Seit 04.11.2025 ist sie nachlesbar publik (unter dem Titel „Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er Jahren“; https://www.ekkw.de/fileadmin/suchrelevant/leben/themenschwerpunkt/sexualisierte_gewalt/unikassel_2025_projektbericht_sexualisierte_gewalt_bereswill_hoeynck.pdf , Abruf: 04.11.2025). Erarbeitet im Rahmen eines von der EKKW mitfinanzierten Forschungsprojekts der Universität Kassel. Selber darein verwickelt war ich als Partner eines ‚Zeitzeugen‘-Interviews in der Frühphase des Forschungsprojekts Mai 2024.
Die Studie zu publizieren, ist zunächst ein Massenmedien-Phänomen: Es reaktiviert, zumindest für eine regionale Öffentlichkeit, die seit längerem etwas eingeschlafene Aufmerksamkeit auf das Themen-cluster „Kirche? Achja, dieses Missbrauchs-Nest!“ Andererseits dürfte es beitragen zur Moderation des Generalverdachts, „die Kirche“ verschleiere doch bloß lieber, was sie gerne ‚ungewusst‘ hätte. Soviel zur öffentlichen, summarischen Einschätzung.
Die Studie zu lesen, erzeugt eine andersartige Ambivalenz, jedenfalls bei einem Leser wie mir, der in späteren als den „1980er Jahren“ mit dem inkriminierten Ex-Fuldataler Ex-Kollegen eng und immer wieder fachlich angeregt zusammengearbeitet hat. Einerseits sind die 92 Seiten der Studie quantitativ keine intellektuelle Überforderung; zugleich aber werden einem vorab hochdifferenzierte Erörterungen zu den Anonymisierungs-Erfordernissen der Studie zugemutet, die eine ungemütlich abstrakte Weise der Darstellung nach sich ziehen und den ‚Narrativ-Modus‘ zumindest der mündlichen Quellen geradezu vergessen machen. So scheint das sein zu müssen bei derlei Textsorte. Andererseits strengt die Lektüre emotional enorm an: Die naive Erinnerung an kollegiale Kooperation wird überwältigt durch die Projektion von ‚Enthüllungen‘, um derer willen es die Studie gibt. Es gilt eine Art „Doppelleben“ zu registrieren (‚besichtigen‘ schließt die Studie aus, die sich der Maxime „keine Ermittlungen!“ verschrieben hat!): hie der professionell überdurchschnittlich qualifizierte und kommunikativ charmante Ex-Kollege „B.C.“ (wie ablesbar an dessen Berufskarriere spätestens ab 1991) – dort das in strafrechtlich relevante Verirrungen getriebene Individuum „B.C.“ [diese Codierung setzt die Studie an Stelle des Klarnamens]. Soviel zur subjektiven Gewissheit, wackelig wie sie umständehalber ist.
Die Studie zu schreiben, ist eine nochmal andere Herausforderung, die zu qualifizieren lediglich die Kategorie „Vermutung“ bleibt.
(denen gegenüber auf den Vorwurf der Mitwisserei, gar Bundesgenossenschaft zu verzichten von nachgekommenen Beobachter*innen als Zumutung eigener Art empfunden werden könnte, angesichts der Nachhaltigkeit des „Passierten“ im Leben der ‚Opfer‘)
Hegel zugeschrieben wird die erfahrungssatte Pointierung „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“. Frühere mögen diese Pointe als triumphale „Dachformel“ für die vollzogene Säkularisierung der religiösen Imagination von Mt 25 gelesen haben. Ich lese sie, alle metaphysischen Implikate dieser „Gleichung“ beiseitelassend, so: sie bedeutet die Ersetzung der äußersten – heutzutage erscheint geboten, ausdrücklich hinzuzufügen: kriteriengeleiteten – „Gerechtigkeit“ lt. Mt 25 durch die rechthaberische Gewalt des Faktischen.
Ene Transformation, die nicht nur dem „Einzelnen“ kein Daseinsrecht mehr „übrig“ lässt (andere würden hier zeitkritisch vom Austrocknen demokratischer Pluralität sprechen…). Sondern die Bestimmungsmacht übers Gemeinwesen der sog. Öffentlichen Meinung zuschreibt, mindestens defacto überlässt.
Zuzeiten der damals noch ‚jungen‘ Bundesrepublik Deutschland konnte Jürgen Habermas seine fachlich epochemachende Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ publizieren. In der er u.a. der sog. Öffentlichen Meinung die quasi angeborene Befähigung zur Selbstkorrektur zuschrieb. – Dass sich in den seither verflossenen 60 Jahren die ‚Eckdaten‘ für die Generierung ‚Öffentlicher Meinung‘ strukturell verändert haben, hat der Gesellschafts-Interpret Habermas freilich inzwischen auch schon öffentlich nachlesbar reflektiert.
Die Erörterung des Themas „Öffentliche Meinung“ könnten manche als einen überflüssigen Exkurs befinden, der bloß die Belesenheit des Vf. belegen solle. Schließlich gehe’s ja hier thematisch um den Umgang von „kirchens“ mit dem begründeten Vorwurf, Vorkommnisse „sexuellen Missbrauchs“ durch Kirchenbedienstete allzu lässlich behandelt zu haben.
Aber es liegt doch offen zutage, wie die sog. Öffentliche Meinung – diesseits aller Mandatierungen – in die organisierten Kirchenwesen hineinregiert. Überregional bekannt geworden sind die ‚Fälle‘ zweier „Kirchenfürstinnen“ (um‘s Schleiermacherisch auszudrücken): sowohl Maria Jepsen (Hamburg) als auch Annette Kurschus (EKvW) sind eigeninitiativ aus ihren Leitungsämtern geschieden – plausibel ohne jede Selbstbezichtigung persönlichen Verschuldens, sondern allein um „Schaden von ihrem Amt ab“-zuhalten, wie er zu erwarten sei dadurch, dass weiterer Betrieb der sog. Öffentlichen Meinung ihre Person ins „Gerede“ bringt. Hier bleibe es bei der Erwähnung bloß dieser beiden ‚Fälle‘, neben all den, weil weniger exponiert in der Provinz, auch weniger beredeten.
© Frithard Scholz
04.11.2025