Zum Berufsethos von Diakon*innen

 

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Frithard Scholz

„Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ (Matthäus 16,13)

Thesen zum Berufsethos von DiakonInnen

 

1.Einige Zitate zur Einstimmung:

1.1.„Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele“. So Jesus nach Matthäus 20,28. Keine Dienstanweisung – Jesus ist ein prominenter Einzelfall. Aber doch eine Orientierung für den ‚Dienstweg’ – ein Ausdruck nicht nur im Sinne einer (oft ungeliebten) innerorganisatorischen Terminologie.

1.2.„Die entfaltete, theoretisch ausgearbeitete persönliche Identität des Theologen ist das einzige Steuerinstrument seiner kompetenten beruflichen Praxis.” So Eilert Herms in einem grundlegenden Aufsatz, dessen Grundidee die bis heute maßgeblichen Leitlinien der Ausbildung zum Pfarramt bestimmt[1].

1.3.„Von Pfarrerinnen und Pfarrern wird erwartet, dass sie Gottes heilsame Zuwendung zu den Menschen auch für sich selbst gelten lassen. Der persönliche Glaube begleitet alle pfarramtliche Arbeit. Dabei ist der Glaube keine konstante Größe, die man sich einmal aneignet und dann unverändert behält. Glaube ist der lebendige Prozess, in dem die Ereignisse des eigenen Lebens wie auch der Welt vom Lichte des Heils durchdrungen werden. Je nachdem wie dies geschieht, kann Glaube stärker oder schwächer, schwieriger oder leichter, ermutigend oder auch belastend sein. Wichtig ist dabei, zu unterscheiden zwischen dem persönlichen Glauben, der unverfügbar bleibt und nicht durch Ausbildung erlernbar ist, und der Fähigkeit, die unterschiedlichen Ausprägungen von Frömmigkeit wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu würdigen.“[2] Die in Geschichte und weitgehend auch noch gegenwärtiger Gestalt der organisierten evangelischen Kirchenwesen oft problematische Zu(sammen)ordnung von InhaberInnen eines Pfarramts und TrägerInnen des Diakonat darf nicht davon ablenken, dass im Blick auf die „bunte Gnade Gottes“ (so, wörtlicher übersetzt, 1. Petrus 4,10), die aller, aller Kommunikation des Evangeliums in Wort und Tat Sinn und Kraft erst gewährt, die einen wie die anderen Angewiesene bleiben:

1.3.1.„Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: wenn jemand predigt, dass er’s rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, das er’s tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus.“ (1. Petrus 4, 10f)

1.4.„Glaubens- oder Evangeliumskommunikation ist […] mitnichten ein Sonntags- oder Leitbildgeschwätz, sondern orientiert und trägt und erleichtert das tägliche (Arbeits-)Leben, und zwar durch Not und Krisen hindurch, mit dem klar benennbaren Ziel, individuelle Freiheit und zugleich solidarische Liebe zu den Mitmenschen und Mitgeschöpfen wieder lebendig werden zu lassen.“[3] So markiert Thomas Zippert die Funktion von „Berufsethos“ – am Rande einer Abhandlung, die unter Rückgriff auf die Theologie Schleiermachers den Diakonat kirchentheoretisch so zu begründen sucht, dass auch kirchenorganisatorisch ‚Augenhöhe’ mit dem Pfarramt gewährleistet sein muss.

 

2.Mit ‚Leitlinien’-Anspruch formulieren die Kompetenz-Matrix des VEDD, was DiakonInnen können sollen, und die entsprechenden Tätigkeitsprofile[4], woran dieses Können – auch für Dritte – faktisch erkennbar wird.

2.1.Beide Schemata haben Steuerungsfunktion: die Kompetenz-Matrix für die Sachgerechtigkeit von Ausbildungssystemen, die Tätigkeitsprofile für die jener Ausbildung entsprechende Allokation von Stellen und Personen in Beschäftigungssystemen.

2.2.Weder ‚Kompetenz-Matrix’ noch ‚Tätigkeitsprofile’ tragen unmittelbar bei zur Antwort auf die Frage nach dem Berufsethos von DiakonInnen, wenngleich dies Berufsethos – kraft dessen der/die einzelne DiakonIn seine/ihre Berufspraxis zu einer organisatorisch wie persönlich stimmigen Einheit zu integrieren vermag – freilich die materialen Bestimmungen beider Schemata ‚in sich aufzunehmen’ hat.

2.3.Denn weder dieses noch jenes Schema kann Auskunft darüber geben, wer DiakonInnen sein sollen: etwas Gemeinsames, gar miteinander Verbindendes über alle individuelle Verschiedenheit (die nicht weniger erwünscht ist) hinaus.

 

3.Zu dieser Klärung mag der Umweg über ein – mittlerweile – historisches Beispiel helfen, die Arbeiterpriesterbewegung[5].

3.1.Diese Bewegung innerhalb der römisch-katholischen Kirche und deren (zunächst nur:) Priesterschaft (später auch: Ordensbrüdern und –schwestern) ist aus recht unsystematischen pastoralen Impulsen im Frankreich der 1920er Jahre entstanden. Diese Impulse galten der – mit einem anachronistischen Ausdruck des späteren Papstes Johannes Paul II. gesprochen – Re-Evangelisierung der Kirche und Christentum entfremdeten Arbeiterschaft. Deren unkonventionelles Medium war die Bereitschaft zur weitestgehenden Solidarität mit den Arbeitern/-innen und deren Lebenslage: vollzeitliche Teilnahme an deren Lohn-Erwerbsarbeit und ein ziviles Leben in deren Wohnquartieren[6]. Dabei vollzog sich in den Jahren unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkriegs eine bemerkenswerte Akzentverschiebung vom Motiv der „Missionierung“ zum „Gedanken der présence und der Solidarität“[7].

3.2.Nicht zuletzt die damit einhergehende Neigung unter Arbeiterpriestern, sich in kommunistisch orientierten Gewerkschaften zu engagieren, dürfte – im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges nicht verwunderlich – zum Erstarken derjenigen Kräfte im Vatikan geführt haben, die auch die in der Figur des ‚Arbeiterpriesters’ verkörperte Revolution des überkommenen ‚Priesterbildes’ ablehnten. In zunehmender Schärfe römisch-katholischer Kirchenrechtsverbindlichkeit wurde das kirchengeschichtliche „Experiment der Arbeiterpriester“[8] stufenweise 1953, 1954, vorläufig abschließend 1959 vom Vatikan untersagt; das entsprechende Schreiben des „Hl. Offizium“[9] wird durch folgende Argumente getragen:

  • der Auftrag des „Apostolats im Arbeitermilieu“ zwingt nicht dazu, Priester als Arbeiter dorthin zu senden – um den Preis der „überlieferten Auffassung vom Priestertum“

  • „Der Priester wird wesentlich zur Ausübung sakraler Funktionen geweiht“ [sc. Messe feiern, öffentliches Kirchengebet, Sakramentenspendung, Wortverkündigung]. „Dieses Zeugnis [von der Auferstehung Christi] legt er[…]ab nicht durch manuelle Arbeit unter Fabrikarbeitern, als ob er einer der Ihren wäre“.

3.3.Dass das wenig später (1962-1965) zusammengetretene Zweite Vatikanische Konzil in seinem Dekret „Presbyterorum ordinis“ – die Bedingungen des Lebens und der Selbstwahrnehmung der ‚Kirche’ hatten sich geändert – dazu erneut Möglichkeiten eröffnete[10], steht auf einem anderen Blatt.

3.4.Welche Perspektive eröffnet dieser historische Umweg für die Frage nach dem „Berufsethos“ von DiakonInnen? Was haben denn DiakonInnen mit ‚Arbeiterpriestern’ gemein? Folgendes sei vorläufig festgehalten:

  • der Diakonat ist ein „Amt“, in das ‚die Kirche’ beruft und das in jeweils individueller „Person“ ausgefüllt sein will

  • das „Amt“ wird übertragen und ist dann ‚in Kraft’ unabhängig von einem arbeitsrechtlich konditionierten Beschäftigungsverhältnis

  • aufgrund von Berufung ein „Amt“ innezuhaben setzt ein in der „Person“ verkörpertes individuelles Berufungsbewusstsein frei (zumindest dessen Entwicklung [ja, hoffentlich noch!]), das u.U. in die Wahrnehmung einer Spannung zwischen dem mit dem „Amt“ übertragenen ‚Auftrag’ und den Bedingungen der ‚Auftragserfüllung’ führt:

  • etwa: wieviel an ‚Inkarnation’ (oder ‚Entäußerung’, in Entsprechung zu den christologischen Bekenntnissätzen Joh 1,14 oder Phil 2,6-8!) in diese ‚Bedingungen’ ist „auftrags“-konform?

Ersichtlich geht es darum, wer ein/e „DiakonIn“ ist. Und wie dieses ‚Person-mit-einem-Amt-Sein’ bei Bedarf zu versprachlichen ist.

 

4.Mit ‚Arbeiterpriestern’ gemeinsam haben DiakonInnen die sog. Doppelqualifikation[11] und die kirchliche Berufung. Erstere sei verstanden als Befähigung, in diversen ‚weltlichen’ Arbeitsfeldern berufskompetent tätig zu werden und darin ‚für die Kirche’ zu stehen. Die kirchliche Berufung ins „Amt“ unterstellt diese ausbildungsabschließend ‚zeugnis’förmig bestätigte Gegebenheit[12] – und geht darüber hinaus. Berufung ist nicht nur gottesdienstliche Zeremonie anlässlich des individuell errungenen ‚Zeugnisses’:

4.1.Aufgrund jener „Doppelqualifikation“ kann sich jemand in einem entsprechenden Arbeitsfeld beruflich etablieren und dort ‚persönliche’ Anerkennung durch fachlich erkennbare Qualität seines Handelns gewinnen – eben durch Entfaltung und Ausübung sozialberuflicher Fachkompetenz und christlich-religiöser Sprachfähigkeit. In beidem kann das Evangelium bezeugt werden – wie grundsätzlich von jedem evangelischen, in seinem Beruf und Stand engagierten Christenmenschen! – und wird sich ubi et quando visum est Deo („wie Gott will“) im Leben der kommunikativ beteiligten Menschen heilsam auswirken.

4.2.Die „Berufung ins ‚Amt’“ hüllt dieses doppelkompetente Handeln einer „Person“ in den institutionellen Ausdruck gesamtkirchlichen Gewolltseins. Sie traut und mutet einer „Person“ zu, die in 3.4 benannten Spannungen in ihrer beruflichen „Amts“-Ausübung individuell zum Ausgleich zu bringen. Das ist eine vom Bischofsamt in seinem Mandat der geistlichen Leitung der Kirche ‚personal’ verantwortete und darum kirchenrechtlich auch nicht rechtsmittelfähige Entscheidung.

 

5.Die berufliche Beschäftigung von DiakonInnen in kirchlichen oder kirchennahen Organisationen mit Diensten der ‚Leibsorge’[13] mag infolge der biblischen „Amts“-Begründungslegende Act 6 nahe liegen und ist kirchengeschichtlich offenkundig breit ausgeprägt. Gleichwohl erscheint dies einer unbefangenen Betrachtung als systemfehlerhafte Unterbestimmung der Funktion des Diakonat im Geflecht der Dienste an der Bezeugung des Evangeliums – mit missweisenden Folgen. Bei allem historischen Überwiegen dieser Konstellation – systematisch aufgefasst, sollte dies die Ausnahme von der Regel sein. Angemessener wäre – als Formulierung des Regelfalls[14]! – ein Verständnis (und Selbstverständnis!) von DiakonInnen im Paradigma von ‚Pionieren’, die bewusst extra muros ecclesiae visibilis, außerhalb der Kirchenorganisation (im engeren Sinne: der ‚verfassten Kirche’ und ihren Parochialgemeinden – im weiteren Sinne aber auch: außerhalb der Mitgliedseinrichtungen Diakonischer Werke…!) arbeiten – gleichsam ‚ausgesetzt’ im mehrfachen Sinne des Wortes.

5.1.‚Ausgesetzt’sein ist ein Sinnmoment der Christologie. Dass Gott uns in Jesus menschlich nahegekommen ist, hat eine Kehrseite. Gott Schöpfer von allem, unser großes Gegenüber, lässt sich in der Sendung seines Sohnes willentlich ‚außer sich’ geraten, ins Miteinander mit seinen unwilligen Geschöpfen – der Willkür und dem Widerspruch der zuzeiten Herrschenden ‚ausgesetzt’ bis zum Tode am Kreuz. „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ heißt es darum in sog. Prolog des Johannes-Evangeliums (Joh 1,11). – Die Rede ist von einem Einzigartigen, einem singulare tantum. Jede flapsige Gegenfrage ‚Bin ich denn Jesus…?’ erübrigt sich. Aber doch überliefert Johannes von eben diesem Jesus (der dabei die legendäre Diakonen-Schürze trägt [Joh 13,4]!) am Ende der Fußwaschungsszene das Wort „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“ (Joh 13, 15).

5.2.‚In der Fremde’ außerkirchlicher Lebenswelt taucht der/die Einzelne ein ins Bestimmungsgefüge andersartiger Weltsichten, Handlungsroutinen, Werthaltungen - und bisweilen auch darin unter. Das Sein-dort, Teilnahme an Kommunikation verlangt zugleich Positionierung und deren Anschlussfähigkeit[15]. Dabei müssen Fragen nach Grenzen der Kompatibilität der dort zu erwerbenden bzw. zugeschriebenen sozialen „Person“ mit der durch „Berufung“ zugesprochenen „Amts“-Person ‚persönlich’-individuell beantwortet werden[16].

5.3.Derart strukturierte Arbeitssituation lässt Einzelne sich ‚ausgesetzt’ fühlen: dem Gerede von (nicht kirchlich „berufenen“) KollegInnen, das zeitgenössisch mobbing hieße. Dafür gibt es ein biblisches Muster: die ebenso beiläufige wie als überlebensrisikoträchtig wahrgenommene Frage der „Magd“ an ‚Petrus im Hof des Hohenpriesters’: „Wahrhaftig, du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich“ (Mt 26, 69-75 parr, hier: 73). Der Ausgang der Geschichte ist legendär „Da dachte Petrus an das Wort, da Jesus zu ihm gesagt hatte. Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich“ (Mt 26, 75).

 

6.Ihr Dienst führt DiakonInnen in Identitätsfragen – und das heißt: möglicherweise in Konflikte mit sich selber, mit ihren Anstellungsträgern, u.U. mit der Kirche, die sie „berufen“ hat. Wie die Arbeiterpriester. Diese Fragen zeigen sich bei der Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit, bisweilen Gegensätzlichkeit der Herausforderungen von einerseits „Amt“, andererseits „Beruf“; deren Substanz ist die Spannung zwischen „Berufung“ und „Kompetenz“ zum Dienst. Und die Fragen (die sie – nebenbei erwähnt – mit PfarrerInnen teilen) sind unausweichlich (und auch nie ‚abschließend zu erledigen’!) – zumal in einer [wie in 5. unterstellt] ‚pionier’artigen ’Einzelkämpfer’-Situation. Da geht es um die Bewältigung des schwierigen Zugleich von ‚Sein wie…’- und ‚Anders als…-sein’-Wollen – wobei das ‚Anders als…’ die Legitimität des Strebens nach ‚Sein wie…’ begründet[17]. Wie mit diesen konfliktträchtigen Fragen umgehen?

6.1.Zu bemerken darin ist zunächst eine elementare Beziehungserfahrung (wie sie in Liebes-‚Beziehungen’ zugespitzt auffällt]: „Nur weil ICH ein anderer bin als DU, kann ich dir was sagen/sein, was du dir nicht schon selber sagen/sein könntest“. Aber es geht nicht nur um den erlebnisträchtigen Kleinen Unterschied und dessen versprachlichte Resonanzen. Überhaupt nicht um das pur individuell Personale, sondern um dessen Überformung durch die „Amts“-Person.

6.2.Zwei theologische Reflexionen auf diese Identitätskrise seien rekapituliert:

6.2.1.Im geistigen Klima und gesellschaftlichen Kontext der ‚68-er Jahre’, die bestimmt waren durch weltweite Proteste gegen die „herrschenden Verhältnisse“, Machtmissbrauch des „establishment“, durch theoretische und praktische Impulse zur ‚Gesellschafts-‚ und ‚Kirchenreform’, publiziert Jürgen Moltmann (aufgrund seiner 1964 erschienenen „Theologie der Hoffnung“ prominenter Bannerträger eines grundsätzlichen auch theologischen Umdenkens) ein Buch zur ‚Kreuzestheologie’[18] – ein scheinbar ‚aufbruchshemmender’ Argumentationsimpuls. Er eröffnet es mit der Feststellung: „Je mehr Theologie und Kirche in den Problemen der Gegenwart relevant zu werden versuchen, […j]e mehr sie ihre Identität in traditionellen Dogmen, Riten und Moralvorstellungen zu behaupten versuchen, um so irrelevanter und unglaubwürdiger werden sie. Diese Doppelkrise kann zutreffender als das identity-involvement-dilemma bezeichnet werden.“[19] Das berührt das „Amt“ von DiakonInnen[20]: „Christen werden auch in der ‚klassenlosen Gesellschaft’ Fremde und Heimatlose sein“ [22]. Die Antwort auf die Identitätsfragen scheint noch tiefer vergraben – bei aller Hochschätzung sprachlich-diskursiver Artikulation von ‚christlichem’ Selbst-Bewusstsein: noch darunter: „Christliche Identität lässt sich nur als Akt der Identifizierung mit dem gekreuzigten Christus verstehen, weil und insofern einen die Verkündigung erreicht hat, dass in ihm Gott sich mit den Gottlosen und Gottverlassenen identifiziert hat, zu denen man selbst gehört“ [23]. „Das genannte identity-involvement-dilemma der christliche Existenz ist überhaupt kein Dilemma, sondern die unausweichliche Spannung des christlichen Glaubens“ [29].

6.2.2.Von Erfahrungen einer demgegenüber noch verschärften Konfliktdramatik dieser Identitätskrise getränkt sind Einsichten des schweizerischen, seinerzeit in Birmingham lehrenden Missionswissenschaftlers Walter J. Hollenweger in dessen 3-bändiger „Interkulturelle[r] Theologie“[21]. Darin geht er von der Beobachtung aus, dass es viel mehr 'Kulturen' und entsprechende Kommunikationsbarrieren und -verzerrungen gibt als der gängige, an 'Nationen' gebundene Sprachgebrauch auf Anhieb vermuten lässt. Er spricht von farbigen und weißen, mündlichen und schriftlichen, ländlichen und städtischen Kulturen, Kulturen der Männer und der Frauen, Kulturen von Managern und Modistinnen, Physikerinnen und Filmregisseuren, und beschreibt deren Zusammentreffen. Seine Leitfrage lautet: Was passiert in der interkulturellen Kommunikation des Evangeliums mit dessen Wahrheit (wenn die nicht identifiziert werden darf mit den kulturellen Selbstverständlichkeiten des ‚Evangelisten’) und was passiert mit den beteiligten Menschen? In diesem Horizont schreibt er u.a.: „Wer sich auf den Dialog einläßt, wird verwundet [...] Aber ‚verwundet werden’ gehört zur christlichen ‚Martyria’, zum christlichen Zeugnis, zum christlichen Umgang mit Nichtchristen. Es ist keine vornehme Übung für den nichtengagierten Akademiker“[22]. Zur Verdeutlichung zieht er eine Passage aus dem Roman „Schweigen“ des Japaners Shusako Endo heran (des Umfangs wegen hier im ‚Anhang’ zitiert!). – Im Regelfall (auch im Sinne des in These 5 geltend Gemachten) werden gegenwärtigen DiakonInnen hierzulande derlei Konflikte in der Wahrnehmung ihres Amtes, der Ausübung ihres Berufes nicht bevorstehen – Endos Romanszene ist eine grenzwertige Ausnahme. Aber dafür gilt das (in ganz andersartigen Zusammenhang gehörige!) Diktum des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt (der sich dafür auf den Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard beruft): „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme“[23].

6.3.Identitätsfragen verunsichern zutiefst, wenn eine/r sie im Ernst ‚an sich ran lässt’[24]. Zumal sie nicht am Leitfaden einer technischen Checkliste abgearbeitet werden können. Denn auch Identität selbst ist nie ein ‚Bestand’, sondern nur als Lebensprozess gegeben, in dem Anerkennung, Zuschreibungen, Ich-Bewusstsein zur prinzipiell immer gefährdeten Balance individuell-personaler Selbstgewissheit sich ausbilden[25]. Sie gründet – theologisch artikuliert – in der Berufung in die Gotteskindschaft durch die Taufe[26] und drückt sich – wie Schleiermacher das nannte – im „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ aus; Barth'ianerInnen' werden sich Letzteres als "Leben in geschenkter Freiheit" weiterübersetzen.

6.3.1.In diesem Sinne und aus diesem Grund brauchen DiakonInnen menschliche und geistliche Vergewisserung – das ist der Tiefensinn der Diakonischen Gemeinschaften.

 

7.In ihrem kommunikativen Handeln werden DiakonInnen – um es im Sprachspiel Moltmanns zu artikulieren – in das „identity-involvement-dilemma“ verstrickt und um der „Relevanz“ ihrer Kommunikation willen in Schritte der Überschreitung ihrer „Identität“ gedrängt – um nicht zuspitzend von ‚Selbstaufgabe’ zu sprechen. Sie bewegen sich in der „unausweichlichen Spannung des christlichen Glaubens“ (s.o. Zeile 218).

7.1.Um diese Schritte bewusst ins Auge fassen, ja sie wollen zu können, benötigen sie eine für diese Spannung wahrnehmungsfähige Theologie – die eine Seite ihrer Doppelqualifikation. „Aber das Gute vollbringen kann ich nicht“ (wie Paulus in seinem Ringen mit dem „Gesetz“ schreibt [Röm 7, 18]) – das muss noch woanders her kommen. Wo ganz-anders her.

7.2.Denn dazu bedarf es – das zeigt der „Ausnahme“-Fall von Endos Romanszene (oben Zeile 236ff und der Anhang!) – der übermenschlichen Freiheit, um der Liebe willen ‚vom Glauben abzufallen’, der Freiheit, um des/r anderen willen vom eigenen Selbst zu lassen: im Zutrauen, auch in diesem Akt das „Selbst“ zu bleiben, das ICH sein soll. Dieses Zutrauen gilt dem Gehaltenwerden im Identitätsbruch, dem Durchgang durch das Nichts, das Nichtmehr meines Selbst[27]. Solche Freiheit nennt die Bibel „Vollmacht“, wenn sie von Jesus den Eindruck des „Volkes“ bezeugt „er lehrte sie  mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mt 7, 28b.29), Theologen halt, „nichtengagierte Akademiker“ (nach Hollenweger, s.o. Zeile 234).

7.2.1.Darin steckt eine ‚Weltanschauung’ wie die, die Zeugen des Neuen Testaments schreiben lässt „ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (Kol 3,3) oder „ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Und Paul Gerhardts Osterlied nimmt die auf Leben und Tod gehende Dramatik auf: „Ich hang und bleib auch hangen, an Christus als ein Glied; wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit. Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll, ich bleib stets sein Gesell“ (EG 112, 6).

7.3.Diese existenzielle Überzeugung ist mehr denn Berufungs’bewusstsein’ – ist vielmehr ‚Leben’ aus dem Zuspruch der Berufung durch einen anderen, Ganz-Anderen[28]. Die Rede ist von der Berufung in die Gotteskindschaft durch die Taufe – und in erst in deren Gefolge auch der Berufung ins „Amt“ des/r DiakonIn, die jene in gleichsam ‚berufs’gebundener ‚Anwendung’ kirchenorganisatorisch bestätigt. Die Zulassung zur Einsegnung[29] erfolgt in Wahrnehmung der sog. Doppelqualifikation, die Einsegnung selbst markiert die Sendung, und das in der Hoffnung, dass in, mit und unter der Ausübung von beiderlei Kompetenzen das Evangelium sein heilsames Werk tut. – Zwei Erläuterungen erscheinen angebracht.

7.3.1.In der Rechtssprache des organisierten Kirchenwesens ist „Amt“ der Strukturbegriff, dem als Prozessbegriff „Dienst“ sachidentisch entspricht – es könnte also genau so gut von „Dienst“ wie von „Amt“ gesprochen werden[30]. Das ist durch die – formale! – Übernahme des staatlichen Beamtenrechts ins Pfarrerrecht breit belegt.

7.3.2.Vielleicht muss, Missverständnissen vorbeugend, explizit gesagt werden: jene Berufung ins „Amt“ spricht nicht der ‚Herr Bischof’ aus, sondern er waltet seines Amtes (indem  er die Urkunde unterschreibt und bisweilen auch persönlich die gottesdienstliche Zeremonie leitet) „an Christi Statt“ (2. Kor 5,20) – Er ist der Herr, der beruft.

7.4.Diese Berufung ist die Substanz des Berufsethos. Wie sollte aber eine/r dieser tragenden Substanz inne werden ohne ein Berufungs’bewusstsein’? Indes wächst Berufungsbewusstsein heran in der Sprachform nicht des theologischen Diskurses, sondern im Gebet[31] und im Eintauchen in die biblisch inspirierte Erzählgemeinschaft derer, die ihr ‚Leben’ heute im Horizont der Geschichte Gottes mit den Menschen führen[32]. Wächst heran in einem Leben ‚in Bezogenheit’ – zu den Anvertrauten, und auch zu dem, dem eine/r sich selber um der Lebensgewissheit willen in Beruf und Amt anvertraut (und ‚sich anvertrauen’ ist ein, weil auf gelebtes Leben sich beziehend, auch enttäuschungsbedrohter Lebensgestus – die sog. Klagepsalmen der Bibel geben Zeugnis davon). – Darin kann einem/r aufgehen, was Kierkegaard einmal auf die Formel brachte „Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit“[33] – eine Formel, die sowohl das moderne (zeitweilig von Habermas engagiert vorgetragene) Ideal ‚gelingenden Lebens’ auf dem Grunde selbstbewusster (Inter-)Subjektivität als auch die sog. postmoderne Vorstellung – etwa in Gestalt der „proteischen Vision“ vom „Subjekt als Oberflächengestalter“[34] – in ein kontrastierendes Gegenlicht stellt, in dem eine Zweite Naivität zum Vorschein kommen mag. Dem ist hier nicht mehr nachzugehen. Aber die Arbeit am „Berufsethos“ währt ohnehin ein DiakonInnen-Leben lang.

7.5.Mit dieser Überlegung schließt sich der Kreis zur Überschrift der Thesenreihe und deren Logik: Der seines Gesandtseins (Gal 4,4) bei der Taufe Vergewisserte („Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“; Mt 3,17) fragt die Gefährten um Zustimmung, und erfährt deren Bestätigung. So soll es wohl sein: Die in Berufung ‚vom Himmel her’ gegebene und gehaltene Identität nährt ‚auf Erden’ sich von der in frei gewählter Solidarität geschenkten Anerkennung.

 

8.Eine – nicht nur terminologische – Nachbemerkung scheint geboten. Gefragt war nach dem „Berufsethos von DiakonInnen“. Aber was ist eigentlich „Berufsethos“ ?

8.1.In den letzten 40 Jahren hat in der Diskussion, die von sozialberuflich und theologisch Lehrenden geführt wird, die berufstheoretische Kategorie der „Profession“ eine auffällige Konjunktur erfahren – inklusive nicht minder bemerkenswerter argumentativer ‚Kursverluste’ in jüngster Zeit. Diese ‚Konjunkturbewegungen’ hatten ihre je eigenen (kirchen-)politischen Kontexte.

8.1.1.Die Kategorie „Profession“ wurde schon in der gesellschaftsreformerischen Atmosphäre um 1970 öffentlich ‚eingesetzt’ – nicht ohne polemischen Ton. Sie sollte das als vergleichsweise mangelhaft eingeschätzte Fassungs- und Lösungsvermögen überkommener beruflicher Sichtweisen und Haltungen für die Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft anprangern. „Profession“ meinte das speziell (und darin erst überhaupt!) Berufskompetente, das förmlich (möglichst ‚wissenschaftlich’!) ausgebildete Vermögen zur Berufsausübung, das allem nur ‚handwerklich gewachsenen’ überlegen sei.[35]

8.1.2.Eine Zeit lang trat die Kategorie der „Profession“ den diskussionslenkenden Primat an die Kategorie „Kompetenz“ ab, lebte aber in den späteren 1990er Jahren wieder auf. Der Kontext dafür ist die Umgestaltung des – zuvor von Gesichtspunkten wirtschaftlicher Konkurrenz frei gehaltenen – Gesellschaftssektors der (quasi-)öffentlichen (incl. kirchlich-diakonischen) ‚sozialen’ Dienstleistungen nach Maßgaben der Marktkompatibilität: das Preis/Leistungs-Verhältnis muss vergleichbar sein, und durch Zertifizierungsnachweise soll die zahlende Kundschaft der Einhaltung von generellen Bedingungen der Vergleichbarkeit versichert werden.

8.1.2.1.‚Zertifizierung’ gehört als Terminus in den Bereich des Ideals „Sicherheit“, das die lebens- weil fehlerfreundlichere „Brüderlichkeit“ aus der programmatischen Trias der Französischen Revolution im Zuge des seitherigen Modernisierungsprozesses verdrängt hat[36]. Der historische Aufstieg von „Sicherheit“ zu einem der drei politischen master-codes der Moderne entspricht dem Zuwachs an Bedarf nach Ausschaltung von Kontingenz (d.h. alternativen Möglichkeiten) künftiger Ereignisse, der sich aus der zunehmenden Organisationsförmigkeit (d.h. Anschlussfähigkeit von Entscheidungen) der Gesellschaft ergibt[37]. – Dass „Sicherheit“ ein ‚lebens-fremder’, allenfalls technikaffiner Idealtypus ist, wusste bereits (diesseits der hier verwendeten high-sophisticated Terminologie) Jürgen Moltmann (s. oben These 6.2.3)[38]; ‚Leben’ heißt, existenzgefährdend und ‚sicherheits’-fern genug, ‚Balancieren’. Hans Magnus Enzensbergers ‚Hommage á Gödel’ ist ein sprechendes literarisches Beispiel[39].

Dementsprechend war „Profession“ in diesem neuerlichen ‚Begriffskonjunktur-Hoch’ indes weniger mit ‚Wissenschaftlichkeit’ und ‚Avantgarde’ konnotiert, sondern mit überprüfbarer ‚Standardisierung’ der beruflichen Leistungen. Das wirkte sich aus auf Ausbildungs- und Beschäftigungssysteme[40].

8.1.3.Zwar wird weiterhin – in berufsstandspolitischer Absicht – der Zug zur „Professionalisierung“ (z.B., aber auch nur „zum Beispiel“, der Sozialen Arbeit) in Fahrt gehalten[41]; in jüngster Zeit sind aber auch retardierende Faktoren festzustellen. Zum einen wird die Wendung zur „De-Professionalisierung“ in den Beschäftigungssystemen zumindest als relevantes Faktum nolens volens respektiert. Auf der Hand liegt, dass sich da die ‚Finanzkrise der Öffentlichen Hände’ ideologisch auswirkt, die die lebensdienliche Funktion ehrenamtlichen Engagements (aktualisiert: ‚Freiwilligendienste’) von „Tafel“-Bewegung bis „Grüne Damen“ öffentlich loben lässt. In dieser Wende verbirgt sich – diesseits aller quasi-marxistischen ‚Ableitung’ – noch etwas anderes: eine materiale Selbstkritik der „Professionalisierungs“-Propheten, eine gewisse Zurückhaltung bei dem konzeptionellen Unternehmen, die Kategorie „Profession“ für DiakonInnen zu reklamieren – und das aus zwei Gründen. Wahrgenommen wird, wie anfällig die Kategorie für die Dekomposition ihrer klassischen Fassung („old established professions“)[42] zu einem Aggregatbegriff von ‚Merkmalen’ im Kontext von TQM-Maßnahmen und für die Überformung durch Perspektivierung nach ökonomischen Interessen ist[43]. Und dass die Auffassung berufsausübungs-bestimmender Momente wie ‚Ganzheitlichkeit’ (im Wahrnehmen / Urteilen / Handeln) oder ‚Überzeugungstäterschaft’ als „soft skills“ von „Professionellen“ womöglich doch Ausdruck einer zu beschränkten Sichtweise ist.

8.2.Aus diesem Zusammenhang ergibt sich eine Tendenz zur argumentativen Reaktivierung der Kategorie „Dienst“, die hier verstärkt werden soll. Korreliert doch „Dienst“ dem „Amt“ in der Weise, dass „Dienst“ die individuell-personale Ausfüllung des „Amtes“ bezeichnet[44]. Zudem zeichnet sich ab: als zugleich diskussions-anschlussfähiger und lebenstüchtiger Begriffs-Rahmen zur Einordnung von „Berufsethos“ im Tun und Lassen von DiakonInnen scheint sich aus der Erörterung der nur vermeintlich kantenscharfen Kategorie „Profession“ allenfalls deren substantiviertes Adjektiv retten zu lassen – „Professionalität“ im Sinne „gekonnter Beruflichkeit“[45]. Das Adjektiv, das ggfs. der „Amts“-„Person“ zuzuordnen ist.

8.2.1.Ein Seitenblick auf die Studie „Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft“[46] zeigt die entsprechende Logik: Zwar greift die Studie berufstheoretisch auf die Kategorie „Profession“ zurück[47]. Dieser Rückgriff hat freilich eher argumentationsstrategisch zu nennende Funktion: er soll dartun, dass – auch pfarrdienstrechtlich gestützte – Amtszumutungen an die Person des/r Amtsträgers/in in Ansehung des Horizonts der Gesellschaft kein solitäres Relikt sind (das zu „Weg mit…“-Protesten animieren könnte), sondern auch außerhalb der Kirchenorganisation typisch für bestimmte Berufe sind. Aber die argumentative Achse ist nicht „Profession“, sondern „Amt“. „Was mit dem Amt eines Pfarrers gegeben und gefordert ist“, formuliert maßgeblich der sog. Ordinationsvorhalt, in dem es am Ende resumierend heißt „Sie werden nicht immer ihre Aufgaben erfüllen können; aber Sie werden Vertrauen finden, wenn ihr Dienst in Kirche und Gemeinde und Ihr Leben einander entsprechen“.[48]

8.2.2.An diesem entscheidenden Satz in der PfarrerInnen-Berufungs-Liturgie ist mehreres im hier beschäftigenden Zusammenhang bemerkenswert.

  • Nicht nur, dass er für den liturgischen Vortrag einem „Gemeindeglied“ zugewiesen ist[49]!

  • Er spricht – erstaunlich genug für eine (kirchen-)rechtsverbindliche Aussage über Berufsaufgaben! – nüchtern vom „nicht immer[…]können“. Damit wird in die förmliche „Berufung“, allen Perfektions-Visionen vom Total Quality Management abhold, eine Lizenzierung für Kontingenzen in der Berufsausübung (‚kann sein, kann aber auch nicht…’, aus welchem Grund auch immer!) eingeflochten.

  • Das „aber Sie werden[…]finden“ überbrückt das missing link (das ohne jene ‚Brücke’ die Verlässlichkeit des – auch beruflichen – kommunikativen Kontinuums demolieren würde!) – und zwar durch „Vertrauen“.

  • Solches „Vertrauen“ ist freilich konstitutiv kein ‚Systemvertrauen’[50], sondern kann kommunikativ nur hervorgerufen, katalytisch ‚geweckt’ werden durch eine „Person“, die ein Entsprechungsverhältnis zwischen „Dienst“ und „Leben“ verkörpert.

8.3.Eben ein vertrauenerweckendes „Berufsethos“ – und ‚das geht nicht’ ohne ein auch für die Klientel (sollte es nicht hier heißen ‚Anvertrauten’…?) wahrnehmbares „Leben“ mit dem und in dem „Amt“, ja bisweilen trotzdessen. Das „Amt“, das DiakonInnen übernehmen, ist wie das aller Christenmenschen die „diakonía täs katallagäs’[51] – ein „Dienst“ umwillen der Multiplikation oder Wiederentdeckung[52] von Erfahrungen des Lebens aus der Kraft des Einvernehmens, das Gott im Himmel „auf Erden“ den „Menschen seines Wohlgefallens“ gewährt (Lk 2,14). Sie üben es in besonderer Weise „berufs“förmig aus. Das ihnen durch die Vertretung der Gemeinde zugesagte Vertrauen ist die menschliche Grundlage ihres „Dienstes“, in dem die in der Taufe schon zum Allgemeinen Priestertum Berufenen[53] mit denen, die nun sie durch „ordentliche Berufung“ zu einem ‚besonderen’ „Amt“ mandatieren, vorgängig verbunden sind. Bei Ausfüllung ihres „Amts“ und darumwillen werden sie einen beruflichen „Habitus“[54] ausprägen – den als Ausdruck einer internalisierten „Professionsethik“ zu deklarieren, erscheint nach dem Bisherigen aus begrifflichen Gründen weniger ratsam, freilich auch unschädlich. Dessen Entwicklung und aktive Ausarbeitung indes en détail vorzuzeichnen, ist hier – nicht nur ‚aus Platzgründen’! – nicht vorgesehen. Wäre das doch nicht nur unangebracht, sondern geradezu „unprofessionell“…

 

 

 

Anhang (zu These 6.2.2.)

 

„Während einer Christenverfolgung in Japan wurde ein Priester aufgefordert, seinem christlichen Glauben abzuschwören [sc. und zum Zeichen dessen ein Christusbild mit Füßen zu treten; FS]. Seine Peiniger versprachen ihm, dass sie, wenn er abschwöre, den gefangenen Christen, den Gemeindemitgliedern des Priesters, die Freiheit schenken und die grausame Folter einstellen würden. Ein Freund des Priesters, der bereits abgeschworen hatte, versuchte diesen zum gleichen Schritt zu bewegen. Er sagte zu ihm: ‚Aber du selbst bist dir wohl wichtiger als jene gefolterten Bauern. Zumindest insofern, als dir am meisten an deiner eigenen Erlösung liegt. [...] Denn es ist entsetzlich für dich, ihretwillen die Kirche zu verraten.’” Und am Ende dieses existentiell anrührenden, ja angreifenden Gespräches heißt es: „Der Priester hebt den Fuß. Sollte er ihn, wie es die Abschwörungsformel verlangt, auf das Christusbild am Boden setzen? Sollte er auf das treten, was er in seinem Leben für das Schönste gehalten und an das er als an das Reinste geglaubt hatte, auf das, was alle Träume und Ideale der Menschen erfüllt? Wie dieser Fuß schmerzte! ‚Tritt nur auf mich!’ sagt da der Christus, der auf der Kupferplatte am Boden abgebildet war. ‚Tritt nur auf mich! Ich selbst kenne am besten die Schmerzen deiner Füße. Tritt nur! Um von euch getreten zu werden, wurde ich in diese Welt geboren – um eure Schmerzen zu teilen, nahm ich das Kreuz auf die Schultern.’ Als der Priester den Fuß auf das Tretbild setzt, kommt der Morgen. Ein Hahn kräht in der Ferne.

Diese Geschichte fragt uns: Ist es möglich, seinen Glauben an Christus aus Liebe zu diesem Christus aufzugeben? Sie vermutet, daß das, was wir Standhaftigkeit nennen, manchmal nur eine Form von Rechthaberei vor Gott und Menschen ist oder ein Kampf für Kirche und Mission. Sie macht radikal ernst mit der Einsicht Luthers, auf die der japanische Theologe sich ausdrücklich beruft, dass unser Heil nicht von unserem Rennen und Laufen, nicht von unserer Redlichkeit und Unredlichkeit, nicht von dem, was wir von Gott glauben oder nicht glauben, sondern allein von Gottes Freundschaft abhängt. Eine Geschichte, die uns zum Nachdenken zwingt. Dürfen wir denn Gott so vertrauen, wie der Japaner uns dazu auffordert? Ich glaube ja, wir dürfen es. Und doch bin ich nicht so sicher, wie der japanische Theologe, dass die Nachgiebigkeit des Priesters immer im Interesse der geplagten und eingesperrten armen Bauern ist.[...] Nicht wegen uns, nicht wegen Kirche und Theologie, sondern wegen der armen Bauern kann es nötig sein, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Das ist das Dilemma des Dialogs. Darum verwundet der Dialog den Standhaften und den Nachgiebigen. Die Tatsache, dass der Dialog verwundet, dass er weh tut, weil er ins Herz unserer Glaubensüberzeugungen greift, ist gewiß kein Kriterium dafür, dass wir nicht irren. Viele haben gelitten und geirrt. Aber die umgekehrte Aussage darf doch wohl gewagt werden. Wo der Dialog[...]ernsthaft geführt wird, ist mit Verwundungen zu rechnen. ‚Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen’. (Luk. 6,21)”[55]

 

 


[1] Eilert Herms, Was heißt „theologische Kompetenz“? (zuerst: WzM 30, 1978, 253-265), zitiert nach: ders., Theorie für die Praxis – Beiträge zur Theologie, München 1982, 48. Vgl. zur Wirkungsgeschichte: „Grundsätze für die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen der Gliedkirchen des EKD“ (1988) in: Grundlagen der theologischen Ausbildung und Fortbildung im Gespräch […] im Auftrag der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums hrsg. von Werner Hassiepen und Eilert Herms, Stuttgart 1993, 13-80.

[2] Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft – eine Studie der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, hrsg. vom Landeskirchenamt Kassel, Kassel 2004, 44.

[3] Thomas Zippert, Das Diakonenamt in einer Kirche wachsender Ungleichheit. Neubegründung seiner „Normalität“ neben Pfarramt und Lehramt, in: PTh 96, 2007, 291-309, hier 307f.

[4] Vgl. VEDD-Impuls III/2004, bes. 8f; VEDD-Impuls I/2008, bes. 21-28

[5] Vgl. Veit Straßner, Die Arbeiterpriester: Geschichte und Entwicklungstendenzen einer in Vergessenheit geratenen Bewegung (http://www.con-spiration.de/herwartz/texte/arge.html; Abruf: 08.03.2012 14:43)

[6] Hier unberücksichtigt bleibt eine kriegsumstandsbedingte zeitweilige Variante des „Arbeiterpriestertums“: im Auftrag der französischen Bischöfe taten ‚undercover’-Priester Dienst in den Zwangsarbeitslagern der deutschen Kriegsindustrie, wo französische Geistliche zur Seelsorge nicht zugelassen waren. Indes verdient Erwähnung, dass die Einsicht in die Erforderlichkeit des oben genannten „Medium[s]…Solidarität“ gerade unter diesen extraordinären Umständen erst erwachsen ist. Vgl. besonders (und zugleich als bekanntestes Selbstzeugnis) Henri Perrin, Tagebuch eines Arbeiterpriesters. Aufzeichnungen von Henri Perrin 1943/44, München 21956.

[7] Straßner [oben Anm. 5], 6.

[8] Straßner [oben Anm. 5], 7.

[9] vgl. auszugsweises Zitat bei Straßner [oben Anm. 5], 9.

[10] Straßner [oben Anm. 5] ebd.

[11] Im Blick auf die ‚historischen’ ‚Arbeiterpriester’ ist dieser Terminus natürlich hochstaplerisch: die haben sich – zeittypisch – als „Ungelernte“ einstellen lassen (und dass im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung die Beschäftigungschancen für „Ungelernte“ zurückgegangen sind, hat ein Wieder-Aufkommen der ‚Arbeiterpriesterbewegung’ nach der neuen Lizenzierung durch das Zweite Vatikanische Konzil ausgebremst). Der Terminus wäre einschlägig eher für einen anderen historischen Typus aus römisch-katholischem Kontext: die Jesuiten. Die Jesuiten (Ordensgründung 1540) zeichnen sich unter den römisch-katholischen Orden durch eine programmatische ‚Weltzugewandtheit’ aus, die sich bei den – vorzugsweise – wissenschaftlich vorgebildeten Ordenszugehörigen in einer (neben selbstverständlicher theologischer Ausbildung!) Berufstätigkeit aufgrund nicht-theologischer Qualifikationen ausdrückt.

[12] vgl. etwa § 3 Absatz 1 Nr. 1 und 2 Diakonengesetz der EKKW

[13] „Leib“ hier in dem weiten theologischen Sinne verstanden, den Ernst Käsemann im Sprachgebrauch des Paulus erkennt: „Leiblichkeit ist im weitesten Sinne der Stand in Kommunikation, konkreter: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Welt und den in ihr herrschenden Mächten“ (ders,. Leiblichkeit bei Paulus [1985], zitiert nach: ders., In der Nachfolge des gekreuzigten Nazareners. Aufsätze und Vorträge aus dem Nachlass, Tübingen 2005, 36-49, hier 43). – Zippert [s.o. Anm. 3] präzisiert – im Kontext seines konzeptionellen Plädoyers für die Auffassung des „Diakonenamt[s] als Amt der Re-Integration“ (ebd. 297): „Es sind prinzipiell alle diejenigen Berufe geeignet, die kompetent mit leiblichen, seelischen, geistlichen, finanziellen und anderen sozialen, kulturellen und politischen Ungleichheiten als Ausgrenzungs- und Ausschlussgründen im Rahmen von Gemeinde (re-)integrativ bzw. inkludierend umgehen können“ (ebd.299f – Kursivierung aufgehoben)

[14] Es lässt sich zugespitzt sagen: Diese Umkehrung der inhaltlichen Zuordnung im Ausnahme/Regel-Schema galt ‚schon immer’ – die Unsachgemäßheit der bislang vorherrschenden Praxis der ‚innerkirchlichen’ Beschäftigung von DiakonInnen konnte indes erst nach dem historisch zerdehnten Enden des alteuropäischen corpus Christianum (letzter Schritt von historischem Rang: das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments) und dessen Auseinandertreten in ein plurales Gefüge von gegeneinander selbständigen gesellschaftlichen Organisationseinheiten recht offenkundig werden. – Zu historischen Details vgl. Gottfried Buttler, Art. Kirchliche Berufe, in: TRE Bd. 19, 191-213, bes. 201-203.

[15] „Anschlussfähigkeit“: Der hier zunächst wissenschaftssprachlich verwandte Ausdruck gewinnt einen theologischen Tiefensinn durch den Hinweis aufs „Ich bin nackt gewesen, und ihr…“ des ‚Weltenrichters’ (Mt 25, 35f.42f) – diese „Anschlussfähigkeit“ ist zugleich ‚Hilferuf’ und dessen Erhörung..

[16] Zum begrifflichen Hintergrund immer noch hilfreich die Differenzierung von ‚I / Me / Self’ durch George Herbert Mead (vgl. ders., Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus [engl. Mind, Self and Society, Chicago 1934], Frankfurt 1968; die deutsche Übersetzung [schon des Titels] ist partiell irreführend).

[17] Diese Argumentenkonstellation bildet übrigens die Legitimation von Einrichtungen wie einer Evangelischen Fachhochschule. Deren Existenz und für die Trägerkirchen aufwändiger Betrieb wurzelt in der kirchenleitenden Überzeugung: Dass im präzisen Sinne evangelisch gebildete Fachleute an den Orten des gesellschaftlichen Lebens tätig sein können, ist ein wichtiger Dienst zum Wohl aller Menschen, den ‚die Kirche’ sich auch etwas kosten lassen darf. Das bedeutet schließlich auch: Einrichtungen wie Evangelische Fachhochschulen sollen Ausbildungs-AbsolventInnen gar nicht in erster Linie für den Dienst bei kirchlichen oder kirchennahen AnstellungsträgerInnen ‚produzieren’ wollen.

[18] Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicherTheologie, München 1972.

[19] Moltmann aaO [Anm. 18], 12 (weitere Belege daraus im obigen Text in […]). Auf der Hand liegt, dass der Begriff „Identität“ hier nicht in erster Linie die sozialpsychologisch begriffene Einheit einer „Person“ bezeichnet, sondern zunächst die in sprachlichen Symbolen deponierte Einheit des kollektiven Selbstbewusstseins einer Überzeugungsgemeinschaft, der „Christen“.

[20] das dem „Ausgleich[…]von Ungleichheit bzw. Not [sc. dient], und zwar so und insoweit, dass Kommunikation über das, was unser Leben trägt und ihm Sinn und Ziel gibt, wieder möglich wird“ (Zippert aaO. [oben Anm. 3], 298).

[21] Walter J. Hollenweger, Interkulturelle Theologie (Bd. 1: Erfahrungen der Leibhaftigkeit, München 1979; Bd. 2: Umgang mit Mythen, München 1982; Bd. 3: Geist und Materie, München 1988.

[22] Hollenweger aaO. [Anm. 21] Bd. 3:, 266f.

[23] Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München/Leipzig 21934, 22 – ebd. zitiert Schmitt Kierkegaards Sätze „…es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht erklären, so kann man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich merkt man die Schwierigkeit nicht, weil man das Allgemeine nicht einmal mit Leidenschaft, sondern mit einer bequemen Oberflächlichkeit denkt. Die Ausnahme dagegen denkt das Allgemeine mit energischer Leidenschaft.“

[24] Das ist der sachliche Kern der legendarischen Erzählung nicht nur von Luthers Tintenfass-Wurf auf den „Teufel“ – um derlei ‚Anfechtung’ beizukommen, habe er mit Kreide vor sich auf den Tisch geschrieben „baptizatus sum“ (deutsch: ich bin getauft) und es - sich selber zum Trost – in den psychosomatisch bedrängenden Krisen seines Lebens vorgelesen. -

[25] Zur Bedeutung von „Anerkennung“ in diesem Zusammenhang vgl. Vor Gott in Freiheit leben – Vom Profil des Protestantismus und vom Wesen des Christentums. Ausarbeitung der Theologischen Kammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel 2009, bes. 8-13 (als Manuskript gedruckt); leicht zugänglich unter: http://www.ekkw.de/media_ekkw/downloads/ekkw_texte_vor_gott_in_freiheit_leben.pdf.

[26] Die Taufe ist Grundlage jeder „Berufung“ in ein „Amt“, die in jedem besonderen Fall nichts anderes ist denn die Bestätigung jener ursprünglichen Berufung. So schon 1520 Martin Luther: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, daß es schon zum Priester, Bischof und Papst geweihet sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben“ (ders, An den christlichen Adel Deutscher Nation. Von des christlichen Standes Besserung, zitiert nach: ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Frankfurt 1982, hier: Bd. 1, 156f).

[27] Um dieser Grenzerfahrung willen und um sie konzeptionell ‚einzuholen’, empfiehlt Manfred Josuttis der Pastoralpsychologie, sich vom Paradigma „Identität“ auf des Paradigma „Konversion“ umzustellen (vgl. z.B. Manfred Josuttis, Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge, Gütersloh 2000, passim u. bes. 72-77). „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s erhalten“ (Lk 9,24).

[28] deswegen ‚musste’ Luther (s.o. Anm. 23) wenigstens hilfsweise die Kreideschrift sich gegenüber auf dem Tisch lesen können…

[29] In der EKKW gilt die Auffassung: „Pfarrer und Pfarrerinnen werden ordiniert, Prädikanten und Prädikantinnen sowie Lektoren und Lektorinnen werden eingeführt, Diakonissen, Diakoninnen und Diakone werden eingesegnet, Religionslehrer und –lehrerinnen erhalten eine vocatio. Die Verschiedenheit dieser Bezeichnungen drückt keine Stufung der Würde des jeweiligen Amtes aus, sondern spiegelt die Unterschiedlichkeit der Ämter. Im Blick auf das gemeinsame Amt der Bezeugung des Evangeliums (CA V) sind die einen wie die anderen rite vocatus (im Sinne von CA XIV).“ (Die Bezeugung des Evangeliums und die vielen kirchlichen Ämter. Überlegungen zum Verständnis von Amt und Ordination in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Theologische Kammer der EKKW, Kassel 2003 [leicht zugänglich unter: http://www.ekkw.de/media_ekkw/downloads/ekkw_bezeugung_evangelium.pdf], 7f)

[30] Die maßgebliche neutestamentliche Aussage lautet „…alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns selbst das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt“ – im Griechischen heißt der Schluss „diakonìa täs katallagäs“. Die Pfarramtsstudie der EKKW (s.o. Anm. 2) schreibt hierzu mit Recht: „Luthers Bibelübersetzung fixiert (bis in die Revision von 1984 hinein) mit dem Wort ‚Amt’ in 2. Kor 5,18 einen Sprachgebrauch, der im 16. Jahrhundert den biblischen Sinn präzise traf, inzwischen aber im Prozess der modernen Gesellschaft historisch zurückgeblieben ist. Heutzutage fallen einem beim Wort ‚Amt’ ein: Bürokratie, berechtigte oder angemaßte Machtansprüche, formale Zuständigkeit für verbindliche Entscheidungen, öffentliche Reputation auch unabhängig vom individuellen Charakter u.ä. Diese Assoziationen sind nicht unberechtigt, sollten aber hier hintan stehen.

Der auf Luther bezogene theologische Wortgebrauch nimmt den biblischen Gehalt des Wortes ‚diakonia’ auf: Beauftragung mit dem Dienst an Menschen im Horizont des ‚ewigen Heils’. Mit einem Dienst, der die Gewissheit verbreiten und vertiefen soll: in Christus hat Gott die Beziehungen der Menschen zu ihm und zu einander von Grund auf verwandelt, so dass es wieder heißen kann wie im Moment der Vollendung der Schöpfung ‚Siehe da – sehr gut!’

Dieser Dienst kann mit Worten und Taten geschehen, und er entfaltet sich so vielfältig, wie das Leben selber ist und die Angewiesenheit von Menschen auf stellvertretendes Tun anderer. Das reicht vom Eltern- und Paten’amt’ über die modernen beruflichen Differenzierungen in den Bereichen des Lehrens, Heilens, Herstellens usw. bis zum Engagement für die Ordnung des politischen Gemeinwesens. In diesem Sinne üben Christenmenschen ihr ‚Amt’ aus, und dies nicht nur innerhalb, sondern mehr noch außerhalb der sichtbaren Kirche.“ (aaO. 23f)

[31] Das kann im Rahmen dieser Thesen nicht mehr vertieft behandelt werden; dazu wären weitläufigere fundamentaltheologische Ausführungen nötig. Nur einige Hinweise seien gegeben: Walter Bernet (ders., Gebet, Stuttgart 1970 – ein zu Unrecht kaum rezipiertes Werk) schreibt dem Gebet als dritte von drei „Funktionen“ („die höchste unter ihnen“ [1.Kor 13,13)]?) das Vermögen des „Situierens“ zu (ebd. 143-152), das den Betenden („Schweigen und Staunen“; ebd. 151f) inmitten der Vielfalt seiner Lebens-Erfahrungen dem „Geheimnis“ seines endlichen Da-Seins aussetzt. – Bernets zeitgenössischer Kontrahent Ernst Lange kritisierte daran theologischen ‚Etikettenschwindel’ eines „philosophischen Glaubens“ (ebd. 157) an über-empirische Grundlagen von ‚Lebens-Erfahrung’. Anderthalb Generationen später kann Kritik daran einen solchen Lebens-Ausdruck als Nutzung von „Anerkennung und Verwendung einer transzendenten Instanz“ ‚decodieren’ – so Reiner Merz (Diakonische Professionalität. Oder: wie der christliche Glaube im beruflichen Hilfehandeln konstruktiv sein kann; in: Ralf Hoburg [Hg.], Theologie der helfenden Berufe, Stuttgart 2008, 71-86, hier:77), der narrative Interviews mit DiakonInnen zu deren beruflichem Selbstverständnis sekundär-interpretiert, im Horizont einer konstruktivistischen Lesart der soziologischen Systemtheorie Luhmanns.

Dass die hier vorgetragenen Thesen demgegenüber einen dritten Weg einzuschlagen suchen, sollte deutlich geworden sein.

[32] Vgl. etwa Peter Bukowski, Die Bibel ins Gespräch bringen. Erwägungen zu einer Grundfrage der Seelsorge, Neukirchen-Vluyn 1994.

[33] in: Sören Kierkegaard, Vier erbauliche Reden 1844. Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten 1845, (dt. v. E. Hirsch) Düsseldorf/Köln 1964, 5-34.

[34] In diesem Sinne zitiert Heiner Keupp, Identitäten in der Ambivalenz der postmodernen Gesellschaft, 21f (http://www.ipp-muenchen.de/texte/identitaeten.pdf ; Abruf: 21. März 2012, 13:17 h), David Bosshart (1995) „Ich setze nicht mehr auf einen persönlichen ‚Kern’ und suche ihn, sondern ich trainiere mir die Fähigkeit an, mich nicht mehr definitiv auf etwas festzulegen“. Zwar setzt sich Keupp – „Identität könnte man als erzählende Antworten auf die Frage ‚Wer bin ich?’ verstehen“ (ebd. 21) – kritisch ab; gleichwohl terminiert seine Liste von „Kompetenzen zur Lebensbewältigung[…]in der postmodernen Gesellschaft“ (ebd., 25-31) in der „Wertepriorität ‚Förderung des Möglichkeitssinns’“ (ebd. 31) – ein Begriff, den er zustimmend Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ entlehnt. (Zu dieser Musil-Lesart freilich kritisch Frithard Scholz, Freiheit als Indifferenz. Alteuropäische Probleme mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns, Frankfurt 1982; bes. Leben im Konjunktiv oder: Über die Schwierigkeit ich zu sagen [aaO, 235-262])

[35] Das war die Ara – nicht nur der Erfindung der ‚Gesamtschulen’ in SPD-dominierten Bundesländern, sondern auch – der Gründung von „Fachhochschulen für XY“, die die Fachschulen und Höheren Fachschulen ablösen sollten. Die dafür sprechenden auch guten Gründe sollen nicht vergessen gemacht werden durch den obigen Hinweis auf die polemische Schematisierung der öffentlichen Rhetorik, die geeignet war, entsprechende politische Mehrheiten zu organisieren.

[36] So Peter Brückner, Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Frankfurt 1966.

[37] Vgl. hierzu grundlegend und weiterführend Franz-Xaver Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, Stuttgart 1970 und Horst Folkers, Verabschiedete Vergangenheit – zur unaufhörlichen Selbstdeutung der Moderne (in: Dirk Baecker u.a. (Hgg.), Theorie als Passion – Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag, Frankfurt 1987, 46-83), der die Moderne bestimmt sieht von drei „welthistorischen Entscheidungen[…]zugunsten des Industrialismus, des Individualismus, des Sekurismus“ (ebd. 52).

[38] Im Kontext der Debatte ums Selbstverständnis des Diakonat hat Rainer Merz (Paradoxien professionellen diakonischen Handelns [in: Rainer Merz / Ulrich Schindler / Heinz Schmidt (Hgg.), Dienst und Profession – Diakoninnen und Diakone zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Heidelberg 2008, 112-133] die Problem aufgenommen. Er wirbt (nicht in allem bündig) in Aufnahme einer luhmannschen Grundkonzeption dafür, die Unlösbarkeit des Problems als berufskonstitutiv auszuhalten.

[40] Der typische Fall fürs (bislang nur) akademische Ausbildungssystem ist die Einführung der ‚Leitwährung’ ECTS im sog. Bologna-Prozess – und für die Beschäftigungssysteme sind es die Normen-Codes der diversen QM-Verfahren.

[41] Vgl. dazu zuletzt Martin Horstmann, Professionalisierungsstrategien des Diakonenberufs, in: Rainer Merz u.a. (Hgg.), aaO. (s.o. Anm 38) 140-156.

[42] Knapp bei  Rudolf Stichweh, Professionalisierung, Ausdifferenzierung von Funktionssystemen, Inklusion [1992], in: ders.; Wissenschaft, Universität, Professionen: Soziologische Analysen, Frankfurt 1994, 362-378, bes. 362-368 (erwähnt sei S.s ebenso beiläufig geäußerter wie grundsätzlicher Zweifel an der Professionalisierbarkeit Sozialer Arbeit ebd. 369).

[43] Vgl. Horst Folkers aaO. (s.o. Anm 38): Im „Industrialismus, [dem] ‚Fleißsystem’, [wird] „’Arbeit’ […] zum Ehrentitel. dessen sich auch im Dienstleistungsbereich Tätige, ja sogar Künstler bedienen“ (ebd. 53) und „[d]ie kuriosesten Beispiele lassen sich heute dort feststellen, wo archaischen Formen menschlichen Tuns, wie z.B. Heilen, Beten und Darstellen, von Arbeit, wenigstens ihrer Bezeichnung nach, ergriffen werden, und zur ‚Arbeit mit dem Patienten’, zur ’Bibelarbeit’ oder zur ‚Arbeit am Körper’ verkümmern“ (ebd. 77f Anm. 10).

[44] s.o. Anm. 30.

[45] soweit in Zustimmung zu Horstmann aaO (Anm. 41), 145 (dort in Aufnahme einer Formulierung von Bernd Dewe).

[46] s.oben Anmm. 2 und 30.

[47] wie sie Isolde Karle (Der Pfarrberuf als Profession – eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Gütersloh 2001) im Anschluss an Rudolf Stichweh in die pastoraltheologische Diskussion eingeführt hat

[48] Agende für die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, II, Kassel 1975, 14.

[49] So und nur so aber bildet das Ritual die – oben in These 7.5 dargetane – elementare Korrespondenz von Berufung und Anerkennung ab.

[50] Dessen Lebensnotwendigkeit hier nicht im entferntesten bestritten werden soll! So im Sinne von Niklas Luhmann, Vertrauen – ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 1968.

[51] s.oben Anm. 30.

[52] Vgl. Zipperts Plädoyer für die Konzeption des Diakonat als „Amts der Re-Integration“ (aaO [s. oben Anm. 3], 296 u.ö.)

[53] s. oben Anm. 26.

[54] vgl. etwa „Grundsätze für die Ausbildung…“ (s. oben Anm. 1), 24f – hier indes, da im Kontext der dort gepflegten spezifischen „Kompetenz“-Terminologie mit etwas anderem ‚Zungenschlag’.

[55] Hollenweger aaO. [Anm. 17], Bd. 3, 267-269.