"Segnendes Handeln"?

Offen gebliebene Fragen

 

 

Vorbemerkung;

 

Die folgenden Ausführungen gehen zurück auf ein lebhaftes Gespräch – dem man ohne Übertreibung das Prädikat „nichtendenwollend“ beilegen kann J - gelegentlich einer Geburtstagsfeier am 31.05.2025 in Hofgeismar.

In der Runde versammelt ca. 15 Personen, allesamt kirchlich hoch-engagiert – um nicht gleich „kirchenleitend“ zu sagen – am Leben, Werden und Wesen der EKKW: so gut wie alle von ihnen berufsbiografisch ‚verbandelt‘ als ehemalige [inzwischen: „gesetzlicher Ruhestand“] Mitarbeiter*innen des Predigerseminars Hofgeismar [jetzt: ESS]. Zur ‚Gewichtung‘ des Besprochenen evtl. nicht unerheblich: darunter 4 Dekan*innen, 1 LKA-Dezernent, 1 Propst, 3 Studienleiter*innen – ein gewisser „Überblick“ übers ‚Leben, Werden und Wesen der EKKW‘ war gewährleistet.

 

Die im Gespräch geäußerten Meinungen oder Urteile waren durchaus ‚verschieden‘!

Das Folgende beabsichtigt kein „Gesprächsprotokoll“ – vielmehr die sprachliche Ausarbeitung des vom Unterzeichner dort Vertretenen.

 

Das Folgende bezieht sich auf die Präsentation https://www.ekkw.de/fileadmin/suchrelevant/kirche/synode/250509_synode2501_TOP_12_Segnende_Kirche_Thesen_zur_Neuausrichtung.pdf [Abruf: 01-06.2025] durch Vertreter*innen der Liturgischen Kammer der EKKW vor der Landessynode am 09.05.2025.

 

Die Präsentation erhebt erklärtermaßen einen programmatischen Anspruch; ihre summarische Grund-These:

Im Spannungsfeld von Herausforderungen und vielseitigen Entdeckungen gibt die Landeskirche sich eine strategische Ausrichtung, wie sie zukünftig „auf segnendes Handeln orientierte Kirche“ sein kann

Hierzu erscheinen Grundsatz-Überlegungen geboten.

 

  • Im Wesentlichen unbestritten sind die Wahrnehmungen an der Empirie zeitgenössischer „Religiosität“, auf denen jene Grund-These fußt – im o.g. Rundgespräch stand dafür der beifällige Verweis auf KMU VI (soweit öffentlich bekannt – der Vorab-Text „Engagement und Indifferenz“ hatte ersichtlich die Funktion, die Interpretation der Ergebnisse von KMU VI zu lenken, deren Publikation noch eine Zeit lang aussteht). – Deren Ergebnisse lassen sich begrifflich den Schemata „Individualisierung“ und „Differenzierung“ gelebter Erwartungen ans ‚Handeln der Kirche‘ subsumieren.

Unbestritten erklärtermaßen speziell die Wahrnehmungen: Formell innovative kirchliche „Kasual“-Angebote wie Tauffeste oder das jüngste EKKW-Projekt „einfach heiraten“ finden ersichtlich bemerkenswerte Resonanz. (Wobei die eher stillschweigende Kontinuität der Inanspruchnahme parochie-gebundener Kasualhandlungen nicht vergessen werden darf…)

Hierfür spricht auch ein Trend der zeitgenössischen wissenschaftlichen „Praktischen Theologie“. Für den https://shop.kohlhammer.de/segensraum-978-3-17-020168-2.html stellvertretend genannt sei.

  • Erste Konklusion: Die Menschen sind „verschieden“ – und darauf muss sich „kirchliches Handeln“, das ‚ankommen‘ will, einstellen.
  • Die o.g. Präsentation beansprucht, mit ihren Empfehlungen dem Ideal „das Evangelium zu teilen“ zu folgen. Das löst einen spezifischen Einspruch aus, der zur Artikulation nur drei Thesen braucht – Hinweise auf Risiken, die durch das empfohlene „Programm“, Kirche am Sub-Ideal ‚segnenden Handelns‘ zu „orientier[en]“, überspielt werden.

Der Entschluss zum Paradigma „segnendes Handeln“ befördert drei Missverständnisse von „Kirche“, die erkennbar ‚sowieso unterwegs‘ sind, unter mandatiert „Handelnden“ wie unter deren „Klientel“:

 

1.Verflüssigung

Wenn alles „kirchliche Handeln“ unter „Segnen“ begriffen werden soll, wird das Programm, „das Evangelium zu teilen“, diffus.

Viele Zeitgenoss*innen erleben ja sowieso „kirchliches Handeln“ qua Kommunikation mit „kirchlich“ Mandatierten als willkommene Zustimmung zu ihrem Da- und So-Sein. Die Legitimierung dieses ‚Zustimmungs‘-Eindrucks zehrt von der innerorganisatorischen Akzeptanz der sog. ‚reformatorischen Rechtfertigungslehre‘.

„Kirchliches Handeln“ möchte von Zeitgenoss*innen gerne als Affirmation wahrgenommen werden. Aber: Darf es darum gehen, ‚alles egal‘ sein zu lassen?

 

2.Verdinglichung

Paradox genug, entpuppt sich „Verflüssigung“ als deren Gegenteil. Die – vorerst synodal akzeptierte – Rede von „segnendem Handeln“ befördert das Missverständnis von „Segen“ als eines ETWAS, das von wem auch immer hier oder da deponiert werden könnte.

Selbst wenn historisch-kritische Exeget*innen der alttestamentlichen Rede von ברכה das neuerdings relativieren mögen: leitend bleibt das Verständnis von „Segen“ als eines Beziehungsereignisses.

Die Kirche“ kann keinen „Segen“ ‚liefern‘. Er steht weder „ihr“ noch sonstwem zur ‚Verfügung‘.

(Wenn [s. obigen Link] ihre Kasualien-Theorie als „Segensräume“ übertitelt, ist DAS gemeint: unsereins betritt einen „…raum“ [nein, auch der titulare Plural hat sein Gewicht!], den nicht er/sie erst erschaffen müsste.)

Auch die Reverenz vor der ur-katholischen – „anima naturaliter christiana“ () – Meinung der „Leute“ macht die Redeweise nicht besser.

3.Ver„amt“lichung

SO scheint es „evangelisch“ nicht zu gehen. Aber der verdinglichende Beiklang (lt. Missverständnis Nummer 2) schleppt auch noch Missverständnis Nummer 3 mit sich:

         Die Rede vom „segnenden Handeln“ „der Kirche“ sinnt dieser eine Leistung an, die anderswo nicht zu erhalten sei: fördert mithin (soziologisch geredet) die Zuschreibung eines „Alleinstellungsmerkmals“ an sie als organisationale Akteurin. Das wiederum transportiert und verfestigt die lebensweltlich ohnehin verbreitete Unterstellung, es könne nur von [Kirchen-]Amts wegen „gesegnet“ werden. Während hingegen nach evangelischem Verständnis ein jeder Mensch einen anderen „segnen“ kann (und sei’s wie die imaginäre „Mutti“, die ihrem Achtjährigen beim Aufbruch zum Schulweg an der Haustür durchs Haar wuschelt).

„Segnendes Handeln“ zum Paradigma von ‚Kirche‘ zu erheben, befördert die „Römisch-Katholisierung“ auch einer EKKW.

Das wiederum mag man/frau befürworten, in interkonfessionell-ökumenischem Interesse. Aber auch der kontroverstheologische Impetus, der immerhin zuzeiten eine „Reformation“ betreiben konnte, behält sein Recht.

 

01.06.2025

© Frithard Scholz

 

 

 

Nachbemerkungen: Hintergründe und Offene Fragen

 

Die hier exponierte Wahrnehmung der Rede vom „Segnenden Handeln“ ist imprägniert durch die Perspektive Claus Westermanns, der in seinen Publikationen der 1950er und 1960er Jahre an den biblischen Schriftzeugnissen von der Kommunikation ‚Gott/Welt/Mensch‘ die Grunddifferenz von „Segnen“ und „Retten“ aufgewiesen hat.

Diese ‚Grunddifferenz‘ reflektiert, begriffliche Abstraktionsleistung, zwei gegensätzliche Erlebens-Modi, in denen Menschen sich so bewegen (und die im Folgenden ‚DAseins-Gefühl‘ genannt seien):

  • „Segnen“ korrespondiert dem DAseins-Gefühl ‚wie gut, dass die Dinge des Lebens sind wie sie sind – möge es doch so bleiben‘. Die Anmutung des Gefährdetseins dieses „SO“ ist zwar präsent, aber nicht dominant: ‚Kontinuität‘ ist das Ideal.
  • „Retten“ hingegen apostrophiert erlebbare, ja erlebte „Not“: ‚ach könnte es doch alles anders sein – und zwar schnellschnell‘. So ist das DAseins-Gefühl von Bedrohten: ‚Diskontinuität‘ ist das Ideal, ja werweiß deren Überlebens-Hoffnung.

 

Geistesgeschichtlich Interessierte stoßen freilich auf noch weiter reichende Fragen. Wie der nach der Relevanz der ‚Grunddifferenz‘ von „Raum“ und „Zeit“, wie sie Kant als „Formen reiner Anschauung“ begrifflich etabliert hat.

Mag sein, dass die professionelle Resonanz von Westermanns Perspektive seinerzeit unglücklich „pover“ blieb. Es mag sein, dass dessen Prämiierung des „Segnens“ nicht ‚in die Landschaft passte‘, die damals noch von der Heidegger-intonierten Präponderanz der „Zeit“ definiert war.

Hans Blumenberg hat gelegentlich auf die „handgreifliche“ Fundierung auch intellektueller Formierung von DAseiendem durch „Be-Griffe“ hingewiesen. Wer diesen Hinweis internalisiert hat, wird allemal die sublime Inklination zum „Raumhaften“ bemerken, die der Reflexion menschlichen Weltbezugs eigen ist – schon allein durch die terminologischen Vorgaben der später sog. ‚Erkenntnistheorie‘– nicht erst in der „Moderne“. Den Belegen dafür ist kaum zu entkommen: angefangen vom ‚theatralen‘ Ursprung des Terminus „-theorie“ aus der athenischen θεωρια bis hin zu (wie hier nächstliegend) Kants Entscheidung, „Anschauung“ zu nennen, was – wie ebenso denkbar – „Anhörung“ hätte heißen können müssen.

Oder auch nicht ‚hätte heißen können‘. Denn auch hier ist der „Theorie“-Sprache nicht zu entkommen:

„Raum“ indiziert die Ko-Präsenz von ‚Angeschautem‘ und ‚Anschauendem/r‘, ein in der Breite/Länge/Höhe berührbares Kontinuum, das als solches sich durchs Berühren oder Beobachten nicht ändert. In qualitativem Gegensatz zu „Zeit“, Sammelausdruck für diejenige DAseins-Dimension, die gezeichnet ist vom ‚Nie-zugleich‘, von der Je-Einmaligkeit menschlichen Erlebens und Handelns, einem unwiderstehlichen Auftreten/Verschwinden von SO-Seiendem: konstitutiv einsinnig-gerichtete Sequenzialität.

 

Anzumerken bleibt, der Klarheit halber: Kant hat jene ‚Grunddifferenz‘ von „Raum“ und „Zeit“ bewusstseinstheoretisch (von ihm „transzendental“ genannt) rekonstruiert – in den vorstehenden Überlegungen wird dies zum „Ontologischen“ ‚rückabgewickelt‘. Im Interesse an Anschlussfähigkeit zu den oben sog. DAseins-Gefühlen, die die Rede vom „Segnen“ bzw. „Retten“ tragen.

Inwieweit diese mit dem angedeuteten Verständnis von „Raum“ und „Zeit“ koordiniert werden können, bedarf indes noch genauerer Prüfung.

 

18.09.2025

© Frithard Scholz