Predigen - worum geht's mir dabei?

DAS war die Frage - in einer Ausbildungswoche "Homiletik" mit den Vikar*innen des sog. Kurses 1992/93. Die Antwort zu finden eigentlich eine berufslebenslange Aufgabe. Im didaktischen setting seinerzeit gab's nur eine lange 'Mittagspause' zur Formulierung von Überzeugungen, die zur Diskussion stehen sollten.

Dem Bücherhamster sind damals fünf Thesen eingefallen, die er nach 30 Jahren hier veröffentlicht - Messlatte für ein inzwischen abgeschlossenes Berufsleben.

Was will ich, wenn ich predige?

(1. Meditation)

• ­ich will (bei der Erarbeitung einer Predigt) mir selber Rechenschaft geben über das, was mir das Evangelium von den Dingen des Lebens zu verstehen gibt,
• ich will (auf der Kanzel) nichts sagen, was ich selber einem anderen Prediger nicht ‘abnehmen‘ würde

(2. Exegese)

• ­ich will Hörer instand setzen, biblische Texte als Momente eines Kontinuums der Bezeugung des Glaubens zu erkennen - und zu erkennen, dass ihr eigenes Leben (ihr Glaube, Unglaube, Kleinglaube) dort mit hinein gehört

(3. Hermeneutische Reflexion)

• ­ich will nicht „Einstellungen ändern“, sondern dafür die Voraussetzung schaffen: durch den Hinweis auf Kategorien des individuellen Weltverhältnisses, die dem natürlichen Bewusstsein fremd sind

(4. Homiletische Reflexion)

(4.1 Pastorale Besinnung...)

• ­ ich will erinnern daran, dass Gott uns Menschen menschlich nahe gekommen ist: damit wir
• Mut fassen, zu ändern, was wir ändern können,
• ­zu Gelassenheit finden, zu ertragen, was wir nicht ändern können,
• zu Weisheit durchdringen, das eine vom andern zu unterscheiden

(4.2 Methodische Besinnung...)

• ­ich will „Worte retten“ - nämlich aus/vor ihrer Bannung in die Banalität oder Oberflächlichkeit der Alltagssprache,
• will Menschen aufmerksam machen auf die greifbar nahe Präsenz des Evangeliums in ihrem Leben,
• will Menschen Worte lehren, an denen sie im Geschrei der Herausforderungen des Lebens den leisen Zuspruch Gottes erkennen können

(5. Predigt)

­  ich will die Predigt des Evangeliums wiederholen, die zusammengefasst lautet „Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen“

© Frithard Scholz

30.01.1992