Kein "Familienbetrieb" mehr, oder: Modernisierungsfolgen am Gesundbrunnen. Eine kulturgeschichtliche Anmerkung

 

„Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

(Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte. These IX, in: ders. Gesammelte Schriften I/2 [hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser]. Frankfurt am Main 1974, 697f)

 

  1. Ausgangspunkt

Auf der homepage des Predigerseminars Hofgeismar (in folgenden: PS) findet sich im sog. „Konsenstext“ des - seinerzeitigen - Leitungskollegiums (http://www.ekkw.de/predigerseminar/media_ps/konsenstext.pdf; dort S. 32f – abgerufen 01.11.2011) die folgende Passage:

Die Mitarbeitenden des Hauses

Das Predigerseminar hat eine eigene Hauswirtschaft mit Küche, so dass im Hinblick auf das gemeinsame Leben, Essen, Feiern usw., flexibel auf die Bedürfnisse der Kurse und einzelnen Gäste des Hauses eingegangen werden kann. Mitarbeitende im Haus sorgen für die Verpflegung und die Unterhaltung der Räume sowie die Instandhaltung der Einrichtung und der Außenanlagen. Die Zahl der Gastgruppen wächst; einen klassischen Hotelbetrieb bietet das Predigerseminar jedoch nicht.

Vikare und Vikarinnen sind von den täglichen Aufgaben des Lebens weitestgehend entlastet, aber es gibt kleinere Handreichungen, wie etwa das Spülen, für das die Kurse mitverantwortlich sind.

Auszubildende der Hauswirtschaft leben mit den Vikaren und Vikarinnen im Predigerseminar. Respektvoller Umgang miteinander und das Einüben der Wertschätzung aller für den Betrieb eines gemeinsamen Hauses erforderlichen Tätigkeiten wird erwartet.

Ausdruck findet dies im gemeinsamen Willkommensfrühstück der Mitarbeitenden mit den neuen Vikarskursen und ebenso in einem Sektempfang der Vikarskurse für die Mitarbeitenden am Ende des Vikariats, in der gemeinsamen Andacht am Montagmorgen, in der Teilnahme der Mitarbeitenden an den Gottesdiensten und Festen aus Anlass von Einführungen oder Verabschiedungen.“

 

Der Text ist ausweislich dessen Nachwort in den Jahren 1999-2001/2 entstanden und bildet schon insoweit einen – zum Abfassungszeitpunkt der vorliegenden Anmerkung: zehn – Jahre zurückliegenden status quo ab; das muss kein Schade sein – zumal der „Konsenstext“ (ebenfalls ausweislich Nachwort) sich selbst als ein auf Fortschreibung setzendes „lebendiges Leitbild“ versteht.

 

  1. Thema

Selbst der „Fortschreibung“ unterliegen auch die ökonomischen Rahmenbedingungen des PS. So wurde seit dem Imprimatur des „Konsenstextes“ durch die EKKW die „Evangelische Tagungsstätte Hofgeismar“ (http://www.tagungsstaette-hofgeismar.de/front_content.php - abgerufen 01.11.2011) begründet – aus wohlerwogenen betriebswirtschaftlichen Gründen: gemeinsame Anstellungsträgerschaft des hauswirtschaftlichen Personals der – zuvor auch voneinander unabhängigen – Einrichtungen „Evangelische Akademie“ und „Evangelisches Predigerseminar“, höhere Auslastung der in den Häusern vorgehaltenen Gästezimmer, als zeitgemäßer geltende ( = eher konkurrenzfähig eingeschätzte) Standards von Unterbringung und Verpflegung, logistische Synergien (Küche, Fuhrpark, Werbung um Gäste/Gastgruppen jenseits des eigenen Programms der ‚Einrichtungen’) etcetc.

Diese Maßnahme hat – nicht als erste, aber im fragwürdigen Sinne ‚wirksamste’ organisatorische Maßnahme – Selbstverständlichkeiten des „gemeinsamen Lebens“ im ‚gemeinsamen Haus Predigerseminar’ erkennbar tangiert. Berührt ist das im Wortsinn ‚unbezahlbare’ Miteinander einer „Hausgemeinschaft“ von Leitungskollegium, VikarInnen, hauswirtschaftlichen MitarbeiterInnen der unterschiedlichen Aufgabengebiete. Die Teilnahme der MitarbeiterInnen an „der gemeinsamen Andacht am Montagmorgen“ oder den „Gottesdiensten und Festen aus Anlass von Einführungen und Verabschiedungen“, muss immer wieder einmal erst diskutiert, beschlossen, mit Extra-Motivationen gefördert werden – denn die Geschäftsführung der Tagungsstätte hat pflichtgemäß die ‚Schlüsselfrage’ gestellt „…und wer bezahlt die Arbeitszeit?“ (Freilich – genaueres Hinschauen verlangt eine Differenzierung: die hier pointierte ‚Schüsselfrage’ gilt organisatorisch nur für die „Feste“; die Teilnahme an den Montagsandachten während der „Arbeitszeit“ ist freigestellt – aber wer diese Freistellung in Anspruch nimmt, sieht sich sozialem Druck der Kolleginnen ausgesetzt…

Wer das PS seit längerem aus eigener Tätigkeit dort kennt, schüttelt den Kopf: da ‚stimmt doch etwas nicht…’ Aber was eigentlich? Eine Petitesse, wie es scheint – und doch gibt sie Anlass zum Nachdenken über das Pfarrer-Ausbildungs-Projekt „Predigerseminar“ und dessen Strukturwandel.

Gewiss wird man sagen können: Die ‚Dinge haben sich geändert’, auch die ökonomischen Verhältnisse, und mit ihnen die Menschen, die in ihnen aufgewachsen sind, in ihnen leben und ‚es nicht anders kennen’. Aber ob das „[erwartete] Einüben der Wertschätzung aller für den Betrieb eines gemeinsamen Hauses erforderlichen Tätigkeiten“ sich in diesem Haus für die „weitestgehend entlastet[en]“ VikarInnen auf die Ansozialisation eines geschäftsmäßigen ‚Danke’sagens, womöglich eines hoteltypischen Trinkgeld-usus beschränken sollte?

Das diese Anmerkung auslösende Kopfschütteln ist ‚moralgeleitet’, von der Vorstellung des unter Voraussetzung einer evangelischen corporate identity „Gehörigen“, einer von den einzelnen internalisierten ‚Selbstverständlichkeit’. Indes könnte sich herausstellen: Jene haushaltskonsolidierungsbedingte Umstrukturierung incl. deren Folgen für symbolisch bedeutsame Ausdrucksformen der „Hausgemeinschaft“ ist bloß Exponent eines weiter ausschwingenden Prozesses, den auch jene ‚Moralvorstellung’ nicht unverwandelt überdauert.

Solche Veränderungen jener Vorstellung des „Gehörigen“ vollziehen sich typischerweise in der Wachstumsgeschwindigkeit von Gletschern; aber sie sind beim Überschauen eines halben Menschenalters auch im Leben unserer Kirche wahrzunehmen.

 

  1. Reminiszenzen und Räsonnements

„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit…“ beginnt Th. Mann seinen ausgreifenden Josefsroman. Wie der Autor des Josefsromans sich für seine literarische Produktion auf archäo- und insbesondere ägyptologische Forschungsergebnisse (seiner Zeit) beziehen musste, so auch der Vf. dieser Anmerkung auf auch mündliche und schriftliche Quellen jenseits seines Anschauungshorizonts.

Zwei komplementäre Entwicklungen in den letzten 40 Jahren lassen sich nachzeichnen, die mit exemplarischen Impressionen (ohne jeden Vollständigkeitsanspruch) skizziert seien:

  1. Das Verschwinden des ‚Ganzen Hauses’
  • Bis zur Errichtung der Dienstwohnhäuser für die Direktoren von Evangelischer Akademie (damals Dr. Jung – bis dahin mit Wohnung im jetzigen ‚Gästehaus’, über dem Synodalsaal) und Evangelischem Predigerseminar (damals: Dr. Gebhardt) im Jahr 1970 lebte der PS-Direktor samt Familie mit den VikarInnen (und Teilen des Hauspersonals) zusammen unter dem Dach des PS, im ersten Stock des Vordergebäudes. Diese räumliche Nähe brachte für die Beteiligten (Direktor, VikarInnen, Hauspersonal) ein Lebensgefühl quasi-großfamiliärer Alltagszusammenhörigkeit mit sich – mit den damit gegebenen Chancen informeller Kommunikation, aber auch all den Ambivalenzen, die zum Begleitbewusstsein asymmetrischer Machtverteilung im Ausbildungsverhältnis einerseits, der patriarchalen Haus-Organisation andererseits gehörten. „Familie“ eben, und sei’s ‚nach Gutsherrenart’…
  • Unterstützt wurde diese Struktur durch das Institut der „Hausdame“ (mit bis 1970 eigenen Wohnräumen unter dem Dach des PS (zuletzt auf dem Grundriss des jetzigen „Kolleg 4“). Deren Funktion bestand in der Leitung des hauswirtschaftlichen Personals einerseits, der ‚Stil’-Erziehung der VikarInnen andererseits (die vorzugsweise im Kontext der gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten erfolgte). Insbesondere die „Hausdame“ – einer ‚Prinzenerzieherin’ vergleichbar – verkörperte institutionell den stillschweigenden Anspruch des PS, die Sozialisation von künftig einem „Stand“ Angehörigen zu ‚besorgen’.
  • Noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts ließ sich das „Stübchen“ als ‚Klima-Zentrale’ der Hausgemeinschaft wahrnehmen. In diesem – in aktueller Terminologie: ‚Sozialraum’, im separaten Küchenflur (mit ‚harmoniemilieu’-typischer Ausstattung) – versammelte sich das Hauspersonal vormittags um einen langen Tisch zum Zweiten Frühstück, pflegte Klatsch und Tratsch, erwartete leise aber nachdrücklich wirksam die möglichst häufigen Besuche von StudienleiterInnen und Direktor. Hier wurde die ‚Hackordnung’ sortiert, Anteil genommen an Freud und Leid aller die zum ‚Haus’ gehörten, wurden Pläne geschmiedet – die stillschweigende ‚Tisch-Leitung’ (wenn davon im Palaver Gebrauch zu machen war) lag (wenn sie nicht von der gelegentlich erscheinenden „Hausdame“[später: Hauswirtschaftsleiterin] an sich gezogen wurde) jedenfalls nicht beim Direktor, der vielmehr hier die Rolle des Gastes, bisweilen auch des Objekts saturnalischer Späße zu spielen hatte.
  • Sehr besondere Erwartungen galten der Direktorengattin, der zwar vom Alltagsgetriebe des PS im Direktorenhaus ein wenig ‚entrückten’ aber eben darum mit Phantasien ‚besetzten’ ‚Hausmutter’ – die fürs PS keine operativen Zuständigkeiten besaß, die aber in der Mischung von Betriebsferne und vorzugsweiser Nähe zum Direktor sich für reichspräsidentenartige Zuschreibungen eignete („qui règne et ne gouverne pas“). Deren Situation als Familienfrau ließ sie einerseits als mit den Lebenslagen der Hauspersonal-Mitglieder ungewöhnlich vertraut erscheinen, und sie schien darüber hinaus über hinreichend viel disponible Zeit zu verfügen – das prädestinierte sie in den Augen der „Stübchen“-Runde für häufige Besuche, um die gehegten Wünsche nach Anerkennung, Anregung und Alltagsseelsorge (incl. deren bisweilen sich durchsetzende Tendenz zur Lebensbeichte) zu erfüllen. Die Lebensarrangements der ‚Direktorengattinnen’ ermöglichten es bis 1997, diesem Erwartungsgefüge in unterschiedlichem aber anerkanntem Umfang zu entsprechen; in den Folgejahren musste die „Stübchen“-Runde mit den anderen Prioritäten berufstätiger Direktorenfrauen ‚leben’.
  • Ein besonderes Indiz für die quasi-familiale Struktur der Hausgemeinschaft des PS ist die gefühlte de-facto-Rund-um-die-Uhr-Zuständigkeit des Hausmeisters, der sein „Amt“ dienstanweisungsignorant als Lebensberuf auffasste. Zuständigkeit nicht nur für Möblierung der Kollegräume, defekte Elektrik und Heizungen, sondern auch für kleine und größere Nöte der VikarInnen (vom vergessenen Hausschlüssel nach auswärts durchzechten sehr langen Abenden bis zu augenzwinkernd kreativen Lösungen für knapp erst nach mitternächtlichem Fristablauf mit ihrer Examensarbeit vor dem PS-Briefkasten zögernden Kandidaten). Dienst nicht nach Vorschrift, sondern auch mal statt Vorschrift. „Familie“ eben. Das Anstellungsverhältnis der aktuellen Hausmeister mit der „Tagungsstätte“ und dienstplanmäßig wechselnder Zuständigkeit für alle Gebäude hat jene informellen Bindungen erledigt.
  • Seit 1980 wurde in größeren Zeitabständen dreimal (1983, 1992, 1997) von der Finanzabteilung des Landeskirchenamts auf den organisatorischen Zusammenschluss des PS-‚Verpflegungsbetriebes’ (Schließung der PS-eigenen Küche bzw. darüber hinaus auch der PS-eigenen Speisesäle) mit dem der Akademie gedrungen – ohne den Rat bei der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs von der Zuträglichkeit dieser fiskalischen Rationalisierungsmaßnahme zu überzeugen. Im Zusammenhang der Generalsanierung des PS-Gebäudes 2006-2008 wurde diese Frage aus auch architektonischen Gründen erneut aufgeworfen; die argumentative ‚Großwetterlage’ für die demgegenüber weiterhin reservierte PS-Leitung war anders (trotz erheblicher Haushaltskonsolidierungszwänge hatte die Synode eine Millioneninvestition für die Erhaltung des Gebäudes bewilligt!) – mit dem Ergebnis des gegenwärtigen Kompromisses: Herstellung der Speisen in der zentralen („Tagungsstätten“-)Küche, servierfertige Zubereitung in einer kleinen Anrichte-Küche des PS, Einnahme der Mahlzeiten in den herkömmlichen Speisesälen. – Dass in diesem Zuge unter der Hand die Umstellung auf ein Speisen-Angebot in Buffet-Form zur ‚Selbstbedienung’ (anstelle der „familien“typischen Anrichtung der Mahlzeiten auf den Tischen) erfolgte, die mit der Rücksicht auf ‚Zeitgemäßheit, Auswahl-Erwartungen [vornehmlich der zahlenden Akademie-Gäste]’ begründet wurde, sei nur am Rande erwähnt. Dies freilich zur Illustration dessen, wie sich der gesellschaftsweite Prozess der „Individualisierung“ auch hier ausdrückt, mit wenigstens des Bemerkens werten ‚mikrologischen’ Implikationen: die Pflege der Kultur eines gemeinsamen Tischgebets zu Beginn der Mahlzeiten wird erschwert bis zermürbt, die wechselseitige Rücksichtnahme an den Tischen (etwa beim Einander-Zureichen der Speisen) findet keinen Anlass mehr; keinen Anlass mehr finden auch die (im eingangs zitierten „Konsenspapier“) erwähnten „kleineren Handreichungen, wie das Spülen“… (die dienstliche Entkopplung des Speisesaal-Personals von dem „Haus“ befördert die kommunikative Distanz, der jene Regelung entgegenarbeiten wollte)
  • Im Zuge des im Folgenden skizzierten Paradigmenwechsels der zeitlichen Struktur der Zweiten Ausbildungsphase (Vikariat) – vom Seminarjahr zu den ‚Rollkursen’ (Näheres s. unter b)) – beschränkte sich die Präsenz von VikarInnen im PS regelhaft auf die Zeit von Montagvormittag bis Freitagmittag. Das hatte Folgen für die Ordnung der allmorgendlichen Andachten: da die im evangelischen Verständnis konstitutive Bedeutung der „versammelten Gemeinde“ für die Feier von Gottesdiensten ‚winkelmessenartige’ Begehungen ausschloss, fanden seitdem am Montag keine 8:00-Uhr-Morgenandachten – vor dem Eintreffen der VikarInnen aus ihren Ausbildungsgemeinden – statt. Die Wahrnehmung des komplexen Miteinander im ‚Haus’, auch aufgrund von Gesprächen im „Stübchen“, ließ die seinerzeitige PS-Leitung um ca. 1990 die „Montagsandacht“ (wieder) einführen, zu der ausdrücklich die Angehörigen der ‚Hausgemeinde’ eingeladen wurden – die auch (bis Anfang 1998 aus eigenem Erleben ersichtlich) in beachtlicher Zahl teilnahmen, mag sein auch, weil die überwiegend ‚kasual-orientierbaren’ Ansprachen ‚ansprachen’. Und sei es, weil empfunden wurde, dass mit dieser Einladung die Mitglieder des PS-Kollegiums ein ‚Extra’ für die Hausgemeinschaft ‚aufbrachten’, das gewürdigt werden sollte. Systemisch betrachtet, war dies eine „antizyklisch“ zu nennende Maßnahme: sie sollte die ‚nichtakademischen’ Angehörigen des Hauspersonals durch Wahrnehmung als ‚Hausgemeinde’ sich als gegenüber den Damen und Herren VikarInnen ‚gleich gehalten’ erleben lassen, wie es dem Selbstverständnis eines Evangelischen Predigerseminars entspricht, und dadurch die Realität des ‚Ganzen Hauses’ pflegen; arbeitsorganisatorische Maßnahmen bei den Dienstplänen an Montagen stützten das.

Im Rückblick mag festgestellt werden können: Bis zur Stunde finden montags um 8:00 Uhr Andachten statt. Aber jener „antizyklische“ Impuls kam gegen die größer dimensionierten Umstrukturierungen bei der Arbeitsorganisation, die sich aus der Begründung der „Evangelischen Tagungsstätte“ ergaben, nicht an.

  1. Das aggiornamento der Ausbildungsstruktur: vom Seminarium zum Curriculum

Seit Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts haben sich – mehr oder minder kontinuierlich – Veränderungen in Sozialgefüge und Lebensgefühl der deutschen Gesellschaft vollzogen: mit Folgen für die (wie das in den 1990er Jahren bezeichnet wurde) persönlichen Lebensentwürfe der VikarInnen einerseits und die Differenzierung der Anforderungen an das Pfarramt der Kirche. Dem entsprechen – mit kirchentypischer, in der EKKW besonders ausgeprägter Bedachtsamkeit eingeführt – Anpassungen von Konzeption und Organisation im PS.

  • Im Jahr 1970 „war“ die Leitung des PS der Direktor, dem zur Unterstützung in der Ausbildung der Vikare (Vikarinnen gab’s ja damals so gut wie nicht) ein ‚Studieninspektor’ beigegeben war und der sich daneben auf einen ‚Studienleiter’ für die Fortbildungsangebote („Pastoralkollegs“) stützen konnte („Fortbildung in den Ersten Amtsjahren“ war kirchenrechtlich just 1969 etabliert worden und erhielt im Herbst 1971 einen ersten‚eigenen ‚Studienleiter’). Die Formulierung „‚war’ die Leitung [sc. der Pfarrer-Ausbildung]“ verweist auf das seinerzeit nahezu exklusiv dominierende Ideal eines Prozesses personaler Bildung der Jüngeren, die sich im Rahmen einer vita communis ‚unter einem Dach’ durch Auseinandersetzung mit dem Vor-Bild des im „Direktor“ verkörperten pater familias sollte vollziehen können. (Der Umstand, dass in Hofgeismar die Ausbildungskurs-Gruppen in der ersten Hälfte der 1970er Jahre z.T. außerordentlich klein waren, stützte dieses – hermeneutisch strittig werdende – Programm noch eine Zeit lang; und das ‚Versorgungs’-System des „Hauses“ ließ die dem ‚Liebespatriarchalismus’ [Troeltsch] der „Direktion“ komplementären Regressionseffekte [wie sie noch in der Konsenspapier-Formulierung „weitestgehend entlastet“ nachschwingen] bei den Vikaren bis in die 1990er Jahre weiter wuchern.) Eine kirchenleitende Steuerung dieses Bildungsprozesses schien – über die treffsichere Auswahl der Leitungsperson hinaus – weder erforderlich noch auch nur möglich zu sein: ging es doch um nichts anderes als „Theologische Existenz heute“ (und um derer willen um ein gelungenes Amalgam von internalisierter ‚guter Theologie’ und Sensibilität für Menschen). – In den seither verstrichenen vier Jahrzehnten hat sich eine bemerkenswerte Entwicklung der PS-Leitung durch die ‚Einheit des Direktorats’ zu einer Binnen-Komplexität beachtlichen Umfangs ergeben: gegenwärtig (2011) umfasst das „Kollegium“ des ‚Direktors’ weitere neun ‚StudienleiterInnen’ (davon 4 mit ‚halben Stellen’ und 1 mit kleinerem Stellenanteil). Es ist weder zufällig noch unerwartbar-gewesen, dass diese Folgeerscheinung einer langgezogenen Sequenz von kirchenorganisatorischen Entscheidungen jenes Ideal der Leitung des PS durch die ‚Einheit des Direktorats’ tangiert – es ist faktisch zu den Akten der Geschichte gegeben und wird innerhalb des PS funktional substituiert durch die Organisation dauerkommunikativer Produktion einer ‚corporate identity’, wenigstens im „Kollegium“.
  • Die „Sattelzeit“ (um einen Ausdruck von R.Koselleck zu entlehnen) von 1968 hatte den Bemühungen der 1964 durch die EKD erstmals berufenen „Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums“ auch um Aktualisierung der nachuniversitären, Zweiten Ausbildungsphase einen kräftigen Impuls versetzt und ihr wirksame inhaltliche Akzentuierung ‚ins Stammbuch geschrieben’. Das Zauberwort hieß „Integration der Humanwissenschaften“ (in fundamentaler Kritik des anti-kulturprotestantischen Affekts der ‚Wort-Gottes-Theologie’) in die pfarramtliche Ausbildung, und die Predigerseminare erschienen der gegebene Ort für deren Realisierung. Die überkommene Form des PS-Vikariats als geschlossenes, zeitlich zusammenhängendes Seminar-Jahr mit seinem universitätsseminar-konformen Lehrveranstaltungstypus – als setting eines auf (Selbst-)Bildung der Person disponierenden Prozesses – entsprach jenem neuen, stärker auf ‚professionelle Ausbildung’ zielenden Paradigma je länger desto weniger. Zwar wurde die Umstellung der PS-Präsenz von VikarInnen auf die in einigen Landeskirchen bereits probeweise eingeführte Form der (damals sog.) ‚Rollkurse’ bereits um 1970 in der EKKW förmlich erörtert – zu einer entsprechenden Umorganisation des (dann wieder auf 2 Jahre verlängerten) Vikariats mit kontinuierlichen Wechsel zwischen Zeiten der gemeindlichen Ausbildung und (teils mehrwöchigen) PS-Kursen kam es erst nach förmlicher Verabschiedung des „Gesamtplans für die theologische Ausbildung“ durch die EKD (im Jahre 1977), in Hofgeismar ab 1979. Eine Maßnahme von ‚strategischer’ Reichweite, deren Folgen durch das von 1980 an für ca. 15 Jahre wirksame außerordentliche Anwachsen der Zahl der VikarInnen noch verstärkt wurden: die Prägewirkung des/r für je einen Ausbildungskurs verantwortlichen Studienleiters/in wuchs, und darüber hinaus verstärkte sich – durch nach und nach erfolgende regelhafte Verpflichtung zur Mitarbeit – die Maßgeblichkeit spezialfachlich zuständiger externer Lehrpersonen (RU, KU, Seelsorge etc.). Organisatorisch lockerte jene Maßnahme die Kontinuität der bildungswirksamen Beziehung zwischen Ausbildungskursen und Direktor, sozialpsychologisch förderte sie Ablösung des (Quasi-)’Familiengefühls’ vom ‚Vater-Bezug’.
  • Erhalten geblieben war 1979 bei dieser weitreichenden Umorganisation, ja Neukonzeption der Hofgeismarer Ausbildung ein ‚Langzeitaufenthalt’ im PS am Ende des Vikariats, das 4-monatige sog. „Semester“ – kompromissförmig behutsam ein strukturkonservatives Residuum der an sich dem historischen Versinken anheimgegebenen Bildungsidee der ‚vita communis unter einem Dach’. Aber der „Sturm…vom Paradiese her“ (s.o. W.Benjamin) wehte schon; elementare lebensweltliche Veränderungen in der faktischen Zusammensetzung der VikarInnenschaft drängten auf kirchenorganisatorische Resonanz: Seit Anfang der 70er Jahre vorigen Jahrhunderts ist die Zahl der Frauen im Vikariat im Ansteigen begriffen (und hat vor knapp 10 Jahren regelmäßig die 50%-Schwelle überschritten – ein für das ‚historische Projekt’ der Gleichstellung von Frauen im evangelischen Pfarramt wichtiges Zwischenergebnis); relativ unabhängig davon ist auch die Zahl der verheirateten Vikarinnen und Vikare signifikant angestiegen. Die aus diesem Lebenshorizont geäußerte Kritik an den ‚familienfeindlichen’ Effekten einer als ‚kasernenartig’ empfundenen Ausbildungsorganisation blieb bei den PS-Verantwortlichen nicht ungehört. Durch curriculare Umschichtungen wurde 1993 das „Semester“ auf 3 Monate verkürzt und 2010 aufgelöst – ein des Bemerkens wertes Element der Reprivatisierung des Faktors „Familie“ in der professionellen Sozialisation.
  1. Narratives am Schluss
  • Auch Architektur und Rauminstallationen haben soziale Folgen, ermöglichen und verhindern. Die umfangreiche Innensanierung des PS-Gebäudes 1991 hat er überstanden; nach der Generalsanierung 2006-2008 (in Verbindung mit der konsolidierungsprozess-bedingten räumlichen Integration von Dritt-Einrichtungen wie Arbeitsstelle Kindergottesdienst und, in diesem Falle, EKD-Frauen-Studien-und-Bildungs-Zentrum [FSBZ] ins Gebäude) ist er weg. Nicht ‚einfach weg’, aber doch weggesperrt in den ans FSBZ vermieteten Seitenflügel des Hauses und nur unter mietvertraglichen Bedingungen für Kleingruppen während der Ausbildungskurs-Wochen tagsüber zugänglich. Der Runde Tisch im I. Stock, zwischen Büros und (wie das in den 1990er Jahren noch hieß, heißen durfte) „Semesterflur“.
  • Der Runde Tisch verbreitete, jahrzehntelang so genutzt, um sich eine Aura des Multifunktionellen, Vor-Differenzierungs-mäßigen: ‚Abhängenkönnen’ für die „Semester“-VikarInnen“ wannauchimmer, Treffpunkt fürs letzte Bier, die tagesfrustkompensatorisch erforderliche Bring-Pizza (seit die Stadtentwicklung von Hofgeismar diese universitätsstädtische Option zuließ), adhoc-Treff für „Kleingruppenphasen“ der Kurswochen-Einheiten, halbdiskrete Räsonnements der OrdinandInnen über besetzbare Pfarrstellen im Angesicht der jahrzehntelang vergilbten Hessen-Landkarte an der Wand – ein Studenten-WG-Mittelpunkt im Haus der angehenden PfarrerInnen. Kristallisationspunkt der (dienstrechtsbedingt eher unfreiwilligen) Wahlverwandtschaften-auf-Zeit.
  • Hans-Peter Aulepp (+) berichtet (in: M.Hein [Hg], Ein Jahrhundert Predigerseminar in Hofgeismar: 1891-1991, Kassel 1991, S. 103) „ein ganz signifikantes Beispiel“:

„Er (sc. Direktor Dr. Gebhardt; FS) kam häufig abends von irgendwoher, von Sitzungen oder anderem. Wenn er zwischen halb elf und elf zurückkehrte, hatten ihn einige vom runden Tisch aus schon im Blickwinkel. Nach einem ersten freundlichen ‚Guten Abend’ hin und her verschwand er immer schnell in seine Wohnung. Irgendwann haben wir gesagt, ob er nicht ein bisschen Lust hätte, bei uns dabeizusitzen. Er sei schließlich unser Direktor, und wir fänden es nicht gut, wenn wir uns nur vorlesungsmäßig in den Lehrveranstaltungen sähen. Er ist dann gekommen, und ich habe den Eindruck gehabt, das war ihm noch nie passiert. Er nahm in unserem Kreis Platz und wirkte wie ein Kind, dem man etwas zu Weihnachten geschenkt hat. Da hatten wir den Eindruck, wir haben auf unsere Weise unseren Direktor erobert.[…E]s bürgerte sich ein, daß er gelegentlich bei uns saß. Auf dieser Ebene ergab sich eine andere Art Verkehr miteinander.[…]Jedenfalls sah er darauf, dass seine Grenzen, die er eingehalten wissen wollte, nicht überschritten wurden von der anderen Seite, aber war auch sehr achtsam, niemand anderes Grenze zu übertreten. Deshalb ist es zwischen uns nie zu so einer fatalen Kumpelei gekommen[…]“

 

Eine im mehrfachen Sinne historische Reminiszenz, mit unvermeidlich idiosynkratischen Zügen. Eine Begegnung wie diese aus dem Jahr 1966/67 wird sich so nicht wiederholen, nicht wiederholen lassen. Trivial genug das festzustellen; das dingliche setting gäbe das gar nicht her: kein Runder Tisch in diesem Sinne mehr; die heute wie damals gängige spätabendliche Rückkehr des „Direktors“ „von irgendwoher, von Sitzungen oder anderem“ würde, da nunmehr ins Wohnhaus jenseits des Parks verlegt, niemand von den VikarInnen überhaupt noch wahrnehmen. Sich funktional äquivalente Arrangements unter aktuellen Bedingungen vorzustellen ist nicht einfach, aber auch nicht ausgeschlossen. Nur: wer wollte einem der aktuellen Ausbildungskurse eine solche Freude daran, „auf unsere Weise unseren Direktor erobert“ zu haben, überhaupt noch unterstellen wollen?

Diese Entwicklungsstränge lassen sich als foot prints des auch über das PS hinweg sich vollziehenden Prozesses gesellschaftlicher Differenzierung, kurz: der Modernisierung, identifizieren. Muss nicht jeder Versuch, dessen lebensweltliche Auswirkungen ‚im Kleinen’ zu kritisieren, der Lächerlichkeit eines argumentativen ‚Kampfes gegen Windmühlen’ verfallen?

 

  1. Zum Schluss: eine Erwägung

Was ist los? Was bleibt? Wie geht’s weiter? Das sind die Fragen, im Untergrund dieser Anmerkung.

Das „Fragen“ wird gedämpft durch die zunächst selbstkritische Rückfrage an das hier ‚kulturkritisch’ arrangierte Bild der PS-Geschichte der letzten 40 Jahre (die mikrologische Identifizierung von Indikatoren der Mutation des animal sociale durch Verwandlung von ‚Abweichungen’ in ‚Normalitäten’ des Lebens durch Günther Anders’ „Die Antiquiertheit des Menschen“ [München 1956] oder Theodor W. Adornos „Minima moralia“ [Frankfurt am Main 1951] sind als Muster dafür bewusst). Darum: Was ist eigentlich aus der leitenden Idee des ‚Ganzen Hauses’, der „Familie“ überhaupt, während dieser Jahre gesellschaftsweit geworden und zu wirksamem Ausdruck gekommen (eines weiten Horizonts bewusst, prägt R. Sennett die Formel „Tyrannei der Intimität“? Wird doch die hier für’s PS gewählte Metapher des „Familienbetriebs“ nicht unberührt bleiben können von den Folgen des gesellschaftlichen Prozesses der „Individualisierung“ (die – noch einmal R. Sennett – das Postulat des „flexiblen Menschen“ hervorgebracht haben) für das ‚Lebensgefühl Familie’ selbst. Sprechend dazu wirkt die Passage aus dem Gespräch mit Irmgard Niebergall, der Witwe des PS-Direktors der Jahre 1946-1957:

Frank: Heute wohnt der Direktor des Predigerseminars auf der anderen Seite des Parks, damals mittendrin, auf dem mittleren Flur. Haben Sie das als eine Störung Ihrer Privatsphäre oder ihres Familienlebens empfunden? Frau Niebergall: Ich muß sagen, dass wir es damals ganz anders erlebt haben. Was Privatsphäre heißt, ging mir erst auf, als wir nach der Hofgeismarer Zeit in Marburg unsere Wohnung bezogen. Unser Wohnungsflur im Predigerseminar war ja zugleich Durchgangsflur für die Vikare. Es gab praktisch keine verschlossenen Türen. Für unsere Kinder war das sehr anregend und sehr schön. Sie lernten auf diese Weise viele ganz verschiedene Menschen kennen. Auch die geselligen Abende fanden in unserer Wohnung statt.  Die Tür zwischen Wohn- und Esszimmer wurde bei solchen Gelegenheiten geöffnet. Die Stühle reichten. […]“ (in: M.Hein [Hg], Ein Jahrhundert Predigerseminar in Hofgeismar: 1891-1991, Kassel 1991, S. 83-91, hier 85)

 

  • Die ökonomische Vorteilhaftigkeit der Maßnahme, das ‚Ganze Haus’ in Ausbildungsbetrieb ‚Einrichtung PS’ und Bewirtschaftungsbetrieb „Tagungsstätte“ zu zerlegen, ist unbestritten – aber nichts ist ohne ‚Preis’, auch dieser fiskalische Gewinn nicht.
    • Welcher ‚Preis’ ist angemessen, kann von ‚den Verhältnissen’ gefordert und muss nolens volens von den für die ‚Einrichtung’ Verantwortlichen gezahlt werden? (Oder sollte schon die Frage nach dem angemessenen ‚Preis’ fehlleiten, nach der vorgenommenen ‚Umwertung der Werte’: weil dessen Zahlung nur in einer inzwischen außer Kurs gesetzten ‚Währung’ erfolgen könnte und wert-los bliebe?)

 

  • Bei aller organisatorischen Integration der Logistik in die „Tagungsstätte“ bleiben die ‚Einrichtungen’ Akademie und PS – ihrer jeweiligen Zweckbestimmung entsprechend – in der Konzeption voneinander unabhängig und bilden (wenn’s gut geht) einen je spezifischen „Geist des Hauses“ aus (bzw. fördern doch dessen Wachstum). So ist das PS, solange es um die VikarInnen sich zu mühen hat und haben wird, eine andere Art ‚Einrichtung mit Beherbergungsbetrieb’ als die Evangelische Akademie: wird es ihm doch aus auch weiterhin geltenden professionellen Gründen um – hidden curriculum - Persönlichkeitsbildung, ja gar –prägung durch „Das Haus“, auch durch in ihm gepflegten Formen religiösen und profanen Feierns, gehen müssen. Darum wird es diese besonderen ‚Stammgäste’ mit über zwei Jahre hin fest vorgebuchten Langzeit-Aufenthalten in einer Weise bewillkommnen, ja zu beheimaten suchen, so dass sie je länger je mehr das apostolisch verheißene „nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“ (Eph 2,19) ‚leibhaft’, im Medium des gelebten Lebens, erfahren.
  • Diese Erfahrung leidet freilich einen Bruch, wenn zu erleben ist, dass es unter diesem Dach „Hausgenossen“ gibt, die – less equal than others (um Orwells „Farm der Tiere“-Formel umzustülpen) – dienstanweisungsgebunden in symbolträchtigen Lebensformen des „Hauses“ wie Andachten und Festen allenfalls pflichtmäßig im Bedingungsrahmen von Arbeitszeit/Entgelt sich bewegen. (Die Vorstellung von PfarrerInnen, die an Gottesdiensten nur teilnehmen, wenn sie dienstplanmäßig [mit deren Leitung] ‚dran sind’, findet darin ihr ‚lebensmäßiges’ Muster.) – Der Respekt vor dem Wahrheitsgehalt der Zwei-Regimenten-Lehre Luthers lässt Abstand halten vor einer ‚religiösen Überhöhung’ des Themas, die sich ergeben würde durch die – als normativ wahrzunehmende – weitere Aufnahme des apostolischen Textes („Durch ihn [sc. den Herrn] werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist“; Eph 2,22). Aber: wenn auch schon kein Argument, so doch ein Indiz für die sachliche Begründetheit des gefühlten ‚da stimmt doch etwas nicht’ ergibt sich daraus.
  • Festzustellen ist: Die Entflechtung der bisherigen Gebundenheit des Hauspersonals an die ‚Einrichtung PS’ bringt dessen Abkopplung von dem einrichtungsgebundenen Prozess mit sich, der in die Formel „Geist des Hauses“ zu bringen war – mit Folgen wie den beschriebenen.
  • Vielleicht muss man 2011 diese Folgen in Kauf nehmen wie die oberstgerichtlichen Urteile der letzten Jahre zuungunsten der bislang mit dem „Tendenzbetrieb“-Argument gestützten arbeitsrechtlichen Erwartungen an Konfessionsmerkmal, Lebensführung etcetc der (potentiellen) MitarbeiterInnen. Gewiss: die Rechtsprechung zur Kategorie „Tendenzbetrieb“ ist erwartungsgemäß ‚kleinteilig’ – und sich darauf beziehen zu wollen, würde unweigerlich ins ‚Kleingedruckte’ führen.
    • Aber noch dies, sich der vorwiegend kirchen-unfreundlichen Tendenz der Rechtsprechung einfach anzubequemen, wäre im Blick auf das „Thema“ in der Konklusion zu ‚grob gerastert’. Vielleicht ist die Rechtsform der „Evangelischen Tagungsstätte Hofgeismar“ im Blick auf diese arbeitsrechtliche Feinheit ungünstig gewählt und lässt sich ändern.
    • Warum nicht suchen nach schnittmengenartigen Begriffen: kann nicht – im Sinne einer profiliert „evangelischen“ Lösung – die Teilnahme von Haus-MitarbeiterInnen an der (um ihrer willen gefeierten!) ‚Montagsandacht’ der arbeitszeitlich relevanten Kategorie „Dienstbesprechung“ subsumiert werden? Zwar ist tendenzbetrieblich prosaisch entschieden, dass „Andachten / Gottesdienste = Arbeitszeit“ gelten und zur Teilnahme freigestellt wird – könnte nicht auch die gastweise Teilnahme an Festen zur Hälfte als „Arbeitszeit“ berechnet werden?
    • Und umgekehrt gefragt, auf der Ebene des arbeitszeit-relevanten Bedarfs: müssen VikarInnen eigentlich – wie etwa zahlende Gäste von Tagungen der Akademie oder von eingeworbenen Dritt-Veranstaltungen! – nach Hotel-Standard ‚gemachte Betten’ vorfinden (statt bereitliegende Bettwäsche selbst aufzuziehen)? Das könnte den  oben erwähnten) sozialen Druck auf Montagsandachts-TeilnehmerInnen (‚während ihr beten geht, müssen wir eure Arbeit mit-machen’…) wenigstens mildern. Petitessen, aber möglicherweise mit relevanten Folgen für das Gesamtbild des „Evangelischen Predigerseminars“.

 

Erörtert wird all dies, um Aufmerksamkeit zu wecken für unbeabsichtigte Nebenfolgen einer – auch im Sinne der Erhaltung des „Standorts Hofgeismar“ der EKKW – ökonomisch rationalen Maßnahme. Nebenfolgen, die aber den als „evangelisch“ ausgewiesenen Zweck der ‚Einrichtung PS’ unfreundlich (unbedacht vielleicht?) berühren. Nach Auffassung des Unterzeichners ist offenkundig, dass sich hier innerkirchlich eine Prioritätenverschiebung bemerkbar macht, die gesamtgesellschaftlich nicht originell ist (und in der wissenschaftlichen Literatur breit erörtert wird): die – gesellschaftsweit, nicht nur in Organisationen (wie der EKKW) – steuerungsleitenden Ideen sind aus dem Feld der „Politik“ in das der „Wirtschaft“ übergegangen.

Das Vorgetragene schließt nicht die Entscheidung aus, jene Nebenfolgen für tolerierbar und für andere, ungewohnt-konstruktive Zukunft der Kirche offen zu erklären – das sollte aber nicht nur ‚dem Lauf der Dinge überlassen’ bleiben, sondern bewusst erfolgen.

„Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ‚wie es denn eigentlich gewesen ist’. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.“

(Walter Benjamin, a.a.O, These VI, 695)

und schließlich, damit Benjamins Tragödie im Sinne der attischen Dramatik auch noch ein Satyrspiel beigegeben wird: © Rattelschneck:

 

© Frithard Scholz

17.12.2011