...selig!

 

Liebe Gemeinde: Eltern, Pa­ten/Patinnen und besonders ihr

- liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden...

 

Nun ist der große Tag da, auf den viele schon lange gewartet haben. Und was heißt schon gewartet (werden Konfirmanden-Mütter und -Väter bei sich denken): Vorbereitung noch und nöcher - da ist schon mal das Wohnzimmer extra neu tapeziert worden vielleicht - über's richtige Menü im Restaurant oder vom Party-Service musste gegrübelt, vielleicht sogar ein bißchen gezankt werden - und wie man wohl die Übernach­tung für die Patentante aus Posemuckel geregelt kriegt. Aber nun ist alles wie es ist, wir sind hier, hier in der Kirche, und das ist das Wichtigste. Väter und Mütter dürfen sich entspannt zurücklehnen, können es hof­fentlich auch.

Der große Tag ist da, an dem Kirche so hergerichtet ist wie nur einmal im Jahr. Hier vorne sitzen sie, die 23 Mädchen und Jungen, die heute konfirmiert werden sollen. Ein bißchen Präsentierteller, zugegeben, und das benachteiligt euch Jugendliche etwas in puncto entspannt zurück­lehnen. Aber das darf auch mal sein. Heute sind sie, heute seid ihr die Hauptpersonen. Hat schon damit angefangen, dass sie alle hier aufge­standen sind bei eurem gemeinsamen Einzug. Euch zu ehren, selbst wenn ihr es vielleicht `voll peinlich' findet oder wenigstens so tut. Für Eltern, liebe Konfis, das muss ich doch mal aussprechen - für Eltern ist es schon etwas Eigentümliches, die Konfirmation des eigenen Kindes zu erleben. Euch hier vorne sitzen zu sehen. Bei denen kommen so Gedanken, wie schnell das doch alles vorbei gegangen ist; die haben ja in den letzten Wochen alte Fotoalben durchgesehen oder die Video-Samm­lung gemustert, um vielleicht etwas auszusuchen für die Vorfüh­rung heute nachmittag vielleicht `14 Jahre unser Kevin / 15 Jahre unsere Julia'. Selbst wenn ihr das `ätzend' findet: lasst es mal gut sein, Eltern brauchen so was bisweilen. Damit sie sich selber nochmal neu spüren. Denn das waren schließlich auch 14, 15 Jahre von deren Leben. Jahre, an die sich zu erinnern gut tut, selbst wenn es bisweilen sehr gemischte Gefühle sind, die da sich rühren. Schaut sie euch an, wie sie da unten oder auch da oben zwischen sitzen, eure Eltern, Patinnen, Paten und wer noch euch bisher und dann auch hierher begleitet hat, und denkt einen Moment an sie. Sie sitzen hier, weil sie euer Bestes wollen. Und manchmal haben sie sich richtig dafür krumm legen müssen (um nur das Mindeste zu sagen) und tun es noch. Das ist so, denke ich, und das ist gut so.

Gut so. Aber trotzdem: Bei diesen Bemerkungen geht mir eine Karikatur nicht aus dem Kopf, die mir neulich wieder vor Augen kam. Zwei Drei­käsehoche, kiddies (wie man heute sagt) stehen vor einer schäbigen Hinterhofmauer und warten, auf Spielkameraden womöglich. Sagt der eine zum andern Die Erwaksnen wolln imma nur unsa bästes. Krieg'nse abba nich! Freche Bemerkung einer kleinen Göre, aber die sitzt. Trifft vielleicht auch euer Gefühl gegenüber den Eltern, wenn sie wieder mal `euer Bestes wollen'. Selber trainierter Vater, hab' ich Erlebnisse damit, wie Jugendliche sich genervt fühlen können von all dem fürsorglichen Gut­meinen von Eltern. Pack deinen Schulkram gefälligst abends, wie oft haben wir das schon gesagt - putz deine Zähne - jetzt ist aber Schluss mit Fernsehen, ab ins Bett, morgen schreibt ihr Englisch: Ihr werdet, Sie werden das kennen. Die Erwaksnen wolln imma nur unsa bästes. Krieg'nse abba nich! So wird Eltern ihre Redensart im Wort-Um­drehen ins Maul zurückgestopft (pardon). Eltern wollen etwas von euch, damit ihr in der Welt gut zurechtkommt, und Jugendliche denken, ihnen wird damit was weggenommen, letztlich der eigene Antrieb, die Welt nochmal von Grund auf neu zu erfinden. Auszuprobieren, was geht und was gerade noch geht, um rauszukriegen, was eigentlich das Gute am Leben ist - davon war ja gestern abend die Rede. Meinungsverschieden­heiten, die ans Eingemachte gehen, lautstark oft, mit knallenden Türen und Lautsprecher-Boxen, die bis zum Anschlag aufgedreht werden. Ich weiß: das hat mit der Pubertät zu tun. Pubertät ist ja bekanntlich, wenn die Eltern schwierig werden.

Aber dass Eltern, die `nur das Beste ihrer Kinder wollen', aneinander geraten mit ihren halbwüchsigen Söhnen und Töchtern, dies immer noch besser wissen und das letzte Wort behalten wollen: das hat noch einen anderen Grund. Das liegt daran (denke ich), dass weder Eltern noch Kinder die Frage so einfach beantworten können `Euer Bestes - was das wohl ist?'

Und jetzt kommen wir Pfarrersleute ins Spiel, und der Konfer, zu dem ihr gegangen seid oder geschickt worden, als die Zeit dafür dran war. Vor ungefähr einem Jahr hat eure Hauptkonfirmandenzeit angefangen, und wir haben euch bekannt gemacht mit den sogenannten Seligprei­sungen von Jesus - vorhin haben wir sie noch einmal gehört.

 

Da haben wir das große Wandbild hergestellt, das seitdem den Kirchsaal geziert hat und das euretwegen jetzt hier vorne hängt. Neun Teile hat das Bild, eins für jeden der acht Sätze Jesu übers Lebensglück, und einen Teil für die Überschrift - `selig seid ihr...' oder auffordernd `seid selig, ihr...', wie mans nimmt. Jeder von euch wird so seine eigene Erinne­rung an dieses Unternehmen haben, jeder seine eigene Geschichte damit. Rechts oben, auf gelbem Grund, ein Beispiel für `Selig die Sanft­mütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen': da hat eine den Pinsel geführt, die hat sich den Sinn zurechtgelegt mit ihren Erfahrungen vom Zusammenleben von Geschwistern in einem gemeinsamen Zimmer: dass zwei umso besser miteinander auskommen, je verläßlicher eins dem andern seinen ganz eigenen Teil im Zimmer zugesteht und ohne Maulen respektiert. Oder links in der Mitte, die Figur auf Rot mit dem weißen Strahlen in der Mitte `Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen': mit dem `reinen Herzen' haben Jugendliche ja ihre Schwierigkeiten, und der es gemalt hat, der hat zwar gut aufgepasst auf unsere Erklärungen, dass man bei `Gott schauen' nicht sich den alten Mann mit dem langen Bart vorstellen soll, und hat der Figur auch ein strahlend weißes Herz durch die Jacke leuchten lassen - aber dem strubbeligen Blondschopf hat er denn doch einen rauchenden Joint in die Hand gedrückt, als Gegenwehr gegen allzuviele Zumutungen an Artigkeit. Und unten in der Mitte sehen wir eine schulhofartige Szene vor uns, wo einer verprügelt wird, obwohl er nichts gemacht hat - Jesus sagt `Selig, wenn ihr im der Gerechtigkeit willen verfolgt werdet...'

Ein eindrucksvolles Bild, das manche schon beschäftigt hat, die im letzten Jahr den Kirchsaal betreten haben. Aber wir wissen aus den Gesprächen mit euch, dass es euch auch nahe gelegen hätte, auch etwas ganz anderes zu malen. Anti-Seligpreisungen sozusagen. Diese `Selig seid ihr, wenn...'-Sätze von Jesus sind ja schon eine Zumutung für Leute, die wissen, wies in der Welt zu geht.

Wer sich da zuhause weiß, wird eher sagen: 'wer über die Menschen nur das Gute denkt, ist angeschmiert' - 'wer immer klein beigibt, hat die Arschkarte gezogen' - 'wenn du nicht siehst, wo du bleibst, haste gelitten und sitzt am Ende neben dem Mülleimer vor dem Billig-Markt' (wie auf dem Bild rechts in der Mitte).

`Ich will doch nur euer Bestes - und das erfahrt ihr, wenn...': das ist die Botschaft von Jesus in seinen sogenannten Seligpreisungen. Aber ist das nicht ein bißchen weltfremd? `Selig' - das klingt schon so abgehoben, nach Engelchen auf der Wolke. Ich habe extra nochmal nachgesehen in einem theologischen Lexikon; da heißt es: `Seligkeit' meint die Voll­endung des ganzen Menschen in der Gnade Gottes, in der Gemeinschaft mit auch anderen Vollendeten, in der vollendeten Schöpfung - letzt­endlich also im `Himmel'. Als ich das las, habe ich genickt, aber auch den Kopf geschüttelt. Denn schließlich ist es ja Jesus gewesen, der diese `Selig seid ihr, wenn...'-Sätze gesagt hat, und er war es doch auch, in dem nach der Bibel der Himmel auf Erden sich verkörpert hat. An ihm und seinem Lebensgang wird man es also ablesen können, was `euer Bestes' ist.

Dass die sogenannten Seligpreisungen auf verschiedene Weise in unsere Gegenwart übersetzt werden können, hat ja schon die Bibellesung vorhin deutlich gemacht. Ein neueres Kirchenlied dazu beginnt `Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt...' (gestern haben wir's schon gesungen).

`Einfach leben' - naja. Öko sein scheint bei euch Jugendlichen ziemlich out zu sein, uncool. Aber wir wissen nicht, ob es vielleicht nicht noch mal sowieso auf uns zu kommt, dass gar nichts anderes übrig bleibt bei der wirtschaftlichen Schrumpfung, die wir erleben in unserem Land. Dass man ein Mensch sein kann auch ohne MP3-Player, auch ohne den Griff in die allgegenwärtige Schnuck-Tüte. Daran hängt `euer Bestes' nicht, erfahren wir aus den Worten Jesu. Oder `Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erla­ngen': das Bild in der Mitte des großen Tuches, mit der Krankenschwes­ter, die den Verletzten am Straßenrand aufsucht. Wer sich kümmert um andere, wem es durch und durch geht, dass andere schlimm dran sind. Das ist gemeint mit `Barmherzigkeit'. So jemandem geht es gut, denn er trägt mit seinem Leben bei zu einer Welt, in der es nicht mehr so kalt zugeht. Vielleicht ist das vor allem eine Begabung von Frauen; das biblische Wort für `Barmherzigkeit' ist dasselbe wie für den weiblichs­ten aller Körperteile, für die `Gebärmutter'. Aber womöglich erinnert diese sprachliche Feinheit nur daran, wieviel Männer von Frauen zu lernen hätten, damit sie zu `ihrem Besten' kommen. Aber wie dem auch sei: barmherzig-sein ist eine Weise des Lebens, die gut tut, andern und einem selber - obwohl sie ganz weltfremd ist in Verhältnissen, in denen Durchsetzungsfähigkeit Erfolg verspricht und der Gebrauch von Ellenbo­gen, um vom mobbing gar nicht zu reden. Nicht von ungefähr hat die Stadt Vellmar der Schwester Selma ein Denkmal gesetzt, zur Erinnerung daran, wie sehr die Gemeinschaft eines Dorfes wie Niedervellmar lebt vom Dasein von Menschen, die zu allererst spüren, wenn es anderen schlecht geht.

Genug der Beispiele zu den Seligpreisungen Jesu. `Wir wollen doch nur euer Bestes' sagen euch die Eltern, wenn sie euch was abverlangen - sagen euch die Pfarrer, wenn sie euch den Konfirmandenunterricht zumuten samt Konfi-Pass und Stücken aus der Bibel und Gottesdienst­besuchsverpflichtung. Dabei wissen Erwachsene doch auch, Eltern wie Pfarrersleute: Jugendliche haben ganz andere Sachen im Kopf als die, die sie sollen. Und wissen immer besser, was ihnen gut tut. Warten wirs mal ab.

Aber etwas will ich doch noch loswerden, heute. Kennt ihr, kennen Sie den Witz mit dem Pfarrer und den Fledermäusen? Nein? Habe ich mir gedacht.

Sitzen drei Pfarrer zusammen und klagen sich ihr Leid mit den Fleder­mäusen, die in ihren Kirchtürmen hausen. Der eine hats versucht mit Zunageln und Gittern, der andere hat die Tiere wochenlang Tag für Tag abgesammelt und weit weg im Freien ausgesetzt - beide so oder so ohne Erfolg; immerzu waren die Viecher wieder da. Sagt der dritte ganz ruhig: `Ich habe keine Probleme mit Fledermäusen mehr.' Die beiden Anderen bestürmen ihn, sein Geheimnis zu erzählen. `Ganz einfach,' sagt dieser, `ich habe mir das von den Konfirmanden abgeschaut.­ Nach­dem ich die Fledermäuse konfirmiert hatte, haben die sich nie wieder in der Kirche sehen lassen!'

Also, nicht dass ich euch mit Fledermäusen verwechseln würde. Und dass es uns darauf ankäme, euch hier nie mehr wiederzusehen (wo ihr eurer Pflichtpensum im Pass erledigt habt). Nein. Aber auch nicht aufs Gegenteil: dass ihr Sonntag für Sonntag hier auf den Bänken säßet.

Nein, was wir für euch wollen, ist ganz einfach: `euer Bestes'. Dass ihr euch Zeit lasst herauszufinden, was das ist. Das wird nämlich heraus­kommen, und es braucht Zeit dazu. Lasst sie euch. Wartet, was ihr dabei entdeckt. Verlangt den Erwachsenen weiterhin ab, dass sie euch ein Beispiel geben dafür, was `euer Bestes' ist. Und schaut genau hin, was sie euch vorleben. Vielleicht bringt euch das von selbst wieder zur Kirche zurück.

Und wenn ihr nichts Überzeugendes findet, denkt an Jesus, von dem wir euch zu erzählen hatten - er hat sein Beispiel gegeben und hat es in Worte gefaßt, die ihr kennt: die Seligpreisungen. Die klingen zwar ein bißchen so, als könnte man so nur im Himmel leben - so kommt es vielleicht Menschen vor, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen wollen wie ihr. Aber lasst euch nicht täuschen vom ersten Eindruck. Der `Himmel': das ist zwar das Wort für das Beste, was man sich überhaupt denken kann. Aber Jesus hat ein Loch in die Mauer gemacht, die den Himmel von der Erde trennt. Und darum dürft ihr ihn ruhig beim Wort nehmen, wenn er sagt `Selig seid ihr, wenn...'. Selig-sein: das ist ein Gefühl wie der Himmel auf Erden, und das kann euch drum auch auf Erden begegnen. wenn ihr euch nicht zu macht für das ganz Außerge­wöhnliche. Und das ist manch­mal ganz unbesonders.

Das Lied, das wir gleich singen wollen, drückt es deshalb auch so aus: Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt. Es war schon die Rede davon, allerdings nicht von dem Ton, der die Musik macht. Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt. Das kann man freilich nicht aus dem Automaten ziehen, wie auch sonst nichts, was Wert hat im Leben. Das geht nicht ohne Üben, und es ist auch nicht immer bequem. Aber, liebe Konfis: Einfach leben - uneingebildet, ohne sich was vorzumachen, auf andere achten. Das lässt selig sein. Kaum zu glauben. Stimmt aber trotzdem, verspro­chen. Amen.