Vom Grund-„Recht auf ein analoges Leben“

 

…schreibt am 31. Januar 2025 in der „Süddeutschen Zeitung“ Heribert Prantl. Und er schreibt nicht nur davon, sondern plädiert energisch dafür, ja für dessen Verankerung im Grundgesetz.

Apropos plädieren. Einer noch an print-Publikationen gewöhnten Öffentlichkeit ist Prantl v.a. bekannt als prominenter Journalist der „Süddeutschen“, bei der er drei Jahrzehnte lang Karriere gemacht hat; von den zahlreichen zeit- und kulturgeschichtlichen Büchern, die er sozusagen nebenbei publizieren konnte, kriegt man dann so beiläufig mal mit.

Dass Prantl seine Berufslaufbahn grundständig als „Volljurist“ mit jahrelangen Praxis-Erfahrungen begonnen hat, kann man wissen (und manche Einzelheiten auch bei Wikipedia nachlesen). Aber man merkt es auch so.

 

Anlass für diese Anmerkungen gibt Prantls ‚Meinungsartikel‘ „Ohne Phone“. Lebenswelttüchtig wie er ist, beschwert er sich über die „‚Digital only‘-Strategie des Bundesministers für Digitales“ – und verweist exemplarisch darauf, dass Post-Kunden an DHL-Packstationen alsbald ohne SmartPhone nicht mehr an ihre Zusendung handfester, „analoger“ Pakete kommen würden. Manches noch hätte er anführen können, gegen den globalen Sog zum „Digitalzwang und der damit verbundenen Überwacherei“: die Abschaffung des – bislang so genannten – „Bargelds“ zum Beispiel…

Aber das ist nur die journalistische Anfütterung des Lesers. Seine Argumentation zehrt von der Zitation des Gesetzes über „informationelle Selbstbestimmung aus dem Jahre 1983“ [!], dem Hinweis auf das Diskriminierungsverbot Art 3 Abs. 3 GG, auf UN-Themen wie „Inklusion“ („Konzept gegen den Ausschluss von Menschen aus dem Gemeinschaftsleben“).

 

Soweit, so sehr einverstanden. Das musste mal geschrieben werden.

 

Aber da gibt’s noch ‚Reste‘.

Prantls journalistische Intervention appelliert an ein gefühltes ‚Sowieso‘. An die Annahme, dass es zwischen dem gelebten Leben (dem „Analogen“) und den administrativ neuerdings bevorzugten „Digitalisierungen“ eine Differenz wie ‚zwischen zwei verschiedenen Planeten‘ gebe.

Manche nennen das ja die Differenz zwischen der „Kohlenstoffwelt“ [der dem ‚Analogen‘ Verhafteten] und dem „CyberRoom“, in der „digital culture“ [Stalder] – oder wie auch immer.

 

Aber so ist es ja aus verschiedenen Gründen auch nicht.

Dazu muss ich hier etwas kleinteiliger werden:

  • Es fängt an beim Terminus „Digitalisierung“. Schon diese popularisierte Formel setzt auf die Evidenz einer durch und durch „analogen“ Metapher. Der Terminus selber zehrt vom lat. Wort „digitus“ für ‚Finger‘, einem naturwüchsigen menschlichen Körperteil, das von drei Knochen strukturiert wird, einem längeren, zwei kürzeren.
  • Das wiederum war ‚praktisch‘ für die Popularisierung des Verständnisses des ‚ganzen Computergeweses‘ („lang-kurz-kurz“ kannte die Welt schon seit der Implementation der Praxis des „Morsens“): Sind doch Computer primitive Maschinen, die eigentlich NIX anderes machen als auf Kommando („systemexterne Menschen“) ‚elektrischenStrom AN/AUS‘-zuschalten. Das aber wiederum so gaaanzgaanzganzschnell, dass es „analoges“ Erleben überfordert.
  • Allerdings landet man, dieses bedenkend, dito schnellschnell, in der Geschichte des Nachdenkens über das ganze Zählungsgewese.

Der Philosoph Leibniz (1646-1716) hatte sich über Jahrhunderte hinweg an die Evidenz der sog. ‚arabischen‘ Zählweise gewöhnt – „analog“ wie die ist, ans gewachsene ZehnfingerSystem gekoppelt. (Selbst wenn die Ziffer-Zeichen – historisch nachweisliche Gestaltwandlungen inklusive – das nur schwerlich erkennbar abbilden.) Aber trotzdem: Ob sich nicht das „vereinfachen“ lasse, war seine Frage. Und er kam auf die „logische“ Variante, alle nur denkbaren Zahlen in einer Form auszudrücken, die mit bloß ‚Null‘ und ‚Eins‘ auskäme: seinerzeit ‚unpraktisch‘, aber langfristig vielversprechend – wie unsereins, vier Jahrhunderte später, nun merkt.

Ein „binäres“ System, dass zurzeit aus ganz anderen Gründen ins Gerede gekommen ist. Aber insoweit egal; das ist nochmal ein anderes Thema.

  • Ein ‚Maulwurfsgang‘ durchs Netzwerk der „Zeichen“ – mit Hilfe von „Zeichen“ sind Menschen seit Ur-Langem erfolgreich unterwegs, das naturwüchsige Zugleich von Verschiedenem im gelebten Leben (das, mit Prantl, das „Analoge“ heißen mag!!) vergleich- und d.h. verrechenbar zu machen. Von Interesse an diesen ‚Ausgrabungen‘ ist hier v.a. der Sachverhalt: „Zeichen“-Bildung erweist sich als welt-historischer Prozess, in dem Operationen des Beschreibens und der Abstraktion von Beobachtbarem miteinander oszillieren.

 

Will sagen: Die Prantl’sche journalistische Intervention ist weniger state-of-art als sie beanspruchen eigentlich dürfte.