Vom Neinsagen

 

Liebe Freunde!

 

Eine Geschichte will ich euch heute erzählen von einem, der recht behalten will ums Verrecken, und von einem, der für sein Leben nicht aufhören will, allen Menschen grün zu sein.

„Ach - es ist schwer, Prophet zu sein!” Halb aufstöhnend murmelt es Jona vor sich hin, während er durch die Straßen der großen Stadt trappst. Er tritt ein bisschen fester auf als nötig, und er schlenkert betont locker mit den Armen beim Gehen, um seine Bewegungen entschieden und zielstrebig erscheinen zu lassen. Aber würde einer genauer auf ihn achten, wie er da - ohne viel nach rechts und links zu blicken -vor sich hin geht, der würde bemerken: der Schein trügt. Jonas Weg hat eigentlich kein bestimmtes Ziel, er will nur weg, wie schon einmal, ganz am Anfang dieser unseligen Geschichte, alles hinter sich lassen, raus aus der großen Stadt, in die es ihn wahrlich nicht gedrängt hat. Fort und vergessen; wo und wie: das würde sich schon finden. Seine Schritte haben etwas von trotzigem Fußaufstampfen, wie er so geht, und ohne es zu merken, ballen sich seine Hände zu Fäusten.

„Ach - es ist schwer, Prophet zu sein!” beginnt er wieder zu murmeln, und kopfschüttelnd redet er weiter mit sich selbst: „Was für ein Aufwand

- und was kommt dabei raus? Nichts. Nichts hat's gebracht, nichts als Enttäuschung. Man redet sich den Mund fusselig - und dann das: Nichts passiert. Oder noch schlimmer: das grade Gegenteil ist es am Ende.” Verbitterung liegt in seiner Stimme. „Zum Narren wird man dabei vor den Leuten. Man redet mit letztem Ernst zu ihnen, wie einem aufgetragen ist, von Gesetz und Recht und Anstand. Und dann heißt es plötzlich 'Kommando zurück! alles nicht so gemeint!' Wird man einfach im Regen stehen gelassen von dem, für den das doch alles war. Lächerlich gemacht vor den Leuten und vor allem vor einem selbst. Wenn das nicht zum Davonlaufen ist!!”

Abrupt bleibt Jona stehen. Richtig in Zorn hat er sich geredet bei diesem Selbstgespräch unterwegs. Vergessen wollen hat er eigentlich alles, aber wie er so vom 'Davonlaufen' spricht bei sich, da fällt ihm alles wieder ein, alles.von Anfang an. Und ob er will oder nicht - er muss wieder daran denken: an den Ruf, den er bekam, die Flucht per Schiff, ganz nutzlos im Effekt, der Sturz ins Meer, die erstaunliche Rettung im Bauch des Fisches; an die Überwindung muss er denken, die es ihn schließlich gekostet hat, nun nicht mehr auszuweichen, die Predigt, die er dann gehalten hat in der großen Stadt, und - achje - zum schlechten Ende, findet er, die Umkehr aller Menschen dort. „Ich hab's gewusst” kommt es gequetscht zwischen seinen Zähnen hervor, und noch einmal schüttelt er den Kopf, ehe er mit einem gequälten Lachen im Gesicht den Blick nach oben wendet:

„Ich hab's gewusst, Gott im Himmel, ich hab's schon zu Hause gewusst, dass es so kommt. Deswegen bloß, deswegen hab’ ich ja weggewollt bis ans Ende der Welt, wenn's denn sein musste. Denn wie hieß es bei uns zu Hause in der Kirche immer: 'Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und vor großer Güte!’ So haben's uns die Pfarrer immer wieder vorgelesen aus der Bibel, so hab ich’s gelernt im Konfirmandenunterricht, und - mein Gott, alles, was recht ist: so bist du ja auch! Hat es -sich nicht wieder gezeigt? Hast du das nicht jetzt wieder bewiesen? Wenn ich dich mal zitieren darf: 'Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein!.Steht doch so in deinem Buch, im Alten Testament, nicht wahr? Mit den Menschen verbünden wollen hast du dich - für immer und ewig, so viel an dir liegt. Ich weiß.

Aber das ist es ja gerade: dass du da nicht konsequent sein kannst! Wenn dann die Menschen scharenweise, völkerscharenweise darauf pfeifen, mit dir im Bunde zu sein, wenn sie sich ihr Leben ohne dich einrichten und dabei ganz komfortabel existieren - was tust du dann? Dann donnerst du ein wenig mit Worten vom Strafgericht, lässt Propheten auftreten, die das Ende der Welt an die Wand malen, Umweltkatastrophe, Atomkrieg [Indien/Pakistan, wer will das glauben] Energiekrise, lässt damit drohen, dass die Menschheit sich selber umbringt binnen kurzem, wenn sie nicht ihren Lebensstil radikal ändert - aber wenn's dann ernst werden müsste, dann lässt du Gnade vor Recht ergehen. Auf diese Weise machst du dich doch selber zum netten alten Opa mit weißem Bart, für den dich viele hier unten halten und den keiner mehr ernst nehmen kann. Und in diese lächerliche Inkonsequenz, in diese schwächliche, unterschiedslose Menschenfreundlichkeit, da ziehst du dann auch noch Leute wie mich herein.”

Jona hält inne. Er steht immer noch da und blickt vorwurfsvoll nach oben, obwohl da gar nichts zu sehen ist. Dann holt er tief Luft: Leise, wie zu sich selbst gewandt, spricht er weiter: „Nun gut - oder schlecht, wie man's nimmt. Ich hab das mit mir machen lassen. Ich hab' gesagt, was nötig war in der großen Stadt, deinetwegen, und, mein Gott- da musste wahrlich ein ernstes Wort gesprochen werden. Aber bitte: du hast es dir überlegt mit den Menschen, und ich steh jetzt da als Witzfigur mit meiner Predigt vom Weltuntergang, der gar nicht kommt. Schön - du hast deinen Willen gehabt, alles bestens, ich bin unsterblich blamiert: mir reicht's. Ich habe keine Lust mehr, das Leben ist sinnlos geworden für mich. Sterben will ich uns sonst gar nichts mehr.”

Bei diesen Worten hat sich Jona wieder in Bewegung gesetzt, und er beschleunigt zugleich seine Schritte stadtauswärts - als wenn er nun plötzlich wüsste, wo sein Weg ihn hinführen soll. Dabei ist das entschlossene Marschtempo, das er jetzt einschlägt, nur ein Mittel, mit dem er sich vom weiteren Nachgrübeln ablenken will. Denn wie es so seine Art ist, horcht er innerlich den Sätzen nach, mit denen er seinem Ärger Luft gemacht hat. So sicher, wie seine Worte geklungen haben, ist er sich im Tiefsten nämlich doch nicht: Erwartet er wirklich nichts mehr vom Leben? Hat er eigentlich das Recht, sich so zu beschweren über einen ausbleibenden Weltuntergang - gerade er, der ja immerhin auf so märchenhafte Weise dem Untergang im Meer schon einmal entronnen ist? 'Aber nichts da!' Instinktiv wischt Jona solche Fragen beiseite, denn er spürt, wie diese Stimmen in ihm wieder ihn einnehmen wollen für den Gott, der ihn in diese ganze Geschichte verwickelt hatte, um sich am Ende so unerhört unzuverlässig zu erweisen. 'Nein und abermals nein: jetzt gilt es konsequent zu bleiben und auf Untergang zu setzen; wenn es schon nicht mit der großen Stadt zu Ende gehen soll, so doch wenigstens mit ihm.' So denkt es in ihm, und verbissen stapft er weiter.

     Kein Wort, keinen einzigen Gedanken mag Jona mehr verschwenden an die Geschichte, die hinter ihm liegt. Damit ist er fertig. Eine Lebensaufgabe hatte er sich stellen lassen - nicht gerade begeistert, aber gut, er hatte getan, was zu tun war; und nun stellt sich heraus, es war alles für die Katz. Hereingelegt fühlt er sich, wie bestellt und nicht abgeholt, und er hatte das mit sich machen lassen, statt sein Leben selber in der Hand zu behalten. Nein, mit dem ist er fertig, der ihm das eingebrockt hat, mag er auch hundertmal Gott selber sein; und mit seinem Leben ist er auch fertig. Was soll da schon noch kommen? Höchstens eins - ja das kann ihn noch interessieren, solange er lebt: der Untergang der großen Stadt, den er angekündigt hatte, so ganz ohne Erfolg - vielleicht passiert der ja doch noch. Das will er gern noch abwarten. Am Ende doch recht haben, und wär’s um den Preis eines kleinen Weltuntergangs: das würde ihn versöhnen, denkt er, dann wäre die Welt wieder in Ordnung.

     Den heißen Zorn hat Jona sich vom Leibe marschiert, als er auf einer Anhöhe außerhalb der großen Stadt halt macht, und übrig geblieben ist  öder, kalter Unmut. Er setzt sich und wartet und hält Ausschau. Missvergnügt blickt er auf die große Stadt hinab, die sich unter ihm breitet. Ein imposanter Anblick, die moderne Welt in ihrer glänzendsten Gestalt, die Verkörperung des Fortschritts - wenn man nur vergaß, mit wie viel  Gewalttätigkeit der Mächtigen gegen die Armen diese Großartigkeit erkauft war, wie viel Menschenverachtung da in den Straßen und den Büros und Fabriken ihr Wesen trieb, wie viel Gleichgültigkeit gegeneinander unter den Menschen dort unten herrschte. Und Gott, der das alles ja wissen musste - der hatte sich umstimmen lassen von einem Tag auf den andern. Nur weil die da unten ihre Lebensweise geändert hatten, sollte all das Vorige vergeben und vergessen sein? Er jedenfalls - bei diesem Gedanken gibt sich Jona einen Ruck und setzt sich kerzengerade hin, wie um jedes Schwanken von sich fernzuhalten - er jedenfalls ist ein rechtlich denkender Mensch, er hält sich an das Gotteswort vom verdienten Strafgericht; das will er nun auch kommen sehen. Punktum.

Und Jona wartet. Die Stunden vergehen. Nichts geschieht - nur die stechende Sonne macht sich zunehmend bemerkbar. Jona ächzt leise. ‘Ein Segen', denkt er, 'ein Segen, dass es wenigstens ein bisschen Schatten hier gibt.’ Denn gerade an der Stelle, an der er sich niedergelassen hat, wächst eine junge Rizinusstaude mit ihren riesigen Blättern; unter denen kann er sich ausstrecken ohne Gefahr, sich einen Sonnenstich einzuhandeln durch seine Verstocktheit. An einem Tag wie diesem, an dem er sich so grenzenlos enttäuscht sieht von allem, worauf er geglaubt hat sich verlassen zu können, ist er empfänglich für jede kleine Wohltat, die ihm trotz allem das Dasein erleichtert. Und je länger er wartet, ohne dass sich etwas tut, desto mehr freut er sich über das kleine Bäumchen: er betrachtet es genau, er nimmt die Bewegungen wahr, mit denen es sich im Winde wiegt, und er entdeckt hier und da, wie es neue Blätter treibt. Er hat geradezu das Gefühl, diese Rizinusstaude sei extra für ihn da, eine Zuhörerin seiner schweigenden Verbitterung, Salbe für seine verletzte Seele. Und als der Tag zur Neige geht, da hat Jona, der mit Gott und der Welt und mit sich selber zerfallen war - da hat Jona (so darf man wohl sagen) Freundschaft geschlossen mit einem kleinen Rizinusstrauch. 'Einfach ein Segen', denkt er noch einmal bei sich, als er schließlich unter dem Blätterdach einschläft.

Aber was für ein Erwachen gibt es am nächsten Morgen! Ein brennender Sonnenstrahl weckt Jona, und als er die Augen aufschlägt, sieht er nichts anderes als schlaffe Blätter an seinem Bäumchen Ein winziger Wurm hatte den schönen Strauch angestochen und verdorren lassen; ein glühender Wind fegt obendrein übers Land, der fetzt die absterbenden Blätter und geht auch Jona durch und durch. Und die große Stadt, deren Zerstörung nur recht und billig gewesen wäre, sie liegt zu seinen Füßen, unberührt, als wäre nichts gewesen. Das ist zuviel für Jona, und hemmungslos bricht die Verzweiflung aus ihm hervor: „Aufhören.. Schluss. Sterben will ich, nur noch das. Gott im Himmel - das ist mein Recht, mein letztes, aber das ist es, und dann lass mich in Ruhe!”

So trostlos, so vorwurfsvoll, so unversöhnlich liebe Freunde, könnte die Geschichte zu Ende sein von dem, der Recht behalten wollte ums Verrecken. Aber da ist ja noch der andere, der für sein Leben nicht aufhören will, allen Menschen grün zu bleiben. Und der, der wird ihn nicht in Ruhe lassen. Denn, liebe Freunde, wir wissen's ja schon längst, nicht wahr, was Jona nicht wissen wollte: der, der nicht ruhte, um durchs Prophetenwort die Menschen der großen Stadt wieder für sich zu gewinnen, der kann nicht tatenlos zusehen, wie ein kleiner eigensinniger Prophet sich selbst für Gott verloren gibt. Gewiss: mit Worten ist kein Gespräch mehr anzufangen mit dem, der auf Gottes Worte keinen Pfifferling mehr gab und der sich die Ohren mit wehleidigem Gerede betäubte; aber wer sich einen großen Fisch zur Rettung hatte einfallen lassen, der hat auch Phantasie genug, ein kleines Bäumchen wachsen und vergehen zu lassen, so dass es zum sprechenden Zeichen werde für Jona und die Jonas aller Zeiten.

„Da hast du nun, mein Lieber, ein grünes Bäumchen”, sagt Gott zu Jona, „und freust dich dran, solang es wächst, und trauerst voller Vorwurf,  wenn es welkt. Und ihr”, spricht Gott in einem Atem zu uns, den Jonas spät'rer Zeiten, „denkt nur an euer Bäumchen, ein jeder seins, unter denen ihr wohlbeschattet lebt. Wie selbstverständlich nehmt ihr hin, was euch das Leben angenehm sein lässt; und doch, was tatet ihr dazu, dass ihr so leben könnt bis heute, gesund und satt und friedlich? Und wenn die Bäumchen fallen, da macht ihr gleich Geschrei: das sei nicht fair - und das gerade euch, wo ihr so treu zur Kirche stündet - womit sei das verdient? Ihr könntet euch ja jetzt mal fragen, womit ihr das verdient: dass Ihr so lebt und sprechen könnt mit mir von Freund zu Freund.

Dann würdet ihr nicht immer alles besser wissen wollen als ich, was sich für Gott gehört. Darf ich denn etwa keine Trauer tragen wie ihr um eure Bäumchen - nur ich um Menschen, ach so viele, die nicht so fromm wie ihr, so christlich und so bibelfest und die mich dennoch brauchen so wie ihr. Darf ich nicht alles tun, sie zu gewinnen wie sie sind, sie leben lassen auf meiner Welt mit euch zusammen, ja mit eurer Hilfe?

Ihr nennt mich gerne 'lieber Gott', ihr Lieben, und meint, ihr wüsstet, wer ich bin und bleiben soll. Nun sagt mal ehrlich: wenn ich mich kümm’re auch um andre, wenn ich sie alle bei mir haben will, auch die, mit denen ihr euch schwer tut, auch Kommunisten, auch Homosexuelle, auch Mütter ohne Trauschein und- was es alles sei - die ganze große Stadt, nicht bloß die kleine Kirche... Nun sagt mal ehrlich: wenn ich derselbe Gott bin, gnädig auch für die - bin ich für euch dann ein zu lieber Gott?

Amen.