Dazwischen!

 

Frithard Scholz                                                            

 

Dazwischen – oder: Wozu braucht die EKKW ein Predigerseminar?

Ungefragte Aphorismen

 

  •  „Die Wahrheit braucht keine Dome“.Damit fängt es an, muss es auch anfangen, und so wird es nach Apc 2122f auch am Ende sein. Aber dazwischen? Auch Peter Beier, als Sprecher der (damals noch EKU heißenden) ‚Hausherrin’ Festprediger zur Wiedereröffnung des Berliner Doms mit diesem furios-franziskanischen Satz anhebend, wusste vor seinem Kanzel-Amen am 6. Juni 1993 gute Worte für den evangelischen Sinn der gefühlten x00 Millionen DM für die fast 20 Jahre währende Wiederherstellung des repräsentativen Symbols.
  • Was ist dazwischen, zwischen Anfang und Ende? Viel Dei providentia und hominum confusio (um doch Augustin den Vorrang zu geben vor Goethes wegwerfender Auffassung von Kirchengeschichte als „Mischmasch von Irrtum und Gewalt“). Was ist dazwischen? Die EKKW zum Beispiel. Sub specie Dei, in lutherischem Zungenschlag ein Weltwesen im ‚Reich zur Linken’. Gibt es so wie es sie gibt, auch noch nicht lange: 1934, 1945, 1967 markieren insoweit bemerkenswerte Jahresringe. Das Predigerseminar am Gesundbrunnen ‚gibt es’ seit 1891.
  • Aber warum und wozu gibt es das? Peter Beier tastete sich 1993 weiter: „Das liebe Evangelium kriecht in jeder Hütte unter und hält sie warm.“ Schon 1891 war das ehemalige Friedrichsbad keine „Hütte“ und ist es nach der 5-Mio-Euro-Sanierung 2006-2008 erst recht nicht: aggiornamento kostet, Geld auch. Es hilft zur Bezeugung des Evangeliums. Aber Geld reicht nicht.
  • Auch nicht die vorgetragene Monstranz der summa evangelii aus Mk 115. Kontextualisierung tut not, und dazu braucht’s Menschen, die bestimmt reden und so auch Ziel der Kritik anderer werden: „Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ‚Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen’, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei“. So ent-hüllte Luther in der ersten seiner 95 Thesen das Evangelium als Kopf-Satz der wirkmächtigen Kritik am Ablasswesen seiner un-evangelisch gewordenen Kirche. 476 Jahre später kommt Peter Beier auf seine Weise zum Schluss: ein jesajanisches Gerichtswort verflüssigt er zum Heilandsruf („Kehrt um“; Mk 115), zum [!] apostolischen „Bitte“ (2 Kor 520b); im sound von Ernst Reuters Luftbrückenrede 1948 („Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“) wandelt er das „Dom“-Problem in ein care-Paket („hier…etwas mitzunehmen, was einem sonst niemand einpackt“), bevor er’s anbietet „Der Dom gehört euch. Merk’s Berlin! Du liebe Stadt“. Nicht alle, die’s hörten, haben dazu Amen sagen mögen.
  • „Verstehst du auch, was du liesest?“ hatte laut Act 830 schon der ‚hingelaufene’ „Philippus“ das Evangelium für den religiös interessierten Auslandstouristen intuitiv zu personalisieren begonnen. Heutige Exegeten äußern sich zwiespältig zur Frage, ob dieser vom „Engel des Herrn“, dem „Geist“ (Act 826.29) angeschubste Philippus einer der Zwölf-(oder Elf-?)Männer (von Act 113) oder der Sieben-Männer (von Act 65) gewesen sei. Das kanonische Beispiel als ‚Kippfigur’: den Ansatz funktionaler Differenzierung im Kirchendienst (Act 62b.4) unterlaufen? Apostel oder Diakon? Als wenn es darauf ankäme und nicht auf die Kommunikation des Evangeliums, um derer willen er da, nein: unterwegs ist. Solange wie nötig, und dann wieder woanders. Und dazwischen: praktizierte Hermeneutik des „Zeugnisses“ (Ricoeur).
  • Philippus’ passionierte Aktion ist ein, vielleicht das biblische Muster für Kommunikation des Evangeliums über Grenzen hinweg: er spürt einen ‚call’, bleibt nicht hocken wo er ist, nimmt eine kommunikationsbedürftige Situation wahr, redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist ‚wes das Herz voll ist’ (ohne sich Gedanken zu machen über seine „Kompetenz“ zu all dem), lässt sich am Ende noch bitten, und ist dann wieder weg wie er erschienen ist – während ein Anderer „seine Straße fröhlich“ (Act 839c) zieht. Philippus hat, was immer er war, (soweit erkennbar) keine Zeit in einem Predigerseminar zugebracht. ‚Gibt es’ ihn doch nur als kanonisches Beispiel an der Schwelle zu jenem Dazwischen. Als die werdende Christenheit noch alternativenlos, unmittelbarkeitsgewiss der Kommunikation des Evangeliums divino afflante Spiritu vertraute.
  • Die „Wahrheit“, die „keine Dome [braucht]“, ist die Wahrheit des Evangeliums. Das Evangelium ist einfach, seine ‚Inkarnation’ schlechthin singulär – aber die Herausforderungen seiner Kommunikation sind vielfach. Wie die Menschen, die ‚alle verschieden’ sind. Einfach ist zu lesen von Dem, der gesagt haben soll „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“, „selig seid ihr…“, „für euch gegeben“, „es ist vollbracht“. Aber wer mag das wohl hören, wie vielfältig wird daraufhin gefragt werden können „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ (Act 836)? Geblieben ist das „wandeln in der Finsternis“ als naturwüchsige Bedrohung des Menschseins, seit Einer sich dem als „Licht des Lebens“ verheißungsvoll entgegengestellt hat – aber anders geworden sind ‚die Verhältnisse’, in denen das eine wie das andere lebensmäßig zu spüren ist. Dei providentia et hominum confusione.
  • Das ist das Dazwischen. Der Ort der cooperatio Dei et hominum. Wo die Kontextualisierung des Evangeliums erlitten, bedacht, eingeübt wird – notgedrungen: auch werden muss. Der Ort eines „Predigerseminars“. Wo die Simultan-Lektüre von „Bibel und Zeitung“ gepflogen wird, wie schon der Safenwiler Karl Barth empfahl. Aber daneben bedarf es auch einer guten „Dogmatik“, der Niklas Luhmann die „Erhöhung des Freiheitsgrades im Umgang mit Texten und Erfahrungen“ zutraut und abverlangt. Immerhin muss die Verwandlung des zeitbrauchenden akademisch-diskursiven Umgangs mit dem komplexen Sachverhalt, den der drei[!]gliedrige Ausdruck ‚Kontextualisierung des Evangeliums’ bezeichnet, in einen intuitiv glückenden habitus erfolgen. – Peter Beiers „Dome“-Predigt ist ein Beispiel: Schriftgemäß und kontextsensitiv konvertiert er die Erwartungen ans genus demonstrativum gelegentlich einer Kollektiv-Kasualie in die Transparenz des „Doms“ für die humilitas des „Wortes vom Kreuz“ – „Torheit“ für die ‚Gebildeten untern den Verächtern…’ und „Ärgernis“ für die beati possidentes (1.Kor 118-25). Indem er die zum Kasus ‚gefühlt’ quer stehende OPL-Perikope (Jes 68-11), noch verschärft durch Collage zeitgenössischer Erfahrungsberichte, durchs christologische Paradox illuminiert (2 Kor 46).
  • „Der Bezug auf eine alle Menschen bindende moralische Ordnung[…]braucht nicht explizit geleugnet zu werden.[…] Über die Kühnheit des ‚etsi non daretur Deus’ sind wir längst hinaus. Es geht nicht mehr darum, dass es, auch abgesehen von Gott, eine erkennbare natürliche und moralische Ordnung gäbe, sondern darum, dass wir, auch wenn es eine solche Ordnung gäbe, gleichwohl planen und normieren müssten“. So Niklas Luhmann 1972. Auch fürs GroßeGanze braucht es Kleingedrucktes.
  • 1530 wollte CA VII kirchenparteienübergreifend konsensfähig sagen „Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum / Denn dies ist genug zur wahren Einigkeit der christlichen Kirchen, dass da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament [!] dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden“. Der angestrebte Konsens blieb partiell, wie wir wissen. Die Beschwörung des „satis est“ genügte paradoxerweise nicht. – Fürs ‚Predigen des Evangeliums’ brauchte es – so die Verpuppungen im ‚Dazwischen’ –universitär ausgebildete Prediger. Die unter dem Schirm der sog. Parusieverzögerung nach und nach das einfache Evangelium sog. historischer Kritik zu unterziehen, sich auf diese und jene Hermeneutik zu verstehen lernen sollten. Und je weiter sich jener Schirm breitete, über ein poröser werdendes corpus Christianum, umso weniger genügte den organisierten Kirchentümern die Universität zur Ausbildung von Predigern: „Predigerseminare“ obendrauf, loziert nach den Maximen des landesherrlichen Kirchenregiments, zwecks Fein-tuning in der Anwendung von CA VII.
  • Ein Modernisierungseffekt, in Konsequenz der Einsicht: auch das Dazwischen bleibt nicht nur, was es wesentlich ist (und auch dabei bleibt!), der providenziell zugelassene µἡ τὁπος (die unmögliche Möglichkeit, wie einer das mal nannte) des Menschenlebens zwischen Anfang und Ende, sondern erleidet und betreibt ein ‚inneres Gesetz’. Die Grenzen für die Kommunikation des Evangeliums werden zugleich weniger und mehr: je nachhaltiger die Wahrnehmung für die Besonderungen am Menschsein wächst, desto bohrender die Erwartungen an die Berechtigung aller Individuen zur Teilhabe am Allgemeinen – die Komplementarität der jüngst in der BRD personenstandsrechtlichen Legalisierung eines (neben „m/w“) ‚dritten Geschlechts’ und des UN-gestützten universellen Inklusions-Postulats drückt diese Epochensignatur exemplarisch aus. Ohne das Kleingedruckte bleibt „solange die Erde steht“ das GroßeGanze ein ‚An sich’ und wird nicht ‚Für euch’, lebensmäßig zu spüren von denen, denen es gilt, ja um derer willen es da ist, und „in [dem sie] leben, weben und sind“ (Act 1728).
  • Welches der in der Tiefe des Dazwischen aufgewachsenen organisierten Kirchentümer würde das leugnen (jedenfalls im deutsch-kirchensteuerdotierten Diesseits der GEKE, vom welt-ökumenischen Globus zu schweigen), warum auch immer? Immerhin gilt das duale System (mentorierte Gemeindepraxis / Seminar) der Zweiten Phase der Pfarramtsausbildung in der deutschen Diskussion als derart musterhafte Antwort auf die o.g. Modernisierungseffekte, dass auch für andere kirchliche Berufe (Gemeindepädagog/DiakonInnen, KirchenmusikerInnen) nach einer vikariats-äquivalenten Ausbildungsstruktur gesucht wird. Also, fundamentalismusfrei, in historischer Konsequenz: lieber ein „Predigerseminar“ (oder eine Ersatz-Einrichtung gleicher Funktion):

 

  • Vor dem Blick aufs „Predigerseminar“ ein Seitenblick aufs Verhältnis zur „Universität“ – auch in Rücksicht auf das seit 2012 zumindest regulativ maßgebliche GEKE-Votum „Die Ausbildung für das ordinationsgebundene Amt in der [GEKE]“. Dies Votum empfiehlt, weitgehend von den pfarrberufsausbildungsrelevanten Äußerungen der „Gemischten Kommission“ [GK] des ‚Großen Bruders’ EKD zehrend, eine berufsvorbereitende Zweiphasig- bzw. -spurigkeit von universitärer und kirchengebundener Ausbildung – ohne dass die sachgemäße Unterschiedlichkeit derer Beiträge zur Qualifikation für die Kommunikation des Evangeliums als solche gewürdigt würde. Dabei hätte sich ein geradezu paradox anmutendes Verhältnis zeigen können:
    • Die universitäre Spur, wiewohl den Metanormen neuzeitlicher Aufklärung (curiositas, herrschaftsfreier Dialog) folgend, profiliert sich mit strukturkonservativen Zügen insofern, als deren Regularien nur mit der Fließgeschwindigkeit von Gletschern den Zeitläuften sich anbequemen (und diesen Widerstand auch bieten müssen); denn die Sozialisationsleistung der Universität gilt den langfristig stabileren Momenten der Kommunikation des Evangeliums.
    • Die kirchliche Ausbildungsspur, wiewohl dem Verdacht dienstrechtsbewehrter konfessionalistischer Disziplinierung unterliegend, entpuppt sich als Verkörperung kontext-sensitiver Beweglichkeit (wie ein Vergleich von Predigerseminar-curricula mit universitären Studienordnungen zeigen würde). Wenn denn – wie in der GEKE-Gründungsurkunde, der Leuenberger Konkordie, angelegt – einem aktualen Begriff der confessio als unabschließbaren Prozesses gefolgt wird.
  • Die erste, universitäre Phase theologischer Ausbildung soll die Komplexität des Evangeliums, das einfach ist, und das von seiner bisherigen Wirkungsgeschichte Wißbare entfalten und zu dessen (unweigerlich auch persönlichen) reflexiven Aneignung leiten. Dabei profitieren ihre Qualitätsstandards von der ultrastabilen Irritationsfestigkeit der GK-Regularien (Prüfungsordnung, Stoffpläne). Aber genau die behindert die Leistungsfähigkeit der Zweiten, kirchengebundenen, predigerseminaristisch organisierbaren Phase der Ausbildung, die ihre Aufmerksamkeit focussiert auf die im Ganzen fluideren gesellschaftlichen Rahmen-Bedingungen der Kommunikation des Evangeliums, die ihrerseits allenfalls wahrgenommen, aber nicht kontrolliert werden können. Während die universitären theologischen Fakultäten (trotz oder besser wegen ‚Bologna’) die ‚Unbeweglichkeit des Tankers’ kultivieren (dürfen), muss „Predigerseminaren“ die Wendigkeit von Landebooten eignen, die im ganz gewöhnlichen Chaos ankommen helfen – die noch vom GroßenGanzen inspirierte kommunikative Beweglichkeit des ‚Philippus’ sollte auch unter kleingedruckten Bedingungen aus-gebildet werden können.

 

  • Das „Predigerseminar“ ist der Ort für die – solange es ‚Dazwischen’ heißt – zweckmäßige (und nur vorläufig abschließende!) Bildung derer, die zum „publice docere [aut sacramenta administrare…]rite vocatus“ (CA XIV), betraut werden wollen (und sollen). Für die ‚öffentlichen’ KommunikatorInnen des Evangeliums – um es in einen terminus des über 1530 hinaus gewucherten Dazwischen zu fassen, der die ‚zugleich weniger und mehr’ gewordenen ‚Grenzen’ (s.o.) wahrnimmt und evangeliumsgemäß überspielt (Gal 328): Grenzen auf den Ebenen von gender, [Dienst-, Arbeits-, Besoldungs-und-Vergütungs- etc.]Recht, Milieu, Sprachspiel – im Sinne der hermeneutischen Maxime des Apostels „Allen gegenüber bin ich alles geworden, damit ich auf jeden Fall einige rette“(1 Kor 922).
  • Zu jener Bildung bedarf es einer Augenhöhe wahrenden Kommunikation von ‚Lehrenden’ und Lernenden’, die in der Komplexität des Dazwischen die Äquidistanz zur Einfachheit des Evangeliums, von Anfang+Ende, erleben lässt. – Die Formulierung dieser ‚regulativen Idee’ predigerseminaristischer Bildung wahrt sprachliche Distanz zur ‚kategorialen’ [um nicht zu sagen: kategorischen] Spreche der GK-verantworteten „Grundsätze für die Ausbildung…“ von 1988. Zu denen hier gesagt werden soll: Weiterhin einverstanden; es gibt seitdem nichts Besseres. Aber schon vor 25 Jahren war deutlich, dass das dort gehandhabte „Kompetenz“-Paradigma Perfektions-Normen der universitären Ausbildungsphase ‚atmet’ und sich schwer tut mit Im-Perfektionen (wie sie personalisierbar in der Zweiten Ausbildungsphase erst sich auftun). Im-Perfektionen, die unter Gesichtspunkten der Professionalisierung nichts als unbefriedigend sind, die aber die Hoffnung der "irdenen Gefäße" (2 Kor 47) verkörpern.
  • Materialiter braucht es vier Spuren: Heimatkunde, Schwellenkunde, Vergewisserung von Anfang+Ende, roadmaps fürs Dazwischen (im Folgenden durch exemplarische Schlüsselfragen illustriert, ohne Anspruch auf Vollzähligkeit):
    • Heimatkunde: Wo bin ich (sozial, lebensstilmäßig, theologisch etc.) zu Hause und wo nur zu Besuch (und wie gerne)? Meine ‚Brunnenstube[n]’ in Der Schrift? Was kann, worin bin ich gut – oder auch nicht [notabene: unter lediglich dieser Schlüsselfrage rubrizieren die meisten Anteile des geläufigen hofgeismarer Ausbildungs-Curriculums]? usw.
    • Schwellenkunde: Was weiß (oder phantasiere) ich über den/die oder was anders ist als ich? Was sind meine Grenzen? Was am Anderen finde ich attraktiv und was abschreckend? usw.
    • Vergewisserung von Anfang+Ende: Was nehme ich mit auf die ‚einsame Insel’? Wie geht es mir beim ‚Vater Unser’-Beten? Wie möchte ich sterben? usw.
    • roadmaps fürs Dazwischen: Wie gehe ich mit Krisen (aus menschlicher Kommunikation, finanzieller Knappheit, Antagonismen im Arbeitsbereich) um? Worin bedrängt mich Solidarität, worin Einsamkeit? usw.
  • Diese Schlüsselfragen mögen intuitiv gegriffen erscheinen; und sie sind es auch. Wobei die Intuition beansprucht, die vier Spuren gemäß einem innereen Gesetz gelegt zu haben. Sie sollen die Momente der - unablöslich individuellen - Befähigung zur Kommunikation des Evangeliums im Dazwischen aufspüren und bearbeiten helfen. Professionell und geistlich sind sie allemal aufzufassen: Heimarkunde und Schwellenkunde gelten den strukturellen Momenten, Vergewisserung... und roadmaps... den prozessualen - so wie so einander zugeordnet nach Hegels Logik der Grenze.
  • Das alles hat den Status einer regulativen Idee (auch ‚roadmaps’ sind keine harmlose ‚Checkliste’, sondern haben darin ihre Substanz). Der Nachweis zielführender Praktikabilität durch didaktische Operationalisierung wäre zu erbringen – dafür ist hier nicht der Ort. Aufzugreifen ist nur der Eindruck: immer noch klingen sie insgesamt nach einem setting basaler pastoralpsychologischer Ausbildung. Aber auch das täuscht, es geht um Mehr. Kategorial gefasst, geht es im Predigerseminar um kommunikative Kultivierung von persönlicher ‚Spiritualität’ – entgegen neuerdings verbreitetem Sprachgebrauch keine Attribution einer partikularen ‚Kompetenz’ von Professionellen, sondern ‚Dachformel’ für ein unausweichlich individuelles Leben aus Zutrauen zur Wahrheit des Evangeliums, die „keine Dome“ braucht. Einladende Ausstrahlung auf andere geschieht dann „von selbst“ (Mk 428). – „Theologische Existenz heute“ hat das ein Früherer mal in paradoxer ‚Zeitansage’ übertitelt.
  • Das „Predigerseminar“ am Gesundbrunnen Hofgeismar hat gute Übung darin, der EKKW dieses kontinuierliche Bildungs-Angebot bereit zu stellen: für PfarrerInnen, die es werden wollen/sollen [Ausbildung] oder schon sind [Fortbildung]. Mehr oder weniger erfolgreich – aber was heißt schon ‚Erfolg’ im Horizont eines Sprachspiels, in dem das „Wort vom Kreuz“ als Materialdefinition des „Evangeliums“ konstitutiv ist? Kann den doch noch nicht mal engagierte Kontextualisierung des Evangeliums garantieren, wie an biblischen „Zeugnis“-Exempeln zu abzulesen ist: Der Kommunikationspartner des „Philippus“ „zog seine Straße fröhlich“ (Act 839c), während der des Herrn Jesus „traurig davon [ging]“ (Mk 1022).
  • Die am Gesundbrunnen (im doppelten Wortsinne) gebotenen Mühen um Professionalisierung der Hermeneutik im Dazwischen sorgen dafür, dass die Kommunikation des Evangeliums angemessen als Aufgabe und als Gabe wahrgenommen werden kann: indem (mit den nachhaltigen Wendungen Ernst Langes zu reden) „Verheißung und Wirklichkeit [so] miteinander verspr[o]chen [werden], dass in dieser Wirklichkeit Gottesdienst und Götzendienst, Treue und Verrat, Hoffnung und Illusion, Wahrheit und Lüge, die Chance der Freiheit und die Gefahr der Unfreiheit sich voneinander unterscheiden und so der Weg des Glaubens in Liebe und Hoffnung sichtbar wird“ – und auf die Emergenz des Geistes gehofft wird, der diesen Weg im Dazwischen gehen macht. Diese Inspiration erst des Professionellen, Ein- und Ausübbaren führt zu der „Klärung der Situation“ (Lange), die bei allem Gestaltwandel des Dazwischen not-wendig bleibt – im Unterschied zu allem „Predigerseminar“, das keiner Kirche Daseinszweck, sondern allemal Mittel ist zur Erfüllung des Daseinszwecks jeder Kirche, der jeder von ihnen ‚extern’ ist: „…dass allen Menschen geholfen werde“ (1 Tim 24).
  • Das ist der Kontext der Frage „Wozu braucht die EKKW ein Predigerseminar?“ Und nur sekundär die Herausforderung durch ‚Verhältnisse’, die zum „Zuversichtlich kleiner werden“ drängen, im Blick auf Kirchensteuereinnahmen, Mitgliederzahlen, absehbaren Pfarrpersonalnachwuchs. Lassen doch diese ‚Verhältnisse’ genau so weiter fragen „Wozu braucht die Welt die EKKW?“ (Das sog. Impulspapier „Kirche der Freiheit“ [KdF] hat ja schon vor Jahren über den Lautsprecher des Kirchenorganisations-Rangierbahnhofs die Marschzahl ‚EKD = 8’ getönt.) Sind doch weder EKKW noch EKD in ihrem kontingenten Gewordensein und ebenso möglichen Vergehen die Una Sancta Catholica et Apostolica des Nicaeno-Constantinopolitanum (deren „Bleiben“ auch wider die „Pforten der Hölle“ geglaubt werden darf) – ebenso wenig wie die römische Partikularkirche (die sich, Pfeifen im Wald, Mt 1618 meterhoch in den Petersdom hat schreiben lassen). Ein weites Feld, das Dazwischen.

 

  • „Wozu braucht die EKKW ein Predigerseminar?“ Die Frage atmet den von KdF vor sich her getragenen ‚Zukunfts-Grundsatz’ der ‚Umkehrung der Begründungspflicht’ „Nicht mehr die lange oder gute Tradition einer [Einrichtung] ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung[…] Was würde der evangelischen Kirche [von Kurhessen-Waldeck] fehlen, wenn es diese[s Predigerseminar] nicht mehr gäbe?“ – sie soll auch so aufgenommen werden. Unter (so präzise es unter der 2026-Perspektive der Synodalbeschlüsse Frühjahr 2013 geht…) genau der Voraussetzung, dass die EKKW zum Fünfhundertsten der Homberger Synode noch da ist):
  • Fehlen würde
    • die Atmosphäre gemeinsamer Berufssozialisation der PfarrerInnenschaft, die über (individuell jeweils einmalige!) Jahrzehnte von Studierendentagungen an übers Zweite Examen bis zu Pastoralkollegs „Die letzten zehn Jahre…“ ‚Hofgeismar’ atmet. Da sind, bislang jedenfalls, ‚geschwisterlich’-kollegiale Verbindungen gewachsen, die (im Einzelnen nicht nachweislich, im Ganzen gewiss) zum bisher – im landeskirchlichen Vergleich einschlägiger empirischer Untersuchungen – hohen Grad der Berufszufriedenheit des theologischen Leitungspersonals „PfarrerInnen“ wesentlich beigetragen haben. Wobei mit der biblischen ‚Geschwister’-Semantik keiner harmonistischen Schönrednerei Vorschub geleistet werden muss: auch unter naturwüchsigen Geschwistern gibt es herzhafte Abneigungen; aber konfliktsoziologische Betrachtungsweisen bestätigen Robert Musils bonmot „Die intensivste Form der Anlehnung an einen Menschen ist dessen Ablehnung“. – Berufsbiografisch induzierte Versäulungseffekte in benachbarten Landeskirchen (mit einst mehreren Predigerseminaren) – die Absolventen von Celle, Imbshausen, Loccum, Rotenburg/W. (ELKHann); Bad Kreuznach, Wuppertal (EKiRh); Friedberg, Herborn (EKHN)… - sind ein Gegenbeispiel.
    • der (pardon, KdF: ein Rückblick auf „die lange oder gute Tradition“…) historische Kristallisationspunkt des ‚kurhessischen Vatikans’. Wohl kaum wäre ohne das seit 1891 dort lozierte Predigerseminar 1950 die Evangelische Akademie vom Marie-Behre-Haus Gunterhausen ins Schlösschen Schönburg verlegt worden, wohl kaum gäbe es im dazu erworbenen Gebäude des ehemaligen Wilhelmsbads seit 1964 den „Synodalsaal“… Die ‚Verhältnisse’ sind so, dass – siehe KdF – ‚historische Pullover auch aufgeribbelt’ werden sollen, mit konstitutiv unabsehbaren Folgen. Die als ökonomische Konsequenz aus dem Marktgeschehen im Bereich ‚Tagungs-equipment’ eröffnete Rechtsform ‚Evangelische Tagungsstätte Hofgeismar’ operiert ohne Bezug auf den „nur historisch zu erklärenden“ (Lübbe) spirit des Ortes. Welche Vermissungserlebnisse während der bevorstehenden ‚gästehaus’-sanierungsbedingten Ausquartierung die Synodalen haben werden, kann als empirischer Test betrachtet werden.
    • ein Ort für (nicht nur[!]: pfarr-)kollegialen Austausch über subjektive und objektive Probleme und Chancen der ‚Schicksalsgemeinschaft’ des kirchenorganisatorischen Selbstverkleinerungsprozesses der EKKW. – Natürlich sind derlei Prozesse der beruflichen Selbstvergewisserung [„es muss auch getrauert werden können“; Ulrike Wagner-Rau] der MitarbeiterInnenschaft an beliebigen anderen Dritten Orten arrangierbar; aber werden die auch wahrgenommen werden?
    • jenseits der Funktion individueller ‚Bildung’ eines habitus zur Kommunikation des Evangeliums ein kirchenorganisatorisches ‚Frühwarnsystem’. Am ehesten doch die nachwachsende Generation bringt gesellschaftsweit wirksame Veränderungen in Frömmigkeitsstil, Mitgliedererwartungen, Sprach- und Lebensmustern zu authentischem Ausdruck, wie er auch über das Führungsinstrument der in Übung gekommenen „Jahresgespräche“ nicht rezipiert werden kann. – Eine Kirchenleitung agierte schlecht beraten, würde sie ohne große Not verzichten auf den Erkenntnisgewinn, den sie nur aus dem kontinuierlichen Gespräch mit den im Predigerseminar Auszubildenden und Leitungsverantwortlichen ziehen kann.
    • ein gewachsenes ‚personelles Inventar’, das regional-sensitiv gebildetes Räsonnement über die Bedingungen der Kommunikation des Evangeliums in der EKKW anleiten und fortentwickeln kann; das Überwiegen ländlicher Klein-Gemeinden ist eine pastoral-praktische Herausforderung für sich. Nicht zuletzt gehört dazu auch die kontinuierliche Nachqualifikation der und Beratung mit den MentorInnen, die als personale Verkörperung des Berufs zur Kommunikation des Evangeliums in ihrer Bedeutung für den Prozess von ‚Bildung am Beispiel’ der 'Einrichtung' Predigerseminar nicht nur nicht nachstehen, sondern vielmehr Unersetzliches dazu beitragen. – Praktisch-theologische, á jour qualifizierte Aus- und Fortbildungskompetenz könnte sich die EKKW auch via ‚Einmietung’ in entsprechenden Einrichtungen jenseits des Landeskirchengrenzen ‚kaufen’. Erfahrungen mit dem UEK-repristinierten „Predigerseminar Wittenberg“ zeigen aber, dass es seitens der dorthin KandidatInnen entsendenden Landeskirchen unerwarteten Respezifikationsbedarf gibt.
  • Auf die oben gegebenen generellen Ausführungen zur Funktion eines „Predigerseminars“ fürs Dasein einer Kirche wird ausdrücklich verwiesen; sie gelten auch für den Standort ‚Hofgeismar’.
  • Kurzum: Alles Vorgebrachte wird relativiert durch die Selbstwirksamkeit des Heiligen Geistes. Aber solange sich die EKKW sich selber – viel Kleingedrucktes…! – finanziell leisten kann, sollte sie sich auch das Predigerseminar Hofgeismar ‚leisten’.
  • Ein Übriges sei ausgesprochen: Diesseits aller ‚Veranstaltungen’ wirkt schon das räumliche Ensemble am Gesundbrunnen Hofgeismar mit seinem Potential zu niedrigschwelligen Kontakten sozialisierend, förderlich für die corporate identity, die einer personalintensiven Organisation wie der EKKW dienlich ist. Dieser Effekt verdient Verstärkung. Denn manche Potentiale des Ortes, zu einem EKKW-Lern/Lehr-„Zentrum Gottesdienst“ aufzuwachsen, ruhen noch ungenutzt:
    • Die – historisch vorgegebene und durch die Bezeichnung ‚Predigerseminar’ in die Außenwahrnehmung kontinuierlich sich einschleifende – Konzentration auf PfarrerInnen wirkt als optische Täuschung. Denn das mit ‚Hofgeismar’ verknüpfte Netzwerk von Qualifizierungs-Angeboten für die Kommunikation des Evangeliums verbindet weit mehr denn die berufsständisch korporierten hauptamtlichen TheologInnen. So dass auch eine Namensänderung zumindest eine Erwägung verdient.
    • Die 2008 dem Predigerseminar attachierte „Arbeitsstelle Gottesdienst“ fördert seitdem die – auch dem ‚Predigerseminar’ zugerechnete – Anmutung von einschlägiger Beratungs-Kompetenz auch bei ehrenamtlich in den Kirchengemeinden Engagierten. Seit 2004 wird die Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher PrädikantInnen durch eine/n Studienleiter/in des Predigerseminars verantwortet. Die – seit 2006 ‚im Haus’ angesiedelte – „Arbeitsstelle Kindergottesdienst“, typischerweise dienstleisterisch bezogen auf Tausende ehrenamtlicher MitarbeiterInnen, nutzt seitdem die Niedrigschwelligkeit des Zugangs für die [angehenden] PfarrerInnen.
    • Synergieeffekte wären zu erwarten, wenn die – derzeit und aus ‚historischen Gründen’ vom LKA-Referat ‚Gemeindeentwicklung und Missionarische Dienste’ verantwortete – Aus- und Fortbildung auch der LektorInnen dem Predigerseminar zugeordnet würde.
    • Darüber hinaus legt der weiter gehende Pfarrstellen-Anpassungs-Prozess mit seiner Folge (seltener gottesdienstlich ‚bespielbare’ Kirchengebäude in vorerst auf Dauer pfarrstellenlos bleibenden kleinen Kirchengemeinden) nahe, auch in der EKKW über die Etablierung der Funktion eines/r ehrenamtlich tätigen ‚KirchenkuratorIn’ nachzudenken. Ggfs. deren elementare Qualifikation könnte von den im ‚Predigerseminar’ konzentrierten Fachkompetenzen zehren.
    • Denkbar ist auch eine Kooperation mit der (von der EKKW mit getragenen) Evangelischen Hochschule Darmstadt in der liturgischen Qualifikation angehender DiakonInnen.
  • Genug. Oder auch immer noch nicht genug. Im nichtendenwollend Kleingedruckten scheint das GroßeGanze sich zu verkrümeln. Nicht doch: eben dort muss es sich nolens volens bewähren. „Die Wahrheit braucht keine Dome“. Aber im Dazwischen – solange die EKKW besteht – doch wenigstens in Hofgeismar ein „Predigerseminar“.

 

26. Oktober 2013 (redigiert 12. August 2023)