Seit Papst Johannes' XXIII. Motiv des "aggiornamento" das Zweite Vatikanische Konzil der römisch-katholischen Kirche ausgerichtet hat, ist "Zeitgemäßheit" der Verkörperungen der "Kommunikation des Evangeiums" zum maßgeblichen Kriterium der Richtigkeit auch der "Kirche" aufgestiegen. Unter dem Aufwachsen nachfolgender Generationen ist die Frage lauter geworden, ob nicht das "Evangelium" fürs Leben von Menschen in der Welt noch eine andere Botschaft habe.

Die sozial-empirischen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD haben seit den 1970er Jahren den Eindruck vom "Pfarrer" als "Schlüsselberuf" geprägt. Wenn überhaupt, wird sich die Ahnung eines "Anderen" daran bewähren müssen.

IIn diesem Sinne der Eintritt des Bücherhamsters in den Disput, einen speziellen - siehe unten.

 

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Nicht von dieser Welt - oder: Das Pfarrhaus als "Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt"

 

  1.  

Zum Ende seines Deutschlandbesuchs 2011 hat Papst Benedikt XVI. in seiner „Freiburger Rede“ vor engagierten Katholiken seiner Kirche ans Herz gelegt, „sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen“[1]. Das hat mannigfache öffentliche Resonanz gefunden – von beherzter Zustimmung (derer, denen die ganze aggiornamento-Zeitgeistigkeit auch Roms schon lange nicht passte) über ungläubiges Erstaunen bis zu bestenfalls wohlwollendem Kopfschütteln, nicht zuletzt von protestantischer Seite[2].

Der Amts-Nachfolger Benedikts XVI., der nach seiner überraschenden Wahl 2013 den Namen des „Poverello“ sich beilegte, eröffnete am 5.10.2014 in Rom eine Weltsynode der Bischöfe, die sich in Sachen ‚Familie und Ehe‘ der Wahrnehmung von Realitäten stellen soll, wie sie über die Ränder der römisch-integralen Morallehre hinaus oder an ihnen vorbei gewachsen und gewuchert sind. (Dass das am 19.10.2014 abgestimmte ‚Abschlussdokument‘ in etlichen Punkten weiter gehende Hoffnungen auf eine Öffnung der römischen Pastoral nicht erfüllt, wird – so darf vermutet werden – die ‚Wende zur Wahrnehmung‘ des gelebten Lebens nicht umkehren.)

Im September 2014 fand in Berlin der „XV. Europäische Kongress für Theologie“ statt. Der Hörer unrepräsentativ ausgewählter Vorträge konnte ein stillschweigendes Paradigma sachgemäßer und zeitgerechter Theologie mitschwingen hören: Pluralismusfähigkeit.

Schon im Mai 2014 trägt im Rahmen der Tagung der Luther-Gesellschaft „Pfarrer und Pfarrhaus. Geschichte und Gegenwart“ Martin Hein – sichtlich als Leitender Geistlicher dort als Referent gebeten – über „Die Zukunft des Pfarrberufs und des Pfarrhauses“[3] vor. Der Vortrag zeichnet sich aus durch eine breite, vorderhand von normativen Präsuppositionen unbehelligte, Wahrnehmung der faktischen Multiversität des Lebens im Pfarrhaus, die aus dem Munde kirchenleitender Autoritäten bislang ungewohnt war.

Angekommen in der „Postmoderne“? In respektabler Gesellschaft – aber trotzdem: Wo ist man da angekommen, zeitgenössisch wie das klingt? Mag sein: die Schablone „Postmoderne“ befeiert Oberflächenphänomene und normiert deren Unhinterfragbarkeit im Sprachspiel einer „rhetorisch gestellten Frage“ [4] – jede Mühe, „was dahinter steckt“[5] zu entdecken, muss hier spielverderberisch wirken. Sei’s drum. Eine Art Korreferat – was immer daraus wird.

 

  1.  

Es soll ums Pfarrhaus gehen. Also auch um Geld, aber nicht nur. Martin Hein beginnt: „Die Veränderungen, die der Pfarrberuf durchläuft, spiegeln sich inzwischen auch in der Haltung gegenüber dem Wohnen im Pfarrhaus – […] zunehmend als eine der Zumutungen empfunden[…] Andererseits stellt die Bereitstellung von Pfarrhäusern für die Landeskirchen eine erhebliche finanzielle Herausforderung dar[…]“ (115)[6]. Und das in Zeiten strategischen Rückbaus in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands! So ist den synodalen Beschlussgremien immer schwerer nahezulegen, nicht geringe Ausgaben vorzusehen für die Pflege einer ‚Institution‘, von der zweifelhaft scheint, ob sie überhaupt noch ‚in die Zeit passt‘[7]: ob ‚die Gemeinden‘ deren Erhalt weiterhin ‚brauchen‘ (oder zu ‚brauchen‘ behaupten), und nicht zuletzt, ob die zum ‚Dienst‘ dort bzw. von dort aus verpflichteten gegenwärtigen (bzw., soweit erkennbar: künftigen – Häuser pflegen ihre Bewohnerschaft zu überdauern) PfarrerInnen diese zweischneidige overprotection überhaupt noch akzeptieren. Insofern ist Heins Unternehmen, die „Zukunft des Pfarrberufs“ im Ausgang von einer Art ‚Rechtstatsachenforschung‘ in der ‚Spiegelung‘ durchs Pfarrhaus zu skizzieren, eine – nicht nur pfarrdienstrechtlich – vielversprechende hermeneutische Innovation.

Der Vortrag präsentiert zunächst eine Taxonomie von „Pfarrhäusern im Plural“ (115), die auch auf die Aushöhlung des Merkmals „Einheit von Leben und Arbeiten“ (117) durch die inzwischen verbreitete räumliche Differenzierung von Pfarrhaus und ‚Gemeindebüro‘ zu sprechen kommt. Wer die Verhältnisse kennt, wird kaum widersprechen mögen. Die sine ira et studio gebotene Beschreibung gibt den Ton vor auch für das Weitere. Hein müht sich um eine wertungsneutrale Spreche – worum es ihm geht, soll ja nicht dekadenztheoretisch inspiriert einherkommen, sondern anschlussfähig an die gerade auch außerhalb der Kirchenorganisation gelebte Zeitgenossenschaft. Offenkundig haben ‚sich die Dinge geändert‘, in einem Ausmaß, das womöglich auf Nachregulierung normativer Erwartungen führen muss, werweiß: Zur einstmaligen Pfarrer-Ikone des ‚Gelehrten im Studierzimmer‘ gibt es kaum noch reale Verkörperungen (118); und auch die Pfarrerehe ist nicht mehr, was sie früher war oder wenigstens hatte sein sollen, seit akademisch gebildete und (gar außerkirchlich) berufstätige EhepartnerInnen, männliche Pfarrfrauen, gar Eingetragen-Verpartnerte in den Pfarrhäusern leben (118).

Aber natürlich geht es nicht weiter ohne kontrafaktische Annahmen: „[W]ie kann[…]ein neues Pfarrhausideal aussehen? Und in welchem Verhältnis steht es zur Berufsauffassung der Stelleninhaber? […] Da ist uns mit der Aufarbeitung empirischer Untersuchungen nicht geholfen.“ (118) Beides – „Pfarrhausideal“ wie „Berufsauffassung“ – sind Begriffsfiguren mit dem logischen Status einer regulativen Idee[8] im Sinne Kants: ohne unmittelbaren Bezug zur Welt der empirischen ‚Objekte‘ und ‚Subjekte‘ – den herzustellen bedarf es konstitutiver Kategorien wie Pfarrerdienstrecht und Ordinationsprotokoll, und zu deren wirksamem Zustandekommen vorgängiger lebensweltlicher Diskurse in der wirklichen Kirche bzw. des mutuum colloquium fratrum et sororum. Bedarf ganz und gar unkontrollierbarer Bildungsprozesse, in die dort wie hier bischöflich nur vorschlagsweise mit freibleibender Wirkung interveniert werden kann.

In diesem Sinne propagiert Hein beispielsweise: „das Pfarrhaus[als] auf jeden Fall ein Ort zeitgemäßer Intellektualität“ (118); die Achtsamkeit auf „Fragen der Work-Life-Balance und der Vereinbarkeit von Ehe, Partnerschaft, Familie und Beruf“ (119); die Wahrnehmung der „Pfarrhäuser [als symbolis[sche] Präsenz der Kirche“ (119); die Residenzpflicht als legitime Zumutung an die „innere Haltung“ (120) von PfarrerInnen.

Schon deutlich verlassen ist die quasi phänomenologische epoché der Einleitungspassagen[9], indem die kirchenleitende Programmatik zu einer bedingten ‚Ewigkeitsgarantie‘ zugespitzt wird: „Die spezifische Kultur des Pfarrhauses aber wird solange Bestand haben, wie die spezifische Kultur dieses Berufes Bestand hat: also zum einen die große Freiheit in der Ausübung, zum andern die – wie immer man es versteht – modellhafte Gestaltung eines vom Evangelium geprägten Lebensstils“ (120). Damit koppelt Hein nicht nur die aus sozialen Erwartungen gebildete Formation „Pfarrhaus“ an die „Berufsauffassung der Stelleninhaber“ (118) zurück: ‚Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt‘ (um Handkes Gedichtband-Titel umzustülpen[10]). Sondern er wirft auch den eingangs übernommenen Mantel des Propheten der ‚Zeitgemäßheit‘ ab, des anscheinend konzeptionellen Respekts vor der Pluralität der Oberflächenphänomene.

Diese besondere Perspektive kirchenleitenden Blicks steuert Martin Hein zu der dem „Pfarrhaus“-Komplex geltenden Reflexionsliteratur bei - sie ist kaum überblickbar; vieles ist seinem Entstehungszeitpunkt zu stark verhaftet und nur noch historisch zu würdigen[11]. Unter dem hier leitenden Gesichtspunkt einer latenten gesellschaftlichen Funktion ist gleichwohl einiges aus zumeist jüngster Zeit in Erinnerung zu rufen:

Dabei ist die Spannweite der Aufmerksamkeit bemerkenswert. Primärerfahrungssatt thematisiert Michael Schibilsky v.a. die Ambivalenzen des „Pfarrhaus-Lebensstils“ in der Amplitude von Berufspflichten-Dominanz und privaten Selbstverwirklichungs-Aspirationen[12]. Christian Grethlein hingegen schreibt schon 2001 die Sozialform ‚Pfarrhaus‘ auf den Absterbeetat und beschweigtt sie in seinem jüngst erschienenen Lehrbuch vollständig[13].

In professioneller Poimeniker-Prosa auf seine Erkenntnis-Bezugsquelle – Pfarrer-Balintgruppe – hinweisend, lenkt Robert Leuenberger den Blick auf seelsorgliche Aspekte: Das Ensemble Pfarrer/Pfarrhaus ist einerseits gerade wegen seiner individualisierenden Indikatoren attraktiv für lebensdienliche Kommunikation in ‚Fällen‘, die auf die Verlierer-Seite der sozialen Differenzierung gehören, nährt andererseits die Anfälligkeit der dies Ensemble verkörpernden Individuen für Lebenskrisen[14]. Die Wahrnehmung von Ehekrisen (exemplarisch für: Probleme der Balance zwischen Beruflichkeit und Privatheit) und pastoralethische Ratschläge zu deren Prävention sind der focus auch von Schneider/Lehnert[15].

Unter dem von Wolfgang Steck entlehnten Motto „vorbildliches[…]und zugleich symbolisches Haus“ mustert Michael Klessmann etliche Dimensionen der zeitgenössischen Dekomposition des „Pfarrhaus“-Komplexes durch und plädiert – am Ende achselzuckend – konsequent individualisierungstheoretisch für kirchenorganisatorische Maßnahmen zur Entlastung von tradierten Formen der Berufszumutungen für die StelleninhaberInnen, namentlich von der „Vorbild“-Funktion[16]

Unter den Praktischen Theologen ist es v.a. Wolfgang Steck, der dem Thema wiederholt Publikationen gewidmet hat. Zwar diagnostiziert auch er „die Auflösung des Pfarrhauses[…]als eine späte Folge genau jener sozialkulturellen Fortschrittsprozesse[…], die einst zur Genese des bürgerlich-protestantischen Pfarrhauses führten“[17], aber er hält fest: „Der[…]Pfarrerberuf hat[…]im prinzipiellen Gegensatz zu den unmittelbar in das moderne Wirtschaftssystem eingegliederten Berufen und in zumindest graduellem Unterschied zu den mit den verschiedenen Dimensionen der Lebenspraxis befaßten Professionen seine an der Ganzheitlichkeit der Erfahrungswelt orientierten, wirklichkeitskonstitutiven wie persönlichkeitsintegrativen Valenzen beibehalten [Kursivierung vom Vf.; FS]“[18].

Ein modulierter Wechsel der Tonart in zwei Schritten, dessen erster noch die (post-)modern optionsgesellschaftliche Linie fortschreibt: empfohlen wird der Kirche die (Er-)findung von „[modellhaften] Formen von Leben und Arbeiten“ für PfarrerInnen „z.B. im Bereich der Teilzeitarbeit, der Teamarbeit oder der projektbezogenen Arbeit“ (122). Die gewählte Terminologie zeigt’s an: Nicht nur wird im Vortragstitel das Pfarramt zum „…beruf“ konvertiert, sondern auch die Kategorisierung der exemplarischen Optionen des Pfarrdienstes als „…arbeit“ atmet Moderne, deren „Fleißsystem“[19]. Kein Wunder, dass im Blick auf die „Zukunft des Pfarrberufs“ das Paradigma des „Künstlers“ nicht erscheint: der Künstler, der aus gefühlter ‚Berufung‘ seiner Leidenschaft folgt – ‚passion‘ ist ein durchaus religioïd konnotierter Begriff! – und sich nicht „am ersten“ (Mt 6,33f!) bekümmert[20] um die lebensweltlichen (auch materiellen) Implikationen seiner quasi gesellschafts-externen, zumindest: -marginalen Lebensform.

Noch einmal überraschend der – zweiter Schritt des Tonartwechsels – Schlussakkord von Hein: „Der Pfarrberuf wird immer etwas Unzeitgemäßes sein und das Pfarrhaus immer ein Ander-Ort im Sinne Michel Foucaults bleiben“ (122)[21].

 

  1.  

Umgekehrt. Zurückzufragen ist: Hätte nicht eine Erörterung der Gegenwart und Zukunft des „Pfarrberufs“, zumal sie dies im Medium von dessen ‚Außenseite‘, dem „Pfarrhaus“ entwickelt, mit dem Merkmal des „Unzeitgemäßen“ einsetzen sollen? Und können! Denn wie kaum etwas anderes am Pfarrberuf verkörpert, ja materialisiert das Pfarrhaus das Unzeitgemäße dieses Berufs[22]: indem es, in Stein oder Fachwerk in die zeitgenössische Gegenwart hineinragend, das Vormoderne[23] des Pfarramts geradezu sinnenfällig macht: die konstitutive Weigerung gegenüber dem Mitmachen der spezifisch modernen Trennung von ‚Arbeit‘ und ‚Freizeit‘[24]. Jene vormoderne Nicht-Differenzierung teilen PfarrerInnen zwar gegenwärtig mit InhaberInnen auch anderer ‚Professionen‘; aber immer noch ein ‚Gehäuse‘ für diese Lebensform um sich zu haben, bringt ihrem Berufsstand (so gut wie[25]) ein „Alleinstellungsmerkmal“ ein.

Das ist nicht nur der Hinweis auf eine – je nach Blickwinkel evtl. bloß historisch überständig wirkende – Kuriosität.

Als „Ort ‚exemplarischer‘ Öffentlichkeit“ wünscht sich Hein das „Pfarrhaus“ auch in Zukunft; das zur Karikatur verzerrte Gegenbild „frommer Naivität oder anbiedernden Intellektverzichts“ lässt jene im „Pfarrhaus“ verortete und gebotene „Öffentlichkeit“ als reflektierende Zeitgenossenschaft verstehen (118). Pfarrhaus-BewohnerInnen sollen zu „existentieller Partizipation“ (120) befähigt werden und sein nicht bloß im alltagsweltlichen Sinne der solidarischen Anteilnahme am Leben der „Leute“ (122) im Strukturwandel auch ‚auf dem Dorf‘ (dessen Risiken und Nebenwirkungen inklusive), sondern nicht zuletzt auch an den Diskursen „zeitgemäßer Intellektualität“ (118). Im „Pfarrhaus“ mag in diesem Sinne denn auch politisch, moralisch (Deutscher Ethikrat, eine Nummer kleiner), lebensorientierend deliberiert werden – angemessenerer Ort für den ‚Dorf- und Stadtweisen‘[26] denn die Kanzel.

Die ist der symbolische Ort für die „verantwortliche öffentliche Verkündigung“ (120). Nicht nur um derer willen sollte Pfarrerinnen in Aus- und Fortbildung der Anspruch wissenschaftlicher Theologie weder versagt noch erspart bleiben[27]. Werden sie doch eben dadurch nicht nur zum Mitreden in jenen Diskursen befähigt, sondern auch aufmerksam sein auf Anlässe, die ihnen Selbstzurücknahme darin nahe legen: nicht die zur praedicatio verbi Divini Ordinierten haben das Monopol fürs Bescheidwissen in den ‚Dingen der Welt

Aber deren „Schlüsselkompetenz“ (120) für Theologie positioniert sie, in der Logik der Gesellschaftstheorie gesprochen, am Ort des ‚weltlich‘ Unverwertbaren, Nutzlosen, Verzweckungsüberhobenen – und die Verkörperung dieses ‚Ortes‘ ist eben: das „Pfarrhaus“. Ohne nun dies kontingente ‚Gehäuse‘ für PfarrerInnen als TrägerInnen einer gesellschaftlichen Funktionsrolle theoretisch überfordern zu wollen – das vielzitierte ‚Böckenförde-Diktum‘ bezeichnet, ceteris paribus, den diakritischen Punkt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“[28] Will sagen: Das Funktionieren einer sozialen Welt zehrt von Gegebenheiten, die ihr extern sind, nicht ihrem Funktionsmodus gehorchen, sondern ihn erst ermöglichen.

Auch anderen Kontexten ist der Sinn für quasi-transzendentale Bedeutung von Externität abzuspüren: Wer Fritz Langs „Metropolis“ (1927) kennt, wird sich an die Figur mit dem sprechenden Namen „Rotwang“ erinnern. Er, der das Herrschafts-equipment der „überamerikanischen Stadt“ (Musil) ersonnen hat und technisch manipulieren kann, wohnt diesseits jener in einer hexenhäuschen-artigen Baude. Oder der auch wissenschaftsliterate Hans Magnus Enzensberger: Er setzt, in revolutionär gesonnener Spreche, dem Lügen-„Theorem [Münchhausens], Pferd, Sumpf und Schopf[…] Gödels Theorem“ entgegen „In jedem genügend reichhaltigen System, / also auch in diesem Sumpf hier, / lassen sich Sätze formulieren, / die innerhalb des Systems / weder beweis- noch widerlegbar sind. / Diese Sätze nimm in die Hand / und zieh!“[29]

Nicht in irgendeinem operativen Modus, wohl aber in einem symbolisch wirksamen Sinne ist der Beitrag von derart ‚interner Externität‘ unerlässlich für Dasein und Entwicklungsfähigkeit komplexer sozialer Systeme: als Remedium gegen Selbstabschließungs[30]-Prozesse. Das Gegebensein jener ‚internen Externität‘ – zunächst nur ein systemlogischer ‚Platzhalter‘ – erinnert im System an die lebensdienliche Einsicht ‚was ist, kann nicht alles sein‘[31] und vermag es gegen den ihm eigenen totalitaristischen Sog zu immunisieren[32]. Zu ihrer symbolischen Wirksamkeit im und wider das Omniversum des Sozialen bedarf jener Platzhalter indes auch sozialer Verkörperungen[33], die allemal als (und sei’s: in sich spannungsreiches!) Zugleich von Selbst und Zuschreibung durch Dritte[34] zur Erscheinung kommen.

Als eine dieser Verkörperungen ist das „Pfarrhaus“ und der in ihm und von ihm aus gepflegte „Pfarrberuf“ (oder doch sachlich angemessener: Pfarr„amt“?!) anzusehen. „Unzeitgemäß“ wie beide erscheinen, drückt sich in ihnen der Anspruch an die Kirche als deren organisierte Trägerin aus, ihre Leistung zum Präsenthalten jener ‚internen Externität‘ zu erbringen. Das mag man Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Stellvertretungsfunktion nennen, in lutherisch-theologischer Sprache ein ‚Werk zur Linken‘[35]. Es ist empirisch nicht unwahrscheinlich, dass die soziale Daseinsberechtigung ‚der Kirche‘ hierzulande – qua kirchenorganisationsexterne Zuschreibung (mit Folgen für die staatskirchenvertragsrechtliche Regelung des Kirchensteuereinzugs) – je länger je mehr zehren wird von ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung als unersetzliche Beiträgerin zum guten Leben der auch außerkirchlichen Sozialität.

PfarrerInnen mögen dazu da sein (nach liturgisch-ordinations- bzw. abgeleiteten kirchenverfassungs- und pfarrdienstrechtlichen Konditionen), „zu predigen, zu taufen und das Abendmahl zu feiern[, i]n Gottesdienst, Seelsorge und Unterricht […] die Menschen zu einem christlichen Leben [zu] ermutigen und sie für die Mitarbeit in Diakonie, Mission und Ökumene [zu] gewinnen“ – so in einer exemplarischen Ordinationsliturgie[36]. Das ist ihr gesamtkirchlicher Auftrag, er prägt – wenn’s gut geht – ihr professionelles Selbstbewusstsein zur „Berufsauffassung“ (118). So, in Auftragserfüllung aus intrinsischer Motivation[37], werden sie gebraucht von der organisierten Kirche, die sich mit Indienstnahme von auch PfarrerInnen ihrem indisponiblen (ihr ‚eingestifteten‘) Mandat „Gottes“ stellt, „welcher will, das allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim 2,4). Soweit in Selbstbeschreibung.

Aber die Fremdbeschreibung ‚von außen‘ gibt zu verstehen: Sie werden gebraucht als Verkörperung der Heterotopie. Indem sie tun, was sie tun sollen und wollen, drücken PfarrerInnen „abweichendes Verhalten“[38] aus. Der Satz aus der zitierten Ordinationsliturgie beginnt (oben noch ausgespart): „Unser Dienst besteht darin, zu hören und zu beten…“[39]. Eine heterotopie-bewusst reflexive Selbstbeschreibung mag lauten „Ich bin Pfarrer. Ich habe Zeit“[40]: was für ein Ausdruck heterotopischen Selbstbewusstseins in einem durch „Beschleunigung“ (zwar nicht konstituierten, aber:) überformten gesellschaftlichen Kommunikationsprozess[41]! Dass PfarrerInnen, indem sie tun, was sie sollen und wollen, das ‚intern Externe‘ verkörpern (das durch soziale „Anmutungen“ konstituierte „Pfarrhaus“ inklusive!), kann nicht nur kirchenorganisatorisch nicht verhindert werden, sondern ist stattdessen verantwortungsethisch zu reflektieren.

Derlei Reflexion wird nicht nur das „Ich habe Zeit“ nach ‚Aufgabenkritik‘ rufen hören für den mit – gegenüber der rituellen Ordinationsverpflichtung – scheinbarem Allotria[42] beladenen Dienst von PfarrerInnen. Sie wird auch einen pfleglicheren Umgang mit den „Pfarrhäusern“ von den finanzverantwortlichen Kirchenleitungs-Instanzen verlangen, im Interesse der „‚exemplarischen‘ Öffentlichkeit“ des Pfarrdienstes der Kirche.

 

Zwischenbetrachtung:

Das hier Focussierte plädiert für eine Begriffsfigur, die naturwüchsige Wahrnehmungen – ‚Empirie‘ – umzudisponieren anleiten soll. Sie begibt sich bewusst nicht auf die Ebene der ‚Pfarrer-Zufriedenheits‘-Untersuchungen o.ä.[43], die meist von PfarrerInnen-Standesorganisationen und kirchenorganisationspolitisch motiviert initiiert worden sind. Aus ihnen ergeben sich leicht kammerdienerperspektivische Einsprüche (‚schaut doch mal auf die PfarrerInnen, die es wirklich gibt! Die machen, was sie können auch weil sie dafür ausgebildet sind, und wollen daneben ihre ganz persönlichen, u.U. partnerschaftlichen, familiären etcetc, Lebensaspirationen erfüllt spüren. Aber: Verkörperung von Heterotopie? Was für eine Überforderung…!‘) – und, Ende vom Lied, kirchenleitende Maßnahmen zur ‚burnout-Prophylaxe‘ oder wenigstens –Nachsorge. – Um Mißverständnissen zuvorzukommen: Das eine wäre ehrenwerte Erdung von allzu hochfliegend Scheinendem, das andere eine gebotene Fürsorgepflicht. Gut so. Aber darum geht es nicht.

Es geht denn doch – worum auch sonst? – um die ‚PfarrerInnen, die es wirklich gibt‘ und weiterhin geben sollte, Pfarrhäuser inklusive. Natürlich kann niemand ‚Verkörperung von Heterotopie‘ sein oder werden wollen. Das ergibt sich schon aus der Differenz von Beobachter- und Akteurs-Perspektive. Aber eine reflexive Wendung der kirchenleitend und für die Ausbildung der ‚Akteure‘ operativ Verantwortlichen zur Perspektive des Beobachters ist möglich:

Nur zu selbstverständlich sind die als ehemals ‚Theologie Studierende‘ qua Aufnahme in den sog. Ausbildungsdienst über ein Predigerseminar in der Kirchenorganisation ‚andockenden‘, auf künftige hauptberufliche Beschäftigung hoffenden Jüngeren grundständig ‚imprägniert‘ mit vorbewussten Vorstellungen eines künftigen „bürgerlichen“ settings ihrer Lebensführung (deren ‚postmoderne‘ Varianz von „Normalität“ und den zeitgenössischen Verdacht gegen das „Normalitäts“-Modell als solches inklusive).

Warum nicht sollte ein Predigerseminar derartige Ausbildungs-KlientInnen zum Bewusstsein einer gesellschaftsdiakonisch zu nennenden Funktion (‚Heterotopie‘) nachsozialisieren wollen können? Die individuell-subjektive Ausprägung solchen ‚Unvergleichlichkeits‘-Bewusstseins könnte dem inklusivistischen Gemeinplatz ‚Alle Menschen sind gleich: nämlich verschieden‘ widersprechen – mag sein. Auf kategorialer Ebene würde das für eine Wieder-Akzentuierung des „Amts“-Paradigmas (anstelle von „Beruf“, auch „Profession“) sprechen: „ich erkenne wol, dass es ein schwer ampt ist, darin ich mich begeben will“, heißt es in der reformationszeitlichen Fassung des Ordinationsgelübdes der späteren EKKW[44]. Das „ampt“ steht, schein-objektivistisch, für einen innerpsychischen ‚Raum‘, in dem identitätsschadensfrei Selbstzurücknahme möglich ist – von „Ehrensache!“ bis „mein Lohn ist, dass ich [dienen] darf“[45].

Die hermeneutische Patenschaft des hier Vorgetragenen liegt insoweit ohnehin bei Schleiermachers „Vielleicht kommt auch die Sache dadurch wieder zustande, daß man sie voraussezt“[46] (eine Intuition, die übrigens allerbeste Auspizien gewärtigen lässt für das der Ewigkeit zugeschriebene Gespräch[47], das Barth mit Schleiermacher führen zu können hoffte…). Durch ein solches Voraussetzen mag der ‚Blick‘ aufblitzen, der in aller aufs Allzu-Verwechselbare einplanierten „Spießbürgerlichkeit“ eines ‚empirischen‘ Pfarrhauses eine Heterotopie wahrnehmen macht, wie Kierkegaard einst im Kopenhagener Sonntagnachmittags-Flaneur imaginierte[48].

 

  1.  

„Unzeitgemäßheit“[49] ist das Schibboleth – dieser redensartlich gewordene Ausdruck hatte ja an seinem biblischen Ursprung (Ri 12, 5-6) etwas mit dialektalem Zungenschlag zu tun. Mit Heimat.

Wo einer ‚zu Hause‘ ist, bestimmt in vorbewusster Disposition den Modus seiner kommunikativen Beiträge gerade auch ‚in der Fremde‘. In Kontakt zur biblischen Tradition wird ‚die Kirche‘ ihren PfarrerInnen die Balance der ‚internen Externität‘ zumuten (und ermöglichen!) müssen – in der Spannung der „Exils“-Deutungen zwischen Jer 29 („suchet der Stadt Bestes[…], und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, geht’s auch euch wohl“) und Hebr 13 („Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“).

„Heimat“. Mit diesem ambivalenten Topos (der, rein semantisch genommen, heutzutagig je länger je mehr zu einem ‚heterotopos‘ zu werden im Begriffe ist) haben sich die Zeugen der in der Bibel verschriftlichten Geschichte Gottes mit den Menschen mehr als reichlich herumgeschlagen: in der Welt, nicht von der Welt (Joh 17,16), wie sie waren und sind[50], von der mythisch erleb-/erzählbaren Ent-Heimatung Gen 12,3 (und deren Folgen) bis zur eschatologischen Apc 21,1-5 (von der zwischenzeitlich 2. Kor 5,8 geäußerten „Lust den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn“ nicht groß zu reden). – Dass „Heimat“ bei allen semantisch unabstreifbaren Konnotationen von ackerkrumen-duftiger Herkünftigkeit auch das Potential zu schlechthinniger Zukünftigkeit hat, belegt nicht nur Ernst Bloch, der „Heimat“ als Schlußstein von „Das Prinzip Hoffnung“ braucht[51]. Wie sehr Herkunft und Zukunft auch in individuellen Biografien myzel-artig untergründig miteinander kommunizieren, hat schwer überbietbar Edgar Reitz in seinem monumentalen filmischen Hunsrück-Epos künstlerisch gezeigt[52].

Hat eigentlich jeder eine „Heimat“ wie eine Mutter? Betrachten wir mit Hein ‚die Dinge wie sie sind‘, stellen wir fest: vielfach wird, was bislang selbstverständlich[53] war, von den Angehörigen der Generation der Optionsgesellschafts-Indigenen auch bewusst gekappt, privaten Lebensentscheidungen ohne Blick auf berufliche Nebenfolgen nachgeordnet und/oder dem Zerkrümeln bis zur Unerkennbarkeit überlassen. Und was ist mit den – Deo dato, erstaunlicherweise – Theologiestudiums-AbsolventInnen, die, nicht selten ohne spürbare primäre christlich-religiöse Sozialisation[54], die Ausbildung zur Pfarramts(-berufs?)-Qualifikation anstreben (und ein dereinstiges Leben im Pfarrhaus nicht nur in Kauf nehmen)? Die ‚die Kirche‘ wegen deren natürlicher Zeitgenossenschaftlichkeit in ihren Pfarrpersonalbestand einbeziehen wollen sollte, die sie aber auch (mit Blick auf die gesellschaftliche Nachfrage) als Verkörperungen der ‚internen Externität‘ braucht. Aber werden ‚die‘ das können: ordiniert werden? Doch vielleicht ist einfach diesseits aller dekadenztheoretischen Anmutungen die Situation des Übergangs zur – „die zukünftige suchen wir“ [Hebr 13,14] – „Zweiten Heimat“[55] eingetreten, derer, die die dialektischen Merkmale vermittelter Unmittelbarkeit trägt. Und es wäre Nachsozialisation geboten.

Dafür hat ‚die Kirche‘ ein Predigerseminar. Es (und primär es – und dann, erforderlichenfalls und subsidiaritätsprinzipiell, die beauftragende Kirchenleitung[56]!) hat die Fragen zu beantworten, die sich stellen.

Das Predigerseminar pflegt (und dauer-refomiert) sein curriculum, ordinationsauftragsorientiert wie es ist[57], und es gibt das ‚hidden curriculum‘[58]. Zumindest ‚gefühlt‘ mehr als noch vor einer Generation geht es um Persönlichkeitsbildung[59]. Vernünftigerweise wird sich dabei keine Instanz sekundärer Sozialisation, ohnehin aus anthropologischen Gründen gegenüber der primären von vornherein im Hintertreffen, in Selbstüberforderung versteigen. Zumal gegen die „wirkliche Bewegung“[60] kollektiv gelebten Lebens nicht viel auszurichten ist. Aber trotzdem auch keine Selbst-Einschüchterung! Noch das Große Ganze braucht Ausdrücke in Form von Kleingedrucktem.

Vornehmlich das ‚hidden curriculum‘ eines Predigerseminars muss sich Fragen stellen, die sich aus dem Vorstehenden ergeben, die hier aber nur formuliert werden sollen:

  • Wie viel Rücksichtnahme auf die pluralistisch ausgelebte Zeitgenossenschaftlichkeit der VikarInnen muss sein? Wer Augen hat zu sehen, wird private Partnerschaften wahrnehmen, mit Kindern oder auch (noch) ohne, die Konflikte um die sog.[61] work-life-balance und…und… - vielleicht kann überhaupt dieser technizistische Terminus, gängig geworden synchron mit der verdinglichenden Rede vom ‚Selbst-Management‘, abgelöst werden durch den intrinsisch-motivationsträchtigeren Ausdruck „Lebenskunst“[62]. Jedenfalls: es wird ‚im wirklichen Leben‘ des Pfarrberufs und im Pfarrhaus immer wieder vorkommen, dass ‚der Beruf vorgeht‘, ganz kommentarlos – wie viel Einübung darein darf den VikarInnen im Ausbildungsdienst vorenthalten werden?
  • Wie viel aggiornamento brauchen die jungen Leute, embedded digital natives, die künftig in Pfarrberuf und Pfarrhaus Heterotopie verkörpern werden (ohne es wollen sollen zu dürfen), eigentlich noch? Wie viel von jenem darf ein Predigerseminar einpflegen wollen, damit die KandidatInnen dieses noch können werden? Es ist ersichtlich, dass (nicht nur: praktisch-)theologische Grundprobleme berührt sind. Das ‚aggiornamento‘-Leitmotiv von Vaticanum II wurde wenige Jahre später durch Ernst Lange mit seinem Programmbegriff ‚Indigenisation‘[63] erweitert – aber es weist in der Sache zurück auf die jahrzehntealte Debatte um die Legitimität der Suche nach dem „Anknüpfungspunkt“[64]. Fundamentaltheologisch geht es um das argumentative handling der Differenz von Differenz- und Vermittlungstheologie[65] - praktisch um die Frage: Wie gehen angehende PfarrerInnen professionell um mit ihrem ‚postmodernen‘ Leben im regelhaft unregelmäßig pulsierenden ‚vormodernen‘ „Arbeit/Freizeit“-Amalgam?
  • Welche Art von „Anschlussfähigkeit“ – diese technik-affine[66] Kategorie ist der aktuell gängige Folgebegriff für „Indigenisation“ – ist ihnen beizubringen, am besten (das Glaubwürdigkeits-Kriterium ‚Authentizität‘!): vorzuleben? Schon Paulus kennt und benennt (Röm 12,1-2) das Thema, aber wie 1.Thess. 5,21 bleibt er ‚kanonische‘ Hinweise für’s „Prüfet alles“ orakelnd-auslegungsbedürftig schuldig[67] - aber auch das passt zur Sache. Ist doch „Anschlussfähigkeit“ (wie schon Langes „Indigenisation“[68]!) eine im scheint’s Vagen schwebende Kategorie, die Ja wie Nein geradezu ermöglichen soll[69]. Eine vergleichsweise ‚alte Institution‘ wie das Predigerseminar einer Kirche mit seinem platonisch angelegten Konzept der personalen ‚Bildung durch Sachen und Vorbild‘ ist im Zeitalter der Individualautonomie unter dem label ‚overprotection‘[70] erwachsenenbildnerisch in Verruf geraten. Auch wenn Sachkenner einräumen werden, dass Predigerseminare (jedenfalls in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh.) als ‚Dauer-Reformbaustelle‘ im Direktvergleich mit der anderen TheologInnen-Bildungsinstitution „Fakultäten“ den Vorwurf des Strukturkonservatismus nicht zu scheuen brauchten. Aber wer weiß: Vielleicht sind die vom ‚hidden curriculum‘ eines Predigerseminars geförderten, wenigstens förderbaren Habitualisierungen (personale Resilienz gegenüber endemischen aber fragwürdigen Variabilitätszumutungen, Identitäts-Training – „hier stehe ich…“ – vs. das „…ich könnte auch anders“ postmodernen Identitäts-Managements) einer Prägung zum Halten der gesuchten ‚work-life-balance‘ dienlicher als auf den ersten Blick vermutet?

Fragen, Fragen – aber „was sollen wir denn nun tun?“. Jener nur zu nahe liegenden Frage hat Karl Barth seinerzeit in Tambach[71] eine Antwort verweigert in Ansehung der Alleinwirksamkeit Gottes, Niklas Luhmann[72], differenzbewusster Theoretiker, im Blick auf ernüchternde Erfahrungen mit ‚Politikberatung‘. Hier geschieht es aus Respekt der bloß „freien Geistesmacht“ (Schleiermachers Platzanweisung!) vor der Entscheidungsfolgenverantwortung derer, die – selber „entfaltete, theoretisch ausgearbeitete persönliche Identität“[73] – sei’s kirchenleitend zukunftsträchtige Regulative für den Pfarrdienst setzen, sei’s amtszuständig in der Ausbildung dazu Personalführung leisten.

Gleichwohl ist ersichtlich: In Fragen und mögliche Antworten spielt unweigerlich eine Positionierung im Paradigmenstreit ‚Moderne vs. Postmoderne‘ mit hinein (selbst wenn die Selbstetikettierung als „Postmoderne“ seit Jean-François Lyotards Programmschrift  an Überzeugungskraft verloren zu haben scheint[74]). Das kann hier nicht mehr ausgeführt werden. Aber im mitwandernden Horizont der Frage nach dem „guten Leben“ scheinen doch Klärungen unvermeidlich wie:

  • Wieviel „Kern“ wird „Oberflächenphänomenen“ zugeschrieben werden dürfen, ohne mit deren Volatilität – zu denken wäre an Lebensformen, Mediennutzung, lebenslange Identifikation mit einem Beruf – auch deren kulturelle „Anschlussfähigkeit“ zu demolieren?
  • Welcher Art kontrafaktisches Erwarten, sprich: Normativität, und wieviel Verzicht darauf ist kompatibel mit einer ‚Kirche‘, zu deren Selbstbeschreibungsmetaphern mit prominentem Rang das Wort vom „wandernden Gottesvolk“ gehört?

 

  1.  

Eine Art Korreferat war angekündigt, aus Anlass eines Vortrags. Während Martin Hein sich vom Ausdruck des – zögernd hingenommen, achselzuckend artikuliert – als vorfindlich Wahrgenommenen zur Äußerung normativer Erwartungen durchgearbeitet hatte, wurde hier der umgekehrte Weg vorgezogen und empfohlen.

In wissenschaftstheoretischen terms gesprochen, mag man darin die Komplementarität von „Entdeckungszusammenhang“ und „Begründungszusammenhang“ erscheinen sehen[75]. In der ‚künftigen Gegenwart‘ des Lebens der Kirche mit „Pfarrberuf und Pfarrhaus“ mag man hinsichtlich der ‚künftig vergangenen Gegenwart‘[76] feststellen können: der Vortrag des Bischofs, der sich phänomenen-sensitiv „Entdeckungen“ öffnete, lag auf der Linie der „wirklichen Bewegung“[77], und das Korreferat des geneigten Lesers, bemüht um „Begründungen“, war Donquichotterie – nochmal: sei’s drum.

Denn vielleicht stellt sich in, mit und unter der „wirklichen Bewegung“ der Welt- und Kirchengeschichte heraus, dass Benedikt XVI. sein aufsehenmachendes Freiburger Notabene „Entweltlichung“ auf ‚evangelischere‘ Weise gesprochen hat, als dem Papst seinerzeit viele zugetraut haben und auch als womöglich er selber es ‚gewusst‘ hat: Dass die der Kirche eingeschriebene Verheißung, dass auch „die Pforten der Hölle […] sie nicht überwältigen [sollen]“ (Mt 16,18) – wie in triumphalistischen Zeiten Roms dem Petersdom meterhoch eingeschrieben – ihre eschatologische Wahrheit ‚entbergen‘ wird, erst wenn unter dem Paradigma „theologia crucis“ als Paradoxie der Bestimmung zum Leben – mere passive[78] – erfahren worden.

Da ‚ist nichts zu machen‘, letztendlich wo’s ‚drauf ankommt‘: nicht beim Geborenwerden und beim Sterben, nicht beim „Glauben“, nicht bei „Heterotopien“ – all das passiert allenfalls, Divino afflante spiritu. Handeln-müssend-weil-könnend ins „Vorletzte“ (Bonhoeffer) eingehegt, können wir allenfalls Wege bereiten (vgl. Jes 40,3-5) – säkular gesprochen: helfen (wenn unsereiner nur wüsste, was das ist…[79]). Genug, aus gegebenem Anlass.

 

14. Dezember 2014

Nicht-von-dieser-Welt_02.docx

 

[2] Neben vielen anderen als ein Beispiel Bischof Martin Hein in seiner Ordinationspredigt (nach Mk 10, 17-27!) vom 23.10.2011 „So blauäugig kann doch der Papst nicht gewesen sein, wenn er die ‚Entweltlichung‘ zum Programm erhob!“ (http://www.ekkw.de/media_ekkw/downloads/bischof_111023_predigt_ordination_gersfeld.pdf ; Abruf: 11.10.2014). Bemerkenswert hierbei: Papst wie Bischof darf zugute gehalten werden, dass sie Rudolf Bultmann kennen und dass ‚Entweltlichung‘ das anthropologische Paradigma ist, das Bultmanns Verständnis von Freiheit steuert - angeleitet vom paulinischen ως μη (1. Kor 7,29-31) und seiner Lesart des Johannes-Evangeliums. Gleichwohl unterscheiden sich beider kirchenleitende Äußerungen in mehr denn nur der Nuancierung. Während Benedikt XVI. am „hatte viele Güter“ (Mk 10,22c) mehr das Lähmende und Verführende („[…]gibt Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zur Offenheit“; vgl. Anm.1) focussiert, so der Bischof mehr das Ermöglichende und Befähigende („[…]eine Kirche, der eine angemessene finanzielle Ausstattung fehlt, kaum noch in der Lage sein wird, all den Aufgaben nachzukommen, die sich für sie als Erfüllung des Auftrags darstellen“).

[3] Jetzt gedruckt in: Hessisches Pfarrblatt 2014, Heft 5 (Oktober), 115-122.

[4] Nicht nur wegen der eine Generation (eine Epoche?) später, ceteris paribus, wiederkehrenden Konstellation sei Habermas hier in extenso zitiert: „Das Festhalten an dem klassischen Begriff der Philosophie und an der kosmologischen Weltsicht der Antike, so bemerkt er [sc. Löwith; FS]  einmal, erscheine unserem historischen Bewußtsein als ein unmöglicher Rückgriff auf eine vergangene griechische Welt, in der es noch Sklaven und Freie, Banausen und Philosophen gab. Während meines Löwithstudiums habe ich gelernt, daß es in einem solchen Fall angemessener ist, den Vorwurf der Banausie auf sich zu laden und ohne Eleganz eine rhetorisch gestellte Frage regelwidrig zu bejahen.“ (Jürgen Habermas, Karl Löwiths stoischer Rückzug vom historischen Bewußtsein [1963], jetzt in: ders., Theorie und Praxis, 2. Aufl., Neuwied/Berlin 1967, 352-370, hier 368)

[5] Vgl. Niklas Luhmann, „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“ Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, in: Zeitschrift für Soziologie 22, 1993, 245-260.

[6] Hier und im Weiteren beziehen sich eingeklammerte Seitenzahlen im Text auf Martin Hein aaO (Anm. 4).

[7] Seit der schrittweisen Aufhebung der Residenzpflicht für Lehrer durch die Bundesländer in den späten 1960er Jahren ist die Rechtsfigur der Dienstwohnungspflicht im öffentlichen und privaten Recht praktisch verdunstet. Jenseits des Pfarrdienstes findet sie sich lediglich noch für Revierförster, Schulhausmeister u.ä., in abgeschwächter Form für in ‚Daseinsvorsorge‘-Feldern tätige Rufbereitschaftspflichtige wie Chefärzte, Feuerwehrleute etcetc.

[8] Die EKKW-Studie „Das Amt der Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft. Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe“ (Kassel  2004), spricht in eben diesem Sinne vom „Perspektivpunkt“ (vgl. ebd. 18f) einer Profession.

[9] Diesseits der obigen, eher spielerischen, Husserl-Reminiszenz lässt sich Heins Vorgehensweise theoretisch am ehesten mit der von Clifford Geertz (ders., Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme [1983], dt. Frankfurt 1987) initiierten ethnologischen Methodik assoziieren.

[10] Peter Handke, Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, Frankfurt am Main 1969.

[11] Typischerweise werden Bischöfe um einen Beitrag in entsprechenden Sammelpublikationen gebeten. Aufschlussreich sein kann der Vergleich von Hein 2014 mit Johannes Hanselmann, Die Bedeutung des evangelischen Pfarrhauses heute. Beobachtungen und Ausblicke eines Bischofs (in: Richard Riess (Hg.), Haus in der Zeit. Das evangelische Pfarrhaus heute, München 1979, 266-281), und mit Jochen Bohl, Offenes Haus und feste Burg. Das evangelische Pfarrhaus aus kirchenleitender Sicht (in: Thomas A. Seidel / Christopher Spehr (Hgg.), Das Evangelische Pfarrhaus. Mythos und Wirklichkeit, Leipzig 2013, 167-190).

[12] Michael Schibilsky, Pfarrhaus-Lebensstil. Zwischen meditativem Streß und hastig gepredigtem Evangelium, in: WPKG 69, 1980, 210-216. S. auch, aus derselben Alterskohorte, den vergleichbaren Erfahrungsbericht von Frithard Scholz / Christiane Berthold-Scholz, Familienbetrieb Pfarramt, in: ThPr 17, 1982, 20-23

[13] Christian Grethlein, Pfarrer(in)sein als christlicher Beruf. Hinweise zu den veränderten Rahmenbedingungen einer traditionellen Tätigkeit, in: ZThK 98, 2001, 372-398, hier bes. 377-380.389. Das angeführte Lehrbuch: ders., Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, nicht anders ders. Pfarrer – ein theologischer Beruf!, Frankfurt am Main 2009.

[14] Robert Leuenberger, Das evangelische Pfarrhaus als Ort der Seelsorge, in: Richard Riess (aaO [Anm 11]). 211-223.

[15] Nikolaus Schneider / Volker A. Lehnert, Berufen – wozu? Zur gegenwärtigen Diskussion um das Pfarrbild in der Evangelischen Kirche, Neukirchen-Vluyn 2009, bes. 122-131.

[16] Michael Klessmann, Das Pfarramt. Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie, Neukirchen-Vluyn 2012. Vgl. Wolfgang Steck, Im Glashaus. Die Pfarrfamilie als Sinnbild christlichen und bürgerlichen Lebens, in: Martin Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, Stuttgart1984, 109-125, hier bes. 121-125.

[17] Wolfgang Steck, Praktische Theologie. Horizonte der Religion – Konturen des neuzeitlichen Christentums – Strukturen der religiösen Lebenswelt Bd I, Stuttgart 2000, hier 554-593, Zitat 589.

[18] Wolfgang Steck ebd. (Anm 17), 555. So auch ders. Art. Pfarrhaus, in RGG4 Bd. 6, Sp. 1228f.

[19] Vgl. Horst Folkers, Verabschiedete Vergangenheit. Ein Beitrag zur unaufhörlichen Selbstdeutung der Moderne, in: Dirk Baecker u.a. (Hgg.), Theorie als Passion. Niklas Luhmann zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1987, 46-83, hier 53. Folkers (ebd. 77 Anm 10) verdankt sich die Beobachtung, dass – theoriegeschichtlich sichtlich angeschoben durch Freuds Ausdruckswahl „Trauerarbeit“ (1915) – „archaische Formen menschlichen Tuns[…]von Arbeit, wenigstens ihrer Bezeichnung nach, ergriffen werden“: Arbeit mit dem Patienten, Körperarbeit, Bibelarbeit, Beziehungsarbeit, Biographiearbeit…

[20] Vgl. nur (trotz Kierkegaard: ‚im Ernst‘!) die Satire über den Ordinationskandidaten „Ludwig Fromm“: Sören Kierkegaard, „Am ersten das Reich Gottes“. Eine Art Novelle [1855], jetzt in: ders., Gesammelte Werke (hg. von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes] Abt. 34: Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits, Düsseldorf 1959, 230-234.

[21] Vgl. Michel Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge [1966], dt. Frankfurt 2013. „Heterotopie“ ist die ‚glückliche Fassung‘ eines Begriffs, von der sich Foucault, weniger an Terminologie-Konsistenz denn an der Triftigkeit in der Erfassung von Phänomenen interessiert, im Fortgang seines Werkes bald getrennt hat. Die von Foucault eher zur Illustration denn zur enumerativen Definition angeführten Beispiele (ebd. 11) machen deutlich: Mit „Heterotopie“ meint er keine „Große Transzendenz“ im Sinne Thomas Luckmanns (Thomas Luckmann, Über die Funktion von Religion, in: Peter Koslowski [Hg.], Die religiöse Dimension der Gesellschaft, Tübingen 1985, 26 – 41), sondern eher eine „Mittlere“… - keine ‚absolute‘, sondern eine aktual-gesellschafts-relative Kategorie von Alterität, erhellend genug.

[22] Vgl. hierzu Wolfgang Steck (aaO [Anm 18]). Dessen kulturgeschichtliche Rekonstruktion der Zeitfremdheit der ‚Pfarrer-Figur‘ sollte indes nicht vergessen machen, dass Manfred Josuttis fast 20 Jahre zuvor deren Alterität noch grundsätzlicher thematisiert hat (ders., Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie, München 1982) – in einer Grundsätzlichkeit, die erst nach seinem phänomenologischen ‚coming out‘ (ders., Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, München 1991) zutage getreten ist.

[23] Ganz im Gegensatz zur hier verfolgten Linie (post)modernisierungs-engagiert plädieren jüngst Kristin Bergmann / Ursula Kress / Thomas Schollas, Das Pfarramt plural und geschlechtergerecht gestalten. Ein gleichstellungspolitischer Impuls um die Debatte um die Zukunft von Pfarrberuf und Pfarrhaus, in: DtPfrBl 114, 2014, 594-596. Entscheiden wird ohnehin nicht der „eigentümlich zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (Habermas), sondern das, was Marx eine „wirkliche Bewegung“ nannte (ohne die vom Motiv der „zweiten Moderne“ bestimmte Beck/Beck-Gernsheim’sche Formel vom „ganz gewöhnlichen Chaos“ kennen zu können): die nur im künftigen Rückblick in ihrem Gang zu erkennende „Geschichte“.

[24] Das gilt cum grano salis generell für die Inhaber von „Professionen“ – wie sie Isolde Karle (Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, Gütersloh 2001) in der praktisch-theologischen Begrifflichkeit populär gemacht hat. Zum obigen Text nur die erlebensgestützte Bemerkung: Die Plausibilisierungskraft dessen, was der Pfarrer im Pfarrhaus-Wohnzimmer-Gesprächskreis sagt, mag die Autorität des ‚Wortes von der Kanzel‘ übersteigen – weil das setting ‚die Leute‘ denken lässt ‚das meint der auch im wirklichen Leben und nicht nur weil er dafür bezahlt wird‘.

[25] Ausnahmen vgl. oben Anm 7.

[26] Die ironieträchtige Formel stammt natürlich von Karl Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie [1922], jetzt in: Jürgen Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie Teil I, München 1966, 197-218, hier 201.

[27] Dass Hein PfarrerInnen umwillen dieser Qualifikation als „nicht austauschbar“ bezeichnet (120), ist zwar zunächst eine aktuell kirchenorganisationsinterne personalpolitische ‚Botschaft‘. Aber im Kontext seines Argumentationsweges von Realitätswahrnehmung zu kontrafaktischer Normierung ist es bemerkenswert „positionell“ (Niklas Luhmann, der Soziologe der funktionalen Ersetzbarkeit, anerkennt derlei widerständige items als – quasi-ontologisch – „selbstsubstitutive Ordnungen“; vgl. etwa Niklas Luhmann, Identitätsgebrauch in selbstsubstitutiven Ordnungen, besonders Gesellschaften, in: Odo Marquard / Karlheinz Stierle [Hgg.], Identität [Poetik und Hermeneutik VIII], München 1979, 315-345).

[28] Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung [1967], zitiert nach: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt 1976, 42-64, hier: 60.

[29] Hans Magnus Enzensberger, Hommage à Gödel [1971], zitiert nach: ders., Die Elixiere der Wissenschaft. Seitenblicke in Poesie und Prosa, Frankfurt 2002, 9-10.

[30] Der Terminus geht zurück auf Niklas Luhmann, der ihn in der ‚autopoiesis-Phase‘ seiner soziologischen Theoriebildung für einen selbstgefährdenden Fall von Depravation prinzipiell umweltoffener Systeme konzipierte. Diesen Selbstgefährdungsfall fasste, von anderen theoretischen Voraussetzungen aus, schon 30 Jahre zuvor Jürgen Habermas (Dogmatismus, Vernunft und Entscheidung – zu Theorie und Praxis in der verwissenschaftlichten Zivilisation [1963]) in eine politisch zuspitzende Metapher: „Entsprechend ist auch die Gefahr einer ausschließlich technischen Zivilisation, die des Zusammenhangs der Theorie mit Praxis enträt, deutlich zu fassen: ihr droht die Spaltung des Bewußtseins und die Aufspaltung der Menschen in zwei Klassen – in Sozialingenieure und Insassen geschlossener Anstalten.“ (zit. nach ders., aaO [Anm. 4] 231-257, hier 257).

[31] Soweit zu sehen, in diesem Sinne zuerst Ludwig Wittgenstein (zit. nach: ders., Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung [1921], dt. Frankfurt 1965): „(1.) Die Welt ist alles, was der Fall ist[…] (6.52) Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben das ist die Antwort[…] (7.) Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (ebd. 11.114f)

Die Wendung im obigen Text stammt, in einzelnen nicht nachweislich, aus der endemischen Rezeption von Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ (München 1964). Mit dem Vorschlag der Kategorie „Heterotopos“ setzt (der von Hein [Anm. 3, hier 122) zu Zeugen beigezogene) Michel Foucault, zeitgleich zur Entfaltung jenes Hoffnung-auf-Veränderung-Programms, gegen die offenkundige Prävalenz des „Zeit“-Paradigmas auf das Paradigma „Raum“.

[32] Dieses Motiv verdankt sich der Lektüre von Walter Benjamin, Das Passagen-Werk (zit. nach: ders., Gesammelte Schriften 5, Frankfurt 2006, 1232): „Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“ Selbst wenn die mit dem Marx’schen Topos der ‚Revolution‘ verbundenen Vorstellungen des Ganz-Ändernden nicht mehr weithin geteilt werden (wie noch vor 4 Jahrzehnten): das Motiv bleibt nachhaltig.

[33] Vgl. Michel Foucault (aaO [Anm. 16]), der den „heterotopos“ nicht als Blaue Blume, sondern als „auf der Karte zu findende[r] Ort“ konzipiert (ebd. 9). – Hier geht es um Pfarrberuf und Pfarrhaus. Aber als funktional äquivalente Verkörperung von ‚interner Externität‘ ließe sich auch die weltgesellschaftlich-partikulare jüdische Sabbatpraxis ausmachen, die eben so zugleich die Ebenendifferenz von Privatheit und Öffentlichkeit überspielt wie sie den Zermürbungen durch den generell wirksamen (Post-)Modernisierungsprozess ausgesetzt ist (vgl. Hartmut Rosa, Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt 9. Aufl. 2012, 36 Anm 37)

[34] Diese sozialpsychologische Logik hat George Herbert Mead mit seiner kategorialen Unterscheidung von „I“ und „ME“ bereits 1934 nachhaltig etabliert (George Herbert Mead, Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviourismus, [dt.] Frankfurt 1968, hier bes. 216-221). Hein (Anm. 4) benutzt sie, indem er zwischen „Berufsauffassung der Stelleninhaber“ und „Anmutungen“ unterscheidet (ebd. 118).

[35] Vgl. statt vieler anderer neuestens: Eilert Herms, Art. Zwei-Reiche-Lehre/Zwei-Regimenten-Lehre (RGG 4. Aufl., Bd. 8, Tübingen 2005, Sp. 1936-1941).

[36] Agende für die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck II: Ordination, Einführungen und Einweihungen, Kassel 1975, 14.

[37] So, umkontextiert und reformuliert, die Rede von den „objektiven und subjektiven Voraussetzungen für die Ordination“ im derzeit noch maßgeblichen Reflexionstext zur pfarramtlichen Qualifikation, „Grundsätze für die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen der Gliedkirchen der EKD“(1988), zit. nach: Werner Hassiepen / Eilert Herms (Hgg.), Grundlagen der theologischen Ausbildung und Fortbildung im Gespräch, Stuttgart 1993, 57f. Und weiter: „Ziel der zweiten Ausbildungsphase ist also, eine Situation herbeizuführen, in der die Kirche entscheiden kann, ob der Kandidat ‚in den Jahren des Lernens‘ dasjenige Maß an Kenntnissen, Einsicht und Fertigkeiten gewonnen hat, das den objektiven Anforderungen einer auftragsgemäß professionellen Amtsführung genügt; und in der der Kandidat entscheiden kann, ob er sich wirklich mit dem Auftrag des kirchlichen Amtes identifizieren kann und es professionell führen will. Nur wenn beide Entscheidungen positiv ausfallen, ist die Ordination sinnvoll und verantwortbar.“ (ebd. 58)

[38] So Foucault aaO (Anm 21), 13.

[39] S. Anm. 31. Hervorgehoben wird dies auch von der „Studie“ „Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft“ (aaO [Anm. 8], 38).

[40] Die Formel, vor Jahren auf der website einer ESG bemerkt, lässt sich unter den flüchtigen Bedingungen des internet historisch-kritisch nicht mehr verifizieren; sie spiegelt den Geist von Ernst Fuchs, dem die Sentenz zugeschrieben wird „der Pfarrer ist dazu da, dass er für die Gemeinde nachdenkt“.

[41] Neuerdings ist hierzu zu verweisen auf Hartmut Rosa, aaO (Anm 33). Rosa unterschlägt (trotz des eigenen Kapitels „Zeit ist Geld: der ökonomische Motor“ [ebd. 257-279]) die 150 Jahre ältere Einsicht von Karl Marx „Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt, durch Einsaugung lebendiger Arbeit, und umso mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt“ (zit. nach: ders., Das Kapital [MEW 23], o.O.o.J.,247); vgl. hierzu Horst Folkers, Fortschritt, Fortschrittskritik und was zu tun bleibt, in: Konkursbuch Nummer drei. Erfahrung und Erinnerung, Tübingen 1979, 179-189, hier 180: „Das Kapital ist der Schlüssel zum Verständnis dieses merkwürdigen Lebens, das sich erhält und steigert, weil es das einzige Leben, die einzige Macht ist, die sich nur insofern erhält, als sie sich steigert, dessen einzige Bedingung die endlose Steigerung ist.“ – Im Kielwasser seines wissenschaftlichen Bestsellers wurde Hartmut Rosa häufig nach Möglichkeiten des Entkommens aus dem von ihm als so zwingend dargetanen „Beschleunigungs“-Omniversum gefragt – seine Auskünfte bleiben aber skeptisch-schwebend, in naturreligiös anmutender Spreche (er erwähnt „Zeitinseln“, „Resonanzoasen“, auf denen aber nicht des Bleibenkönnens sei; z.B.: http://www.genios.de/presse-archiv/artikel/SZ/20131228/stress/A56155314.html ; Abruf: 28.10.2014) und angereichert mit Warnungen vor Illusionismus. Robert Musil gab schon früher zu verstehen: „Man kann seiner eigenen Zeit nicht böse sein, ohne selber Schaden zu nehmen“ (ders., Der Mann ohne Eigenschaften, 59).

[42] Auch wenn man die nicht grundlose Anprangerung von Aufgaben der „Verwaltung“ beiseite lässt – zugunsten des erhobenen Zeigefingers „Kernaufgaben“! (wie „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates der EKD“, Hannover 2006): die Abwehr der nicht nur von Hein (aaO [Anm 4] 120) beschworenen „Gefahr“ durch „Überdehnung des kirchlichen Handelns“ („ein Verein zur Pflege religiöser Geselligkeit und christlichen Brauchtums oder eine Sozialagentur ohne konkrete Handlungsmöglichkeiten zu werden“) führt auf einen mehr als heiklen Grat kirchenleitenden Handelns. Jenseits dessen droht eine andere „Gefahr“, die einer Selbstabschließung des Religionssystems – für die es historische Beispiele zuhauf gibt und die in der auf Troeltsch’sche Dispositionen rekurrierenden Sprache der älteren Religionssoziologie ‚Versektung‘ genannt zu werden pflegte.

[43] Dieter Becker / Richard Dautermann (Hgg.), Berufszufriedenheit im heutigen Pfarrberuf: Ergebnisse und Analysen der ersten Pfarrzufriedenheitsbefragung in Korrelation zu anderen berufssoziologischen Daten, Frankfurt 2005; Pfarrerinnen und Pfarrerausschuss der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (Hg.), Pfarrberuf heute: Dokumentation zur Tiefenauswertung der Befragung „pfarrberuf-heute“, [als Manuskript gedruckt] Kassel 2007; Institut für Wirtschafts- und Sozialethik (IWS) Marburg (Hg.), Antworten – Fragen – Perspektiven. Ein Arbeits-Buch zur Pastorinnen- und Pastorenbefragung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Hannover 2005; Gothart Magaard & Wolfgang Nethöfel (Hrsg.), Pastorin und Pastor im Norden, Antworten – Fragen – Perspektiven, Berlin 2011.

[44] So in Alfred Niebergall, Die Anfänge der Ordination in Hessen [1965], zit. nach: ders., Der Dienst der Kirche. Gesammelte Aufsätze 1954-1973, Kassel 1974, 216-234, hier 230.

[45] Wilhelm Löhe, zit. nach: Herbert Krimm (Hg.), Quellen zur Geschichte der Diakonie. Bd. II: Reformation und Neuzeit, Stuttgart 1963, 379. Die Überlieferung dieses Goldenen Worts ist sichtlich uneinheitlich; auf http://diakonissen-neuendettelsau.de/Was-Diakonissen-in-Neuendettel.564.0.html (Abruf: 10.11.2014) ist das „dienen“ weggelassen.

[46] So Friedrich Schleiermacher im Vorwort zur ersten Sammlung von ihm selbst herausgegebener Predigten (1801), „dem Herrn Prediger Stubenrauch zugedacht“ – zit. nach: ders., Predigten I. Band. Neue Ausgabe, Berlin 1843, 6f).

[47] „…sagen wir mal: ein paar Jahrhunderte lang ausgiebig zu unterhalten“ – vgl. Nachwort von Karl Barth, in. Heinz Bolli (Hg.), Schleiermacher-Auswahl, München/Hamburg 1968, 310.

[48] Der literarischen Plastizität halber in extenso hier zitiert:

„Diejenigen[…], die des Glaubens Kleinod tragen, enttäuschen leicht, weil ihr Äußeres eine auffallende Ähnlichkeit mit dem hat, was sowohl die unendliche Resignation als auch der Glaube tief verachtet, - mit der Spießbürgerlichkeit. […] Wüsste ich[…], wo ein solcher Ritter des Glaubens lebt, dann würde ich zu Fuß zu ihm wandern[…]; ich würde ihn keinen Augenblick aus den Augen verlieren, würde jede Minute aufpassen, wie er sich in seinen Bewegungen offenbart.[…]

Wie gesagt, ich habe einen solchen noch nicht gefunden, jedoch kann ich ihn mir wohl denken. Hier sei er.

Die Bekanntschaft wird geschlossen, ich werde ihm vorgestellt. In dem Moment, da ich ihn erstmals in Augenschein nehme, werfe ich ihn im selben Nu von mir, mache selbst einen Sprung zurück, schlage die Hände zusammen und sage halblaut: ‚Herrgott, ist das der Mensch, ist er das wirklich? Er sieht ja aus wie ein Steuerkassierer.‘ Indessen, er ist es doch. Ich schließe mich ihm etwas näher an, achte auf die kleinste Bewegung, ob sich da nicht eine kleine uneinheitliche Spiegeltelegraphie mit dem Unendlichen zeigen sollte, ein Blick, eine Miene, eine Geste, eine Wehmut, ein Lächeln, die das Unendliche in seiner Ungleichartigkeit mit dem Endlichen verraten. Nein! Ich prüfe seine Erscheinung von Kopf bis Fuß, ob da nicht ein Riss sei, durch welchen das Unendliche hervortritt. Nein! Er[…]gehört ganz der Endlichkeit an, […]und doch[…]ist die die ganze Erscheinung,, die er abgibt, eine Neuschöpfung kraft des Absurden.[…] Er macht ständig die Bewegung der Unendlichkeit, aber er macht sie mit einer solchen Korrektheit und Sicherheit, dass er ständig die Endlichkeit dabei herausbekommt, und es gibt keine Sekunde, wo man etwas anderes ahnt.“ (Sören Kierkegaard, Furcht und Zittern, zit. nach: ders., Werke III, übersetzt und[…]herausgegeben von Liselotte Richter, Reinbek 1967, 34-36)

[49] Mit Hein (aaO [Anm. 3]) 122.

[50] Ohne dass dieser passagere Hinweis das JohEv als Norm des evangelisch Christlichen reklamieren sollte – wie sie es für Bultmann war.

[51] Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung – in fünf Teilen: Kapitel 38-55, Frankfurt 1959, 1628: „Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

[52] „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ (Paul Klee, 1920), Für einen ersten Einblick in Edgar Reitz‘ Film-Epos: http://de.wikipedia.org/wiki/Heimat_(Filmreihe) – Abruf: 30.10.2014.

[53] Die aktuellen Feuilletons lassen auch in Frage stellen, ob derlei bislang problemlos als indisponibel-natural geltende Vergleiche wie „eine Mutter“ überhaupt noch an der Zeit sind; die im naturwissenschaftlichen Sinne ‚Humanmedizin‘ zu nennende Forschung arbeitet sich kontinuierlich vor, und deren medizin-praktisch realisierbare Ergebnisse werden auch individuell nachgefragt. – Nicht zuletzt dieser Komplex an zeitgenössischen Phänomenen ist das sujet der Forschungen und Publikationen von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim, jüngst etwa: dies., Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter, Frankfurt 2011.

[54] Christian Grethlein macht mit Nachdruck auf die Bedeutung, Implikationen und Folgen der Differenz von „primärer und sekundärer Religionserfahrung“ für die „Kommunikation des Evangeliums“ aufmerksam (ders., Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012, hier 184-187, bes. 186.

[55] Im Sinne von Reitz‘ (s.o. Anm. 52) zweiter Staffel seines Epos.

[56] Die ihre grundsätzliche Ermessensbindung betr. normativer Erwartungen an den Pfarrdienst bereits in Form von Ordinationsliturgie (vgl. oben Anm.36) und Ordinationsprotokoll (z.B. http://www.landeskonvent-ekkw.de/pdf/anlage_9_ordinationsprotokoll.pdf – Abruf: 30.10.2014) bereits ‚hinter sich‘ hat.

[58] Schon 1997 beanstandet Martin Hein  – als in ihrer „Zeitgemäßheit“ fragwürdig -  u.a. „das Leitbild der vita communis“ und die „Gestaltungsformen von Spiritualität im Predigerseminar“ (ders., Art. Predigerseminar, TRE 27, 211-225, hier . 223 Z. 29-34).

[59] Bereits 1978 formuliert Eilert Herms (ders. Was heißt theologische Kompetenz?, zit. nach ders., Theorie für die Praxis – Beiträge zur Theologie, München 1982, 35-49) „Die entfaltete, theoretisch ausgearbeitete persönliche Identität des Theologen ist das einzige Steuerinstrument seiner kompetenten beruflichen Praxis“ (ebd. 48), was 10 Jahre später zur argumentativen Achse der EKD-offiziellen „Grundsätze…“ (s.o. Anm. 37) aufrückte; vgl. in diesem Sinne auch Frithard Scholz, Die Ausbildung der Vikarinnen und Vikare, in: Martin Hein (Hg.), Ein Jahrhundert Predigerseminar in Hofgeismar 1891-1991, Kassel, 1991, 173-187, bes. 187 – freilich mit dem perfektionsverweigernden Hinweis auf die Verheißung an die „irdenen Gefäße“.

Hinzuweisen ist freilich darauf, dass das „Identitäts“-Konzept als solches (wie noch von Herms kategorial hantiert) seitdem soziologischen und sozialpsychologischen Problematisierungen ausgesetzt ist, die noch nicht zu konsentierten Konklusionen (etwa im Sinne einer „herrschenden Meinung“) geführt haben.

[60] Vgl. oben Anm.23.

[61] Der seit ca. 15 Jahren (kirchenunabhängig) gängig gewordene Terminus für ein Regulativ der Qualität beruflicher settings wird auch von theologischen PromotorInnen problematisiert. Unterstellt er doch das (in, zugegeben, anderer Absicht von Marx diagnostizierte) Verhältnis des Entfremdetseins des life im work – eine Konstellation, die (um das Mindeste zu sagen) für InhaberInnen von Professionen nicht adäquat erfasst ist. (Nebenbei: dem Intendierten näher käme doch – wenn schon - eher eine Formel wie ‚private-public-balance‘…?) Vgl. dazu jüngst: Simone Mantei / Regina Sommer / Ulrike Wagner-Rau (Hgg.), Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel. Irritationen, Analysen, Forschungsperspektiven, Stuttgart 2013

[62] Vgl. neuerdings die Arbeiten von Wilhelm Schmid (z.B.: ders., Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst. Die Frage nach dem Grund und die Neubegründung der Ethik bei Foucault, Frankfurt [1991] 2000; ders., Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung, Frankfurt 1998). In den Horizont dieser regulativen Idee die Praktische Theologie überhaupt zu rücken wirbt seit Jahren Wilfried Engemann (z.B. ders., Die Lebenskunst und das Evangelium. Über eine zentrale Aufgabe kirchlichen Handelns und deren Herausforderung für die Praktische Theologie, in: ThLZ 129, 2004, Sp. 875-896; u.v.a. mehr); in Verbindung mit dem „Pfarrhaus“ bringt sie neuestens, wenigstens nominatim, Klaus Raschzok, Pfarrhaus und professionsspezifische Lebenskunst. Die praktisch-theologische Perspektive (in: Thomas A. Seidel / Christopher Spehr (Hgg.) [Anm 11], 167-190).

[63] Vgl. Ernst Lange, Überlegungen zu einer Theorie kirchlichen Handelns [1972], jetzt in: ders. Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns (hg. von R. Schloz…mit A.Butenuth), München/Gelnhausen 1981, 197-214, hier bes. 200 mit Anm 1 (214: „Der Begriff ‚Indigenisation‘ wird hier verwendet, weil er die Spannung von Kontinuität und radikaler Neugestaltung in neuen Situationen besser ausdrückt als andere mögliche Begriffe.“).

[64] Emil Brunners Schrift „Die Frage nach dem ‚Anknüpfungspunkt‘ als Problem der Theologie“ [zuerst in:  Zwischen den Zeiten 10, 1932, 505-532] war Auslöser einer unversöhnliche Debatte mit Karl Barth über die christlich-theologische Legitimität einer ‚natürlichen Theologie‘.

[65] Vgl. statt anderer Dietrich Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth, Tübingen 1996. Hieraus v.a. das Kapitel „Wort Gottes oder Frömmigkeit? Über den Sinn einer theologischen Alternative zwischen Karl Barth und Friedrich Schleiermacher“ (ebd. 109-129).

[66] Wilfried Engemann moniert: „‚Kommunikation des Evangeliums‘ – das klingt nach Machbarkeit, Datentransfer und Telekom.“ (ders.,, Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hgg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 15.32, hier 15).

[67] Also ist eigene Urteilsbildung gefragt – vgl. Niklas Luhmann: „Der Bezug auf eine alle Menschen bindende moralische Ordnung[…]braucht nicht explizit geleugnet zu werden. Es mag ihn heute noch geben; aber er ist nicht mehr instruktiv genug, um die erforderlichen Konfliktentscheidungen, Richtungswahlen, Lernvorgänge, ‚Reformplanungen anleiten zu können. Über die Kühnheit des ‚etsi non daretur Deus‘ sind wir längst hinaus. Es geht nicht mehr darum, daß es, auch abgesehen von Gott, eine erkennbare natürliche und moralische Ordnung gäbe, sondern darum, daß wir, auch wenn es eine solche Ordnung gäbe, gleichwohl planen und normieren müßten“ (ders,, Das Phänomen des Gewissens und die normative Selbstbestimmung der Persönlichkeit; in: Franz Böckle / Ernst-Wolfgang Böckenförde [Hgg.], Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973, 223-243, hier 234)

[68] Ernst Lange, Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit, in: ders., Predigen als Beruf. Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt (hg. von R. Schloz), 2. Aufl. München 1987, 9-51, hier 29: „ In ihrer eigentlichen Intention kann sie [sc. die Verheißung; FS] gar nicht zur Sprache gebracht werden, es sei denn so, daß ihre lebensentscheidende Relevanz für das jeweilige Hic et Nunc zur Sprache gebracht wird, und zwar verständlich, so daß Einverständnis oder Ablehnung möglich wird.“

[69] Die gegenwärtig soziologisch-kommunikationstheoretische Begriffsform hierfür ist „doppelte Kontingenz“: so erstmals breiter entfaltet bei Niklas Luhmann (ders.; Soziale Systeme, Frankfurt 1984, **); zusammenfassend in: Claudio Baraldi u.a. (Hg.), GLU - Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt 1997, 37-39.

[70] Ein gegenwärtig politisch nicht korrekter Ausdruck für historisch überständigen bis überholten Paternalismus! Otto Brunner (Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salzburg 1949) zitiert die denkbar ‚vormoderne‘ [1687!] Auffassung des Landadeligen Wolf Helmhard von Hohberg: „Diejenigen Güter und Herrschaften sind glückselig, die mit vielen, auch guten, getreuen und vermöglichen Untertanen, vorab wenn sie wohl hausen, versehen sind. die sollen aber auch christlich und billig gehalten, bei ihren Privilegien geschützet, in Gefährlichkeit gehandhabt, ihnen auf Begehren das Recht und Billigkeit erteilt und nicht wider den alten Gebrauch aufgebürdet werden. Das ist ein Herr vor Gott und der Welt schuldig. […] Eine christliche Obrigkeit soll sich billig halten, die armen bedrängten Untertanen nicht zu überladen, sondern mit ihrer billigen Schuldigkeit vorlieb nehmen, sie nicht mit Übersatz und Neuerungen steigern, sondern sie schützen, befördern und ihnen, wie sie kann und mag helfen.“ (ebd. 285f.)

Der anachronistische spine – Dienstbarkeitsansprüche einerseits, Fürsorgeansprüche andererseits - ist evident. Wer mag das heute noch? Aber die „Reprivatisierung des Beschäftigungsrisikos“ (wie der Neo-Liberalismus vor Jahren von Helmut Giersch schöngeredet wurde) ist für die theoretisch ‚autonomen Individuen‘ auch weder komfortabel noch emphatisch freiheitsfördernd: vgl. nur Richard Sennett, Der flexible Mensch, Berlin 1998 - ihm wurde „Kommunitarist!“ nachgerufen; ob das wirklich als Vorwurf gelten kann? Auf die kritische Erörterung von Sennetts Thesen (z.B. http://www.oeko-net.de/kommune/kommune8-98/dsennett.htm - Abruf 08.11.2014) kann hier nicht eingegangen werden. Bemerkenswert immerhin, dass Jürgen Habermas (Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt 1973) schon 25 Jahre früher Fragen in ähnlicher Weise thematisiert hat.

[71] Vgl. Karl Barth, Der Christ in der Gesellschaft (1920), zit. nach: Jürgen Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie Teil I, München 2. Aufl. 1966, 3-37, hier 37.

[72] Vgl. das Zitat oben Anm. 67.

[73] Eilert Herms; vgl. oben Anm 59.

[74] Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht [1979], dt. Wien 1986. Zur Diskussion von Diagnostik und Bezeichnung der Folgen des Bruches „in“ bzw. „mit“ der „Moderne“ vgl. statt vieler jüngst Rosa (aaO. [Anm. 33] 334ff und v.a. 49f Anm. 76.

[75] Die prominenteste Veranschaulichung von Differenz und zugleich Zusammengehörigkeit beider ist August  Kekulés wissenschaftslegendärer Wachtraum: in dem ihm die Phantasie einer sich in den Schwanz beißenden Schlange zur Vorstellung der Möglichkeit einer zirkulären Anordnung der Symbole chemischer Elemente verhalf – dem später so genannten ‚Benzolring‘ (vgl. nur http://de.wikipedia.org/wiki/August_Kekul%C3%A9 – Abruf: 3.11.2014 – und dagegen, zur tiefenpsychologischen Sekundäranalyse, schon 1965 Alexander Mitscherlich: http://www.zeit.de/1965/38/kekules-traum  – Abruf: 5.11.2014)

[76] Zu diesen temporalen Modalisierungen vgl. v.a. Niklas Luhmann (z.B. ders., Weltzeit und Systemgeschichte. Über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme [1973], jetzt in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, 103-133, hier bes. 112-116)

[77] s. o. Anm. 23.

[78] „Man muss theologisch nicht so denken“ relativiert Ingolf U. Dalferth (Mere Passive: Die Passivität der Gabe bei Luther, in: ders., Umsonst. Eine Erinnerung an die kreative Passivität des Menschen, Tübingen 2011, 50-91) seine monografische Behandlung dieser maßgeblichen „Denkform“ von Luthers Theologie – „[a]ber wenn man im Duktus der Theologie Luthers zu denken versucht“… (Dalferth ebd. 51 mit Anm. 3). Hier auch zahlreiche Belege aus den Schriften Luthers selbst. Dass es sich um eine rechtfertigungstheologische und insofern genuin auf den ‚Menschen‘ bezogene „Denkform“ handelt, soll nicht verschwiegen werden; sie gleichwohl in den Horizont des Redens über ‚Kirche‘ einzuspielen, dürfte im obigen kontroverstheologischen Kontext legitim sein – die logische Brücke ist „…abscondita est Ecclesia, latent sancti“ (Martin Luther, De servo arbitrio [1525], nach LDStA 1, 322 Z. 27; vgl. hierzu Wilfried Härle, Dogmatik 2., überarbeitete Auflage Berlin/New York 200, 571-574)

[79] Man lese nur die unnachahmlichen Alltagsbeispiele: „Ob es ‚Helfen‘ ist, wenn jemand einem Professor ein Buch schickt, wenn die Polizei mit Blinklicht hinter dem Wagen mit Reifenpanne parkt und beim Reifenwechsel zuschaut, wenn ein Prüfer dem Prüfling leichtere und immer leichtere Fragen stellt oder wenn ein Chef seine nächsten Mitarbeiter zu einem Glas Bier einlädt, ist im Abstrakten nicht auszumachen“… (Niklas Luhmann, Formen des Helfens im Wandel gesellschaftlicher Bedingungen [1973], nach: ders., aaO [Anm 76], 134-149, hier 134)