"Es wackelt alles...!"

 

...und vielleicht mehr als das?!?

Jedenfalls für den/die, dem/r's ums Lebens willen um auch "theoretische" Wahrheitsgewissheit geht.

Unter diesen Umständen ist's praktisch egal wo anfangen. Im Folgenden beginnt's mit Wahrnehmungen an der aktuellen Exegese des Alten Testaments - es hätten, bei anders gelagerten Kompetenzen des Vf., auch Beobachtungen am Genfer Large Hadron Collider (LHC)(https://www.bmbf.de/de/large-hadron-collider-lhc-am-cern-1694.html) sein können, die darauf angelegt sind, das durch Einstein und Heisenberg ins "Wackeln" versetzte Weltbild der Physiker durch experimentelle Veri- oder Falsifikation zu stabilisieren.,.

Goethes "Faust" fällt einem ein "Denn eben wo Begriffe fehlen, / Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein".

Bisweilen leisten Metaphern, was "Begriffe" nicht mehr können - "Spiel", "Netzwerk", "Mobile" als sprachliche Instrumente des Bücherhamsters kommen vor - : zu fassen zu kriegen, was schon 2015 nicht 'dingfest' zu machen schien.

Aber dem Vernehmen nach ist auch bei Generationen von Physikern die Suche nach der "Weltformel" 2021 noch nicht fündig geworden.

 

Wer Unter- und Obertöne wahrnehmen will, braucht's als Download...

 

 

Schnell-Leser*innen - sie seien gewarnt (!!);

 

 

Frithard Scholz

Es wackelt alles –  oder: die regulative Idee des „Richtigen“

Fragen eines lesenden TextArbeiters zur zeitgenössischen Exegese des AT

 

An Qoh 19  erinnert:

„Nach Walther Köhlers Bericht soll es auf der Versammlung [sc. der „Freunde der Christlichen Welt”; FS] zu einem Eklat gekommen sein: Die »Freunde der Christlichen Welt« sind 1896 in Eisenach versammelt; Julius Kaftan aus Berlin hat einen sehr gelehrten, etwas scholastischen Vortrag über die Bedeutung der Logoslehre gehalten, die Aussprache ist eröffnet, da springt mit jugendlichem Elan ein junger Mann aufs Katheder und beginnt seinen Vortrag mit den Worten »Meine Herren, es wackelt alles« - Ernst Troeltsch. Und nun legt er los und entwirft in großen, festen Zügen ein Situationsbild, das sein Urteil bestätigen sollte. Zum Entsetzen der Alten; als ihr Sprecher redet Ferdinand Kattenbusch von einer »schofelen Theologie«, worauf Troeltsch die Versammlung verläßt und knallend die Türe hinter sich zuwirft. Wir Jungen aber horchen auf.’”[1]

 

Der Untertitel spielt auf Bertolt Brecht an, dessen historisch-materialistisch geschulte Ideologiekritik[2]. Die, viel später, diese Ideologiekritik auf die sogenannten Großen Erzählungen hin generalisiert haben, mögen darauf hinweisen, dass die Spitze des 1935 im Svendborger Exil entstandenen Gedichts nicht bloß der nationalsozialistischen Herrschaft galt, vor der Brecht geflohen war, sondern ebensowohl die ‚historische‘ Rechtfertigung der zeitgleich beginnenden ‚Säuberungen‘ der KPdSU Stalins traf.

Indes wäre es brecht-ignorant undialektisch, dieser Anspielung nicht auch Brechts Keuner-Geschichte „Mühsal der Besten“ zur Seite zu stellen:

„Woran arbeiten Sie?“ wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: „Ich habe viel Mühe, ich bereite gerade meinen nächsten Irrtum vor.“[3]

 

In Variation des bonmot-variantenreichen Ausdrucksverleihers Odo Marquard[4] – letzte Warnung an den Leser:

Die ‚Fragen des lesenden TextArbeiters‘ enthalten – und deswegen erscheinen sie auch nicht bei Suhrkamp – die Linksabweichung des Verfassers von sich selbst und deren Ende. Seither ist er gewarnt: auch eine Rechtsabweichung von sich selber würde ihn nicht zufrieden machen. Die Lage zwischen jener und dieser Abweichung: das ist offenbar er selber…

 

  1. Der Nicht-Fachmann hat den Eindruck, dass die ‚neuere Exegese‘ (um den 2015 zeitgenössischen Duktus der atl Disziplin seit ca. 1980 mit diesem ‚schwebenden’ Etikett zu belegen) in einem tiefgreifenden Umbau ihres Instrumentariums begriffen ist. Der zeigt sich nicht nur, um den auffälligsten Beleg zu nennen, in den ‚Ergebnissen‘ der Pentateuchforschung, die sich in großer Breite und sachlich weitgehend von den seit ca. 1900 (Wellhausen) bzw. 1950 (modifiziert durch Noth) leitenden Modell-Annahmen der Neueren Urkundenhypothese verabschiedet hat[5]. Sondern mehr noch in der Brechung des gewachsenen Monopols der historisch-kritischen Methodik, ja der Zermürbung von deren ausschlaggebender Maßgeblichkeit in der wissenschaftlichen Auslegung der Bibel[6]. – Der skizzierte Eindruck nährt die Vermutung: Die Exegese möchte sich lebensnäher, ja lebensdienlicher ‚aufstellen‘… Aber wie und um welchen Preis?

Vor rund 50 Jahren hat Rudolf Bohren, mitten in der Popularisierungsphase der Debatte um Bultmanns Entmythologisierungsprogramm, sein Friedhofs-Paradoxon zur Situation des Prediger-sein-Sollens formuliert „Nachdem er den Text historisch-kritisch beerdigt hat, soll er ihn existential wieder auferwecken“[7]. Gewiss wird man (um es historisch-kritisch zu würdigen) 2015 manches an Bohrens Aufsatz ‚nur historisch verstehen‘ mögen: den furor des unorthodoxen Barthianers in der Anwendung des Bösen Blicks auf die existentiale Interpretation (und deren Hermeneutiker); die sichtliche Sympathie für die ‚welt-theologische‘ Rehabilitation der Apokalyptik durch (seinen seinerzeitigen KiHo-Wuppertal-Kollegen) Moltmann; undund… Und sein Plädoyer für eine pneumatologische Fundierung der Exegese dürfte allenfalls unter den konfessorischen Voraussetzungen der ‚Wissenschaftslehre‘ von Barths KD I/1[8] akzeptabel sein, die kaum noch in Nischen aktuellen Theologisierens geteilt werden. Aber – um das „Vorverständnis“ (Gadamer) zu exponieren – werweiß steckt in Polemik und Affirmation noch eine heuristisch wirkungsvolle particula veri….

Die Polemik zehrt von der unterstellten Evidenz des ‚Zwei-Welten-Modells‘[9], einer der ‚unerledigten Anfragen‘ (so Barth 1920 in Sachen Overbeck) nicht nur an die Theologie. Dieses ‚Modell‘ ist neben der sachlich entsprechenden Verstehen-Erklären-Kontroverse in den Sozialwissenschaften, die schon länger, seit Dilthey und Max Weber, Spuren zieht[10], eine ungewöhnlich sprechende Ausprägung des Moderne-Phänomens, das später im Paradigma „gesellschaftliche Differenzierung“ begriffen wurde[11]. – In seiner Affirmation reklamiert Bohren, homiletisch interessiert, das Wirken des „Geistes“ – ‚hinter dem Rücken‘ des Exegeten und für das τελος der Exegese[12]; womöglich lässt sich das, diesseits des speziellen religiösen Codes, generalisieren. Die zeitgenössische Exegese scheint auf das „Ende der Moderne“ und deren normative Distinktionen zurückblicken zu wollen.

Ob und ggfs. wie und wofür dieser Paradigmenwechsel dienlich ist, muss sich zeigen lassen. Zwei Exempel vorweg.

 

  1. Markus Saur[13] will zeigen, wie „innerbiblische Auslegungsprozesse im antiken Juda verliefen und wie eine produktive Vielstimmigkeit die theologischen Diskussionen bestimmte [und] auf welche Weise biblische Texte die gegenwärtige theologische Arbeit (an)leiten können“[14]. Ohne die ‚kanonische Endgestalt‘ des Bibeltextes terminologisch zu honorieren, unterstellt er sie in seinen Ausführungen als gegebenen Ausgangspunkt seiner Auslegungshinweise: Für Gen 1-3 geht es ihm um das Kompositions-„Prinzip audiatur et altera pars“, um die „strukturelle Offenheit der Textpartitur“, die „Auslegung“ ohne Aussicht auf „eindeutige Ergebnisse“ fordere (138). Für Ez 18,19f (im Gegensatz zu Ex 20,5b-6/Dt 5,9b-10) nimmt er den „prophetischen Widerspruch“ als „hermeneutisches Prinzip“ in Anspruch (140). Für Ps 1 würden sich unterschiedliche Be-Deutungen zeigen, je nachdem der Leser Bezüge zur Ps 2, zur angenommenen „älteren Psalmensammlung von Ps 1-119*“ bzw. zum „vorliegenden Gesamtpsalter“ gewichte: „Die Deutung biblischer Texte hängt nicht allein von deren Nahkontext, sondern auch von deren weitergehenden Kontextualisierungen ab“ (139). Mit gewisser Einschränkung hinsichtlich des Letztgenannten, das auf Perspektiven literaturwissenschaftlicher Analyse ausgreift, lassen sich Saurs Beobachtungen auf Arbeitsschritte der „diachron“ angesetzten ‚klassischen‘ historisch-kritischen Methodik zurückführen. Allenfalls wie Saur die Rede vom „Autor“ (dieses oder jenes „Text“stücks bzw. einer ‚dahinter‘ erkennbaren „Quelle“) vermeidet und stattdessen von „Traditionsliteratur“, „Trägerkreisen“ u.ä. spricht (136. 137 u.ö.), deutet auf eine behutsame Überschreitung bisheriger Standards. Voreilige Zuweisungen des Beitrags unter den Schirm des „Postmoderne“-Paradigmas wären überzogen.

 

  1. Anders nimmt sich das schon bei Jan-Dirk Döhling aus[15]. Saur thematisiert vorwiegend[16] das Nebeneinander inkompatibler Be-Deutungen verschiedener Texte in der einen Bibel; Döhling geht es um das Zugleich inkompatibler Be-Deutung ein-und-derselben Textpassage. Er wendet sich Ex 34,29f.35 zu, dem atl Haftpunkt für das, was nach dem Aufkommen kritischer Erforschung der biblischen Textüberlieferung vielfach als „steingewordener Übersetzungsfehler“[17] herumgereicht wurde, die skulpturale Darstellung des Mose mit Hörnern (besonders prominent: Michelangelos Figur, jetzt in San Pietro in Vincoli in Rom) gemäß der Jahrhunderte maßgeblichen Vulgata, die in den vv. 29b.35 „facies cornuta esset“ bietet.
  • Gemäß aktuellem state of art historisch-kritischer Textforschung skizziert Döhling zunächst den takeoff der Handschriften-Geschichte des biblischen ‚Wort’lauts beim reinen Konsonantentext q-r-n und die Jahrhunderte nach derartiger Niederschrift masoretischen Vokalisierung durch infralineare Punktation zum qāran (glänzend, strahlend). Unbestimmt lassen seine Ausführungen, ob die minder breit überlieferte Punktation zum qæræn (gehörnt) eine in der Handschriften-Geschichte sekundäre Verschreibung des ‚richtigeren‘ qāran sei oder eine cum grano salis gleichursprünglich von Masoreten entschiedene Variante (die immerhin zum Haftpunkt im masoretischen Text schon für die Vulgata wurde!). Zumal beide Vokalisierungen etymologisch in der Ableitung vom Nomen קרן (meist: Horn, gel. auch Strahl [Hab 3,4]) konvergieren, erscheint die Frage sprachlich nicht entscheidbar.
  • Diese Konstellation nährt Döhlings hermeneutischen Grundsatz: „Texte erschließen ihr Profil in je konkreten, historischen, soziokulturellen und literarischen Entstehungs- und Verstehensräumen. Wörter gewinnen präzisen Sinn aus Sätzen, Sätze aus Abschnitten, Abschnitte aus biblischen Büchern und diese aus dem Horizont der einen, doppelten jüdisch-christlichen Bibel“ (279)[18]. Soweit noch alles im neuzeitlich-modernen Rahmen historischer Kritik in Verbindung mit der klassischen Handhabung des hermeneutischen Zirkels (wechselseitiger Ausdeutung des Besonderen und des Allgemeinen) – und auch noch das Insistieren darauf, dass im Blick auf die Bewertung der ‚qāran‘-Lesart „nicht vom richtigen, sondern vom wahrscheinlichsten Sinn die Rede“ sein könne (279; Kursivierung im Original). Die metabasis eis allo genos erfolgt erst, durchaus implizit, im nächsten Schritt: im programmatischen Verzicht darauf, aus der quantitativ gestützten Wahrscheinlichkeits-Feststellung (in der Logik des Mehrheitswahlrechtsprinzips ‚the winner takes it all‘) eine – und sei es: im Forschungsprozess revidierbare! – qualitative Richtigkeits-Entscheidung abzuleiten.
  • Offenkundig passt dazu die Bezugnahme auf rabbinisch-talmudische Schriftauslegung[en!][19], denen nicht nur das un-entschiedene Nebeneinander von Mehr- und Minder-Meinungen typisch ist, sondern die auch – auf die ihnen eigentümliche Weise – die Aufmerksamkeit auf die Wortwörtlich- und Buchstäblichkeit des ‚Textes‘ achten, der freilich nur im Gewebe seines symbolischen Beziehungsgeflechts sei, was er sei: ein „Text“. Über Döhling hinaus ließe sich in seinem Sinne auch die Verwandtschaft mit der „bibliologischen“[20] Pluralitäts-Hermeneutik der ‚Zwischenräume‘ (im Falle von Ex 34,29b des Konsonantentextes!) geltend machen, die sich auf die synchrone Pluralität von „Text“-Resonanz-Personen stützt.

Döhling selbst rekurriert (281ff) auf Thomas Manns Erzählung „Das Gesetz“, in der der Dichter den Ex-34-Moses „in aller Eile die Schrift erfinden[lässt], genauer die Konsonantenschrift, also das Schriftsystem, das aus Strahlen Hörner und aus Hörnern Strahlen macht“ (281): „die grundlegende Offenheit biblischerTexte […als] jedenfalls nicht nur ein Problem“ (282; Kursivierung im Original), sondern auch als Ursprung einer ‚Lösung‘, dem „Gotteseinfall“ (so Manns Ausdruck; 282). Döhling macht sich das Changieren des „Gottes-[…]“ zwischen genetivus subiectivus und obiectivus für ein Grundsatz-Argument[21] zunutze[22]: nicht mehr die Schrift, weltimmanenter Niederschlag des im Glauben hingenommenen „Gottesworts“ in Form eines menschlichen Artefakts, könne Maßgabe ihres immer nachgetragenen Verstehens qua gesprochenes oder geschriebenes „Menschenwort“ sein, vielmehr sei aufgrund der „Dialektik von Gotteswort und Menschenwort“ eine ‚Gleichzeitigkeit‘ (darf man von gleichursprünglicher Authentizität sprechen?) ‚auf Augenhöhe‘ zwischen der Schrift und ihrem Verstehen zu denken.

So deuten die auffälligen Konjunktive – Resonanzen auf die Konjunktive Manns („Ihm [sc. Moses] war als gingen im Strahlen vom Kopf, als träten ihm Hörner von der Stirn“; 282) – und Konditionalausdrücke[23] auch sprachlich an: Döhling wendet sich nicht nur achselzuckend, sondern programmatisch dem ‚Wahrheits-Ideal‘ einer exegetischen Erkenntnis zu, die als Multiversum eines Möglichkeitsraums vorzustellen wäre[24].

  • Textsortentypisch – ein Einleitungs-Essay für ein Heft mit „Predigtmeditationen“! – folgt noch ein Schlussabschnitt über die Bedeutung der – Predigt! – mündlichen Wiederholung des Geschriebenen, der erklärtermaßen „womöglich nicht ganz ernst, gewiss aber auch nicht unernst gemeint sei“, weil er ebenfalls in „[Berufung] auf den biblischen Text“ (284) stehe. Assoziative Bemerkungen, die die „Hörner“-Lesart des קרן stützen sollen, mögen hier beiseite bleiben. Wichtiger ist der Hinweis darauf, dass die Michelangelo vertraute Vulgata-Version (von bedabbrō ‘itō), „ex consortio sermonis Dei“ auch als „wegen der Teilhabe an der Predigt von Gott“ übersetzt werden könne[25].

Das nutzt Döhling als argumentative Brücke zu einer Passage über die Funktion des Mose als Aufschreiber und zugleich „ersten und maßgeblichen Ausleger“ (285) der Tora gem. Dt 1,5; zu dieser Passage hat offensichtlich die rabbinische Lehre von der schriftlichen und mündlichen Tora Pate gestanden[26]: wenn „gerade und nur die Predigt [… es sei], das für die neue Generation zur Tora wird (Dt 12,1)[…], wäre die Auslegung nicht nur etwas, das zu Tora hinzutritt, sondern etwas, das ihr inhärent ist und sie zur Tora macht“ (285). Nur noch ein kleiner Schritt zu Döhlings Schluss: „Das Wort Gottes, so ließe sich sagen [Konditionalis! FS], gibt es nach der Bibel selbst nur als Proklamation, in wiederholender Auslegung, die in Wortlaut und Inhalt über das alte Wort hinausgeht“ (285).

Dieser Schluss(-Satz) kann auch als Konklusion verstanden werden. Ob er, an erstklassig gewähltem Beispiel und mit dem understatement-Gestus des Exegeten („nach der Bibel“) vorgetragen, PredigerInnen (wie anscheinend beabsichtigt) zum eigenen Wort ermutigt – oder sie eher vor der Aufgabe, die „pluralen Möglichkeiten des Verstehens[….]als Möglichkeit[en] des Textes selbst aus[zu]weisen“[27] einschüchtert? Zwar ließe sich der Einschüchterungseffekt mildern, wenn die Rollendifferenzierung von ExegetInnen und PredigerInnen weiterhin unterstellt werden dürfte: wenn sich PredigerInnen mit ihrerseits avancierten Methoden der Methoden der – etwas ‚verstaubt‘ ausgedrückt –kanzelredenden ‚Applikation‘ sich auf ExegetInnen verlassen könnte, die im Rahmen ihres Mandats ‚Ergebnisse‘ ihres Text-Verstehens bereitstellen. Aber die Legitimität jener Rollendifferenzierung wird ja von Autoren wie Döhling grundsätzlich in Frage gestellt, indem sie die aktualisierende „Auslegung“ zum „inhärenten“ Moment des ‚Textes‘ erklären.

Jedenfalls: in dieser Auffassung stecken reichhaltige Annahmen über die Welt und über deren angemessenes Begreifen, die weiteren Nachdenkens bedürfen.

 

  1. Gemeinsam ist beiden Exempeln der nachdrückliche Hinweis darauf, dass Uneindeutigkeit, Vielfalt, Ambiguität etc. die Wirklichkeit des Lebens prägen, dem die biblischen Texte entwachsen sind und in dessen gegenwärtigem Horizont allein sie heute verstanden werden können. Der Hinweis als solcher wäre – ‚lebenserfahrungsmäßig‘ – keiner Erwähnung wert, trüge er nicht die Insinuation mit sich, jene ‚Uneindeutigkeit, Vielfalt, Ambiguität‘ sei die Maßgabe eines aktuellen ‚Welt-Begriffs‘. Das aber veranlasst einige Rückfragen:
  • Verlangt diese ‚Welt‘-Diagnostik eine ‚laissez-faire‘-Ethik (wenn denn diese Kategorie noch sachhaltig sein sollte)?
  • Der Gedanke einer regulativen Idee des „Richtigen“, ebenso erkenntnistheoretisch wie ethisch relevant: ist er damit hinfällig?
  • „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“ – so der Titel der Bielefelder Abschiedsvorlesung[28], in der Niklas Luhmann, anhebend mit einer Rekonstruktion der Soziologiegeschichte, die Spuren der (Pluralität auf Dichotomie reduzierenden[29]) Metaphysik bis zur Gegenstandslosigkeit abräumt. Hat er recht (und wenn ja, inwieweit?) mit seinem Schluss-Satz „Wenn dies gelänge, hätte man eine Gesellschaft, die sich mit Hilfe der Soziologie selbst beschreibt. Und was steckte dahinter? Gar nichts!“[30]?

Unter dem Anspruch Hegels, „Philosophie [sei] ihre Zeit in Gedanken erfaßt“[31], werden die Hintergrundsüberzeugungen „zeit“genössischer Exegese nicht gut durchgehen können. Aber wie lässt sich unsere „Zeit in Gedanken erfaßt“ verlauten?

 

  1. Ein „Gespenst geht um“ nicht nur „in Europa“ (um die Eingangs-Metapher des Kommunistischen Manifests umzukontextieren): Seit Jean-François Lyotards kleiner Schrift „Das postmoderne Wissen“[32] ist der Terminus „Postmoderne“ endemisch geworden. Im Anschluss an Lyotards Schrift ist zwar eine ‚Epochen-Diskussion‘ (in was für einer ‚Zeit‘ leben wir, die wir ja unseren Geburtszeitpunkt nicht aussuchen können?) explosionsartig aufgebrochen, aber dann in den frühen 1990er Jahren erlahmt und aufgesplittert. Schon das ein bedenkenswürdiges Phänomen: Signalisiert die Ermattung der Diskussion ‚alles Mögliche ist gesagt‘? Hat sich die Intellektuellen-Debatte stillschweigend als überholt, als in den Evidenzen der „wirklichen Bewegung“[33] (Globalisierung) untergegangen erschöpft? Evidenzen, die nur noch Klein-Diskussionen ums Wie phänomenen-gerechter Konzeptualisierung zuließen, nicht aber die Neu-Thematisierung des Ob eines solchen „Paradigmenwechsels“[34]? Einige ausgewählte Konzepte seien angeführt:
  • Die entschlossenste Variante stammt von Lyotard: Er unternimmt – hier nur sehr pauschal referierbar[35] – einen Generalangriff auf die intellektuelle Imprägnierung der „Moderne“. Populär geworden ist er mit seiner Anprangerung der von ihm einprägsam so genannten „großen[…]Legitimierungserzählungen“[36], die die Denkwege der „Moderne“ gebahnt hätten, aber vor der Vielfalt des gegenwärtig Wahrnehmungsbedürftigen in ihrer Erschließungskraft versagen. Argumentative Voraussetzung dafür ist eine eigenwillige Rezeption der „Sprachspiel“-Theorie des späten Wittgenstein; Lyotard verschleift vorsätzlich die Differenz der Medien „Wahrheit“ und „Macht“ hinsichtlich der Funktionsweise von „Sprachspielen“. Überhaupt ist ihm die Denkform ‚Theorie‘ ebenso stillschweigender wie illegitimer Herrschaftsambitionen gegenüber dem realiter Gegebenen verdächtig: er kritisiert den Logozentrismus des neuzeitlichen Denkens und strebt eine paradoxe ‚Theorie‘ der Unbegrifflichkeit an[37]. – Ein Gestus, der an das rabiate „erledigt“ von Bultmanns Alpirsbacher Vortrag von 1941 erinnert. Wenn nicht gleich an Nietzsches große De-Legitimierungserzählung „Wie die wahre Welt zur Fabel wurde“, die den Ausbruch von „Teufelslärm aller freien Geister“ feiert[38]
  • Wolfgang Welsch[39], in monografischem Umfang erster deutschsprachiger Respondent, wiegelt ab: Nichts Neues unter der Sonne! „In der Postmoderne [gelangen] spezifische Errungenschaften der Moderne zur Einlösung“ (185). Zwar nicht ‚schon immer’, so doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts seien – zumal im Horizont der besonders moderne-typischen hard sciences wie Astro- und Atomphysik sowie mathematischer Logik! – Einsichten maßgeblich geworden, die „Totalitätsintentionen des Wissens [brechen] und Wahrheitsansprüche auf das Maß spezifischer und begrenzter Transparenz reduzier[en]“: so exemplarisch Einsteins spezielle Relativitätstheorie von 1905, Heisenbergs Unschärferelation von 1927, Gödels Unvollständigkeitssatz von 1931 (186f). Im „postmodernen Wissen“ habe Lyotard ‚lediglich‘ Konsequenzen aus der zwingenden Einsicht, dass die „Wirklichkeit[…]nicht homogen, sondern heterogen[…], nicht einheitlich, sondern divers strukturiert“ (188) sei, gezogen – und zugleich nicht nur das Wahrheitsmonopol der Wissensform ‚Wissenschaft‘ entkräftet, sondern auch dafür geworben, die Wahrnehmung jener „Wirklichkeit“ als „Befreiung und Chance“ zu „empfinde[n]“ denn als „auferlegtes Schicksal“ (190)[40]. Für Welsch sind aus „hochkulturellen Innovationen[…]Selbstverständlichkeiten des Alltags geworden“ (195): Es gehe „nicht um ein laissez-faire, sondern um eine Vision: Vielheit ohne letzte Koordinierung als ‚Gestalt von Freiheit; die Doppelung von punktueller Bestimmtheit und umgebender Unschärfe als Signatur der Wirklichkeit; das Spiel der Interferenzen, Kombinationen und Übergänge als Vollzug von Leben“ (202). – Ein veritables Plädoyer zur Entdramatisierung der Intellektuellen-Debatte von vor fast 30 Jahren, das auch gewirkt hat. Aber womöglich blieb im Überschwang des Plädoyers etwas vergessen, eine sinnlichkeitsfern ‚tiefer liegende‘ Einheit der divers strukturierten „Wirklichkeit“. Immerhin schiebt der Philosoph seinem adhoc-Plädoyer 8 Jahre später eine im Umfang monumentale Vernunft-Theorie hinterher[41].
  • Eine durchaus auf Alarm gestimmte[42] „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“ (Freyer) entwickelt Ulrich Beck. (Der für seinen Denkansatz eher untypische Alarmismus verweist darauf, dass er – das Erscheinen des Buches wird vom Epochenereignis ‚Tschernobyl‘ überholt![43] – nicht nur auf zustimmende Resonanz in der scientific community setzt, sondern auch ‚politische‘ Aufmerksamkeit und Konsequenzen erwirken will.) Zwar hält er die mit der „Vorsilbe ‚post-‘“ (R12) firmierenden Konzepte (Welsch ausdrücklich ausgenommen![44]) für begriffsschwachen Feuilletonismus (ebd.), aber schließlich operiert er selber mit einem durch empirische Verallgemeinerungen instrumentierten, soziologischen, Begriff von „Moderne“: Moderne sei bestimmt durch die empirische Triftigkeit von durch „Stellung im Produktionsprozeß“ definierte „Großgruppen-Kategorien“, durch die „Auflösung der traditionalen Ordnung“ vermittels „Kunst der Trennung (Richard Rorty)“, durch die „Eigengesetzlichkeit“ der „Teilsysteme“ mit der Folge von „Steigerung und Entfaltung systemspezifischer Zweckrationalität“ (P72-75) – so Becks Formel für das τελος des Modernisierungsprozesses.

Aus Beobachtungen der zeitgenössischen Moderne lasse sich aber schließen: Der unaufhaltsame – vorsichtiger formuliert[45]: faktisch unaufgehaltene – Modernisierungsprozess drehe sich zur Inversion, zu „Selbstanwendung“, mit der Folge, dass jenes τελος überlagert wird durch die Berücksichtigungsbedürftigkeit seiner „Nebenfolgen“ (P71). Marxisch formuliert, müsste man von einem ‚Umschlag von Quantität in Qualität‘ sprechen; und Beck wählt – Kontinuität, Krise und Statusübergang ineins meinend – dafür den Terminus „andere“ bzw. „Zweite Moderne“[46]. Die von ihm geltend gemachten Merkmale der in diesem Sinne „[r]eflexive[n] Modernisierung“ (P77) können im einzelnen hier beiseite bleiben; gemeinsam ist ihnen, dass ihre theoretische Erfassung der Dekomposition und des Neuarrangements von Kategorien bedarf, die ihrerseits einer von Theorie-Standards der ‚ersten Moderne‘ unverstellten Wahrnehmung neuartiger Phänomenen-Komplexe sich anschmiegen: „…das Handeln der Individuen rückt damit ins Zentrum.[…] Es entstehen kontradiktorische Selbstverständlichkeiten, die Wahlen, Entscheidungen, Zurechnungen, Konflikte erzwingen, damit auch permanente Koordinations- und Koalitionsleistungen, und zwar in der Privatsphäre wie im Beruf, in der Politik, im Handeln innerhalb und außerhalb von Organisationen“ (P91).

  • Hartmut Rosa macht in seinem breit rezipierten Buch „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“[47] fußnotenweise-beiläufig den Sortier-Vorschlag, „von Spätmoderne in struktureller, von Postmoderne dagegen in kultureller Perspektive zu reden[… . N]atürlich [indiziert] Postmoderne einen weit stärkeren Bruch in bzw. nach der Moderne als Spätmoderne. Der erste Begriff legt das Eintreten eines qualitativ Neuen nahe, während der zweite eher eine neue Gestalt des Alten (d.h. der Moderne selbst) anzeigt.“[48] Mit dieser Differenzierung lässt sich anschlussfähig weiter denken (zumal Rosa selbst in seinem Kapitel „XI.3 Von der zeitstabilen zur situativen Identität: Die Verzeitlichung der Zeit“ vorzugsweise vom Terminus ‚Spätmoderne‘ Gebrauch macht). Hier sind v.a. die von Rosa herausgearbeiteten Merkmale des Konzepts[49] einer ‚situativen Identität‘ bemerkenswert:

‚Situative Identität‘ sei gekennzeichnet durch

  • „zumindest minimale narrative Verknüpfung“ der Zeitdimensionen und „der verschiedenen Sinn- und Funktionsprovinzen des je eigenen Lebens“, freilich je nach „gegebene[m] situative[m] Kontext“,
  •  „gleichsam [sc. körperbezogen; FS] habitualisierte Kontinuität“ im „Umgang mit den Zu- und Wechselfällen des Lebens“, mit nur schwachem Empfinden für Probleme, die sich aus „Inkonsistenzen“ des „postmodernen Credos ‚Ich bin viele‘‘“ ergeben können,
  • die Substitution von „Kontinuität und Kohärenz“ durch „geliebte Objekte“ (Tilmann Habermas), typischerweise passageren Charakters,
  • und „weit jenseits derartiger Stabilisatoren“ durch ein „gleichsam ‚angeborenes‘, prädikatloses ‚Kern-Selbst‘“[50]

Nicht nur die zahlreich eingestreuten Konjunktive unterstreichen das Hypothetische daran – ein Versuch, ein aktuell emergentes Phänomen zu konzeptualisieren! Auf – leibbezogen indisponible – Grenzen der „existentielle[n] Möglichkeit einer solchen Form des Selbstverhältnisses“[51] verweist Rosa (selbstkritisch?) mit seinen empirisch gestützten Bemerkungen über „Depression[…]als Pathologie der Spätmoderne[52].

 

  1. Die Theoretiker der „Post-“, „Spät-“, „Zweiten“ „Moderne“ scheinen eigentümliche Zeichen der Zeit zu erkennen, die mit überkommenen Wahrnehmungskategorien nicht adäquat zu erfassen sind. Wobei der Rekurs auf die biblische (Mt 16,3), ihrerseits Substanz-Metaphysik atmende Redewendung ‚Zeichen der Zeit‘ seltsam anmutet: Sie honorieren Oberflächenphänomene kategorial – unter Bestreitung dessen, dass sei von Etwas ‚nur Oberfläche‘ seien. Gemeinsam leitend ist der Respekt vor dem vielfältig Individuellen, das mit der Zuschreibung, „Zeichen der…“ zu sein, nicht nur unter- sondern gar fehl-bestimmt sei; Virilios Zuspitzung, „Substanz und Akzidenz [sic!] hätten seit der Zeit des Aristoteles ihre Rollen vertauscht: Ephemeres wird zur Notwendigkeit, Substanz wird nebensächlich“[53], legt den Finger in die Wunde.

Nur: welche Wunde, und wessen? Die Metapher kann vergessen machen: hier geht es nicht um ‚Fleisch und Blut‘, sondern um metatheoretische Fragen des Text-Verstehens, um die regulative Idee des „Richtigen“. Wen und worin verletzt (um die Metapher auszureizen) der ‚Herrschaftscharakter‘ der Metaphysik, wen und worin deren seit einem Jahrhundert angesagtes „Ende“? In diesem Sinne ‚betroffen‘ sein können so oder so nur Denkende, die darauf aus sind, gelebtes Leben, an dem sie teilhaben, durchs un-sinnliche Begreifen für sich zu ordnen, auf diese oder jene Manier: und deren Möglichkeitenspektrum reicht, allerlei Zwischenstufen inklusive, von der Option der solistischen Zentralperspektive[54] bis zur Option der Parataxe von Inkommensurablem[55]. Im Interesse der Konsistenz von Aussagen jenes Begreifens wird es ohne ein Entweder/Oder nicht gehen – die klassisch-„moderne“ Unterstellung. Aber was ist, wenn der ‚die Verhältnisse‘ den Boden entzogen schon haben sollten: wenn „alles wackelt“ (Troeltsch) bzw., in einer neueren Metapher, ,rutscht‘[56] – und der Kalauer „also: entweder konsequent oder inkonsequent; aber dies ständige Hin und Her muss aufhören!“ bezugspunktlos in der Luft hängt? Gibt es ‚noch‘ einen für diese oder jene ‚Verletzung‘ sensiblen Punkt, lässt sich er sich überhaupt ‚noch‘ gegenwartsadäquat denken?

Die in 5. herangezogenen Theoretiker, die ‚Pluralismus‘ als Welt- und Denkmodell anstelle der Einheitszwänge überkommener Metaphysik empfehlen, räumen die Basisunterscheidung von Seiendem und Erscheinendem bzw. Transzendentalem und Empirischem ab; verschwebt alles Erkennenwollen in Nietzsches Nihilismus der ‚Geschichte eines Irrthums‘ „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht?... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft![57]? Zwar hatte Johann Gottlieb Fichte noch 1797 als indisponiblen Bezugspunkt de Denkens über die Welt postulieren können[58]

Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat.“

Aber es mutet 2015 nicht nur der Ausdruck ‚philosophisches System‘ anachronistisch an, sondern auch der Ankerpunkt ‚was man für ein Mensch ist’ erscheint bodenlos geworden: die über Jahrhunderte unterstellbare Eineindeutigkeit des ‚praktischen Subjekts‘[59] ist durch die aktuellen Phänomene unterlaufen, die erprobungsweise Kategorien wie „patchwork-Identität“[60] herausgefordert haben[61].

Soviel an Andeutungen zur Explikation des „Vorverständnisses“ (ein Terminus der Gadamerschen Hermeneutik wird hier ’eingeschlichen‘…) für die weitere Erörterung der Grundlagen des Verstehens – zumal biblischer – Texte. Zwar mag es sich beim Verstehen (und: zu-verstehen-Geben) biblischer Texte um einen Sonderfall menschlichen Erkennens handeln. Aber unstrittig dürfte sein: auch bibeltext-interpretierende Sätze müssen die Eckdaten begrifflicher Ordnung von derlei Ausdrücken gelebten Lebens wahren. Die Rede ist von Minimalbedingungen der intersubjektiven (um nicht einfach, lebensweltsprachlich, zu sagen: zwischenmenschlichen) Anschlussfähigkeit von derlei Sätzen.

 

  1. Für jene Minimalbedingungen mag vorerst die Erinnerung an die regulative Idee des „Richtigen“ geradestehen.

Der Sprachgebrauch ‚regulative Idee‘ greift zurück auf den Kants, ohne sich exklusiv von dessen Systemarchitektonik einbinden lassen zu wollen. Schließlich ließe die „regulative“ Funktion der „Idee“, „im Denken zu orientieren“, nicht weniger auch an Platons Höhlengleichnis[62] denken – das verbindende tertium ist das Modell der unendlichen Approximation[63] („eine systematische Einheit[…], welcher sie [sc. die Vernunft; FS] die empirisch-mögliche Einheit zu nähern sucht, ohne sie jemals völlig zu erreichen“[64]). Woraus sich, Kant-bezüglich, einerseits ergibt, dass das „Richtige“ in seiner Funktion einer ‚regulativen Idee‘ nicht verwechselt werden darf mit einem forschungs-operativen ‚Kriterium‘. Und andererseits wird deutlich, dass die „Vernunft“ ein wesentliches Korrelat der „Idee“ ist – wobei die Leib-(incl. Welt-!)Gebundenheit der „Vernunft“, jener ‚transzendentalen Subjektivität‘, in Verkörperung durchs empirische Ich, bei Kant eigentümlich marginalisiert wird.

Natürlich fungiert das „Richtige“ auch als Kriterium von Ergebnissen methodisch geleiteter Forschung; dessen formale wie materiale Bestimmung ist de facto kontinuierlich Diskussionsgegenstand der scientific community. Aber woran richtet sich deren Übereinkunft aus? Die konsensualistische „Idee“ des mittleren Habermas der idealen Sprechsituation[65] ist weithin geläufig, und auch wie der ‚verfahrens‘-trainierte Luhmann das „Lachen der Thrakerin“[66] imitiert, indem er den Philosophen ironisch zurückfragt, ob denn der „Konsens der Vernünftigen“ allemal „vernünftiger Konsens“ sei[67]. Oder reicht für die – die ‚Forschungsfront‘ zeitweilig befriedende – „Richtigkeits“-Zuschreibung der community das prosaische „h.M.“-Siegel aufgrund bloßen Faktums der Mehrheitsauffassung? Auch dafür gibt es aktuell mehr oder minder konsolidierte Konzepte: um nur den Pragmatismus von Rorty zu nennen, oder die Spielarten des Radikalen Konstruktivismus[68].

Somit erweitert sich unversehens die Dimension des Klärungsbedarfs um das Spielfeld der Erkenntnis-, Wahrheits- und, davon abgespalten, Wissenschaftstheorien sowie als mitgeschleppte Tiefenschicht, der Metaphysik. Unweigerlich sind die tradierten Gestalten der Metaphysik samt den Weisen und graduellen Abstufungen von deren Beerbung und Ersatz in der Frage nach dem (‚transzendentalen’) Rahmen dieser Klärung präsent: Eine dieser Positionen müssen ExegetInnen faktisch eingenommen haben (‚voraus-setzen’) – nur welche: Platon? Aristoteles? Kant? Hegel? Habermas, Apel? – Peirce? Dewey? einer der selbsternannten „Postmodernen“ ist schon oben zu Wort gekommen; andere, wie Derrida, verdienten Erwähnung. Die name-dropping-Liste darf unvollständig bleiben. Zumal es hier bei dieser Andeutung bleiben muss.

Denn eine Zwischenbetrachtung ist unverzichtbar. Es spricht einiges für die Feststellungen:

  • Die Wahrheits-, später auch Wissenschaftstheorien der Moderne beziehen sich weitestgehend auf Gewissheitsfragen von Sätzen der sich im 19. und 20. Jh. stürmisch entfaltenden Naturwissenschaft[en]; ihnen galt auch das (sit venia verbo!) Forschungsinteresse von Kants „Kritik der reinen Vernunft“, selbst wenn diese darauf ausging, die jahrhundertelang (nicht erst seit Thomas von Aquins maßgeblicher Formulierung) dominierende Korrespondenztheorie der Wahrheit zu hinterfragen auf die ‚Bedingungen der Möglichkeit‘ von Sätzen der ‚Erkenntnis a posteriori‘, sprich: aufgrund sinnlicher Erfahrung. Die Anwendbarkeit jener Wahrheitstheorien auf die – terminologisch wirkmächtig erst von Dilthey so genannten – Geisteswissenschaften ist beschränkt und im einzelnen zu überprüfen; am ehesten hierfür in Frage kommen die Ansätze, die sich dem linguistic bzw. später auch cultural turn der Philosophie im 20. Jahrhundert (und deren Hochschätzung der „Umgangssprache“!) verdanken und die die Generierung jener ‚Bedingungen der Möglichkeit‘ einer ‚Sprechergemeinschaft‘ zuschreiben.
  • Mit Schleiermachers Bemühungen um eine Lehre vom Verstehen hat die „Hermeneutik“ begonnen, sich als Nachfolge-Struktur der Metaphysik im Denken zu etablieren. „Nach-“ im Sinne dessen, dass die raum- und zeitlose ‚reine‘ Intellektualität der das Denken ‚tragenden Balken‘ ersetzt wird durch deren Leibgebundenheit. An die Stelle der solitären Zentralität der transzendentalen Subjektivität rückt das Gespräch zwischen dem einen und dem anderen empirischen Subjekt, deren verstehensbemühtem Dialogisieren allein die Kompetenz des Transzendentalen zuzutrauen sei, eine Welt in ihrem So-und-so-Bestimmtsein erfahrbar zu machen. – Und „-folge“ in dem Sinne, dass dem Metaphysik-Kritiker Kant und der „Hermeneutik“ (wenn auch material unterschiedlich besetzte!) Rest-Metaphysiken gemeinsam sind: bei jenem ist es das Vorausgesetztsein des Dinges-an-sich sowie jener außer-sinnlichen Subjektivität als Trägerin des Apparats von Kategorien der Ermöglichung von dessen bestimmter Erfahrung im Erscheinen – auch diese zehrt von einer ‚immer schon‘-Unterstellung: bei Schleiermacher die Verbundenheit von Text-Lesern wie -Verfassern (bzw. aktuell kopräsent Dialogisierenden) in der Gemeinsamkeit des kontingenten Verkörperns eines überindividuellen (über-empirischen!) Lebens[69].
  • Aufs Ganze gesehen, ist in den letzten zwei Jahrhunderten ein grundstürzender Umschwung in den Eckdaten der prima philosophia zu bemerken, gleichsam eine Kontinentalverschiebung der geodätischen Meßpunkte der Intelligenz. Das menschliche Denken, zu Beginn der Neuzeit als Descartes’ Cogito im Hochgefühl eines maȋtre et possesseur de la nature sich sonnend, zum sich selbst und sein Anderes „sezend[en]“ Ich (Fichte) idealistisch aufgeschwungen, zeigt eine Neigung sich zu erden; und auch das Immer-schon-Argument, mit dem Hegel wie Schleiermacher jenen subjektivistischen Überschwang einzuhegen versuchten, zeigt inzwischen diese Tendenz zu Verzeitung und Verortung. Mit Plakaten wie ‚Pluralität, Diversität, Ambiguitätstoleranz‘ wird für den Zusatznutzen der Selbstrelativierung durch Verendlichung im Denken geworben[70]. Freilich wird mit dem Einstreichen der Selbstverendlichungsgewinne leicht ‚das Kind mit dem Bade ausgeschüttet‘[71]:

„Der postmoderne Mensch, der das Ende der großen vereinheitlichenden Synthesen traditionellen metaphysischen Denkens überlebt hat, vermag ohne Neurose in einer Welt zu leben, in der Gott nicht mehr anwesend ist, in einer Welt folglich, in der keine stabilen und garantierten Strukturen mehr existieren, die uns eine einzige, letzte und normative Grundlage für unser Wissen und unsere Ethik bieten können.“[72]

Aber es bleibt Bedarf an Indisponiblem im Denken und sich-selbst-Denken, weil und sofern das Denken den Gegebenheiten endlichen Lebens von Denkenden strukturell kompatibel sein muss, um den zeit-örtlich situierten Denkenden den (innere Äußerung: begreifend, oder ‚verstehend‘) Zugang zur Welt, in der sie leben, zu erschließen. Unsereins hat keine Wahl, in welchem Jahrhundert und in welchem Weltteil er/sie geboren wird; das Irgendwann-sterben-müssen ist weder durch Moderne noch Postmoderne ‚in der Wirklichkeit‘ gegenstandslos geworden; beide Gegebenheiten sind in einer dritten verknüpft, der Irreversibilität der Zeit des Lebens, das sich in und mit einem/r Jeden dazwischen ‚abspielt‘. Für diese Konstellation von Bestimmungen steht platzhalterisch die Denkfigur ‚praktisches Subjekt‘ – eine existenzialphilosophisch anmutende Figur (vom Vf. einigermaßen selbstdenkerisch entwickelt[73]), die die lebensgeschichtliche Einmaligkeit ihres Selbst mit dem Scheitern[74] an den (der philosophischen Tradition verdankten welt-konstituierenden) ‚Selbst‘-Ansprüchen integrieren soll und an der Paradoxie dieses Zugleich, d.h. am eigenen ‚Selbst’sein-Müssen, begrifflich zergeht.

Also: „es wackelt alles“? nur „alles“? Folglich: Hermeneutik anstelle Metaphysik[75] – oder treffender: Metaphysik und Hermeneutik, und beides diesseits zerfaserter Universalitätsansprüche mit dem ermäßigten Anspruch von theories of middle range?

Bevor der lesende TextArbeiter – wenngleich universalitäts’besessen‘[76] so doch von den Gegebenheiten seines individuellen Nachdenkvermögens zu Bescheidenheit angehalten –  zu seinen Anfangs-Fragen zur Bibel-Exegese zurückkehrt, gönnt er sich noch einen wehmütigen Seitenblick auf den vielversprechenden, aber umstände- sprich: endlichkeitshalber nur angesetzt gebliebenen, werweiß auch nicht ausführbaren Versuch einer Grand Theory[77]: In seinem posthum edierten Hauptwerk zeichnet Georg Picht das „Bild“ des „Weltspiels“, mit einem sprachlichen Ausdruck[78], der (um eine ihm eher fern liegende Analogie zu wählen) auf der Ebene der ’Betriebssysteme‘ des Denkens liegend angesiedelt ist[79]: Picht, unter den Mit„spielern“ von Parmenides über Hegel bis Heidegger souverän operierend, entwickelt im Ausgang von der Kantischen Figur der „transzendentalen Einbildungskraft“ die Vorstellung eines Miteinander von ‚Anwendungsprogrammen‘ des Denkens, die unterschiedliche Relationen zur Welt ‚darstellen‘.

Dabei ist das Bildwort vom „Weltspiel“ zugleich als Real- wie als Reflexions-Begriff aufzufassen: als Bezeichnung der effektiven Struktur oder besser: Prozedur der wirklichen Welt, die letztendlich in der Irreversibilität der Zeit wurzelt, sowie als Erkennen und ‚Befolgen‘ von dessen „Spielregeln“ – „Philosophie das verstandene Weltspiel“ (611.615). Die „Spielregeln“, nach denen Theorien miteinander konkurrieren – Verbot von Selbst-Verabsolutierung, Gebot komplementärer Stellvertretung[80] – sorgen für Pluri-Perspektivität und Selbstzurücknahme des Denkens gegenüber der „Welt“, die „wirklich“ es ist, die „spielt“: „durch das Spielen [soll] selbst durchsichtig werden, was eigentlich vor sich geht, wenn es in uns denkt[!]“ (614f). Das Spiel der Welt ist etwas dem Denken letztlich Externes, in das das Denken (die Denkenden) sich allenfalls, mehr oder minder angemessen, einschwingen können. Und müssen! Denn – so Picht in Bezug auf Kants „Weltbegriff“ der Philosophie – der „Mensch ist ein Lebewesen, das nur existieren kann, wenn es das Weltspiel spielt“ (642) und „so etwas wie ein Selbstverständnis nie unabhängig von einem korrespondierenden Entwurf des Universums zu entfalten [vermag]“ (643). – Irreführend freilich ist die bei der Rede vom „Spiel“ naturwüchsig mitlaufende Konnotation eines Gegensatzes zum „Ernst“ (etwa „der Strenge des Denkens“); vielmehr nennt Picht „Spiel“ diejenige „Handlung, Bilder so zu erzeugen, daß uns zugleich bewußt bleibt: sie sind nur Bilder“, „Bilder“ freilich, „die etwas sichtbar machen, was ohne Hilfe dieser Bilder nicht erkannt werden kann“ (608): „wenn es in uns denkt, [werden] wir[…] in ein Spiel hineingezogen, das uns die Wahrheit zu erkennen gibt, sofern wir wissen, daß es nur ein Spiel ist. Dieses Spiel ist keine Veranstaltung der Menschen“(609). Der Ernst des Spiels prägt sich dem Denken auf und ein in eben dem Maße, indem es sich durchs Eindringen in (richtiger wohl: das Überwältigtwerden durch) die „Erfahrung von Zeit“ (653) vom Spiel der wirklichen Welt über die vom Weltspiel der Metaphysik definierten Grenzen hinaus treiben lässt. Dieses Innewerden von „Zeit“ unterläuft die „Differenz von phänomenaler und transzendentaler Zeit“, die der „denkenden Erfahrung der Einheit der Zeit ja schon vorgegeben“ (651) sei, in der „Erwartung des Todes“ als des – jenseits des Spielraums der parmenideischen Metaphysik – „totalen Austritt[s] aus der Zeit“, der in das „Nichts des Denkens“ verweise (652f). Kants Grenzbegriff vom „Abgrund der Vernunft“ reklamierend, spricht Picht von einer „nicht objektivier[baren] Erfahrung, die „sich zeige“ (654). In diesem Jenseits des „Schema[s] der Metaphysik“ verschwinde nicht nur der „Widerspruch zwischen Kausalität und Freiheit“, sondern es könne auch die Je-Einmaligkeit eines Phänomens – ungeachtet dessen ‚Ableitbarkeit‘ als ‚Fall‘ eines „allgemeinen Gesetzes“ (660-663) – zu ihrem Recht kommen (principium individuationis).

Soweit zu sehen, hat Georg Pichts posthumes Hauptwerk wenig literarischen Nachhall gefunden, von Resonanz, gar Rezeption zu schweigen[81]. Erstaunlich auf den ersten Blick: Ob „Von der Zeit“ einfach als ‚nicht an der Zeit‘ galt? als bloß idiosynkratische[82] Melange von heterodox sich gerierendem Heidegger-Erbe und, bei aller Komplexität aus gelehrter Detailanalyse Kants und globalem Horizont, konfessions-partikularer Denke? Immerhin bietet es doch ein Meta-Modell zur wechselseitigen Adoption der „zwei Kulturen“[83] – höchst-verdichtet in der gewagten mystischen Wendung „wenn es in uns denkt“ (609.614.696 u.ö.)[84]: einer Wendung, die die Grenzen des begrifflich Formulierbaren ausreizt, indem sie das Ineins-Fallen von Denken und Leben insinuiert.

 

  1. Zurück zum Text! Die tour d’horizon durchs auswahlweise fixierte Panorama hermeneutischer Grundannahmen, der ‚Voraus-Setzungen‘ zeitgenössischer Exegese (die immer schon ‚optionalen‘, einen Wahlpflicht-Charakter trugen und tragen[85]) sollte und konnte nur die Leser-Seite des exegetischen Konstellation in Blick nehmen. Zurück zum Text der Bibel, dessen Sinn zu erschließen die Exegese ja ausgeht. Aber so einfach ist auch das nicht, sondern verlangt die Bestimmung einiger Begriffe, zumindest konventionsförmige Klärung des Sprachgebrauchs.
  • Unterstellt wird, dass es in der Exegese der Bibel um die Erschließung des Sinnes von Texten geht. Wobei der terminus ‚Text’ erst einmal einen Vers (oder entsprechende Einheit) meint, dann aber auch den größeren Komplex eines ganzen biblischen Buches (was immer ‚die Exegese’ als ein ‚biblisches Buch’ identifiziert haben mag).

Und sie geht davon aus, dass ein ‚Text’ verschriftlichter Ausdruck von ‚Leben’ ist, das die Urheber [sc. des ‚Textes’] den LeserInnen als mit Bezug auf „Gott” gedeutetes Leben vorstellbar machen.

Die mit dem Leben und in es verschmolzene Deutung mag - zumal angesichts der Pluralität von Lebenden - „uneindeutig, vielfältig”, ja „ambigue” sein (und das u.U. nicht nur im Vergleich mehrerer, sondern sogar in der Befindlichkeitsdeutung eines/r Einzelnen!); aber deren [sc. der Lebensdeutung] als Text verschriftlichter Ausdruck wird eben dies eindeutig zu lesen geben - ansonsten wäre er nur ‚Rauschen‘, dessen ‚Sinn‘ auch durch Exegese grundsätzlich nicht zu ‚erschließen‘ wäre.

  • Aber dann die Rede vom ‚Sinn‘ des ‚Textes‘! Sie ruft die diversen sensus-Lehren von der Antike bis zum mittelalterlich konsolidierten ‚vierfachen Schriftsinn‘ auf den Plan – und hintendrein Luthers Kritik an dieser Pluralität, die das Monopol des sensus literalis legitimieren sollte, jedenfalls über mancherlei Vermittlungsstufen die spätere Prädominanz der historisch-kritischen Methode begründet hat (die ihrerseits – siehe den Anhang - gegenwärtig zumindest im Zerfransen begriffen ist); hier gilt es also zu entscheiden. Und allein schon die Metapher „erschließen“ ruft eine in sich diverse Vorstellung auf (aus der zwei und nur zwei Varianten grob markiert seien):
  • Der ‚Sinn‘ ist ‚drin‘ – im ‚Text‘ nämlich, der seinerseits eine vom ‚Sinn‘ gesonderte, diesem äußerliche Hülle ist. Der Leser des ‚Textes‘ kann zu dem so verhüllten ‚Sinn‘ nur gelangen mithilfe eines passenden Schlüssels für die Hülle – und kann ihn nach Öffnung der Hülle als vom ‚Text‘ Bewahrtes entgegennehmen sowie sich daraufhin zum ‚Sinn‘ zwischen Zustimmung und Ablehnung verhalten, nach Maßgabe des schon diesseits des ihm erschlossenen ‚Text-Sinnes‘ gelebten ‚Sinnes‘.
  • Der ‚Sinn‘ ist zwar ‚drin‘ im ‚Text‘ – aber er, gleichsam ‚in sich (nämlich: bloß im ‚Text‘) tot‘, wird erst durch den „erschließenden“ Akt des Lesers ‚lebendig‘. Und zwar im Leser, der den schon gelebten ‚Sinn‘ nun um den ‚Text-Sinn‘ anreichert[86]: ein Modus der produktiven Rezeption, in dem die Zustimmung/Ablehnung-Entscheidung bereits eingeschmolzen ist.

Dabei wird das formale Innen/Außen-Schema von ‚Sinn‘ und ‚Text‘ seit Paulus (2. Kor 3,6) wirksam überlagert durchs dialektische Sprachspiel von „Geist und Buchstabe“; eher beiläufig hat Alexander Deeg hierzu kürzlich Anregendes beigetragen[87]:

Zunächst rekapituliert er (mit Hörisch) die Kritik der Nichtigung des Besonderen des ‚Textes‘ durch die „idealistische“ Strategie des „Verstehens“ bzw. die „präsenzorientierte“ (Gumbrecht), die überhaupt die Monopolisierung des „Verstehens“ im Modus der Lektüre von ‚Texten‘ problematisiert, sowie die (post-)strukturalistischen Konzepte von Barthes und Derrida – um die aktuelle Konjunktur des „Buchstabens“ in der Hermeneutik zu plausibilisieren. Die Rehabilitierung des „Geistes“ erfolgt in zwei Schritten: Die Legitimität von Hörischs Reklamation des Paulus als Kronzeugen einer platonisierenden Lesart der ‚Schrift‘ wird bestritten – indem die hermeneutische Voraus-Setzung des „Geistes“ (statt ins ‚Sinn‘-Innere des ‚Textes‘!) ins paulus-biografische Damaskus-Erlebnis verlegt wird, eine ‚text‘-externe Evidenz. Ineins damit freilich sei der anti-„idealistische“ ‚Text‘-Auslegungs-Grundsatz „Inkarnation als Inverbation“ durch das „perpetuum hermeneuticum, als ein ständiges rekursives Rezipieren der Schrift“ (89) sowohl im rabbinischen als auch in Luthers Verständnis des „Buchstabens“ wirksam.

„Geist“ steht hier für den Verweisungszusammenhang des ‚Sinnes‘ jenseits des bloßen Wortlauts („Buchstabe“) eines ‚Textes‘, der ohne jene – vom ‚Text‘-Produzenten bewusst oder unbewusst gemachten – Voraus-Setzungen nicht sinn-gemäß zu „verstehen“ sei. Aber diese Verweisungen zielen auf ‚Erfahrungen‘ jenseits der Lektüre von ‚Texten‘ – und dieses je-individuelle Jenseits nistet in der (metaphysisch gedacht: transzendentalen) Ortlosigkeit, die Picht das Bild vom „Weltspiel“ hat entdecken lassen. Insofern scheint Deegs Reklamation eines dialektischen Schwebens zu täuschen: auch in seinem Begriff leitet der „Geist“ an zu Konvergenz der Vielheit der „Buchstaben“ in die Singularität der gelebten confessio des ‚Widerfahrnisses‘ „hier stehe ich…“ – αναγκη επικειται (1. Kor 9,16).

Denn was sind das für Erfahrungen? Nicht jede/r kann, lebens-mäßg, ein gefühltes Damaskus-Erlebnis erinnern, wenn er/sie einen (biblischen) Text liest. Odo Marquard[88] versucht das dialektische Modell ‚Geist/Buchstabe‘ nach dem Motto ‚alles eine Nummer kleiner‘ zu unterlaufen, durch pluralisierende Historisierung der ‚Bedingung der Möglichkeit’ von „Verstehen“[89].

Gewohnt provokativ nennt er eingangs „Hermeneutik die Kunst, aus einem Text herauszukriegen, was nicht drinsteht: wozu – wenn man doch den Text hat – brauchte man sie sonst?“. Eine seiner Wozu-Antworten (und dass Marquard mehrere parat hat, ist nicht nur autorentypisch, sondern auch sachgemäß) lautet: damit Menschen sich einfinden können in die Unabänderlichkeiten ihres Daseins, als endlich-herkömmliche, sterbend-vergängliche Wesen, die sie so sind unter anderem und unter auch Anderen.

Woraus sich ergibt: auch Damaskuserlebnisse, Ergriffenwerden von der Wahrheit des je eigenen Lebens, gibt’s nur im Plural! Und: der Abschied von der „singularisierenden Hermeneutik“, die nicht zuletzt den konfessionellen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert habe begründen können, sollte aus Gründen der Lebensdienlichkeit nicht revoziert werden – stattdessen empfehle sich, mit Schleiermacher, die Pflege der „Gesprächsgeselligkeit des unendlichen Gesprächs“ zwischen „nichtabsoluten Leser[n!; FS]“ um einen „nichtabsoluten Text“[90]

Faktisch unwiderleglich muss gelten: es gibt eine Pluralität von Text-LeserInnen[91], und dieser triviale Umstand hat Folgen für die Wahrnehmung dessen, was der ‚Text‘ ist. Aber muss damit die ungeänderte[92] Bezugs-Einheit des Lesens, der „Text“, schon ‚abgeschrieben‘ sein?

 

  1. Beginnen wir mit Marquards listig beiläufiger Parenthese „…wenn man doch den Text hat“[93] Auch wenn die nur scheinbar triviale Frage, was denn der „Text“ sei, auf den Sektor biblischer Texte konzentriert bleiben soll: sie ist nicht in einem Wisch zu beantworten. Insbesondere bei biblischen Texten (in die eine langgezogene Phase handschriftlicher Überlieferung eingewachsen ist) kann nicht von einem schlichten datum die Rede sein, sondern allenfalls von einer Melange von datum und constitutum. Denn zwar ist das Zustandekommen dieses Gemenges prinzipiell rückverfolgbar; aber genau davon will und soll sich der zeitgenössische Normal-Leser zugunsten der pragmatischen Für-wahr-Nehmung der – hergestellten – „wahrscheinlichsten“ ‚Lesart‘ entlastet sehen können – das constitutum als sekundäres datum hinnehmend: ist doch das die Funktion der innerbetrieblichen Arbeitsteilung in der Exegese-factory, in der Spezialisten mit der sog. textkritischen Konstitution desjenigen Zeichenbestandes beschäftigt sind, der – „Buchstabe“! – ausmacht, was überhaupt erst als „Text“ zu ‚haben‘ ist. Und das ist erst der Anfang bei den untergründigsten Wurzeln jenes Flechtwerks, das wir an der Oberfläche, etymologie- wie genesis-vergessen, als „Text“ zum Ausgangspunkt und Anlass für Auslegungen zu nehmen pflegen[94].

Was also ist der „Text“ im Verhältnis zu seiner Auslegung (die es de facto nur im Plural gibt)? Vor der Erörterung dieser vorerst bleibend offenen Frage ist eine eher thetische Zwischenüberlegung zu Leistung und begriffsstrategischen Implikationen der zeitgenössischen Disziplinen-Differenzierung moderner (evangelischer) Theologie im Blick auf deren Umgang mit einem „Text“ ratsam. Als gegeben unterstellt sei Schleiermachers Grundunterscheidung von philosophischer, historischer, praktischer Theologie[95], wie sie mittelbar noch die von Eilert Herms inspirierten „Grundsätze für die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer der Gliedkirchen der EKD“[96] prägt.

  • Die wissenschaftliche Exegese der Bibel zielt auf die Aufklärung des Sinnes einer textförmig verschriftlichten Lebensäußerung, wie er im Moment der Rezeption dieser Äußerung von den Rezipienten zu ‚verstehen‘ war. Dazu bedient sie sich der jeweils verfügbaren und von der scientific community akkreditierten historischen Instrumentarien.
  • Die Systematische Theologie reflektiert den so erhobenen, vergangenheits-kontextierten, Sinn im Spiegel jeweils zeitgenössisch relevanter Paradigmata des Lebens-Verständnisses. Dazu nutzt sie – über die fakultätsspezifischen Grenzen hinaus! – den Spielraum[97] des Denkens ‚über das Leben‘.
  • Die Praktische Theologie wird von Schleiermacher zeitweilig als „Krone des theologischen Studiums“ bezeichnet[98]: sie diene der theoretischen Befähigung zur „Erledigung aller unter den Begriff der Kirchenleitung zu bringenden Aufgaben“, könne aber dafür nur „Kunstregeln im engeren Sinne“ bereitstellen[99]. – In diesem Rahmen gilt dem Umgang mit einem (biblischen) „Text“ die Lehre vom „Cultus“ (die gegenwärtig gängige nochmalige theorie-disziplinäre Binnendifferenzierung in „Homiletik“ und „Liturgik“ entwickelt Schleiermacher terminologisch nicht), d.h. „von der Kunst, sowohl der Sache wie der Form entsprechend, eine die versammelte Gemeinde in der christlichen Lebensdeutung gewiß machende und zur Lebensbewältigung stärkende Inszenierung der symbolischen Gehalte christlichen Glaubens aufzubauen“[100].
  • Selbstverständlich ist die Stellung des biblischen „Textes“ in praktisch-theologischer Reflexion des kommunikativen Umgangs damit eine andere als die in dessen gottesdienstlicher Performanz; aber so oder so gilt: die Präsenz des „Textes“ (als wie auch immer ‚hergestellt‘ er oder sie rekonstruiert werden kann) sorgt dafür, dass die auf Selbstgenügsamkeit drängende Schließung des kommunikativ Gemachten unterbrochen wird durch das Gegebene.
  • Sonach wird als Sprachregelung für den – allemal im Ergebnis als approximativ zu verstehenden! – disziplinär-differenzierten Umgang mit dem „Text“ vorgeschlagen[101]: Die Exegese stellt sich der Frage nach der Richtigkeit des Verstehens der im Text überlieferten Äußerung vergangenen Lebens. Die Systematische Theologie widmet sich der Frage nach der äußerungszeitpunkt-überdauernden Wahrheit des ver-text-eten Lebensverständnisses. Die Praktische Theologie stellt diese ‚Wahrheit‘ auf den Prüfstand der Wirklichkeitstüchtigkeit im Angesicht je aktueller Lebensverhältnisse. Die Predigt stellt sich – sei’s nolens volens, sei’s vom Berufungsverständnis des/r PredigerIn autorisiert – der Frage nach der Lebensdienlichkeit des im „Text“ präsentierten Selbstdeutungs-Angebots, die nur die jeweiligen HörerInnen beantworten können.

Neben den oben getroffenen Unterscheidungen zwischen Texten und Leben sowie zwischen Texten und deren Sinn ist noch eine weitere zu berücksichtigen, nämlich die zwischen Damals und Heute, der in biblischen Texten ausgedrückten vormaligen und gegenwärtig gelebter (und ggfs. in aktueller Sprache und Schrift ausgedrückter) Deutung des Lebens[102].

  • Diese Differenz ist benachbart zu, aber nicht identisch mit dem „garstigen breiten Graben”, den Lessing (in seiner Terminologie aufklärungszeittypisch zwischen „zufälligen Geschichtswahrheiten” und „notwendigen Vernunftwahrheiten”) gähnen sah und der seiner Meinung nach auch durch das selber nur historische Behaupten des Offenbartseins (des Notwendigkeits-Äquivalents…) jenes „[Z]ufälligen” nicht zuzuschütten war[103].

‚Gibt es‘ das also überhaupt: einen „Text“ diesseits (oder auch: jenseits) von dessen Auslegungen? Der als Gegenüber von Auslegungen fungieren kann, als Appellationsinstanz mithin für die Rezipienten einer seiner Auslegungen? Eine ‚Quelle‘, die anders als der ihr entspringende Strom von ‚gemachten‘ Auslegungen einfach ‚gegeben‘ ist? Braucht man, im Bewusstsein der ‚textkritischen‘ Konstruktionsabhängigkeit allein schon des Zeichenbestandes, der die dingliche Gestalt des „Textes“ ausmacht (s.o.), für die begriffliche Fassung von derlei ‚Gegebensein‘ Gedankenfiguren wie „passive Synthesis“ oder „nachträgliche Ursprünglichkeit“[104]?

Vielleicht kommt auch die Sache dadurch wieder zu Stande, dass man sie voraussetzt“: Was Schleiermacher, in dieser Form vielzitiert, der seinerzeitigen Klage über den Mangel an „Glauben“ in den Gemeinden entgegenhält[105], könnte womöglich auch für den Umgang mit (auch: biblischen!) Texten und dem ‚Leben überhaupt‘ gelten. Einen gangbaren Weg mag der „kulturhermeneutische“ Zugang zeigen, den Dietrich Korsch bahnt; der Schlüssel dieses Zugangs ist dessen eigentümliche Fassung von „Deutung“[106].

„Die Geschichte der Deutungsbegriffes ist noch nicht geschrieben. Auch das sonst so vorbildliche Historische Wörterbuch der Philosophie bietet sie nicht einmal in Ansätzen“, berichtet Korsch gutbegründet. Gelegenheit für ihn, „Deutung“ ob ovo zu entwickeln, und das tut er auch, hochverdichtet. Quasi phänomenologisch die Taxonomie des Grimmschen Wörterbuchs ausbeutend, gewinnt er – praedicatum inest subiecto (Leibniz)[107] – dem Sprachgebrauch ein „demonstratives“, ein „produktives“, ein „repräsentatives“ Moment explikativ ab, und deren „Ineinander[…]vier Strukturmerkmale“ (RuG 219f): die (1) „eine schon immer vorgenommene[…]Synthesis von Gemeintem und Gedeutetem“ mit sich bringen, (2) den „unwillkürliche[n] Übergang in die gemeinsame Welt“, (3) die immer „nur [sich] historisch artikulieren[de]“ „Struktur von Deutung“, die als ein – und sei’s faktisch „nur begrenzt begangen[er]“ – Durchgang durch „die Gesamtheit der Welt“ und der darin erscheinenden anderen Menschen, der „Verständnispartner“, ein „Umweg zu sich selbst“, dem unabweislich individuellen Deutenden ist, (4) die Chance zur „zielgerichteten Auswahl[…]von exemplarische[n] und darin strukturbestimmenden Umweg-Deutungen, die eben nicht den Durchgang durchs gesamte Universum voraussetzen, sondern sich in gewißheitsbegründender Weise auf das Subjekt und seine Deutungskompetenz zurückwenden“ – die „religiöse Deutungen heißen [sollen]“ (220-223). – In einem weiteren Schritt encadriert Korsch seinen „[Leitbegriff] Deutung“ (223) im Netzwerk anderer „Grundbegriffe“ wie Geist, Gefühl, Verstehen[108], Sinn, Symbol (nach Cassirer) – um ihn ohne „Originalitätsanspruch“ (223) zu empfehlen als einen „relativ ‚weichen‘ Begriff, der wenig vorzuschreiben sich bemüht“ (228). Und in dieser Manier expliziert er weiter – „zunächst die Verbindung des Deutungsbegriffs mit dem Lebensbegriff“ (ebd.), „das Phänomen des Lebens[…]als eine Art gebremste Entropie“ (230), die dem Leben interne Selbstwiederholung bzw. „Verdopplung“ zum „[Selbst!]Bewußtsein“, das wiederum in seiner Doppelgestalt als leibhaft und seiner selbst bewusst verfasst verflochten ist in die Gesamtheit der lebenskoextensiven „Deutungsprozesse“, die (im Sinne der gebremsten Entropie!) „Kultur“ heißen und ihrerseits in die zwei Spuren von „Lebenserhaltung und Lebenssteigerung“ einerseits, „Lebensverantwortung“ andererseits „sich ausdifferenzieren“ (230-232), und die selber sich fortgebildet haben zu „religiöse[n] Vorstellungen, die eben das Zusammensein des unüberbrückbar Verschiedenen deuten“ und zwar „in der unausweichlichen Form raumzeitlicher Selbstpositionierung“(233f).

Die sprachlich atemlos wirkende Nachzeichnung einer Passage aus RuG gibt in nuce zu erkennen, wie Korsch das Zugleich von Herstellung und Darstellung seiner Theorie anlegt. Unscheinbare aber theoriestrategisch relevante – ohne grammatisches Aktiv-Subjekt auskommende, also gleichsam mediale – Formulierungen[109] machen darauf aufmerksam. Im Kontext der hier durchgegangenen „Weltspiele“ lässt sich sagen: Korschs Version der „Kulturhermeneutik“ hintergeht den transzendentalphilosophischen Dualismus. Sein Axiom lautet: die weltkonstituierende Subjektivität ist allemal ‚verbacken‘ mit historisch-kontingenter Individualität; und es gilt die anfangsweise Unterstellung der Welt als tabula rasa zugleich mit dem de-facto-Respekt vor dem Immer-schon-Gegebensein des Welt-Orientierungs-Potentials, der konstitutiven Leiblichkeit des „Deuten“-Könnens (und: -Müssens)[110]. – Im Blick auf die Theoriekonstruktion drängt sich die Feststellung der Analogie zur Generierung von Fraktalen auf, die, mathematisch-unfachkundig grob gesprochen, der Regel ‚immer mehr von Demselben‘ (im Anfang steckt Alles drin: Leibniz‘ ‚praedicatum inest subiecto‘, s.o.) folgt: prinzipiell unendlich fortsetz- und verfeinerbar, faktisch aber begrenzt.

Im hiesigen Zusammenhang der Verständigung über hermeneutische Grund-Annahmen (‚Voraus-Setzungen‘) der Exegese erscheint ergiebig festzuhalten: Korsch legt Wert auf eine letztlich bleibende (oder auch: anfänglich gestiftete!) Unterscheidung von Deutung und Gedeutetem[111]; vorerst sei, anstelle anderer Belege, hingewiesen auf: Es „muß der reale Status der Deutung über das hinausgehen, was ‚bloß‘ Deutung ist. Es werden also Instanzen in Anspruch genommen, die ‚mehr als notwendig‘[112] sind, die ihre Bedeutung aber gerade darin erfahrbar machen, daß sie das Verhältnis zu uns selbst in unserer Welt lebbar machen“ (234).

Mag auch diese (im Ausdruck sichtlich vorsätzlich ‚ungegenständlich‘ gehaltene) Aussage noch als unausgemacht erscheinen lassen, ob mit dieser theoriekonstruktiven Projektion eines deutungs-externen Knotenpunkts des Netzwerks an Deutungen der „denkbare Grund des Ganzen“ (235) auch ein Da, präziser: ein Von-woher, gemeint ist, wird Korsch an späterer Stelle deutlicher:

In seiner zitierten Aufnahme von Jüngels Gottesprädikation hatte er noch unausgesprochen gelassen, dass ‚mehr als notwendig‘ wohl kaum ein Ausdruck der Modallogik ist, vielmehr der Doxologie – und darin auch mehr denn ein Ausdruck des „Glauben[s]“ mit seiner „Korrelation von Intentionalität und Objektivität“ (327). Setzt er doch die These „der Glaube an den Gott, der an sich selbst existiert, gewährt für das menschliche Leben eine menschliche Existenz- und Verhaltenssicherheit, die über das religiöse Verhältnis des Glaubens weit hinausgeht“ (328) der Religionskritik[113] aus, und er gelangt (über Rekonstruktionen von Schleiermachers und Hegels Religions- und Cassirers Symbol-Verständnis) zur Exposition der „Dialektik der Gegenständlichkeit Gottes im Glauben“ (336 – Kursivierung getilgt; FS), die im genuin religiösen Akt des Betens (exemplarisch: das Vaterunser-Gebet Jesu) wirksam werde: „Im Gebet wird nicht an einen schon anderwärts erkannten, irgendwie an sich seienden Gott gedacht; in diesem Gebet wird das Sein Gottes erst gesetzt – als an sich gerade so, daß es für uns ist“ (339).

Korschs Interesse an der Begründung von Gewissheit der – unweigerlich: individuellen – Lebens-Orientierung auch unter den kohärenzunfreundlichen Bedingungen der „Postmoderne“ liegt offen zutage. Eingehend thematisch wird das schon an früherem Ort [114].

Er nimmt die großen Entwürfe von Welsch und Schulze[115] in Blick, erörtert die von jenen als Theorie-incentive arrangierte Phänomenologie indes eher im Vorübergehen und konzentriert sich dort auf konstitutionstheoretische Fragen. Es geht ihm um die ebenso theoretische wie lebenspraktische Leistungsfähigkeit der von beiden Entwürfen – je auf ihre Weise – vorgestellten Kategorie „Stil“, um deren „Letztinstanzlichkeit“[116]. Terminologisch orientiert an dieser Kategorie, sie ihrerseits kulturhermeneutisch rekonstruierend und erklärtermaßen angetrieben von einem gesellschaftsdiakonischen Motiv[117] bietet Korsch „Religion“ als für individuelle Differenz freundlichen sozialen ‚Lebensstil‘ an, namentlich deren als ‚Protestantismus‘ auftretende Gestalt darüber hinaus auch als theoretisch satisfaktionsfähiges remedium reflexiver Desorientierung[118]: im Hintergrund das Paradigma „Deutung“, verständigungsgenerierendes Integral einer in potentiell antagonistische Pluralität driftenden gesellschaftlichen Lage.

Selbst wenn dieses Theorie-Angebot im pejorativen Sinne trickreich wirken könnte wie der fabelhafte doppelte Igel („ik bün all dor“) – es ‚hat was‘; so pragmatisch-umgangssprachlich darf’s ausgedrückt werden angesichts Korschs Selbstaussage[119]. Es bleibt die Frage: Was bedeutet das für die hier beschäftigenden Grundlagen der biblischen Exegese?

 

  1. Die Hypothese von der Unverzichtbarkeit der regulativen Idee des ‚Richtigen‘ für die wissenschaftliche Exegese stand am Anfang – nicht, wie in Erinnerung zu rufen ist, als Maßgabe für die Korrektheit von Forschungsergebnissen im Einzelnen, sondern als metatheoretische Orientierung, die deren Zusammenstimmen, der Deutungen des Damals mit denen auch des Heute, zu ‚regulieren‘ bestimmt ist, und in der Annahme, dass nur ein derlei indisponibler Referenzpunkt die Rationalität des beobachtbar kontinuierlichen Forschungsfortgangs sichern könne.

Indes muss nach all dem Vorstehenden selbstkritisch eingeräumt werden: diese eingangs gehegte und gepflegte – auf Eindeutigkeit der Erträge von Prozessen der wissenschaftlichen Generierung ‚richtiger‘, ja ‚wahrer‘ Erkenntnis zielende – normative Erwartung an (und sei’s: teleologisch-approximativ verstandene) Perfektion ist überzogen. Eine selbstkritische Konzession, die leichter fällt in Gesellschaft eines selbstkritischen Großen:

„‚Unexakt‘; das ist eigentlich ein Tadel, und ‚exakt‘ ein Lob. Und das heißt doch: das Unexakte erreicht sein Ziel nicht so vollkommen, wie das Exaktere. Da kommt es also auf das an, was wir ‚das Ziel‘ nennen. Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 0,001 mm?

Ein Ideal der Genauigkeit ist nicht vorgesehen; wir wissen nicht, was wir uns darunter vorstellen sollen – es sei denn, du selbst setzt fest, was so genannt werden soll. Aber es wird dir schwer werden, so eine Festsetzung zu treffen, die dich befriedigt.“[120]

Der Grund-Einsicht des Sprachspiel-Philosophen (‚Die Regeln einer Sprache sind die Regeln ihres Gebrauchs‘) konveniert Korschs Qualifikation des „Deutungsbegriffs“ als „eine[s] relativ ‚weichen‘ Begriff[s], der wenig vorzuschreiben sich bemüht“[121], und dessen eigentümliche Verschmelzung von transzendentalistischem Anspruch mit Reverenz vor historischer Faktizität. Die Evidenz blitzt auf: Es geht um die Wahrnehmung faktischer Erkenntnisprozesse; nur in konstitutivem Bezug auf diese lassen sich Maßstäbe der Erkenntnis-Kritik formulieren. In diesem Sinne postuliert auch Ingolf U. Dalferth die „Umstellung auf einen anderen Denkstil“[122]: „Klarheit steht nicht am Anfang, und was ‚klar‘ genannt zu werden verdient, steht auch nicht von Anfang an fest, sondern beides ist das Ergebnis von Klärungen und damit stets Resultat konkreter Klärungsprozesse unter widrigen Bedingungen. (13). Mithin sei „[unverzichtbar], immer wieder kritisch nach dem zu fragen, was hier und jetzt richtig, wahr, gewisse und verbindlich ist, sein könnte oder sein sollte. Und das ist nicht immer und überall und für alle dasselbe…“ (15) – vordergründig tönt Konsonanz mit postmodernem Denktypus, dem gegenüber aber bei Dalferth ein stark ausgeprägtes „Begründungs“-Interesse wirksam ist.

Dalferth entfaltet, kleinteilig-schrittweise, ein Modell von „Kommunikation des Evangeliums im christlichen Leben“ (52 u.ö.), das als ein Netzwerk von raum-, sozial-, zeitdimensional mit- und gegeneinander beweglichen „methodisch kontrollierbar drei[…]Interpretationsprozessen“ sich entbreitet: der „Interpretation christlichen Glaubens anhand der Zeugnisse…“, „Interpretation christlichen Glaubenslebens in seinen individuellen und organisierten Formen“, „Interpretation des jeweiligen kulturellen Gesamtgefüges“ (53 – Kursivierungen des Originals aufgehoben; FS).

Der Terminus „Interpretation“ wird, dem Postulat prozessualen Denkstils entsprechend, vorzugsweise als nomen actionis verwandt, aber des weiteren auch, der Peirce’schen Semiotik folgend, in Interpretamen, Interpretat, Interpretanten differenziert (60)[123]. Darüber hinaus zieht Dalferth zahlreiche weitere Differenzierungen ein, die hier nur auswahlweise benannt werden können – zum einen am forciert prozessual artikulierten Terminus „Interpretationspraxis“: Eigenperspektive / Fremdperspektive (54); basal gelebt / reflektierend / selbstkritisch (127); die „Perspektiven“ coram mundo bzw. coram deo (134ff); u.a. Zum anderen, mit diesen überschnitten oder auch sie ergänzend, am Paradigma „Kommunikation des Evangeliums“ bzw. dem Begriff des daraus ubi et quando visum est Deo (106-109) folgenden „Glaubens“: die vierfache Bestimmung[124] des „christlichen Glaubens und Lebens“ als „transkulturell, kontextuell, gegenkulturell, kulturverbindend“ (57-59); die „Interpretationsrichtungen‘ „aufs Evangelium hin“/„vom Evangelium her“ (144) – sowie entscheidend maßgeblich die Differenz von „(christlicher) Kommunikation des Evangeliums“ und „dem sich selbst kommunizierenden Evangelium bzw. der Selbstkommunikation Gottes als Evangelium“ (149. u.ö.; Kursivierung im Original FS).

Dalferth legt Wert auf die Eigenständig-, ja Eigensinnigkeit der „akademischen Theologie“ im Kontext der neuzeitlichen universitas litterarum; sie zeige sich in der „selbstkritischen“ Relativierung, ja Aussetzung des „eigenen Kanons von Regeln“ (nicht nur „eigene Regeln“, sondern „auch sonst verwendbare und verwendete[…], deren sich die Theologie bedient“), „wo deutlich wird, dass die Befolgung dieser Regeln die Erfüllung der Aufgaben der Theologie nicht mehr befördern, sondern behindern“[125]. Das mag man argumentativ idiosynkratisch nennen, eine hochschulpolitische Immunisierungsstrategie[126] – oder auch einen paradoxen Gestus souveräner Hörigkeit[127] aus „Freiheit des Müssens“[128].

Die Textur der Interpretationsprozesse war oben provisorisch ‚Netzwerk‘ genannt worden. Passender noch ist die Metapher des ‚Mobile‘: ein jedes Element Ausdruck und Resultante situativ-konkreter Interpretationspraxis, je für sich genommen beweglich in allen Dimensionen, freilich in Korrelation zu allen anderen – und in dieser Korrelativität des Miteinander ultrastabil gehalten durch ‚Aufhängung‘ an dem menschlichem (auch „christlichem“!) Interpretieren externen ‚archimedischen Punkt‘ der „Selbstkommunikation Gottes als Evangelium“.

Evident ist, dass Dalferth die wesentliche Differenz von Deuten und Gedeutetem (resp. von Interpretationen und Interpretiertem) hermeneutisch normiert wie Korsch – indes, viel stärker differenz- denn vermittlungstheologisch als dieser[129], sie mit seiner weithin explizit dogmatisch artikulierten Axiomatik entscheidend anders anlegt. Siehe etwa „Beides [sc. anthropologische Beschreibung des Glaubens sowie das Evangelium] gibt es nur in Bezug aufeinander in und durch die Kommunikation des Evangeliums, aber beides gibt es in dieser nur als etwas immer wieder ganz Neues, das sich aus anderem nicht herleiten und durch anderes nicht absichern[130] lässt“ (113)[131].

Nicht unbedingt müssen Grundfragen eines theoretischen ‚Ansatzes‘ restlos geklärt oder unstrittig sein, um an Folgerungen, die sich aus dem dieses ‚Ansatz‘ ergeben, Weiteres anknüpfen zu können. So auch hier. Mit zustimmungsfähiger Konsequenz postuliert Dalferth: Die evangelische Theologizität – mit den Resultaten kultureller Interpretationsprozesse diesseits des Index ‚christlich‘ formal verwechselbarer – theologischer Interpretamina ist dadurch als differentialdiagnostisch markiert zu verstehen, dass sie von der unableitbar geistlichen Wirksamkeit der Selbstkommunikation Gottes „durchfeuchtet“ sind[132] (Jes 55, 10f!).

Die weiter oben(Z. 651-687) vorgeschlagene Differenzierung von Hinsichten der gegenwärtigen (mit Dalferth gesprochen) Interpretation von ver‚text‘eten (mit Korschs Diktion) Deutungen (= Texten) des Lebens im Lichte des Evangeliums weicht zwar – der Anzahl nach nach ‚unten‘ wie nach ‚oben‘[133] – von Dalferths eigenem Vorschlag ab, ließe sich aber unschwer zur Konvergenz bringen; das kann hier unterbleiben.

Zurückzukommen ist auf die Hypothese von der Unerlässlichkeit der regulativen Idee des ‚Richtigen‘ im Sinne eines indisponiblen Referenzpunkts, der allein die Rationalität des kontinuierlichen Forschungsfortgangs und die Zusammenstimmigkeit seiner relativ selbständigen Prozesse – oder, wie inzwischen angemessener formuliert werden soll: die Sachgemäßheit wissenschaftlicher Interpretationspraxis – namentlich (und unter den theologischen Disziplinen exemplarisch) der Exegese gewährleisten könne. Zu lernen war: Die ‚Sache‘ der Theologie, selbst prozessual verfasst, verlangt einen Modellwechsel hin zu einem prozessualen Denkstil, dem Figuren mit Indisponibilitätsanspruch prima vista fremd sind wie ein Implantat. Das berührt die oben (Z. 677-687) vorgeschlagene Differenzierung von Disziplinen theologischen Schreibens und Redens, in der ‚Richtigkeit‘, ‚Wahrheit‘, ‚Wirklichkeitstüchtigkeit‘, ‚Lebensdienlichkeit‘ als Meta-Normen benannt worden sind; jene Meta-Normen waren aufzufassen als disziplinenspezifische Abschattungen der regulativen Idee des ‚Richtigen‘, als Orientierungen für Forschungsprozesse, nicht als Kriterien für deren ‚Ergebnisse‘. Die Substition der provisorisch gewählten substantivischen Fassung durch eine Beschreibung der Prozeduren (171ff) ist mitvollziehbar.

Um indes gedanklich fassbar zu machen, wie die systemische, erkenntnisbegründende Leistung zustande kommt, die – nach kantischer Disposition und Terminologie – der regulativen Idee des ‚Richtigen‘ zugesonnen ist, wählt Dalferth ein anderes Modell als das kantische. Danach wird diese Leistung erbracht durch die konstitutive Bezogenheit theologischer Interpretationspraxis auf die vorgängige Selbstkommunikation Gottes – und diese Bezogenheit ist nicht ausgerichtet auf die Projektion eines transzendentalen Orientierungspunkts fürs Denken, sondern ist Ausdruck menschlichen Überzeugtwordenseins von der (in theologischer Reflexion pneumatologisch artikulierten) durchgreifenden Erneuerung des Lebens, die am Ort des Einzelnen, „responsorisch“ als „Glauben“ ausgedrückt, existenzbestimmend wird.

Prima vista erscheint mithin die Existenzbestimmung „Glauben“ der an theologischer Interpretationspraxis Beteiligten als notwendige Voraussetzung für die Stimmigkeit derer Interpretationen. Aber davon kann keine Rede sein. Dass Dalferth das – im Blick auf die Lektüre seiner Schrift auf „wissenschaftstheoretische“ oder „rechtliche“ Relevanz – explizit zurückweist (133), ist nur ein ‚exoterischer‘ Ausdruck seines Modells (für dessen Verständnis an die oben [Z. 868-873] eingeführte Metapher des ‚Mobile‘ erinnert sei!). Der modell-interne Grund ist die fundamentale Unterscheidung von Kommunikation des Evangeliums als Glaubenspraxis und der Praxis von deren in methodischer Distanz entwickelter theologischer Interpretation einerseits (131) und die Zuschreibung der über Menschenmögliches (d.h. auch individuell-menschliches Wollen- oder Nichtwollen-Können!) hinaus wirksamen Lebenserneuerung, deren menschlich erlebte Evidenz als „Glauben“ artikuliert wird, an Gott[es Geist] andererseits (107 u.ö.). ‚Stimmt‘ die ‚Mobile‘-Metapher, wird man schließen dürfen: Wenn denn jene Lebenserneuerung so effektiv ist wie im Glauben konfessorisch artikuliert, ist sie auch ohne jene Artikulation in der Interpretationspraxis wirksam[134] - „[n]ur in diesen Interpretationsprozessen und nicht etwa im Rückgriff auf etwas ihnen prinzipiell Vorausliegendes konnte und kann sich christliche Theologie auch diejenigen Regeln geben, an denen sie ihr Interpretieren orientiert, um es nicht beliebig und willkürlich werden zu lassen“[135].

Das lenkt die Aufmerksamkeit auf zweierlei.

  • Zum einen: unsereiner erkenntnisförmiger Welt- und Selbst-Bezug ist nicht auf die Produktion von Satz-Wahrheiten zu beschränken, sondern wird das (nicht immer sprachlich vermittelte!) Vernehmen von Lebens-Wahrheiten für möglich halten müssen – das Exempel ist die Doppelsinnigkeit der ‚Wahrheit‘ „Nathans“: welcher Bildungsbürger würde nicht „Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach![136] kennen und als „pluralitätsoffen[e]“[137]? Maxime schätzen? Aber da gibt es auch die contre coeur dem Angeredeten ‚einfallende‘ Einsicht in die Wahrheit des „Du bist der Mann“ (2. Sam 12,7). Diese Wahrheit ist konkret, individualisiert und nur konfessorisch aufzunehmen[138] – durchaus auch in nicht-theoretischer, intentionaliter doxologischer Semantik, wie sie Matthias Claudiuspopuläres sog. Abendlied kennzeichnet „Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel; wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel. Gott, lass dein Heil uns schauen[…] und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein“[139] – überaus sprechende Abkehr von den „Aporien der subjektivitätstheoretischen Denkform“[140] im Vollzuge.

Ohne sie näher ausführen zu können, zum vorläufigen Abschluss des Dialogs mit Dalferth, noch zwei Anmerkungen:

  • Es zeigt sich eine tiefgründige Verwandtschaft von Dalferths ‚Mobile‘-Modell mit Pichts „Weltspiel“-Denken (s.o. Zeile 485-535): in der Einhegung der Universalitätsansprüche der Subjektivität und der Relationierung aller Interpretationspraxis aufs „Eschatologische“. „Eschatologie“, nicht nur der der Sache nach Inbegriff des „höher als alle Vernunft“ (Phil 4,7), sondern auch bei dem Autor Picht in ausgewählter Seltenheit verwendeter, gleichwohl elementar bedeutender marker des Grenzbegrifflichen: für Picht das Anti-Paradigma zu Ontologie, der „Epiphanie der Ewigen Gegenwart“, Bezeichnung für den Ort des „Gottes der Lebendigen“ [141] und so in nachgerade paradoxer Ausdrucksform ‚Ursprungsdimension‘ der Achsenbegriffe auch neuzeitlichen Denkens, „conscientia“ und „Verantwortung“.
  • Für eingehendere Berücksichtigung zu spät vom Vf. entdeckt, Dalferths neueste Publikation zur ‚hermeneutischen Theologie‘, in der er seinen theo-logischen Einspruch gegen die sog. Kulturhermeneutik buchtitel-entsprechend radikalisiert[142] - im Bilde gesprochen: die Dämme gegen eine s.E. übermächtig werdende Strömung verstärkt. Auch Korschs respektierter Versuch, Vermittlungs- und Differenztheologie miteinander zu vermitteln, wird (erneut[143]) verworfen[144]: „Nicht Dialektik, sondern Paradox ist die Sprachform einer Theologie, die diese Diskontinuitäten ernst nimmt…“[145]; „es [geht] theologisch um ein kompromissloses Entweder-Oder“[146]. ‚Well roared, lion‘[147]. Aber es bleibt doch die Frage: Was ist ‚richtiger‘ gedacht über das Leben und dessen (auch textförmig artikulierte) Selbstzeugnisse ‚im Angesicht Gottes‘[148]? Wer wollte das beantworten – resp. sub voce ‚Entweder-Oder‘, jenseits aller Komparative; ‚entscheiden‘, bevor einer (den von Lessing ironisch reklamierten) „Beweis des Geistes und der Kraft“ (nach 1. Kor 2,4)[149] führt? Bis uns hienieden – umständehalber unaufhörlich EmpfängerInnen wie UrheberInnen von ‚nichts als‘ Interpretationen, unvertretbar individuelle Subjekte von Deutungen – die Erfahrung von Joh 8,32 („[Ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“) ergreift, werden wir die Erkenntnis der „Wahrheit“, die „frei macht“, freilich substituieren müssen durch das Lebenswagnis des Glaubens.
  • Zum anderen: So lange es „Heute“ heißt, wird sich die (Theologie und mit ihr die) wissenschaftliche Exegese dem Prozess des mobile-artig kontinuierlichen kollektiven Ausbalancierens von professionellen Aussagen-Standards überlassen müssen – und sei’s etsi non daretur fides qua. Und dürfen. In der Zuversicht (es darf auch, ‚fremdprophetisch‘, mit Luhmann von „Systemvertrauen“[150] gesprochen werden), dass die zusammenstimmigkeits-sichernde, transzendentale Funktion der regulativen Idee des „Richtigen“ zur Orientierung im Netzwerk der Interpretationen erbracht wird durch die Dependenz dieses ‚abhängigen‘ (‚Mobile‘!) fast-Omniversums an Interpretationen von der Selbstkommunikation Gottes, des gegenüber menschlicher Interpretationspraxis schlechthin Anderen.

Das klingt nach bescheidenem Ausgang der zum Ziel der Prüfung einer Anfangshypothese unternommenen tour d’horizon[151], und unoriginell zudem. Der Verfasser ist versucht, sich hinter Denkmalen klassischer „Vorreden“ wegzuducken: Für den Ausgang der tour d’horizon hinter Hegels „Denn die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, noch ist das Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und das nackte Resultat ist der Leichnam, der sie hinter sich gelassen[152] – und für die Bescheidenheit des Ausgangs mag Kants privative Bestimmung der Funktion der Kritik der reinen Vernunft „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“[153] Deckung bieten.

Dabei ist die Sachfrage weder durchgestanden noch ausgesessen.

Anfangshypothetisch war der Orientierung der im Prozess wissenschaftlicher Forschung Beteiligten an dem transzendentalistischen Etwas einer „regulativen Idee des ‚Richtigen‘“ die empirische Wirkung zugeschrieben worden, durch habituelle Generierung von Zweifeln an der Triftigkeit bereits gewonnener Ergebnisse – eigener oder fremder – Forschung den Forschungsprozess im Ganzen maßgeblich in Gang zu halten.

Demgegenüber kann, ja muss festgestellt werden: das faktische Fortschreiten der Forschung (im Falle der Exegese: der (historisch-kritischen?) Auslegung von Texten) durch die (zumeist literarische) Präsentation eines alternativen, als ‚richtiger‘ sich behauptenden, Ergebnisses nach oder/und neben schon im wissenschaftlichen Diskurs aufgetretenen ist darauf nicht angewiesen. Die für den Fortgang des Forschungsprozesses erforderliche Varianz ergibt sich (!), durch naturwüchsige Pluralität: historische und/oder geografisch-kulturelle Situiertheit des Interpreten, regelgeleitete Auswahl von Argumenten für die forschungspraktische Konstituierung des zu interpretierenden ‚Textes‘ und seiner relevanten Kontexte, interpreten-kontextspezifische oder auch textsortentypische Erwartungserwartungen betr. Resonanz der Ergebnisse u.v.a. noch.

Doch wie steht es mit der Kritikfähigkeit der Ergebnis-Sätze von Interpretationen? Habermas & Co werden locker auf die Diskurs-Konkurrenz um den ‚eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments‘ verweisen können. Ungeachtet dessen ist die Rückfrage von Poppers – der Tradition des Paradigmas ‚Einheitswissenschaft‘ verhafteten – Falsifikationismus[154] nicht einfach erledigt.

Sein Falsifikationismus operiert auf der empirischen Ebene der Ergebnisse von Forschungen und bietet eine privative Kategorie der (Nicht-)Richtigkeit von Ergebnis-Aussagen an: den mit vorgelegten Aussagen inkompatiblen einzelnen „Basissatz“[155]. Offensichtlich gilt Poppers wissenschaftstheoretisches Bemühen der Klärung naturwissenschaftlicher Forschung, nicht text-auslegender Wissenschaften. Einen (soweit zu sehen: letzten) Versuch, Poppers Sichtweise im Blick auf Verstehens-Wissenschaften in Anschlag zu bringen, hat – unter der Selbstbezeichnung „Kritischer Rationalismus“ – Hans Albert unternommen[156]. Nach der dargetanen Perspektiven-Komplexität, die in Text-Interpretationen immer schon eingegangen ist, ist ein Rückgriff auf vermeintlich deutungs-vorgängige bzw. -unabhängige ‚Basissätze‘ als Instrument der Theorie-Kritik durch Falsifikation freilich zu schlicht.

Aber eine particula veri bleibt als „Pfahl im Fleisch“ von InterpretInnen: Sie zehrt paradoxerweise von dem, was in der frühen Reflexion der historisch-kritischen Methode durch Ernst Troeltsch als „Analogie“ begriffen wurde[157]: der diachronen Konstanz anthropologischer, kommunikativer Grundstrukturen und deren Resilienz gegenüber nachfolgenden Interpretationen. Es ist unzweifelhaft, dass die materiale, akzidenzielle Bestimmtheit dessen, was je und dann als indisponible ‚Grundstruktur‘ gilt, selber historischen Veränderungen unterlegen schon ist: durch faktisch durchgesetzte kulturelle Achs-Verschiebungen, durch emergente Erträge naturwissenschaftlichen Forschens etc etc. Aber es bleibt – historische Plastizität hin oder her – das Memento eines quasi transzendentalen Kristallisationspunkts (in der ‚Funktionsstelle‘ von Kants „Ding an sich“) noch nicht geleisteter Interpretationen, die sich zum Netzwerk der schon geleisteten u.U. unliebsam quer stellen.

 

  1. Denn es bleiben noch Reste. Schwer zu sagen, was – nach all dem, was durch die tour d’horizon begreifen zu lernen war: gibt es sprachliche Ausdrücke, die hinreichend ‚unschuldig‘ sind hinsichtlich ihrer jeweils ‚theorie-spezifischen‘ Eingebundenheit? ‚Naturale Eckdaten‘? ‚Welthafte Emergenzen‘? – Anstelle weiterer hilfloser terminologischer Versuche einige Beispiele:
  • In einer Gelegenheitsschrift zur Kritik am Radikalen Konstruktivismus plausibilisiert Wilfried Härle die These „Die Realität richtet sich nicht – jedenfalls nicht in jeder Hinsicht und immer – nach unseren Deutungen und Interpretationen. Sie ist nicht unser Konstrukt, sondern kann unsere Konstrukte schwer erschüttern, vielleicht sogar zum Einsturz bringen“[158]. Diese These (exemplifiziert an der überraschend-unfreundlichen Begegnung eines Gehenden mit einer Glaswand) ist weniger naiv als auf den ersten Blick erscheinend – nimmt sie doch zutreffend Bezug auf Peirce‘ „Kategorie der Zweitheit“[159]. Also doch „widerständige Realität“ als Randbedingung der Triftigkeit des Deutens/Interpretierens?
  • Dietrich Korsch reklamiert in der Explikation seines Begriffes von „Deutung“, dass „deren [sc. Vater und Mutter; FS] unaufhebbarer Unterschied sich gerade darin individualisierend ausprägt, daß Kinder ihrerseits wieder Töchter und Söhne sind“[160] – eine ‚anthropologische Grundstruktur‘ (s.o.). Aber doch eine Ontologisierung der Exklusivität von Zweigeschlechtlichkeit[161], die voreilig (um nicht ins Vorwurfs-Repertoire der political correctness zu greifen) genannt werden darf angesichts der Zunahme öffentlichen Respekts vor dem lebendigen Da-Sein von Individuen[162], die nicht ins (ebenfalls als „unaufhebbar“ präsumierte?) Muster „ihrerseits wieder Töchter und Söhne“ passen.
  • Bis in die 1970er Jahre hinein galt als Schul-Paradigma akademisch-theologischer Ausbildung in ‚alttestamentlicher Theologie‘ das Modell einer faktisch unwiderstehlichen Ent-Tribalisierung oder Ent-Paganisierung der alt-israelischen Religion (bzw. des …„Glau-bens“) hin zu einem universalitätsträchtigen Monotheismus – vom „Gott der Väter“ (A. Alt) zum „Gott ist Einer“[163]. Das mag theologie-zeitgeschichtlich rekonstruierbar sein: Die biografische Prägung seinerzeit maßgeblicher Alttestamentler durch die Wort-Gottes-Theologie namentlich Karl Barths förderte die (dann auch ‚historisch-kritisch‘ gestützte) inner-alttestamentliche Normierung der ‚Gottes‘-Auffassungen von Deuteronomium und Deuterojesaja. – Umso mehr mussten archäologische Fundstücke der späten 1970er Jahre aus Kuntilet ̵͑Ağrūd und Ĥirbet-el-Qōm , die „Jahwe und seine Aschera“ (Kursivierung vom Vf.; FS) erkennen lassen[164], die historische Stimmigkeit dieses monotheistischen Deutungsmodells, eine quasi-gestaltpsychologisch arrondierte Text-Welt, irritieren; kein Wunder, dass der in den 1980ern begonnene disziplinär-fachliche Diskurs dazu drei Jahrzehnte gebraucht hat, um in das weitere Bewusstsein zu diffundieren.

Vestigia terrent. Es gibt noch nachzudenken. –

Das „Fragen des lesenden TextArbeiters“ waren mit Bertolt Brecht intoniert – er auch noch einmal zum vorläufigen Ende:

„Der Vorhang zu und alle Fragen offen.[…]Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss![165]

 
Anhang:

 

Die „Fragen des lesenden TextArbeiters“ sind motiviert von der starken Annahme, dass ohne die Orientierung an der regulativen Idee des ‚Richtigen’ der Ansatz der historisch-kritischen Forschung ‚nicht funktioniere’. Nähere Befassung mit dieser Annahme hat bemerken lassen, dass die historisch-kritische Forschung als solche in Beziehung steht zu Selbst-Konzeptualisierungen eben ihrer jeweiligen Gegenwart. Das eine wie das andere soll durch einige Eindrücke des exegetischen Laien – unsystematisch genug und höchst tentativ, auf fachkundigere Falsifikationen aus – aus der AT-Forschungsgeschichte wenigstens illustriert werden.

Zunächst:

Nehmen wir den Modellwechsel in der Pentateuchforschung. Ausgangspunkt war allemal der Blick auf die Oberfläche des textus receptus. Dann werden sachliche Unvereinbarkeiten in den propositionalen Gehalten wahrgenommen, dann auch sog. „Dubletten“. Es folgt zu Aufklärungszwecken Distanznahme von jener Oberfläche im Sinne der späteren Luftbild-Archäologie: die Ausprägung von Profilspuren ‚darunter’ liegender Schichten wird erkannt (die dann technisch Jahwist, Elohist, Priesterschrift, Deuteronomium genannt werden), die ihrerseits durch Interpolation von Fehlendem zu Ganzheiten arrondiert werden. Diese Arrondierung, die auf die Erstellung einer Konstruktionszeichnung des Entstehungsprozesses zielt, erfolgt forschungsgeschichtlich auf unterschiedliche Weise (Urkunden- oder Quellenhypothese, Fragmentenhypothese, Ergänzungshypothese, Neuere Urkundenhypothese), im ständigen Wechsel der Richtung des Forscherblicks vom einzelnen (Text) zum Ganzen eines Textes (incl. dessen, dass, was ‚ein Ganzes’ unterhalb der Textoberfläche ist, Forschungskonstrukt ist und das Bewusstsein dafür im Eifer des Gefechts bisweilen zurücktritt). Der ‚Modellwechsel’ erfolgt aufgrund von Umakzentuierung von der ‚Oberfläche’ des Textes schon Gesehenem – ein in sich komplexer, bei Bedarf sozio- oder psychologisch rekonstruierbarer Prozess innerhalb der scientific community – oder durch das ‚harte’ Falsifikationsverfahren, dass archäologische Funde (dem Textkanon äußerliche, ihm de facto konkurrierende Zeugnisse des sich auch in Texten ausdrückenden Lebens !) die Triftigkeit eines oder mehrerer ‚Modell-Elemente’ stören. – Vom Modellwechsel unberührt bleibt – unbestritten, ja dadurch eher bestätigt – das Paradigma historischer Kritik, der an der Annäherung an die „richtige“ Auslegung des vertexteten Lebensausdrucks gelegen blieb. Denn deren „Richtigkeit“ hatte sich zunächst auszuweisen in der Dimension des ‚Damals’ unter Absehung von Sinnbedürfnissen im ‚Heute ’(s.o. Zeile 688-692).

Sodann:

Das ‚Heute’ macht sich indes bemerkbar z.B. in der Präferenz für die Wahl der Form (den Typus dieser oder jener Hypothese) für jene ‚Annäherung’ – Fragen nach dem Entdeckungszusammenhang dieser oder jener metaphorischen Bezeichnung für den jeweilige Hypothesentypus, nach der Herkunft der anschaulichen Vorstellungen über die Generierung des jeweiligen Textgesamts seien hier beiseite gelassen. Diese Interferenz von Damals und Heute ist mit dem Paradigma historischer Kritik zwar nicht konstitutiv gegeben – sie ist aber faktisch wirksam und lässt sich aufzeigen an der forschungsgeschichtlichen Emergenz von Auslegungsmethoden: Literarkritik – Formgeschichte – Redaktionsgeschichte – canonical approach…: als Resonanz von dominierenden Motiven des jeweiligen „Zeitgeistes“:

  • In der Blütezeit der Literarkritik ging mit der Methode einher das Interesse am „Ältesten“, der „ursprünglichen“ Textgestalt. Darin erkennbar ist die Kopplung des gesellschaftlichen Legitimationsgefüges in Form des ‚Anciennitätsprinzips’: das Hergebrachte (Herkommen) ist die Substanz aktuell geltender Normen. (In der Bibelexegese macht sich darüber hinaus das spezifische Interesse an der authentischen „Offenbarung“ des Heiligen in der ‚Schrift’ bemerkbar: in der um die von Lessing markierte ‚logische Sekunde’ (s.o. Zeile 693-698) unbekümmerten Absicht eines Evidenz-Aufweises der „Wahrheit“ – vgl. die zeitweilig in der NT-Exegese virulente Formel „ipsissima vox [Iesu]“).
  • Dieses Interesse wirkt noch fort in der Phase der Dominanz der formgeschichtlichen Methode – die aber ihrerseits in einem veränderten Horizont erwächst: Die Krise des Überkommenen, zuletzt das durch den Ersten Weltkrieg ausgelöste Ende der gesellschaftlichen Ständeordnung, lässt Hoffnungen auf neue Instrumente der Bestandssicherung setzen: so die neue Aufmerksamkeit auf die ‚Mechanik’ des Sozialen (dass die seinerzeit aufkommende „Soziologie“ schon bald danach rückblickend als ‚Krisenwissenschaft‘ etikettiert wurde, sei nur angemerkt). Im focus der Aufmerksamkeit seht die Generierung sprachlich vermittelter „Lebens“deutung, von „Sinn“, diesseits der Unterstellung individueller Autorschaft.
  • Als Komplement hierzu ‚entwickelt sich’ (eine eher unwillkürlich unterlaufende a-personale Formulierung, die namhaft zu machende Urheber wie v.Rad, H.W.Wolff u.a – betr. NT Conzelmann, Marxsen, Bornkamm – zu bloßen Exponenten eines ‚Zeitgeistes’ herunterstilisiert) die redaktionsgeschichtliche Methode, der es um die Würdigung der individuellen Gestaltungskraft von „Autoren“, um deren aus dem Arrangement von (forschungsgeschichtlich zuvor) anonymisierten ‚Stoffen’ erschließbare konzeptionelle „Botschaft“ geht. Die exegese-externe Querperspektive lässt darin eine – in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg plausible – Reaktionsbildung erkennen: nach der Apotheose des Kollektivs (in der NS-Variante ‚das Volk ist alles’ oder der des im historischen Aufstieg befindlichen Kommunismus) die Apostrophierung des kreativen Einzelnen.
  • Schließlich der canonical approach: Er ist – gesellschaftsgeschichtlich gesehen – ein Kind der Wende vom Gemachten zum Gewachsenen (konform zur Technologie-Kritik, dem Aufstieg von „Bio-***“, der Zustimmung zur Moral des „Zauberlehrlings“ der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts: der Emergenz des „Lassens“-Paradigmas, wie sich das exemplarisch in O. Marquards Marx-Persiflage „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden verändert; es kömmt aber darauf an sie sein zu lassen“ Ausdruck verschafft hat). Dass diesem ‚Ansatz’ die forschungsgeschichtlich bestimmende Kraft versagt blieb, lässt sich zurückführen auf das zeitgleiche Verschwinden der Vorherrschaft eines Auslegungsmodells zugunsten des Nebeneinander miteinander inkompatibler ‚Ansätze’ jenseits des Paradigmas historischer Kritik (materialistische, literaturwissenschaftliche, feministische Exegese).

 

© Frithard Scholz

Es wackelt alles_final_website

11. Juni 2015

 

[1] aus: Ernst Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912): mit den Thesen von 1901 und den handschriftlichen Zusätzen. Hrsg. von Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Stefan Pautler [Kritische Gesamtausgabe Bd. 5], Berlin/New York 1998, S. 10 Anm. 47

[2] Bertolt Brecht, Gesammelte Werke (hrsg. vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann) 9: Gedichte 2, Frankfurt 1967, 656f.

[3] Brecht aaO (Anm. 2) 12: Prosa 2, Frankfurt 1967, 377.

[4] Siehe dieser, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie. Aufsätze, Frankfurt 1973, 33.

[5] Vgl. nur die Übersicht von Jan Christian Gertz, in: ders. (Hg.), Grundinformation Altes Testament, Göttingen 2006, hier bes. 187-210.

[6] Angelika Berlejung (dies., Quellen und Methoden, § 2.1, in: Jan Christian Gertz aaO [Anm. 2], 19-54, hier bes. 42-45) stellt in ihrer knappen Übersicht der „diachron orientiert“ genannten „historisch kritischen Methode“ „synchron orientierte“ und „anwendungsorientiert“ genannte „Methoden“ als neuerlich zu Relevanz gekommene zur Seite. Sie legt zwar Wert auf die Feststellung, dass diese newcomer unter den Methoden „nicht als konkurrierend oder alternativ zu bewerten“ (ebd. 44) seien und deren ‚Ergebnisse‘ wie die der historisch-kritischen Methode „intersubjektiv kritisch nachprüfbar und überindividuell zu plausibilisieren“ (ebd. 45) sein müssten – in der Sache ähnlich Helmut Utzschneider / Stefan Ark Nitsche in ihrem „Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments“, Gütersloh 2001, die „eine Synthese aus textbezogener (›synchroner‹) und überlieferungsbezogener (›diachroner‹) Auslegung der Hebräischen Bibel“ anstreben (ebd. 21). Gleichwohl bleibt die Frage, ob derlei Propagierung von Methoden-‚Harmonie‘ nicht doch fundamentale Differenzen überspielt.

[7] Rudolf Bohren, Die Krise der Predigt als Frage an die Exegese, zitiert nach: ders. Dem Worte folgen. Predigt und Gemeinde, München/Hamburg 1969, 65-96, hier 73.

[8] Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik Bd I/1, Zürich 8. Aufl. 1964, 1-10, bes. „Es könnten alle Wissenschaften in ihrer Spitze Theologie sein“ (ebd. 5).

[9] wie es – Bohren zeitgenössisch – Charles Percy Snow, Die zwei Kulturen [1959] (jetzt in: Helmut Kreuzer (Hg.): Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz. C. P. Snows These in der Diskussion. München 1987) vorgestellt hat.

[10] weil auch nicht wirklich erledigt – oder sollte das Erscheinen eines Sammelbandes (Reiner Greshoff u.a. [Hgg.], Verstehen und Erklären. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, München 2008) als dessen ‚historisch-kritische Beerdigung‘ genommen werden müssen?

[11] die sich in der Ausdifferenzierung der universitären Fächer und Disziplinen, nicht zuletzt der Binnendifferenzierung der Theologie ausgeprägt hat.

[12] Mit vergleichsweise mildem Spott zitiert Bohren (aaO [Anm. 7], 66) Fuchs‘ Maxime, der „Dienst der historisch-kritischen Methode [sei dann] getan, ‚wenn sich aus dem Text die Nötigung zur Predigt ergibt‘“. Sarkastischer hätte er werden können angesichts Willi Marxsens (ders., Der Beitrag der wissenschaftlichen Exegese des Neuen Testaments für die Verkündigung, zit. nach ders., Der Exeget als Theologe, Gütersloh 21969, 67) hilfloser Bemerkung „Doch damit wird nun auch die Aufgabe klar. Es kommt darauf an, in irgendeiner Weise die Brücke vom Damals zum Heute zu schlagen“ [Kursivierung FS]. Wie der von Marxsen propagierte „Brückenschlag“ mit theologischer Sensibilität (die womöglich auch Bohren überzeugt hätte) erfolgen kann, zeigt das zu Unrecht vergessene Werk des (Fuchs-Schülers) Dieter Nestle, Neues Testament elementar, Neukirchen 1980)

[13] Markus Saur, Dialog als Prinzip. Alttestamentliche Texte und ihre Deutungsoffenheit in der neueren exegetischen Diskussion, in: PrTh 49, 2014, 136-142 – eingeklammerte Seitenzahlen im Text beziehen sich hierauf.

[14] so ebd. in der „Zusammenfassung“ des Aufsatzes (136).

[15] Jan-Dirk Döhling, „Ideen mit Hörnern“ - Exegetisch-homiletische Reflexionen zum Schreiben, Lesen und Predigen des Gotteswortes, in: GPM 66, 2011, 277-286. Eingeklammerte Seitenzahlen im obigen Text beziehen sich darauf.

[16] abgesehen von seinen Ausführungen zu Ps 1.

[17] so etwa in Günther Schulze-Wegeners (vielfach aufgelegter und nachgedruckter) populärer Darstellung „6000 Jahre und ein Buch“, Kassel 1958, hier 188.

[18] Vgl. hierzu grundsätzlich Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen – die maßgebliche Ausgabe ist jetzt ders. Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition, hrsg. von Joachim Schulte in Zusammenarbeit mit Heikki Nyman, Eike von Savigny und Georg Henrik von Wright, Frankfurt 2001.

[19] So etwa Döhling aaO (Anm. 15) 279 Anm 7 mit Verweis auf Raschi, aber vgl. auch die Ausführungen 280.

[20] Vgl. Peter Pitzele, Die Brunnen unserer Väter. Midraschim und Bibliologe über Bereschit-Genesis, Stuttgart 2012; und: Uta Pohl-Patalong, Bibliolog: Gemeinsam die Bibel entdecken im Gottesdienst – in der Gemeinde – in der Schule, Stuttgart 22007.

[21] Manns Mose ausdeutend, schreibt er dem „Prinzip der Konsonantenschrift“ das (einzigartige?) Merkmal der Spiegelung des „Ineinander von Transzendenz und Immanenz, von Schöpfung und Erwählung, die Dialektik von Universalität und Partikularität, die den Gott Israels prägt“, zu (Döhling ebd. 282).

[22] Genau analog seinem Hinweis auf die Doppeldeutigkeit der „Wendung ‚wegen seines Redens mit ihm‘“, die „sowohl das Reden Gottes mit Mose als auch Moses Reden mit Gott als Grund der Hörner bzw. der Strahlen denkbar“ mache (Döhling ebd. 279). Dass Döhling bei seinem Argument das idiosynkratische Adjektiv „doppeltdeutlich“ (ebd. 282) benutzt, verweist ganz sachgemäß auf das im von Yorick Spiegel herausgegebenen Band „Doppeldeutlich – Tiefendimensionen biblischer Texte“, München 1978, verfolgte Projekt, recto ‚frommer‘ wie obliquo historisch-kritischer Lesart der Bibel tiefenpsychologisch instrumentierte ‚zur Seite‘ zu stellen.

[23] Döhling ebd. 282 („wird man dies…hören dürfen“, „Darf man ihm hier folgen…“, „so wäre…angedeutet; wie umgekehrt…entspräche“) oder 285 („Träfe dies zu…“)

[24] So Döhling ebd. schon 280: „Dass es oft mehr als eine Lesart gibt, heißt also gerade nicht, man könne alles in die Texte hineinlesen. Exegese fördert und bewahrt die Vielfalt des Sinnes von Texten in zwei Richtungen. Sie forscht nach pluralen Möglichkeiten des Verstehen und besteht darauf, dass jedes Verstehen sich wortwörtlich und buchstäblich ‚buchstäblich‘ als Möglichkeit des Textes ausweisen muss“ [Kursivierungen im Original].

[25] Wiederum konjunktivisch „so hätte vielleicht Michelangelo übersetzt“ (Döhling ebd. 284)

[26] Vgl. nur Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 91998, 43ff.

[27] s.o. Anm 16.

[28] Niklas Luhmann, „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“ Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, ZfS 22, 1995, 245-260.

[29] Wobei die Unterschiede der Schematisierung – Wesen/Erscheinung, Substanz/Akzidens, Allgemeines/Besonderes u.a. – von nachrangigem Belang sind.

[30] Ebd. 259.

[31] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder: Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse [1821] (zit. nach: ders. Werke in zwanzig Bänden – Theorie Werkausgabe (Redaktion: Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel), Band 7 (Frankfurt 1970), 26.

[32] Zuerst frz. als „La condition postmoderne“ [1979], dt. Graz/Wien/Böhlau 1986.

[33] Der Ausdruck nach Karl Marx, Die deutsche Ideologie, jetzt in: Marx-Engels-Werke Bd.3, 35.

[34] Die Verwendung des aus der Grammatik bekannten Terminus „Paradigma“ für die Rekonstruktion von Wissenschaftsgeschichte geht zurück auf Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1967. Die ungewöhnlich rasche Popularisierung dieser Begriffsverwendung hat eine ‚Verlotterung‘ der vom Urheber geleisteten Präzision mit sich gebracht – insbesondere vergessen lassen, dass die Diagnose „Paradigmenwechsel“ erst mit großen zeitlichen Abstand von der so benennbaren Wende in der Orientierung objektbezogener Forschung gestellt werden kann. Insofern geschieht die obige Begriffsverwendung mit aller selbstkritischen Vorsicht.

[35] Hilfreich für den Überblick über die an Lyotards Gelegenheitsschrift (s.o. Anm. 32) anschließende Debatte und dessen zeitlich folgendes Werk: Walter Reese-Schäfer, Lyotard zur Einführung, 2., erw. Aufl. Hamburg 1989

[36] Lyotard aaO (Anm. 32), 96.

[37] die Reese-Schäfer (aaO [Anm. 35], 80f) mit bewusst heideggerischem Zungenschlag als „Andenken des Heterogenen“ charakterisiert – und, nicht von ungefähr, Verweisungslinien zu Theodor W.Adorno und Gianni Vattimo zieht! Zutreffend und hier aufschlußreich auch noch Reese-Schäfers (ebd. 88) Konklusion aus Lyotards Kant-Kritik: „Er versucht, sich eine Wahrnehmung vorzustellen, die gerade nicht von der ständig möglichen Vergewisserung des ‚ich denke‘ begleitet ist. Er versucht, die Wahrnehmung ohne bewußtes Subjekt zu denken und damit auch ohne Einheit“

[38] Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden (hg. von Karl Schlechta), Bd. II, München 1966, 963.

[39] Wolfang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1987; hierauf verweisen eingeklammerte Seitenzahlen im obigen Text.

[40] Wie noch Max Weber – dem Welsch (ebd. 190f) Paul Valérys charakteristisch anders bewertende Auffassung zur Seite stellt!

[41] Wolfgang Welsch, Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft, Frankfurt 1995.

[42] Besonders sprechend Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986; hierauf verweisen eingeklammerte Seitenzahlen (mit voran gestelltem „R“) im obigen Text.

[43] Vgl. ebd. 7-11; „Aus gegebenem Anlaß“.

[44] Vgl. Ulrich Beck, Die Erfindung des Politischen, Frankfurt 1993, 70; hierauf verweisen eingeklammerte Seitenzahlen (mit voran gestelltem „P“) im obigen Text.

[45] Beck argumentiert nicht auf der Ebene des ‚Begriffs‘, sondern auf der empirischer Verallgemeinerung (vgl. aaO [Anm. 42], 70: „summiert sich zu dem Strukturwandel…“)

[46] Vgl. den Untertitel (s.o. Anm. 42) bzw., ebenso definitorisch vage, der Titel einer von ihm edierten Buchreihe.

[47] 9. Aufl. Frankfurt 2012.

[48] Ebd. 49f Anm. 76.

[49] Selber zeithistorisch analysebedürftig mag der Umstand sein: Der größte Teil von Rosas Konzept lässt sich der Sache nach und bis in Formulierungen hinein bereits in Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ finden; vgl. hierzu Frithard Scholz, Freiheit als Indifferenz. Alteuropäische Probleme mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns, Frankfurt 1982, 237-253. Hierfür bezeichnend auch Rosas (ebd. 378 Anm 64) Hinweis auf Georg Simmel, den Musil gelesen (und: als Student in Berlin gehört) haben dürfte.

[50] Ebd. 374ff. Vgl. den ebd. 378 Anm. 63 gebotenen Verweis auf Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt 1994, 288ff.

[51] Ebd. 373.

[52] Ebd. 388ff.

[53] Nach Rosa (ebd. 379).

[54] Hierfür ist an die Traditionslinie Descartes-Kant-Fichte-Husserl (früher und mittlerer) zu denken, im weiteren Sinne auch an den späten („Lebenswelt“-)Husserl und die anders, sprachtheoretisch, operierenden Ansätze von Apel und Habermas.

[55] Zu denken ist an das epochen-synchrone Auftauchen von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie und Picassos (und anderer) Kubismus; vgl. oben (Anm. 39) zu Welsch (ebd. 186f). Für diese Option lässt sich sachgemäß keine ‚Traditionslinie‘ geltend machen, eher nur einzelne Vertreter wie Odo Marquard (ders., Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1986).

[56] Rosa (aaO [Anm. 47 190f) spricht von „rutschenden Abhängen“ – die Metapher will den vom Einzelnen gänzlich unkontrollierbaren Verlust an praktischer wie theoretischer Schrittsicherheit im sich beschleunigenden sozialen Wandel veranschaulichen: „eine permanente Umgestaltung der ‚Entscheidungslandschaft‘, die nicht nur Erfahrungen und Wissensbestände stets von Neuem entwertet, sondern es auch nahezu unmöglich macht vorherzusagen, welche Anschlussoptionen und Handlungschancen in Zukunft relevant und wichtig sein werden“. In eben diesem Sinne spricht Beck vom „Hineinschlittern“ in die Zweite Moderne mit deren das Individuum übermächtigenden faktischen Unausweichlichkeiten der „Risikogesellschaft“ (vgl. namentlich die Einleitungspassage zur „Frage nach dem ‚und‘“ in ders., [aaO [Anm. 44], 9-23, hier 14f.)

[57] s. o. Anm. 35

[58] Johann Gottlieb Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, zit. nach: Fichtes Werke, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. I: Zur theoretischen Philosophie, Nachdruck Berlin 1971, 434.

[59] Zu dieser Begriffsbildung vgl. Scholz (aaO [Anm. 49]).

[60] Hierfür steht das von Heiner Keupp initiierte Forschungsprogramm; vgl. im Einzelnen Heiner Keupp / Renate Höfer (Hgg.), Identitätsarbeit heute. Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung, Frankfurt 1997, bes. Heiner Keupp u.a., Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbek, 4. Aufl. 2008.

[61] Einen besonders eindrücklichen Blick auf die Interferenzen der vermeintlichen Naturkonstante ‚was für ein Mensch man ist‘ mit den gesellschaftlich induzierten Globalisierungswellen der Zweiten Moderne ermöglichen Ulrich Beck / Elisabeth Beck-Gernsheim mit ihrer auf Buch-Umfang gewachsenen Forschungsskizze „Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter“, Berlin 2011.

[62] Wobei gesondert zu erörtern wäre, wie sich die Rede von der „Idee“ in ihrer Funktion der Orientierung einer unendlichen Approximation (an die Wahrheit?) verhält zur Funktion der ontologischen Fundierung von auftretendem (und so: erkennbarem) Wahren in eben der „Idee“.

[63] In genau diesem Sinne bestätigt auch der postmodern disponierte Exeget Döhling (aaO [Anm. 15], 279) die grenzbegriffliche Einschlägigkeit dieses Perspektivpunktes mit der Empfehlung, „nicht vom richtigen, sondern vom wahrscheinlichsten Sinn [zu reden]“

[64] Quellennachweis dieser Kant-Zitate in: Rudolf Eisler, Kant-Lexikon. Nachschlagewerk zu Kants sämtlichen Schriften / Briefen und handschriftlichem Nachlass, Hildesheim 1969, 262f (s.v. Idee, transzendentale).

[65] Jürgen Habermas, Wahrheitstheorien, in: Helmut Fahrenbach (Hg.), Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, 211-265, hier bes. 258.

[66] Vgl. Hans Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin: Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt 1987.

[67] Niklas Luhmann, Systemtheoretische Argumentationen. Eine Entgegnung auf Jürgen Habermas, in: Jürgen Habermas / ders., Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, Frankfurt 1971, 291-403, hier 327 Anm. 61.

[68] Vgl. nur Richard Rorty, Wahrheit und Fortschritt, Frankfurt 2000; sowie exemplarisch Ernst von Glasersfeld, Der Radikale Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme; Frankfurt 1996, und Heinz von Foerster, Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie; Wissenschaftstheorie, Wissenschaft und Philosophie, Braunschweig/ Wiesbaden 1985.

[69] Beim späteren Schleiermacher auch „Geist“ genannt – vgl. Gregor Etzelmüller, Friedrich D.E. Schleiermacher (1768-1834). Zwischen Grammatik und Psychologie, in: Susanne Luther / Ruben Zimmermann (Hgg.), Studienbuch Hermeneutik. Bibelauslegung durch die Jahrhunderte als Lernfeld der Textinterpretation: Porträts - Modelle – Quellentexte, Gütersloh 2014, 239-251; aufschlussreich auch zu den Unterscheidungen von grammatischer bzw. psychologischer Interpretation sowie divinatorischer und komparativer Methode.

[70] Weniger plakativ tönend, dafür nachhaltig und komplex empfiehlt Odo Marquard (Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981,117-146) – „Hermeneutik ist – wenn sie Replik auf die Endlichkeit ist – Replik auf den Tod“ – insbesondere (die von ihm so genannte Variante)„pluralisierende Hermeneutik“ (nämlich die „literarische“), die den „hermeneutischen Bürgerkrieg um den absoluten Text“ befriede: der „Kern der Hermeneutik [sei] die Skepsis und die aktuelle Form der Skepsis die Hermeneutik“ (Zitate ebd. 122.129f.138).

[71] So schon in der anspielungsreichen Polemik auch noch gegen die ‚Hermeneutik‘: „Wer Horizonte verschmelzt [sic!], läßt eben an der Stelle vieler Perspektiven ein einzige übrig. Wer einen Universalitätsanspruch erhebt, integriert zumindest und subsumiert alternative Ansprüche. Wer hermeneutisch auf der Metaebene spricht, dem stellen sich unübersichtliche Verhältnisse als recht überschaubar dar. Wer eine Hermeneutik des Geistes betreibt, kann die Vielheit der Geister und Buchstaben souverän vergessen.“ (Jochen Hörisch, Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik, Frankfurt 1988, 71f.)

[72] Santiago Zabala, Eine Religion ohne Theisten und Atheisten. Einleitung, in: ders. (Hg.); Richard Rorty / Gianni Vattimo, Die Zukunft der Religion, Frankfurt am Main 2006, 11-32, hier 24. Gianni Vattimo (Das Zeitalter der Interpretation, ebd. 49-63) plädiert energisch für ein „schwaches Denken“, das die verkappten Herrschaftsansprüche der traditionellen Metaphysik (das Allgemeine ist dem Besonderen über, der Subjektivität des lebendigen Menschen), wie er sie sieht, durch Unterlaufen jener Hypertrophie depotenzieren will; das τελος des „schwachen Denkens“ ist die Verdrängung des Strebens nach Erkenntnis der „Wahrheit“ durch „Bildung“ zur gelebten Orientierung an der Vision vom Lebensrettenden befriedeter Gegenseitigkeit von Verschiedenen, dem zwanglos geltenden „Gesetz“ von „Solidarität, Nächstenliebe und Ironie“ (Zabala, ebd. 32). Freilich kann zurückgefragt werden: wie herrschaftsfrei ist die „Liebe“? „‚Was tun Sie‘, wurde Herr K. gefragt, ‚wenn Sie einen Menschen lieben?‘ ‚Ich mache einen Entwurf von ihm‘, sagte Herr K., ‚und sorge, daß er ihm ähnlich wird.‘ „Wer? Der Entwurf?‘ ‚Nein‘, sagte Herr K., ‚der Mensch.‘“ (Bertolt Brecht aaO [Anm. 2],386) – nicht fern von der der Metapher des „bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt“ in Kants Vorrede zur Zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (zit. nach: Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden [hrsg. v. Wilhelm Weischedel) Band II, Darmstadt, 1956, 23). Vgl. dazu Dorothee Sölle, Zur Dialektik der Liebe. Zwei literarische Texte, theologisch interpretiert, in dies., Atheistisch an Gott glauben. Beiträge zur Theologie, Olten 1968, 26-36.

[73] Scholz (aaO [Anm. 49], bes. die Ausführungen zu Röm 77-25 (ebd. 207-228); seinerzeit konnte Vf. noch nicht zurückgreifen auf die umfassende Übersicht, die Hermann Lichtenberger, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. Studien zum Menschenbild in Römer 7, Tübingen 2004 (hier bes. 21-28 zu Augustin und Luther) vorgelegt hat. Für die existenzialphilosophische Verwandtschaft mögen stehen: Kierkegaards „Verzweiflung“, Heideggers „Vorlaufen zum Tode“, Sartres „zur Freiheit verdammt“.

[74] Zur anthropologischen Verankerung von Schuld in der Irreversibilität der Zeit jetzt maßgeblich Dietrich Korsch, Schuld in der Geschichte, in: Michael Meyer-Blanck (Hg.), Geschichte und Gott. XV. Europäischer Kongress für Theologie (14. bis 18. September 2014 in Berlin), Leipzig 2016, 719-727.

[75] Dagegen auf höchstem Reflexionsniveau Dieter Henrich, Was ist Metaphysik – was Moderne? Zwölf Thesen gegen Jürgen Habermas, in: ders., Konzepte. Essays zur Philosophie in der Zeit, Frankfurt 1987, 11-43.

[76] Vgl. hierzu Georg Picht, Von der Zeit, Stuttgart 1999, bes. 605-665 (hierauf beziehen sich eingeklammerte Seitenzahlen im Text); hier 644: „Es ist dem Menschen überhaupt nicht möglich, in dieser Welt was auch immer zu erkennen, ohne daß er dabei ein ‚Bild‘ des Universums, in das er ausgesetzt ist, sei es explizit, sei es implizit, voraussetzt.“

[77] vulgo „Weltformel“ (die Anspielung auf den slang der Elementarteilchenphysik und Astrophysik, der von Grand Unified Theory spricht, mag angesichts des Dauer-Gesprächs von Picht mit Naturwissenschaftlern wie Carl-Friedrich von Weizsäcker hingehen).

[78] Wobei Picht (ebd. 610) Wert darauf legt, dass es sich nicht um einen „Begriff“, allenfalls einen ‚Titel‘ handle.

[79] Auf seine Bezugnahme auf Manfred Eigen / Ruthild Winkler, Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall, München 31979 weist Picht (ebd. 610 Anm. 159) ausdrücklich hin. Die weitläufig vernetzenden Konnotationen dieses Denk-„Bildes“ mit Nietzsche (Die fröhliche Wissenschaft, zit. nach ders., aaO [Anm. 38] Bd. II, 7-274, hier 261: „…Welt-Spiel, das Herrische / Mischt Sein und Schein: - / Das Ewig-Närrische / Mischt uns – hinein!...“) , Hans-Georg Gadamer (Wahrheit und Methode, Tübingen  21965, v.a. 97-105), v.a. auch Eugen Fink (Spiel als Weltsymbol, Stuttgart 1960) können hier nur benannt, aber nicht weiter verfolgt werden.

[80] „wer gewinnen will, muß also nicht nur seine eigene Philosophie beziehungsweise Theorie sondern auch die der Anderen verstehe und Transformationsregeln erfinden, die ihm erlauben, den Erkenntnisgehalt der anderen Spiele in sein eigenes Spiel zu übernehmen“ (ebd. 614).

[81] Wohl kaum mehr denn eine matte Rezension von Günter Figal (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-es-ist-alles-eine-frage-der-zeit-11302310.html) – Abruf: 10. Juni 2015.

[82] Angesichts dessen, dass Pichts Ausführungen (aaO [Anm. 76]) kontinuierlich auf zwei „Schemata“ (das ebd. 618 wiedergegebene und ein zweites, nicht überliefertes [vgl. ebd. 617 Anm. 161]) Bezug nehmen, mag Heideggers Sarkasmus – in seiner Freiburger Vorlesung vom SS 1936! – als seltsam antizipativer Kommentar wirken: „…wegen dieser inneren Möglichkeit des Zwiespalts, die zum Wesen des Systems gehört, die Bemühung um das System selbst zwiespältig sein muß und jedenfalls nichts Selbstverständliches sein kann. Das ist es nur dort, wo das System der Philosophie, aber auch das der Wissenschaften, ganz äußerlich gemeint wird. So gibt es immer wieder wildgewordene Volksschullehrer oder zur Ruhe gesetzte Landgerichtsräte, die – in ihrem Beruf wackere Leute – auf den Einfall kommen, ein System der Philosophie oder Weltanschauung ‚machen‘ zu müssen. Auf Grund von wahllos und ziellos zusammengelesenen Schriften werden dann große Tafeln und Fächer entworfen, in die die ganze Welt verpackt wird, wenn möglich mit recht vielen Zahlen, Figuren und Pfeilen versehen[…].“ [ders., Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Tübingen 1971, 32)

[83] Snow (s.o. Anm. 9).

[84] Kuno Lorenz, dem Pichts Nachlasswerk eine eindringliche „Einführung“ verdankt) moniert an dieser Wendung das „in uns“ als inkonsequentes Mitschleifen des ‚denkenden Ich‘, und verweist auf die buddhistische Lehre des Nāgārjuna (ebd. XXVf)..

[85] In dem bedingten Sinne von Fichtes Diktum (vgl. oben Anm. 58).

[86] Diese Variante der ‚Sinn-Erschließung‘ verweist auf sowohl Gadamers (aaO [Anm. 78], 289f u.ö.) Leitmetapher der „Horizontverschmelzung“ als auch auf die rabbinische Figur der „mündlichen Tora“ – nachdenkenswert immerhin, dass diese beiden Formen des Text-verstehen-Wollens von Deeg (s. Anm. 87) auf gegensätzlich gezeichneten Pfaden verortet werden.

[87] Alexander Deeg, Geist und Buchstabe. Homiletisch-hermeneutische Überlegungen zu einer schwierigen Beziehung, in: ders. / Martin Nicol (Hgg.), Bibelwort und Kanzelsprache. Homiletik und Hermeneutik im Dialog, Leipzig 2010, 73-93 (hierauf beziehen sich eingeklammerte Seitenzahlen im Folgenden).

[88] Vgl. ders. (aaO [Anm. 70]), hier 117, und zum Folgenden bes. 122-127.

[89] Ebd. 134f.

[90] Ebd. 130f.

[91] Als klassisches Exempel für die rationale Unentscheidbarkeit des „Richtigen“ in der Bibel-Exegese mag die mystifizierende Schlusswendung von Albert Schweitzers großem Forschungsbericht genügen „Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer, die nicht wußten wer er war, herantrat. Er sagt dasselbe Wort: du aber folge mir nach! Und stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muß“ (ders., Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 61951, 642). Die Vision des „Unbekannten und Namenlosen“ steht an derselben konzeptionellen Funktionsstelle wie die doxologische Kontingenzformel (Luhmann), mit der Paulus seine paradoxen ‚Israel‘-Erörterungen in Röm 11,33 ‚abschließt‘, und die Referenz aufs „folge mir nach[…,]die Aufgaben…“ verweist aufs Jenseits der ‚Theorie‘.

[92] Vgl. Marquards  mehrfach variiertes Ceterum Censeo: „Die Geschichtsphilosophen haben die Welt nur verschieden verändert; es kömmt aber darauf an, sie zu verschonen; die änderndste Form des Verschonens aber ist das Interpretieren“ (ders., aaO [Anm. 70], hier:120; Kursivierung FS).

[93] S.o. Anm. 70.

[94] Sichtbar macht das, in forschungsberichtlicher Verdichtung das jüngste (VF 60, 2015, 1-80), von Friedhelm Hartenstein besorgte, Themenheft „Altes Testament – Textgeschichte des Alten Testaments“: In die Gestalt des aktuell als „Text“ zu Handhabenden interferieren frühe, von religiösen Partikularinteressen geleitete ‚Abzweigungen‘ der handschriftlichen Tradition (Samaritanus, Qumran), antike Übersetzungen, der bis heute historisch strittige Prozess der „Kanonisierung“ eines als ‚biblisch‘ anzuerkennenden Bestands von Schriften (als solcher Lehrbeispiel der von Marquard (aaO [Anm. 70] 128f) anathematisierten „singularisierenden Hermeneutik“), neuzeitlich-wissenschaftliche „Text“-Editionen undund… Zum Obigen vgl. bes. die Beiträge von Stefan Timm (Die Biblia Hebraica Quinta [BHQ], ebd. 52-61) und Siegfried Kreuzer (Der hebräische Text des Alten Testaments – Erforschung und Vermittlung, ebd. 69-79).

[95] Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen; Kritische Ausgabe hrsg. von Heinrich Scholz, 4. Aufl. (Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1910) Darmstadt o.J.

[96] Werner Hassiepen / Eilert Herms, Grundlagen der theologischen Ausbildung und Fortbildung im Gespräch, Stuttgart 1993, 13-80.

[97] Was Niklas Luhmann (Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974, hier 16) für die Rechtsdogmatik formuliert, gilt auch für die theologische: „Die Funktion von Dogmatiken[…liegt…]nicht in der Fesselung des Geistes, sondern gerade umgekehrt in der Steigerung der Freiheiten im Umgang mit Erfahrungen und Texten“.

[98] so nur in der 1. Auflage der „Kurzen Darstellung…“ (ders., aaO. [Anm. 95] 10), gleichwohl folgenreich rezipiert; dabei ist der Bedeutungs-Horizont der Metapher nicht die Aristokratie, sondern die Botanik: ein Baum gliedert sich für die Betrachtung in Wurzeln, Stamm („Körper“)  und „Krone“ (in der sich alles Aufgesprossene entbreitet)!

[99] Ebd. (§§ 260. 265), 100.102.

[100] So Wilhelm Gräb in seiner ebenso konzisen wie sympathetischen Gesamtdarstellung: ders., Praktische Theologie als Theorie der Kirchenleitung: Friedrich Schleiermacher, in: Christian Grethlein / Michael Meyer-Blanck, Geschichte der Praktischen Theologie. Dargestellt anhand ihrer Klassiker, Leipzig 1999, 67-110, hier 101. Deutlich stärker sozialtheoretisch orientiert Isolde Karle, Den Glauben wahrscheinlich machen. Schleiermachers Homiletik kommunikationstheoretisch beobachtet, in: ZThK 99 (2002), 332-350

[101] Der Vorschlag mag gelesen werden als Resonanz der auf kirchenpolitische Wirksamkeit angelegten Enzyklopädie der wissenschaftlichen Theologie, die in die „Grundsätze für die Ausbildung…etc.“ (s.o. Anm. 96) verkapselt wurde. Dort (ebd. 41f) werden Korrespondenzen von „methodische[m] Können und theologische[r] Kompetenz“ aufgemacht: zwischen (1) der „Erfassung des Literalsinns von Texten (Quellen)“ und „theologische[n] Kenntnissen[n]“, (2) der „methodische[n] Stellung und Verfolgung der Wahrheitsfrage“ und „eigener theologischer Einsicht“, dem (3) „Verfassen eigener Texte“ und der „Fertigkeit, die erkannte Wahrheit überlieferter Texte und das darin eingeschlossene eigene theologische Wirklichkeitsverständnis selbständig zu vertreten“ – welch Letzteres zwanglos, Kant im Sinn, als „Urteilskraft“ gefasst werden dürfte [Hervorhebungen vom Vf.; FS].

[102] Ausdrücklich hingewiesen sei auf Modelle der Text-Auslegung, die die Damals/Heute-Differenz vorsätzlich überspielen – wie Walter J. Hollenwegers Praxis Narrativer Exegesen, oder die Praxis des Bibliologs. Beider Umgang mit dem Text operiert nicht wie Antagonisten auf der Ebene wissenschaftlicher Exegese, sondern – deren Erkenntnisgewinne nutzend – auf der Ebene „Predigt“ mit zweifacher Absicht: die Konfrontation der Auslegungs-Rezipienten bzw. (im Bibliolog) –Partizipanten mit der Frage nach der Lebensdienlichkeit (s.o.) zuzuspitzen – und die Leistungsfähigkeit des Erkenntnis-Instrumentariums ‚Wissenschaft‘ im Prozess des Text-Verstehens de facto zu relativieren, Vgl. dazu etwa „Kommentar und Anmerkungen“ in Walter J. Hollenweger, Konflikt in Korinth. Memoiren eines alten Mannes, München 1978, 79-87, und Uta Pohl-Patalong aaO [s.o. Anm. 20], 94-96.

[103] Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, in: ders., Werke VIII (hg. […] von Herbert G. Göpfert), München 1979, 9-14.

[104] Sie finden sich bei Edmund Husserl (ders., Analysen zur passiven Synthesis [Husserliana XI, hg. von Margot Fleischer], Den Haag 1966) und Schülern (etwa: Karl Schuhmann, Die Fundamentalbetrachtung der Phänomenologie. Zum Weltproblem in der Philosophie Edmund Husserls, Den Haag 1971, XLIIf) und wirken als kategoriale Kapriolen zur Absicherung der Universalitätsansprüche der transzendentalphilosophischen Erkenntnisbegründung gegen einen anstehenden Paradigmenwechsel – ceteris paribus wie die Epizykeltheorie, die das angesichts der beobachteten Planetenbewegungsdaten für das ptolemäische ‚Weltbild‘ leisten sollte, bis sie mit Keplers Vollendung der kopernikanischen Wende überflüssig war (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Epizykeltheorie; Abruf 20.04.2015). – Zustimmender, wohl um der ‚Brille Schleiermachers‘ willen, zur Figur der „passiven Synthesis“ Eilert Herms, Das Problem von „Sinn als Grundbegriff der Soziologie“ bei N.Luhmann (zit. nach: ders., Theorie für die Praxis. Beiträge zur Theologie, München 1982, 189-213, hier 205).

[105] in: Friedrich Schleiermacher, Sämtliche Werke II/1: Predigten, Berlin 1843, 7.

[106] So weit zu sehen, erstmals zusammenhängend vorgestellt in: Dietrich Korsch, Religionsbegriff und Gottesglaube. Dialektische Theologie als Hermeneutik der Religion, Tübingen 2005, hier bes. 219-235; hierauf verweisen im folgenden Text eingeklammerte Seitenzahlen. Vgl. auch ders., Religion mit Stil. Protestantismus in der Kulturwende, Tübingen 1997 [RmS].

[107] Auch wenn es im schlechteren Sinne spekulativ klingen mag – einige scheint’s hergeholte Konnotationen zu Korschs unvermitteltem Einsatz bei der deiktischen Geste des Zeigefingers seien festgehalten: zunächst – bei dem ‚Kulturhermeneutiker‘, der sich wie kein zweiter sympathetisch an Karl Barth abarbeitet, so abwegig nicht – das Mitschwingen von Barths lebenslang hochgehaltenen ‚Programm‘ „immer: noch einmal mit dem Anfang anfangen!“ (Karl Barth, Das eine Notwendige [1916], jetzt in: ders. Predigten 1916 [hg. v. Hermann Schmidt], 1998, 109-124, hier 118; sowie ders., Einführung in die evangelische Theologie [1962], Zürich31985, 182). Sodann, aus dem Kontext der Theorie-Entwicklung Niklas Luhmanns: die argumentationsstrategische Initialzündung durch – ab 1984 von Luhmann abundant reklamiert – die Evidenz von George Spencer-Browns Einstiegs-Regel „draw a distinction“ – und, Jahre vor Luhmanns Entdeckung des Autopoiesis-Konzepts (als der noch an den Konditionen einer „Supertheorie“ feilte [Niklas Luhmann, Soziologie der Moral, in: ders. / Stephan H. Pfürtner [Hg.], Theorietechnik und Moral, Frankfurt 1978, 8-116, bes. 14-27), die zu Luhmanns Theorie-Stil passende Maxime Paul Feyerabends „man [muß] lernen[…], mit unerklärten Begriffen zu argumentieren und Sätze zu formulieren, für die noch keine klaren Gebrauchsregeln vorhanden sind“, ja „der Erfinder einer neuen Weltanschauung muß fähig sein, Unsinn zu reden, bis der Unsinn, den er und seine Freunde geschaffen haben, groß genug ist, seinen eigenen Bestandteilen Sinn zu verleihen“ (ders., Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt 1976, 352 – Kursivierungen aufgehoben; FS). Das tertium connotationis steckt in der heterogenen Verwandtschaft von Barths scheinbar hochfahrender Ablehnung von Konditionierungen theologischer Aussagen durch allgemeine ‚Erkenntnistheorien‘ und Sätzen wie „Ob und unter welchen Bedingungen ein solches Vorgehen wissenschaftstheoretisch zu rechtfertigen ist, soll uns hier nicht beschäftigen. Wir wollen es praktizieren und vorläufige Erfahrungen damit sammeln. Wenn solche Erfahrungen vorliegen, wird die Wissenschaftstheorie wohl in der Lage sein, eine Begründung dafür nachzuliefern“ (Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt 1977, 10),

[108] Hier unbeachtet mag bleiben der sachliche Grund für die theologiegeschichtlich zu beobachtende terminologische Verschiebung von „Selbstverständnis“ (noch Bultmann nach Heidegger) zu „Lebensdeutung“ (vgl. nur z.B. Jörg Lauster, Religion als Lebensdeutung. Theologische Hermeneutik heute, Darmstadt 2005).

[109] „…tritt[…]in den Blick“ (RuG 230); „nun zeigt sich aber sofort“ (RuG 232); „[Kulturbegriff stellt] vor Augen“ (RuG 232): etwas ‚an sich‘, dunkel, trübe schon ‚Vorhandenes‘ (religiös codiert: Gegebenes, ja Geschaffenes) wird in der „Perspektive des Deutens“ (RuG 233) wie auch immer bewusstseinsvermittelt habbar, handhabbar, lebensdienlich.

[110] Vgl. die Spitzenthese RuG 234: „Es gibt insofern ‚reines Bewußtsein‘ nur als logische Abstraktion aus denjenigen Deutungsverhältnissen, in die wir immer schon eingesenkt sind, so wahr es überhaupt Bewußtsein unter den Bedingungen des Lebens gibt“.

[111] Hier scheint der in der Sache feine Unterschied zu Wilhelm Gräb (Lebensgeschichten, Lebensentwürfe, Sinndeutungen – Eine praktische Theologie gelebter Religion, Gütersloh 1998. z.B. 18: oder ders.. Predigtlehre. Über religiöse Rede, Göttingen 2013, 149f) spürbar.

[112] Die Anspielung auf Eberhard Jüngels Gottesprädikation (ders., Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 30 u.ö.) ist evident.

[113] in deren drei Hinsichten: „Kritik an der Bibel, […]an der Logik der Religion, […]der sozialen Praxis der Religion“ (329).

[114] Dietrich Korsch (aaO [Anm. 106]) – im Folgenden abgekürzt als RmS.

[115] Welsch aaO (Anm. 41); Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/New York 1992.

[116] Vgl. RmS 11. Korsch teilt Welschs Urteil, dass ‚Postmoderne‘ die zur eigenen Konsequenz durchgedrungenen Moderne sei, hält aber dessen Diagnose und metatheoretische Integrationstherapie für zu oberflächlich (RmS 7: „Ein Begriff der empirisch spekulativen Verfaßtheit des Subjektes ist nicht gegeben worden“): Der anspruchsvolle Philosoph erhält für seine Bestimmung von „Stil“ (vgl. Welsch (aaO [Anm. 41], 849-852) als „[Zusammengefügtsein] von Dimensionen vernünftigen Wahrnehmens und Agierens jeweils nach einem bestimmten, individuellen Muster“ (RmS 7) eine eher schwache Note im Fach Konstitutionstheorie, dessen Bewertung Korsch dem Soziologen Schulze für dessen Fassung von „Stil“ als „existentielle Anschauungsweise“ (RmS 11 mit ebd. Anm. 22) – im Sinne einer empirischen Verallgemeinerung mit heuristischer Funktion - erlässt.

[117] „Denn ohne einen – wie immer elastisch zu bestimmenden – Hintergrund möglicher Gemeinsamkeit droht eine weitere Destabilisierung von Gesellschaft und Politik“ (RmS 3).

[118] „Denn das gesuchte potentiell Gemeinsame muß als ein solches erfaßt werden, das nicht einfach eine neue kulturelle Hegemonie heraufführen möchte; es soll (und muß) pluralitätsoffen bleiben“ (RmS 3).

[119] „…erhebt der Deutungsbegriff keinen Anspruch auf Originalität und verzichtet darauf, sich als einzigen Leitbegriff aufdrängen zu wollen. Er empfiehlt sich vielmehr aus durchaus pragmatischen Gründen…“ (RuG 223).

[120] So ein Mosaikstein aus Wittgensteins Werkstatt seiner sog. Spätphilosophie (ders. aaO [Anm. 18], 627).

[121] RuG 228.

[122] Ingolf U. Dalferth, Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004, 12; im folgenden Text beziehen sich eingeklammerte Seitenzahlen auf diese Publikation.

[123] Dieser elementare Rückbezug auf Peirce bildet eine Brücke zu Korschs Anlage seines Begriffs von „Deutung“ (aaO [Anm. 106] 227)

[124] Mit dem Nairobi Statement on Worship and Culture (nachgewiesen bei Dalferth aaO (Anm. 122) 57 Anm. 92.

[125] Dalferth aaO (Anm. 122), 130 Anm 141. Ins Auge springt diese Eigensinnigkeit bei der argumentativen Handhabung seines basalen Begriffs „Kommunikation“: Einerseits rezipiert er vollumfänglich Niklas Luhmanns Definition als „Synthese dreier Selektionen, als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen“ (die Dalferths argumentative Interessen an den Merkmalen Kontingenz, Pluralität, „baumartig[em V]erzweigt“sein von „Interpretationsprozessen“ [ebd. 65] stützt). Andererseits weicht er – mit seinem theologischen Axiom der „Selbstkommunikation Gottes“ – den gesellschaftstheoretischen Implikationen von Luhmanns Kommunikationsbegriff aus (die die Möglichkeit einer Kommunikation mit „Gott“ ausschließt); vgl. dazu, nur exemplarisch: Niklas Luhmann, Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu?, jetzt in: ders., Soziologische Aufklärung 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, 227-235. Das zeigt sich auch an der fast durchgängig gepflegten doppelten Lesart von „Kommunikation des Evangeliums“ – betr. genitivus subiectivus bzw. obiectivus (ebd. 110; vgl. genau dagegen, nämlich die grammatikalische „Subjektposition“, Wilfried Engemann, (so z.B. in:) Kommunikation des Evangeliums. Anmerkungen zum Stellenwert einer Formel im Diskurs der Praktischen Theologie, in: Michael Domsgen / Bernd Schröder (Hgg.), Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 15-32 (hier 16: „erst recht…nicht“!).

[126] Dalferths theologie-enzyklopädisches Büchlein [aaO (Anm. 121]) hat auch eine okkasionelle Front im Widerstand gegen die organisatorische Egalisierung der Wissenschaften durch den sog. Bologna-Prozess (vgl. ebd. 25 u.ö.). Für diese Frontstellung braucht sich sein sichtlich über Eberhard Jüngel vermittelter barthianischer Denkansatz bei der anti-metaphysischen Vorordnung des – εϕ‘ απαξ (vgl. Dalferth ebd. 107!) – Besonderen vor dem Allgemeinen nicht taktisch zu verbiegen.

[127] Vgl. Dalferth aaO (Anm. 121), 107: „Diese unausweichliche Freiheit, in Gottes Geistesgegenwart als Mensch zwar nicht an Gott glauben zu müssen, aber in der konkreten Lebenssituation doch nicht anders zu können, ist die paradoxe Struktur der Glaubenswirklichkeit.“

[128] Zur Ausdrucksweise vgl. Scholz aaO (Anm. 49) 27f.226-228.

[129] Dalferth wie Korsch argumentieren im Interesse an propositionaler Anschlussfähigkeit (nicht = Zustimmungsfähigkeit!) theologischer Aussagen (Interpretationen resp. Deutungen) an nicht-theologische, allgemein-kulturell kontextierte – während Korsch aber im Differenzfalle auf Anschlussfähigkeit in Form der Konvergenz hin arbeitet, bewährt sie sich für Dalferth sachlich auch in der Form des Konflikts (vgl. z.B. Dalferth aaO [Anm. 122] 146). (Diese ‚Kippfigur‘-Logik von ‚Anschlussfähigkeit‘ formuliert schon Musils (ders., Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek 1970, 26) Protagonist: „Schließlich besteht ja das Ding nur durch seine Grenzen und damit durch einen gewissermaßen feindseligen Akt gegen seine Umgebung; ohne den Papst hätte es keinen Luther gegeben und ohne die Heiden keinen Papst, darum ist es nicht von der Hand zu weisen, daß die tiefste Anlehnung des Menschen an seinen Mitmenschen in dessen Ablehnung besteht“ – Kursivierung vom Vf.; FS).

[130] Unverkennbar der gedankliche sound von Eberhard Jüngels großem Essay Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit. Zum ontologischen Ansatz der Rechtfertigungslehre [zuerst 1969], zit. nach: ders., Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen, München 1972 – vgl. nur „…als Konsequenz, dass der gerechtfertigte Mensch mit sich selbst als Sünder durch nichts als durch das schöpferische Wort Gottes verbunden ist. Abgesehen von diesem Wort waltet zwischen dem homo peccator und dem homo iustus das Nichts“ (ebd 217) oder „Die entscheidende ontologische Implikation des Rechtfertigungsereignisses dürfte durch den Gedanken der creatio ex nihilo erfaßt sein“ (ebd. 220).

[131] Das oben Anm. 129 Angeführte mag im Status eines – metaphorisch geredet – familiengerichtlichen ‚Gütetermins‘ verstanden werden. Wenngleich nach Dalferths (aaO [Anm. 122] massiver Fußnoten-Invektive (ebd. 56f Anm. 91) gegen „Theologiekonzepte, die diese auf eine bloße ‚Deutungskultur‘ reduzieren“ (für die er ausgerechnet Korschs Dogmatik im Grundriß, Tübingen 2000, zum Exempel heranzieht), die mit dem Gestus des ‚zerschnittene Tischtuchs‘ einherkommt, es um Vermittlungs-Chancen schlecht steht. Korsch wie Dalferth (ebd.: „Sie [sc. die Glaubenden; FS] überlassen das Urteil über sich selbst Gott, und das genügt, um nicht nur relativ unsicher, sondern völlig zuversichtlich zu leben“) geht es letztlich um Lebensgewissheit (vgl. etwa Korsch, [RuG 222f und v.a. 339] „es ist die die Korrelation von Glaubensrichtung und Gottes Sein, die dem Glauben Festigkeit und Gewißheit gibt“). Der offenkundige Antagonismus beider Positionen gemahnt an Fichtes Diktum zur existentiellen Referenz der Wahl einer „Philosophie“ (vgl. oben Anm. 57): Korschs Deutungs-Hermeneutik operiert im Überzeugtsein von der Unhintergehbarkeit der Sprache auch im Reden von „Gott“ (vgl. Wittgensteins „Tractatus“-Sentenz „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“), und seinen Überschritt jener hermeneutischen Grenze - immanente Transzendenz! -  verschlüsselt er in seiner Rede vom Gebet (ebd.) - Dalferth riskiert den Überschritt dieser von auch ihm argumentativ gepflegten Grenze (sit venia verbo!) ‚unmittelbarer‘, indem er z.B. – im Sinne einer iustificatio effectiva – von „Gottes Urteil“ (Dalferth ebd.) spricht; sachgemäßer (und in diesem Sinne war oben von ‚letztlich‘ die Rede) Indikator dieses Überschritts ins Jenseits der „Interpretationen“ ist die Verwendung des Terminus „eschatologisch“ (Dalferth ebd. 56f Anm. 91.105.115.122f.183.185 u.ö.).

[132] Vgl. Dalferth aaO (Anm. 122) 170-178. Selbst wenn das steile Postulat okkasionell motiviert gewesen sein mag als Positionierung in der seinerzeitigen hochschulpolitischen Debatte um das Erfordernis der Selbständigkeit Theologischer Fakultäten in der Universität (vgl. Dalferth ebd. 24-31): das gilt, auch unabhängig von diesem „Bologna“-Streit, für alle theologischen Disziplinen und deren Forschungsperspektiven und –themen – um es exemplarisch zuzuspitzen: also für so heterogene ‚Interpretamina‘ wie Sätze zum altassyrischen Wegerecht oder zur Rezeption der Jungschen Psychoanalyse in der Pastoralpsychologie des 20. Jahrhunderts.

[133] Dalferth aaO (Anm. 122) 170-176 unterscheidet „historische, systematische, kritische und praktische Aufgaben der Theologie“ (ebd. 173 – Kursivierung im Original; FS). Die von Dalferth gesondert als ‚kritisch‘ benannte Aufgabe (vgl. dazu im Ganzen ders., Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, Tübingen 2003) ist nach Dispositionen des Vf. integrales Moment der ‚systematischen‘ – während die Ausdifferenzierung der ‚Predigt‘ aus der ‚praktischen‘ Aufgabe der Theologie den eigentümlich situationsbezogen-konfessorischen Charakter der mündlichen Kommunikation des Evangeliums akzentuiert.

[134] Zumal die Identifizierbarkeit von „Glauben“ in der Dimension des auf ‚bloße‘ Interpretationen vergatterten Menschseins unter eschatologischem Vorbehalt steht: nicht von ungefähr ist „ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24) für Dalferth das biblische dictum probans (Dalferth aaO [Anm. 122] 106). „[W]ie jede Aussage eine Glaubensaussage ist, die im Glauben gemacht wird, so ist jede Aussage, die im Unglauben gemacht wird, keine Glaubensaussage – auch wenn sie semantisch identisch aussehen sollte“ (ebd. 133 Anm. 145). „In entscheidender – nämlich über unser Leben letztgültig entscheidender – Hinsicht deuten nicht wir uns und unsere Welt, sondern wir werden mit und gegen unsere Deutungen von Gottes Urteil nicht nur deskriptiv, sondern kreativ gedeutet, also zu denen gemacht und als die bestimmt, die wir vor ihm und durch ihn in Wahrheit sind, wie immer wir vor uns und unserer Welt sind und zu sein meinen“ (ebd. 57 Anm. 91). – „Abscondita est Ecclesia, latent sancti“ (Martin Luther, De servo arbitrio, zit. nach: ders., LDStA [hrsg. v. Wilfried Härle u.a., Leipzig 2006] I/322,27).

[135] Dalferth aaO (Anm. 122) 63.

[136] Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen, zit. nach: ders., Werke II (hg. […] von Herbert G. Göpfert), München 1979, 280.

[137] Vgl. Korsch (Anm. 114)

[138] Vgl. Dalferth (aaO [Anm. 122]), 13 Anm. 4: „Nur situierte Wahrheit ist konkret, und nur konkrete Wahrheit ist das, was im Kontext von Lebensprozessen wirklich ‚wahr‘ genannt zu werden verdient.“

[139] Evangelisches Gesangbuch 482, Verse 4 und 5.

[140] Vgl. Dalferths Formulierung in seiner „hermeneutischen Religionsphilosophie“ (ders. aaO [Anm. 133] bes. 425-429).

[141] So Georg Picht (Wahrheit Vernunft Verantwortung. Philosophische Studien, Stuttgart 1969) in seiner Deutung des FEUER aus Pascals „Mémorial“ – ebd. 230; weitere aufschlussreiche Belege ebd. 291. 317 u.ö. (siehe Sachregister ebd.).

[142] Ingolf U. Dalferth, Radikale Theologie, Leipzig 2013.

[143] Vgl. oben Anm. 131.

[144] Vgl. Dalferth aaO (Anm. 142) 183.

[145] Dalferth aaO (Anm. 142) 184.

[146] Dalferth aaO (Anm. 142) 179.

[147] Ursprünglich William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum, 5. Aufzug 1. Szene (so bei: ders., Sämtliche Werke [übers. v. August Wilhelm von Schlegel und Ludwig Tieck], Darmstadt 184, Bd I. 556). Bekanntlich von Karl Barth wiederholt selbstironisch eingesetztes Zitat: Vgl. Trutz Rendtorffs Selbstdarstellung in: Christian Henning / Karsten Lehmkühler (Hgg.), Systematische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Tübingen 1998, 64, aber v.a. Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd II/1, Zürich 41958, 715; auf letztere Passage sollte Dalferth eigene Aufmerksamkeit wenden.

[148] Zum Beispiel: „Radikale Theologie versteht den Gottesbezug[…]weder als willkürlichen noch als notwendigen Deutehorizont, den sie epistemisch und hermeneutisch entwirft[…]Coram deo zu leben und zu denken, heißt nicht, das Leben in Bezug auf Gott und Gott im Horizont der Lebens zu verstehen, sondern umgekehrt, Gott im Bezug auf das Leben und das Leben im Horizont des Ereignisses zu verstehen, in dem Gott seine Gegenwart im menschlichen Leben so erschließt, dass dieses nicht bleibt, was es war, sondern wird, was es ist: der Ort, wo in der Schöpfung die Präsenz des Schöpfers an den Geschöpfen erfahren wird“ (Dalferth aaO [Anm. 142] 20) – oder „Kann man die überlieferte Dogmatik des Christentums auf diese deutungstheoretische Funktion [sc. das Zusammenspiel von gedanklichen und bildhaften Vorstellungen, privater und intersubjektiver Besinnungspraxis und gesellschaftlich-öffentlicher Darstellung] einstellen? Ja, und zwar auf eine ganz grundsätzliche Weise. Dabei geht es nicht um die Frage, wie man göttliche Wahrheiten aus einer eigentlich unzugänglichen Offenbarungsquelle begrenztem menschlichem Verstehen näher bringen und anpassen kann. Welcher Mensch sollte dazu auch in der Lage sein? Es handelt sich vielmehr darum, die zentrale gedankliche Figur der Menschwerdung Gottes, die bis in den Tod Gottes hinabreicht, als Schlüssel für gedeutete Wirklichkeit zu verstehen. […] Der vorgestellte Grund aller Wirklichkeit wird mit der Deutung von Wirklichkeit selbst identisch, tritt selbst ein, um Wirklichkeit – durch alle Abgründe und Abbrüche hindurch – als verstehbar zu deuten“ (Korsch, Religionsbegriff aaO [Anm. 105] 337f). In unmittelbarer Fortsetzung des Zitierten formuliert Korsch in seiner Diktion das argumentative Äquivalent zur hermeneutischen Grund-These Dalferths (aaO [Anm. 122] 106f) vom Vorrang des Wirklichkeit des Glaubens vor dessen Möglichkeit, dem singulare tantum des Christusereignisses („Bei ihm ist der Glaube an Gott, der allen Menschen durch Gottes sich vergegenwärtigendes Wirken möglich ist, gelebte Wirklichkeit, und zwar auch und gerade dort, wo sein Leben im Schrei der Gottverlassenheit endet“; Dalferth ebd. 107).

[149] S.o. Anm. 103.

[150] So, in gewagtem Transfer eines v.a. organisationssoziologisch angelegten Begriffs bei Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 21973, v.a. 50-66.

[151] Deren Unvollständigkeit unumwunden eingeräumt sei: zu Fragen der „Deutung“ oder des „Verstehens“ (nicht nur von Texten) sind die Beiträge Schleiermachers, Heideggers, Gadamers, auch Ricoeurs – oder, in der Sparte ‚Theologie‘, auch Wilhelm Gräbs oder Jörg Lausters – zwar registriert, aber nicht als ‚Stationen auf dem Weg‘ „besucht“ worden.

[152] Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (hg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 61952), Vorrede, 11.

[153] Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage, B XXX (zit. nach: ders.,, Werke in sechs Bänden [hrsg. v. Wilhelm Weischedel) Band II, Darmstadt, 1956, 33). Dalferths (aaO [Anm. 133] 397) Lesart lautet: „Kritische Vernunft ist kein Instrument zur Wahrheitserkenntnis, sondern zur Irrtumsverhinderung“ (Kursivierung des Originals getilgt; FS).

[154] Vgl. Karl R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 41971.

[155] Ebd. 77: „Eine Theorie ist falsifizierbar,[…],wenn es zu ihr mindestens eine verbotene homotype Klasse von Basissätzen, eine nichtleere Klasse von Falsifikationsmöglichkeiten gibt.“ Es erscheint angebracht zu bemerken: Kein einzelner Satz aus Poppers Werk, auch das hiesige (zum Zweck der Veranschaulichung seiner ‚Arbeitsweise‘ ausgewählte) Zitat nicht, kann beanspruchen, dessen ‚Kern‘ knapp ‚auf den Punkt‘ zu bringen. Das 1934 erstmals erschienene Buch wurde von Popper in den zahlreichen (deutschen und englischen) Nachauflagen zwischen 1966 und 1994 kontinuierlich mit verbessernden Zusätzen und Anhängen erweitert.

[156] Hans Albert, Kritik der reinen Hermeneutik. Der Antirealismus und das Problem des Verstehens, Tübingen 1994.

[157] Vgl. Ernst Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie [1898], zit. nach Gerhard Sauter (Hg.), Theologie als Wissenschaft, München 1971, 105-127, hier bes. 108: „Die Allmacht der Analogie schließt aber die prinzipielle Gleichartigkeit alles historischen Geschehens ein, die freilich keine Gleichheit ist, sondern den Unterschieden allen möglichen Raum läßt, im übrigen aber jedesmal einen Kern gemeinsamer Gleichartigkeit voraussetzt, von dem aus die Unterschiede begriffen und nachgefühlt werden können.“

[158] Wilfried Härle, Die Wirklichkeit – unser Konstrukt oder widerständige Realität?, in: ders., Spurensuche nach Gott. Studien zur Fundamentaltheologie und Gotteslehre, Berlin 2008, 54-68, hier 65.

[159] Ebd. 63.

[160] Dietrich Korsch, Religionsbegriff (aaO [Anm. 106]) 234.

[161] So auch ders., Dogmatik [aaO 131], - wenngleich deutlich vorsichtiger formuliert, etwa im Blick auf „neue ‚Anthropotechniken‘“ (ebd. 85f), 94-102..

[162] Vgl. nur ad hoc http://de.wikipedia.org/wiki/Transgender - Abruf: 10. Juni 2015. Und, mit sehr grundsätzlich auftretender sowohl feminismuskritischer wie theologischer Programmatik, Isolde Karle, „Da ist nicht mehr Mann noch Frau…“. Theologie jenseits der Geschlechterdifferenz, Gütersloh 2006.

[163] Vgl., der Kürze halber, etwa Michaela Bauks (https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/monotheismus-at/ch/6e6b7fc4255d6f71c9cf37c269839bfa/#h1; Abruf 10.06.2015), die einen Kurz-Abriß der Interpretationsgeschichte bietet – und eine eigene, eher vorsichtig vermittelnde, Positionierung.

[164] Vgl. hierzu etwa Manfred Weippert, Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte das antiken Israel in ihrem syrisch-aramäischen Kontext, Tübingen 1997, 16.

[165] Bertolt Brecht aaO [Anm. 2] Gesammelte Werke 4, 1607.