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Als Leser von
Thomas Zippert, „Es gibt auch richtiges Leben im falschen.“ Erfahrungen aus einer schwulen ‚Schutzfamilie‘ im Pfarrhaus – zugleich ein Desiderat für weitere Forschung, in: Katrin Burja, Traugott Roser (Hg.), Queer im Pfarrhaus. Gender und Diversität in der evangelischen Kirche, Bielefeld 2024, 195-212,
wo es (199) ganz beiläufig heißt „So oder so spiegelt sich in der Begrifflichkeit die auch lange für die Ehe geltende Heteronormativität“
empfinde ich mich gedrängt, „eine Lanze für die sog. Heteronormativität zu brechen“. Obwohl, um im Bilde zu bleiben, der Beifall auf den sog. gesellschaftlichen Tribünen längst alle Kämpfer*innen (naja, meist doch ohne „*innen“ J) fürs „…-normative“ auf die ‚Verliererstraße‘ schickt. Also das wackere Votum eines Verlierers, ganz subjektiv.
Und es geht im Folgenden kaum ums „Pfarrhaus“ oder auch die „evangelische Kirche“. Obwohl es mit derlei Interna beginnt und aufhört.
Mit seiner Folge-Rechtsprechung hat das BVerfG den Rechtsbegriff „Ehe“ in einer Weise zersetzt, dass der spätere Bundestagsbeschluss von 2017 („Ehe für alle“), gleichsam reife Frucht, nur noch ‚abfallen‘ konnte.
Dass „Ehe“ im GG eigens erwähnt wird, bekundet den Respekt der Verfassung[sgeber*innen] von 1949 vor dem Gegebensein defacto staats-konstitutiver, aber (eben darum!) staats-unabhängiger Lebensverhältnisse.
(Auch diesen Zusammenhang meint, was Jahrzehnte später als „Böckenförde-Diktum“ zum Mantra konservativ-liberaler Verfassungsinterpretation gerät: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ [erstmals publiziert in: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Karl Doehring (Hrsg.): Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart u.a. 1967, 75–94, hier 92])
Zur zeitgeschichtlichen Erinnerung: 2010 war das Rechtsinstitut der „eingetragenen Partnerschaft“ in Geltung, ebenso wie (seit 2008) für die Kirchliche Trauung der Verzicht der staatlichen Seite auf das ‚Vorher!‘-Gebot einer standesamtlichen Eheschließung. Staatlich rechtliche Entwicklungen im Sinn (obwohl die ‚Ehe-für-alle‘-Entscheidung des Bundestages 2017 noch unvorstellbar war), hatte der zuständige Dezernent in seinen Gesetzesentwurf als § 1 hineingeschrieben „Die kirchliche Trauung setzt eine rechtsgültige Eheschließung zwischen einem Mann und einer Frau voraus […]“.
Aber schon diesen Versuch einer vorsorglichen Restriktion, das in Frage kommende „Personal“ betreffend, hat das Kollegium des LKA dem Dezernenten damals nicht ‚durchgehen‘ lassen.
Selbstironisch ließe sich kommentieren: römisch-katholisch anmutend, verliert verbohrte Einzelmeinung gegen demonstrativ evangelische Kollegial-Mehrheit eines optionen-offenen, perspektivischen Libertarismus. Oder auch nur, um vorsichtiger mit Motiven zu spekulieren: gegen die strategische Absicht, – eingedenk Luthers ‚Ehe? Weltlich Ding!‘ – dem Staat in Sachen Ehe-Regelungen bedingungslos das „prevenir“ zu überlassen. (Schließlich hielt’s sogar die EKD für geboten, einer öffentlich kaum bemerkten Liberalisierung des Personenstandsrechts 2009 entgegenzutreten: Soll es künftig kirchlich geschlossene Ehen geben, die nicht zugleich Ehen im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind? Zum evangelischen Verständnis von Ehe und Eheschließung – eine gutachtliche Äußerung [EKD-Texte 101, Hannover 2009]). – Egal. Kampf um Deutungshoheit verloren.
Erwachsen aus dem Sprachgebrauch überdurchschnittlich ‚gender-sensibler‘, an gesellschaftlicher „Diversität“ engagierter Milieus, ist der Ausdruck „Heteronormativität“ vorzugsweise als Fremdbezeichnung gängig und typisch mit abwertenden Konnotationen besetzt. In diesem Sinne charakterisiert er Zeitgenoss*innen – zugegebenermaßen: so gut wie ausschließlich ohne dass „*innen“ sachhaltig wäre! – als Personen, die in ihrer Lebensführung und Mentalität strukturkonservativen ‚Rollenmustern‘ zugetan sind, mithin nicht mehr ‚auf der Höhe der Zeit‘ sich bewegen (wenn überhaupt ‚sich bewegen‘ K), und drum als Adressaten gegenwartskultureller Fortbildung gelten müssen.
Was sollte gegen den ‚Zug der Zeit‘ ankommen können?
Also ein geradezu klassischer Fall von ‚Mosaikstein einer Fortschritts-Ideologie‘. Dass es mit dem „Fortschritt“ ‚so eine Sache…‘ ist, könnte sich seit Anfang des 19. Jh. herumgesprochen haben – der geistesgeschichtlich letzte entsprechende Aufschlag (Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“) ist 2025 auch schon über 70 Jahre her…
Ein allerjüngstes Exempel öffentlicher ‚Meinungsbildung‘ in Sachen „Heteronormativität“ verdient nebenbei Erwähnung – selbst wenn dessen abzuwartende Resonanz vermutlich milieuspezifisch beschränkt bleiben dürfte: Im November 2024 gerät der Spielfilm „Konklave“ (Regie: Edward Berger, nach dem gleichnamigen Roman von Robert Harris) auf den Spielplan deutscher Kinos. Einigermaßen detailkundig zeigt er Verlauf und Ausgang einer fiktiven Papstwahl. Sie läuft hinaus auf den jüngsten Kardinal, einen Mexikaner (vom verstorbenen Papst zum Erzbischof von Kabul [!!] und alsbald im Geheimen [„in petto“, wie das vatikan-italienisch heißt] zum Kardinal ernannt), der sich den programmatischen Namen „Innozenz“ beilegt. Im Schluss-Dialog zwischen dem wahlleitenden Kardinaldekan und dem Gewählten verknüpfen sich die – zuvor dramaturgisch gestreuten – Gerüchte: der neugewählte Papst ist intersexuell.
Mehr „Fortschritt“ – und das in der als ‚Männerdomäne‘ verschrieenen römisch-katholischen Kirche! – lasse sich wohl kaum vorstellen…
Wenn in den hiesigen Bemerkungen der Ausdruck „Heteronormativität“ als Selbstbezeichnung verwendet wird, so mag das signalisieren: Ich gebe’s nicht auf, den sog. „Fortschritt“ zu problematisieren.
Selbst wenn die aktuellen Propagator’innen jenes Ausdrucks individuell-personbezogenes Erleben ‚ins Feld führen‘ (der bisweilen eingestreute Verweis auf z.B. die „große Varianz möglicher Chromosomen-Variationen“ [so Zippert aaO 200f Anm 15] dient nur der ‚Objektivierung‘ subjektiven Überzeugtseins durch ‚Verwissenschaftlichung‘). Es bleibt allemal schwierig, dagegen mit der Produktion von „Texten“ zur Geltung kommen zu wollen.
In „historischer“ Perspektive argumentativ „verloren“, vermutlich.
© Frithard Scholz