination des zu verehrenden Besonderen im Allgemeinen: Zen-Buddhismus / Meister Eckhart / ‚Bewahrung der Schöpfung’ (das Signal der verwendeten recycling-Materialien…) / das „Wort“ / …
  • symbolisch in ihrer Kargheit an strukturell vorhandenen ‚Zeichen’ ein Imperativ, die Frohe Botschaft sich auftun zu lassen in der zeitweilig sich dort einfindenden congregatio sanctorum

 

Die Dekoration (die sich nun mal ins Symbolische versteigen muss) nimmt in ihrer Rechtwinkligkeit die Formensprache des Raums auf.

 

Sie zitiert das einzige explizite christlich-religiöse Raum-Symbol, die ‚Negativ-Form’ des Kreuzes auf der Frontseite. Aber sie wiederholt es nicht – darum die Asymmetrie der entstehenden ‚Felder’ [die – nicht zwingend – eine Platzierung der Kerze auf der linken Seite des Altartisches nahelegt].

Sie entscheidet sich, angesichts der – gleichsam religions-indifferenten – Formensprache des Raums, für die Symbolik ‚Welt = Schöpfung’.

Sie tut es in Aufnahme der bis in die frühe Neuzeit hin wirksamen Vier-Elementen-Lehre (nicht begründet, aber wirkungsgeschichtlich maßgeblich entfaltet von Platon, erweitert um die ‚Quintessenz’ durch Aristoteles, folgenreich stabilisiert durch die Stoa).

 

himmelblau: Äther (Aristoteles) bzw. Pneuma (Stoa)

weiß: Luft

orange: Feuer

grün: Erde

blau: Wasser

rot: Liebe

 

Die Farbenwahl ist selbsterklärend - und doch dem „Genie der Lieferanten“ (Musil) geschuldet.

 

‚Entscheidend Christliches’ wird ‚eingeschlichen’ durch die Zitation der Kreuzes-Formation – und durch die himmelblaue Beschirmung wie die rote ‚Gründung’ der Vier-Elementen-Matrix. Die „Liebe“, die παντα στεγει (1. Kor 13,7), ist eben diejenige des „Geistes der Liebe“ (Eph 4, 3ff !), der wie das πνευμα der Stoiker allem was ist zum Leben verhilft. Deren symbolische Präsenz auf der Osterkerze sprengt absichtsvoll die Rechtwinkligkeit der Formvorgabe (die ja nicht nur kunstgeschichtlich das Schema des ‚mittleren Mondrian’ rezitiert), und sie soll in der Formstrenge des Raumes erkennbar machen: alles ist möglich.

Und, gleichsam selbstverständlich in eben diesem Sinne: die goldfarbene Vignette am ‚Kreuz’ungspunkt der Dekoration soll 2. Kor 4,6 sinnlich wahrnehmbar machen.

 

Autoren-Deklaration genug.

Die Osterkerze (und zumal deren Dekoration) soll ja Deutungen freisetzen und nicht verhindern.

 

 Hofgeismar, 27. März 2013