Fragen, Fragen!?

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt;  und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

 

Ein paar Gedanken dazu, zu denen mich Lothar Steiger animiert hat:

 

Gefängnisbesuch. Man muß noch nicht selbst gesessen haben, sondern nur trainierter Krimi-Seher sein, um eine Ahnung zu haben: Glasscheibe, abge­zählte Sprechminuten. Da redet man nicht, wie man sonst draußen redet: viele Wörter und wenig Bedeutung - sondern umgekehrt: kurze Rede langer Sinn.

Und der lange Sinn heißt: Wie lange noch? Und: Was soll werden? Worauf noch warten? und: Wird der Tag kommen?

Und es wird eine unverfänglich verschlüsselte Sprache gesprochen, die nur Eingeweihte verstehen sollen. So auch hier.

Johannes, der gefangen sitzt und fragt, macht nicht viele Worte, sondern wählt die, die derjenige, wenn er es denn ist, verstehen muß 'Bist du, der da kommen soll?'. So wie es im Jakobssegen über den aus Juda 'Kommenden' heißt 'Nicht weicht das Zepter von Juda, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen weg, bis daß der Held kommt, dem gehört der Gehorsam der Völker', die Macht zur Errichtung der Herrschaft des Friedens.

 

Besuch von Jesus darf der politische Gefangene Johannes nicht bekommen. Und so schmuggelt er mit Hilfe seiner Schüler den Kassiber hinaus, mündlich und mit biblischen Code-Wörtern verschlüsselt. Denn auch >kommen< und >warten< sind welche. Wer biblisches Gehör hat, versteht den Untertext: das Wort >kommen< gehört auf die Seite Gottes, und das Wort >warten< auf die Seite des Geschöpfs, des "ängstlichen Harrens der Kreatur".

'Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit'; 'gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn'...

 

Gewundert haben sich schon viele Ausleger über die Frage des Täufers und haben sich ihrerseits gefragt, ob denn Johannes angefangen habe, an Jesus zu zweifeln: Er, der damals am Jordan in Jesus den Stärkeren und Kommenden gesehen hat. "Ich bedarf wohl, daß ich von dir getauft werden - und du kommst zu mir?" Da hat man zu Ausflüchten gegriffen und gesagt: Johannes frage nur zum Schein für sich, sondern tue es um seiner Schüler willen, die aus dem Gespräch der Wissenden, zwischen ihm und Jesus, lernen sollten. Nur: was nicht für den Lehrenden gilt, wie kann das im Ernst gut sein für die Lernenden?

Schließlich zieht der Täufer nicht mehr frei durchs Jordantal, sondern sitzt im Loch. Als wenn das keinen Unterschied machen dürfte, auch was den Glauben angeht! Und so gibt Johannes= zweifelnde Frage die Lizenz aus für denjenigen Zweifel, der ein anderer Ausdruck des Wartens ist. Zweifel, der sich von allzuvernünftiger Skepsis unterscheidet, weil er nicht abläßt vom Fragen und Anmahnen uneingelöster Versprechen.

 

Denn Jesus kann doch nur der Kommende sein, wenn es mit ihm und durch ihn auch in der Welt anders kommt. Hat sich etwas verändert? Ist etwas zu sehen davon? Oder ist es nur die Vorwegnahme des Rufens nach dem Elia an jenem dunkel windigen Sederabend in der Familie der Bella Rosenberg (spätere Chagall)? Johannes zweifelt nicht an der Richtigkeit seines Wartens, sondern er wahrt den Zweifel, ob Jesus richtig gekommen sei. "Bist du, der da kommen soll?" Keine kleinlaute Frage einer vormaligen Posaune des Herrn ist das, sondern Fortsetzung der offenen Kritik an der gesellschaftlichen und politischen Moral, die ihn hinter Gitter gebracht hatte. Die Kritik schon war auf Hoffnung gegründet, und sie bleibt es auch jetzt: "Sollen wir auf einen anderen warten?"

 

Und er bekommt Antwort. Jesus ist so frei, ihn im Gefängnis zu lassen und in scheinbar billiger Gelassenheit - wie man so sagt - >von außen< zu reden. Er sagt: die biblische Zeit ist da! mit mir ist sie gekommen! Nicht die Zeit, die man als >Friede, Freude, Eierkuchen< verhöhnt. Es ist die Zeit, die durchdringt, was in der Zeitung steht mit ihren höchst widersprüchlichen Nachrichten, die doch nur Skepsis am Sinn des Ganzen fördern und die auch unser Fragen zusam­menfließen lassen mit der Frage des Johannes "Sollen wir auf einen anderen warten?"

Kriegt der, kriegen wir daraufhin doch Schriftzitate geboten, die den armseligen Anschein der Wirklichkeit eher verstärken. Blinde sehen! Tote stehen auf! Wie bitte? Das Töchterlein des Jairus soll auferweckt worden sein? Der mondsüchti­ge Knabe mit beiden Füßen auf der Erde? Hat sich der Evangelist Matthäus nicht zu sehr befleißigt, alle die Versprechungen der biblischen, messianischen  Zeit zu belegen, daß wir uns - die Zeitung und ihre Nachrichten im Kopfe - nur in historisch-kritische Zweifel retten können? Wenn das nur mal eine Rettung ist...

 

Nur sollten wir nicht verkennen, daß die biblische Zeit, die des Exodus, die des  Elia - einmal aufgetreten und ab dann Hoffnungsträger eines ganzen Volkes -  nicht weniger konfliktlos war als der Horizont unserer Zeitungen: Zeit der größten Nöte und Widerstände gegen Sonnenschein-Glauben. Und gerade deswegen gab es das und gibt es das: Gott ist nicht fern, sondern nahe. Da wendet sich einer an die arme Witwe und will von ihr zu essen haben!  Da sagt eine Mutter: Will mir und meinem Sohn vom letzten Mehl Brot backen und sterben - und erfährt Leben! Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages. Das Beklagenswerte nicht überspielen, sondern ernst nehmen, aber nicht für das Letzte überhaupt halten. Das heißt, die Zeichen der Zeit zu erkennen, sie wahr-zunehmen: die Zeit unseres eigenen Lebens nicht für wahrer zu nehmen, als sie ohne diese Zeichen der biblischen Zeit nur sein kann. Wir können das auch.

 

Und Jesus gibt uns auf den Weg "Selig, wer sich nicht an mir ärgert!" An den Unrechtsverhältnissen, an den bösen und üblen Dingen, die einen Menschen, ganze Völker, Baum und Tier unglücklich machen: an der Wirklichkeit, die es besser zu machen gilt, mögen wir uns wacker weiter ärgern, ja Kritik daran üben, dergestalt daß wir uns nicht scheuen sollen, womöglich verdächtigt zu werden oder eingelocht - wie Johannes, der mit dem Zeigefinger. Aber an dem, der gekommen ist, an Jesus selbst sollen und dürfen wir uns nicht ärgern. Hat er doch selbst den Widerspruch und die Verfolgung für seine Unangepaßtheit  sehenden Auges auf sich genommen - bis zum Tode am Kreuz. Diese Antwort hat nur er dem Johannes geben können und dürfen - nur er und nur so. Und wer wären wir, daß wir sie besser entschlüsseln wollen dürften?

Amen.