Ausgang und Eingang

 

Liebe Gemeinde!

 

Gottesdienst zum Abschied eines Mitarbeiters aus dem Landeskirchen­amt. Ein `Kasual'-Gottesdienst, wie wir Pfarrer sagen: hat einen be­sonderen Anlass. Was hätte ich für die Predigt zu diesem besonderen landeskirchenamtlichen Anlass für ein anderes Bibelwort zur Grundlage wählen sollen als Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit?

Das ist doch die Segensbitte für unser Haus! Als wir vor zwei, drei Jahren die Glocke vor der Hauskapelle bekommen sollten, hatte der Vizepräsident ja einen Ideenwettbewerb für die Aufschrift ausge­schrie­ben. Mein Vorschlag, es solle `Ausgang und Eingang@ darauf stehen, war seinerzeit nicht überzeugend. Darum heute noch mal in anderer Form (der Vizepräsident mag=s mir nachsehen; abgelehnte Anträge gleichlautend nochmal in ein anderes Gremium einbringen, gilt ja als ungehörig...). Aber Sie sollen hier ja nichts entscheiden. Sondern nur mal auf die Rückseite des Programmheftes schauen [siehe hier oben!]

 

Überall im Haus - naja, an sehr vielen Stellen, in sehr vielen Büros - ist dies die Schnittstelle, Ort der Beziehungsaufnahme zu den anderen drauß­en oder drinnen, Antragstellern, Beschwerdeführern, Kollegen und Kontrolleuren, nachgeordneten Dienststellen und Berichtspflichti­gen, Geldgebern und Zuschussempfängern und...und... In meinem Dezernat (naja ab morgen: bisherigem Dezernat) verknüpfen Eingang und Ausgang Studenten und Prüferinnen, Vikare und solche die=s mal werden oder nicht mehr bleiben sollen, Fakultäten und das Wissen­schaftsministerium, Beratungsgremien noch und nöcher (unsere Organi­sationsberater von Lischke haben Bauklötze gestaunt) - ich lasse es mal dabei: die Predigt ist ja nicht der Ort, den Geschäftsverteilungsplan zu deklamieren.

Aber wie kommt eigentlich etwas von Eingang zu Ausgang? Es wird abgeworfen.

 

`Abwerfen': das Wort transportiert ins Amt Erfahrungen des wirklichen Lebens. Was wird da `abgeworfen'? Drückende Lasten, die einem Stehen und Gehen erschweren wie dem Hans im Märchen am Ende der Schleifstein, so dass der schließlich >Hans im Glück' ist, werden >abge­worfen'. Hubschrauber starten Richtung Katastrophengebiet mit Hilfs­gütern, und was passiert dort damit? Sie werden... na, sehen Sie:[abgeworfen]. Bei uns im Amt geschieht durchs Abwerfen etwas fast Geheimnisvolles: der Ausgang des einen verwandelt sich in den Ein­gang der andern. Wie im wirklichen Leben, jedenfalls bisweilen: die Lasten der einen werden zu Hilfsgütern für andere.

Und zwischen Eingang und Ausgang Menschen wie Sie und ich. Was machen wir da? Wir `verfügen'. Nicht dass das immer bis in Ewig­keit gelten würde - na, ein Segen! Aber immerhin gibt es ein Spektrum von Möglichkeiten (alles geschäftsordnungsmäßig geregelt, klar - aber ich übersetze es mal ins normale Leben).

  • wir geben `zur Kenntnis" - jaja, ein Ameisenhaufen der Kennt­nisnehmer und nachher-Bescheidwisser ist das Landeskirchenamt auch, muss es wohl auch.
  • eine bittet `um Übernahme" und signalisiert etwas zwischen Über­forderung und Unzuständigkeit.
  • ein anderer bittet `um Mitzeichnung": will es nachher nicht alleine gewesen sein mit der Ablehnung eines Zuschusses oder der Geneh­migung einer zweifelhaften Dienstreise (es könnten ja Be­schwer­den kommen)
  • besonders beliebt die Bitte `um weitere Veranlassung", Abschiebe­technik von Vorgesetzten gerne, irgendwie zusammengemischt aus Ratlosigkeit, `keine Zeit!" und Vertrauensvorschuss an den im anderen Büro
  • ultimativ die Verfügung `zu den Akten": ein Stücklein gelebten Lebens draußen vor den Mauern des Amtes erfährt seine adminis­trative Beerdigung erster Klasse (wenn's gut geht, nachdem sich zuvor die erwähnte wunderbare Verwandlung vollzogen hat!). >Beerdigung zweiter Klasse' gibt's natürlich auch; die heißt `Wv. 01. April 2017".

 

Genug davon. Es könnte ja wie unbilliges Ausplaudern von Amtsvor­gängen sich anhören, kirchenbeamtenrechtlich relevant (muss man ja auch als Ruheständler drauf achten). Nichts liegt mir ferner. Vielmehr möch­te ich Sie zu der Wahrnehmung hinlocken, dass das Landeskir­chenamt von unzähligen Fasern wirklichen Lebens >draußen= durch­zogen ist. Also im Ernst nix von  "Raumstation", ohne Bodenkontakt, Lichtjahre von den übrigen, >normalen' Menschen entfernt, wie es zu Zeiten der Bonner Republik mal der politischen Klasse am Rhein miss­vergnügt vorgehalten wurde. Aber auch nicht einfach nur, dass dem Landeskirchenamt nichts Menschliches fremd sei - das mag auch stim­men.

Aber das reicht alles noch tiefer. Ausgang und Eingang, die Grundstruktur des Amts-Alltags. Ausgang und Eingang, Grundworte. Eine Kurzformel für das Leben überhaupt. Herzschlag: Sich-zusammen­ziehen, sich-ausdehnen; Aufnehmen und Abgeben. Atem: `Im Atemho­len sind zweierlei Gnaden: / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen: / Jenes bedrängt, dieses erfrischt; / So wunderbar ist das Leben ge­mischt' schreibt Goethe, der alte Heide, im `West-östlichen Divan'. Das Le­ben, ganz elementar vom Körperlichen an, ein Austauschgeschehen - weil es ein Beziehungsgeschehen ist! Zwischen drinnen und draußen, zwischen dem einen und der anderen, allen Geschöpfen untereinander.

Und Goethe weiter `Du danke Gott, wenn er dich presst, / Und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt." Hier scheint der alte Heide sich von seinem pantheistischen Grundgefühl ein wenig zu distanzie­ren; ob er dabei auch an die Dimension von >Geburt' und >Tod' ge­dacht hat? (zuzutrauen ist es ihm ja).

Eingang und Ausgang. Geborenwerden und Sterben. Eintritt in das, Austritt aus dem Leben. Viele sagen: das kann doch nicht alles sein. Die Studie `Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin", die unsere Synode 2004 als Grundlegung und Ausgangspunkt weiteren Nachdenkens über den pfarramtlichen Dienst gewürdigt hat, formuliert als `Perspektiv­punkt" zur Orientierung allen pastoralen Dienstes das `ewige Heil in Christus" und schreibt: `Unter dem Gesichtspunkt des >ewigen Heils durchdringen sich die Dimensionen der Welt: der Welt, wie wir sie kennen mit ihren Begrenztheiten und Leiden - und von der wir glauben, dass an ihr vollendet wird, wozu sie und wir bestimmt sind. >Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn'. Das bringt auf noch einen Gedanken:

 

Eingang und Ausgang. Geburt und Tod. Was da eigentlich >Eintritt' und was >Austritt' zu nennen ist, erweist sich als Frage der Perspektive. Könnte doch sein, dass es richtiger, ja wirklichkeitsgerechter wäre zu sagen und ins Daseinsgefühl aufzunehmen: Geborenwerden ist der >Austritt', Sterben der >Eintritt' - ein Gefühl, das lebt von der Vision einer >ewigen Heimat' aller zeitlich existierenden Geschöpfe, also auch von unsereinem. Einer Heimat, von der wir (gelinde gesagt) wenig wissen, von der wir aber manches zu glauben versuchen. Dass unser Menschenleben begrenzt und brüchig und bruchstückhaft ist in vielerlei Hinsicht - in seiner körperlichen und moralischen und metaphysischen Verfassung - das wissen wir, und erleben es immer wieder (in der Alltagsseelsorge aneinander, wenn ein anderer uns seine Lebenskrise offenbart, oder wenn wir einen nahestehenden Menschen auf dem Friedhof seine letzte irdischen Wegstrecke begleiten müssen). Dass wir all unsere Wege und Umwege und Sackgassen aufgehoben fühlen als Momente eines großen Ganzen, in der Hut des HERRN (unter dem `Großen Hut" würden es die Kindergottesdienstkinder singen), dazu ist uns jene hoffnungsträchtige >Heimat'-Vision gegeben - darauf bringt uns aber auch unser Predigtvers schon: Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

Er lässt uns auch bemerken, dass es ihm auf die Reihenfolge ankommt: Ausgang und Eingang ! Die gelehrten Bibelausleger sagen uns ja, dass der Psalm 121 wohl die Abschieds-Liturgie eines Tempelpilgers im alten Israel war. Wo der Priester die Scheidenden vergewissert: >Wenn du jetzt gehst, und wenn du wiederkommst - Gott ist bei dir'. Das ist ja ganz anschaulich. Aber die Sache mit der Reihenfolge hat noch einen tieferen Sinn. Wenn die erwähnte Pfarramts-Studie von `ewigen Heil in Christus" spricht, meint sie eben dies: Wir dürfen in all den Unsicher­heiten unseres Daseins darauf setzen: an Jesus hat Gott der Vater wirk­lich werden lassen, dass Ausgang zum Eingang wird - und durch unsere Taufe haben wir (mit den Brüchen und dem Scheitern, mit denen wir so sind) Anteil an diesem `fröhlichen Wechsel' vom Tod zum Leben.

 

Ausgang und Eingang: da steckt das ganze Leben drin, was wir kennen und noch mehr. Ausgang und Eingang: auch der Austritt aus dem aktiven Dienst und der Eintritt in den Ruhestand, als zwei Seiten derselben Medaille - soviel nur als aktuelles Beispiel, nicht wahr. Leben heißt Türen hinter sich zu machen. Das ist ja nicht nur das, dass ich vorhin zum letzten Mal mein Dienstzimmer zugeschlossen habe. Aus­treten aus dem Spielraum des Möglichen - `ich könnte auch anders' - in den Raum des definitiv Wirklichen, Schritt um Schritt. Das ist ein Prozess der Reduktion und der Konzentration, von dem niemand vorher wissen kann, wie er sich dann anfühlt.

Heute kommen in mir über 7 Jahre Landeskirchenamt an ihr Ende, insgesamt fast 31 Jahre Pfarrdienst in unserer Kirche. In der Predigt zu meiner Einführung ins nun endende spezielle Amt habe ich eine Ge­schichte von Kurt Marti vorgelesen. Und weil die wenigsten sich daran werden erinnern können, dachte ich: Wozu haben wir Akten? Machste einfach eine `Wiedervorlage' - also:

Es wird überliefert, Rabbi Chama, ein frommer Mann von großer Ge­lehrsamkeit, habe in der ersten Hälfte seines Lebens viele und kluge Schriften und Kommentare verfaßt. Danach aber, etwa vom 36. Lebens­jahr an, sei er vor allem damit beschäftigt gewesen, aus seinem Schriftwe­rk nach und nach alles zu tilgen, was vor seinem durch die Zeitläufte geschärften Urteil nicht bestehen konnte, weil es entweder unzulänglich ausgedrückt oder zu wenig gesichert war. Dieser Revision oblag Rabbi Chama mit soviel schonungsloser Redlichkeit, dass gegen Ende seines Lebens alles, was er einst mit Fleiß und Feuer nieder­geschrieben hatte, wieder durchgestrichen war. Seine Schüler wehklag­ten und weinten, als er seine sämtlichen Schriften, Bündel um Bündel, im Ofen seines kleinen Hauses verbrannte. Der Rabbi aber, er wurde bei diesem Autodafé so heiter und fröhlich wie seit langem nicht mehr. Trotz seiner Altersschwäche tanzte er sogar ein bißchen, tanzte mit kleinen leichten Schritten, als das letzte Bündel im Ofen verbrannte und darob der Sabbat anbrach.

Wenig später starb Rabbi Chama. Seinen Schülern hinterließ er nichts als eine großen Zettel. Darauf hatte er mehr hingemalt als hin­geschrie­ben: Der Name, geheiligt sei er! Alsbald erkannten die Schüler den Sinn dieses Vermächtnisses: im EINEN und heilig-unaus­sprechlichen Namen Gottes blieb alles gegenwärtig und bewahrt, was ihr Lehrer gelebt, geglaubt, gedacht hatte.

Soweit Kurt Marti.

 

Wenn Sie jetzt denken, ich würde hier durch die Blume andeuten wollen, wie ich in den letzten Wochen mit meinen Handakten umge­gangen bin - nein, da liegen Sie falsch - da wäre ein solcher Rigorismus vielleicht ein wenig unfair gegenüber denen, die nach mir weiter ma­chen und tun sollen. Aber: vor 7 Jahren bin ich den ganzen Psalm 121 predigend entlang gegangen - heute durfte schon der letzte Vers allein genügen. Heute, da ich mein berufliches Dasein Richtung >Ausgang' `abwerfe" (und Sie wissen schon, dass das dies oder das bedeuten kann: Lasten oder Hilfsgüter...).

Mal sehen, wohin das führt und wo das endet - nein: das werden wir sehen. Und bis da hin glauben: im Großen Sabbat. Ich finde jedenfalls: wir sollten uns das zu Herzen nehmen auf unserem Weg zwischen Ausgang und Eingang. Solange wir uns arbeitend an der umgekehrten Reihenfolge abmühen müssen, von Eingang zu Ausgang: `dem HERRN unsere Wege befehlen; er wirds's gut machen', nur ER, der am Ende `Alles in Allem" sein wird, Liebe, in der keine Furcht ist. In diesem Sinne: Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.